6. Oktober 2015 Thomas Nord: Die Wahlen in Portugal

Sparkurs abgewählt, bestätigt und aufgeweicht

Das Jahr 2015 ist aus der Perspektive der EU ein »Superwahljahr«. Nach der Bestätigung des politischen Kurses von Alexis Tsipras und seinem Bündnis Syriza am 20. September wurde am 4. Oktober auch in Portugal ein neues Parlament gewählt. Im Mai 2011 hatte die portugiesische Regierung einem »Hilfspaket« der Gläubiger-Troika zugestimmt und sich im Gegenzug zu harten Sparmaßnahmen verpflichtet.

Die Austeritätspolitik war zum Teil auf harsche Reaktionen in der Bevölkerung getroffen. Weit über 200.000 Jugendliche sind wegen eingeschätzter Perspektivlosigkeit ausgewandert. Im Unterschied zu Griechenland und Spanien hat sich keine neue Partei bzw. kein neues erfolgreiches Parteienbündnis wie Syriza oder Podemos herausgebildet.

Nachdem Portugal im Juni 2014 wieder an den Kapitalmarkt zurückgekehrt war, galt das Land als Musterschüler unter den »Programmländern« der EU, obwohl das oberste Gericht in Portugal manche der Kürzungen als verfassungswidrig einstufte und zurückwies. Im Mittelpunkt der Wahl stand die Bewertung der Austeritätspolitik durch die Wähler_innen an den Urnen und nicht durch die Märkte an den Börsen der Investoren. Schnell wurde am Sonntagabend zunächst ein Wahlsieg der konservativen Regierung ausgerufen und der Austeritätskurs als bestätigt angepriesen. Aber was sagen die Zahlen nach Auszählung der Stimmen?

Bei der Wahl der Assembleia da República am 4. Oktober in Portugal waren 9.439.651 Wahlberechtigte zur Stimmabgabe aufgerufen, 5.374.363 haben ihre Stimme abgegeben. Mit einer üblichen Quote von ungültigen Stimmen lag die Wahlbeteiligung bei 56,9%, etwa 2% weniger als bei der Parlamentswahl 2011. Eine geringe, aber stabile Wahlbeteiligung, 43% der Bürger_innen gingen nicht zur Wahl. Neun Parlamentssitze werden erst nach Auszählung der Stimmen der im Ausland lebenden Portugiesen vergeben, deshalb liegt nach Aussagen der Wahlbehörde noch kein vorläufiges Endergebnis vor.

Die Regierungskoalition (Partido Social Democratia, PSD und Centro Democration et Social Partido Popular, CDS-PP) ist als Bündnis »Portugal à Frente« (PaF) zur Wahl angetreten. Es hat mit 1.979.132 Stimmen umgerechnet 36,83% bekommen, damit wurde Bündnis zur stärksten Kraft. Im Vergleich zur Wahl von 2011 jedoch, wo sie zusammengerechnet 50,4% oder 2.813.069 Stimmen erreicht hatten (dies entsprach einem Plus von 10,9% auf das Wahlergebnis von 2007) ist das ein Minus von 13,8% oder 833.937 Stimmen. Als stärkste Kraft mag man daraus einen Regierungsbildungsauftrag ableiten, eine Bestätigung der Regierung ist das nicht.

Als zweitstärkste Kraft ist die Partido Socialista (PS) eingelaufen, sie hat 1.740.300 Stimmen bekommen oder 32,38%, dies entspricht einem Zuwachs von 4,3%. Von dem ausgegebenen Ziel, eine eigenständige politische Mehrheit in den Wahlen zu bekommen, ist das allerdings weit entfernt. Die PS konnte die Wähler_innenabwanderung von PaF nur teilweise auffangen. Die Coligação Democrática Unitaria (CDU), eine Listenverbindung aus Partido Comunista Português (PCP), den Grünen und der Associação de Intervenção Democrática (ID) hat 441.147 Stimmen oder 7,9% erhalten, prozentual identisch zum Wahlergebnis von 2011.

Den größten Zuwachs hat der Bloco de Esquerda (BE) mit 549.153 Stimmen oder 10,22% bekommen, dies sind im Rückblick auf 2011 eine Verdoppelung und ein Plus von 5,08%. Der Bloco de Esquerda wurde 1999 durch ein Zusammengehen aus der marxistisch-leninistischen Uniao Democratica Popular (UDP), der Partido Socialista Revolucionarion (PSA), der Politica XXI und der FER-Ruptura gegründet. Wegen der inhaltlichen Differenz in der Frage, ob man sich der sozialdemokratischen Politik der PS annähern sollte, hat sich z.B. LIVRE 2014 abgespalten, das links-grüne Bündnis erreichte 0,72%. Aber nach vier Jahren harter Sparpolitik ist ein Plus von 260.230 Stimmen für den BE auch eine überschaubare Wähler_innenwanderung, wenngleich es das beste Ergebnis ist, das Bloco jemals hatte. Die Kommunistische Partei (PCTