4. Juni 2010 Ulrich Bochum

Slash away – Sparorgie in Europa

Anlässlich des Köhler-Rücktritts machte Bundeskanzlerin Angela Merkel in einem Interview deutlich, dass sie von internationalen Ratgebern aufgefordert werde, jetzt noch mehr Geld auszugeben, um der Krise weiter entgegen zu steuern. Man konnte ihr jedoch ansehen, dass diese Option ihr nicht behagte.

Stattdessen soll konsolidiert und das Staatsdefizit zurückgeführt werden. Dazu wird eine spezielle Kabinetts-Klausur abgehalten. In der Tat werden die Staatsbudgets in den EU-Ländern auf breiter Front heruntergefahren. Nach Griechenland sind nun Spanien und Italien mit umfangreichen Sparanstrengungen hervor getreten.

Spanien will in den nächsten drei Jahren 65 Mrd. Euro einsparen und 13.000 Stellen im öffentlichen Dienst abbauen. Städte und Gemeinden erhalten bis 2012 keine neuen Kredite. Italien hat vor, innerhalb von zwei Jahren das Staatsbudget um 24 Mrd. Euro zu senken. Regionen und Lokalregierungen erhalten 13 Mrd. Euro weniger Transferzahlungen, das Rentenalter wird um ein Jahr erhöht. Portugal will das Defizit um 2 Mrd. Euro reduzieren und Irland senkt die Staatsausgaben im Jahr 2011 um 3 Mrd. Euro. Frankreich senkt die Verwaltungsausgaben bis 2013 um 10%, jeder Zweite, der in der Verwaltung in Pension geht, wird nicht ersetzt. In Großbritannien hat die neue Regierung aus Konservativen und Liberaldemokraten bereits angekündigt, 6,2 Mrd. Pfund einzusparen. Weitere Einsparungen werden gegen Ende Juni öffentlich gemacht.

Abbildung 1

In den Ländern der Euro-Zone sollen die Einsparungen dazu dienen, Ausgaben und Einnahmen in den nächsten Jahren auf das Niveau der Maastricht-Kriterien zu bringen. Gemäß dieser Kriterien darf die Neuverschuldung nicht mehr als 3% des BIP und die Gesamtverschuldung nicht mehr als 60% des BIP betragen. Keines der größeren EU-Länder trifft momentan diese Ziele oder wird in den nächsten zwei Jahren die Kriterien erfüllen können. Dafür wären durchweg weitaus höhere Wachstumsraten des BIP erforderlich als sie für die nächste Zeit prognostiziert werden. Die in den Maastricht-Kriterien festgelegten Werte sind weniger ökonomisch als politisch begründet und beruhen auf der neoklassischen Theorie-Annahme, dass Staatsverschuldung und deficit spending per se schädlich für die langfristige Wirtschaftsentwicklung seien.

Es spricht vieles dafür, dass die von den EU-Ländern aufgelegten Sparprogramme die Krise eher verlängern und noch tiefer ausfallen lassen werden - es droht dann eine so genannte double-dip-recession. Radikale Neokeynsianer wie Krugman und Stiglitz kritisieren, dass selbst das US-Stimulierungsprogramm viel zu klein ausgefallen sei und der britische Keynes-Biograph Skidelsky geht davon aus, dass wir für Jahre nicht mit einer wirklichen Erholung rechnen können. "Wir müssen mit hohen Staatsschulden und mit einer Reihe neuer Einbrüche leben. Das ist eine düstere Aussicht. Aber ich weiß nicht, wie wir da herauskommen sollten, wenn wir nicht etwas tun wollen, das für mich im Augenblick unvorstellbar ist, dass die Regierungen weitgehend die Kontrolle über die Wirtschaft übernehmen und die Ausgaben steuern."

Durch ein frühes Konsolidieren und zwanghaftes Ausgleichen der Haushalte droht eine Deflation und in Bezug auf die gesamtwirtschaftliche Nachfrage ist die Deflationsgefahr zweifellos das größere Übel. Die Finanzmärkte, die Märkte für Staatsverschuldungspapiere sehen das anders. "Tatsächlich muss man, will man Programme zur wirtschaftlichen Erholung in nennenswertem Umfang fahren, große Teile der Finanzmärkte einfach schließen. Man muss Kapitalflucht verhindern, Spekulation auf Währungen ausschließen."

Die Alternative, so Skidelsky, sei die ständige Gefahr weiterer Zusammenbrüche und die Abhängigkeit von der Stimmung auf den Märkten. Wenn die Finanzmärkte die Regierungspolitik nicht akzeptierten, so würden sie eine Kehrtwende erzwingen in dem sie Kapital abziehen oder Währungen unter Druck setzen - dies erlebe die Euro-Zone gerade.

Folgt man der keynsianischen Auffassung, dann ist also die aktuell betriebene Sparorgie genau das falsche Rezept zur Überwindung der Krise. Da sich private Unternehmen mit Investitionen zurückhalten, Banken ihnen weniger Kredite zur Finanzierung ihrer Vorhaben bereitstellen, weil sie in ihren Augen zu unsicher sind, muss die öffentliche Hand diese Schwäche kompensieren und Geld in die Hand nehmen: "continue to pump money into the economy". Mit anderen Worten: Es müssen Möglichkeiten für Investitionen in die Realwirtschaft geschaffen werden, um damit das Vertrauen der Unternehmen in die Herstellung von Gütern und die Bereitstellung von Dienstleistungen zu stärken. Eine Möglichkeit ist, die über weitere Defizite finanzierten staatlichen Investitionen in eine Verbesserung der Infrastruktur zu stecken. Bisher fallen die Investitionen dort so gering aus, dass sie nicht einmal die Abschreibungen decken.

Eine weitere Leerstelle in der EU-Politik ist, dass trotz häufiger Gipfel-Treffen und Krisensitzungen, bisher keine Koordination im Sinne einer europäischen Wirtschaftspolitik absehbar ist. Jeder spart vor sich hin und hofft darauf, dass ihn die Märkte nicht abstrafen. Dabei ist klar: Es geht schon wieder weiter mit den Ungleichgewichten. Die Export-Orders für die deutsche Industrie, beflügelt natürlich durch den niedrigeren Euro-Kurs, ziehen bereits wieder an, was nichts anderes heißt, als dass Deutschland sich auf Kosten anderer Länder aus dem Sumpf ziehen will bzw. der Aufschwung Deutschlands durch die Handelspartner bezahlt wird. Die hierzulande gefeierten Exportüberschüsse haben eine Kehrseite und dies sind die negativen Handelsbilanzen der südeuropäischen Schuldnerstaaten. Sparen sich nun diese Länder auf die Vorgaben der Maastricht-Kriterien herunter, wird dies letztlich die deutsche Export-Strategie negativ tangieren.

Der tiefere wirtschaftspolitische Sinn einer Währungsunion liegt darin, dass in ihr eine ökonomische Politik betrieben werden kann, die sich nicht allein an den nationalen Belangen des stabilsten Landes orientiert, sondern an den wirtschaftlichen Bedingungen aller Teilnehmerstaaten. Die Wettbewerbsfähigkeit einzelner Länder innerhalb der Währungsunion wird über die Entwicklung der Lohnstückkosten bestimmt und hier zeigt sich im bisherigen Verlauf der Entwicklung der Euro-Zone, dass Deutschland sich durch seine moderate Lohnpolitik reichlich Vorteile verschafft hat. Es käme also darauf an, in Deutschland zumindest einen Prozess in Gang zu setzen, der Lohnsteigerungen im Rahmen von Inflationsrate plus Produktivitätszuwachs ermöglichte, um Ausgleichsmechanismen gegenüber anderen Ländern der Euro-Zone zu schaffen.

Im Grunde setzt eine europäische Wirtschaftspolitik jedoch eine echte staatliche Integration voraus. "Das bedeutet, dass dann weit mehr als nur ein Prozent des Steueraufkommens dafür zur Verfügung stehen müsste. Man bräuchte 5-6%, damit auch eine Umverteilung der Mittel in der keynsianischen Tradition möglich würde. Die Haushaltspolitik der Mitgliedsländer müsste einer strengeren Kontrolle auf der europäischen Ebene unterworfen werden. Und diese europäischen wirtschaftspolitischen Institutionen müssten ihrerseits der demokratischen Kontrolle durch die europäischen Wähler unterworfen werden. Davon sind wir weit entfernt." (Skidelsky)

Zwar hat die EU-Kommission in bisher nicht bekannter Deutlichkeit die Notwendigkeit einer Wirtschaftsunion betont und für den Abbau von Ungleichgewichten in der Wettbewerbsfähigkeit der Teilnehmerstaaten plädiert. Dabei sollen eine Reihe wirtschaftlicher Indikatoren regelmäßig überprüft und die Haushaltsplanungen mit der Kommission abgestimmt werden, aber wie die EU-Kommission dies durchsetzen will, bleibt unklar. Auch Sanktionsmechanismen gegen Länder, die sich stärker verschulden als vorgesehen, werden diskutiert. Eingriffe in die Haushaltssouveränität werden jedoch weder von Frankreich noch von Deutschland akzeptiert werden.

Literatur:
David Blanchflower: Osborne's cuts will nip growth in the bud, in: New Statesman 27.5.2010
Jürgen Leibiger: Reclaim the Budget - Staatsfinanzen reformieren, Köln 2010
Robert Skidelsky: Defcit disorder: the Keynes solution, in : New Statesman 17.5.2010
Interview im Deutschlandfunk mit Robert Skidelsky: www.dradio.de
Interview mit Peter Bofinger: www.fr-online.de

Ulrich Bochum arbeitet als Unternehmensberater in der G•IBS mbH (Gesellschaft für Innovation, Beratung und Service) in Berlin.

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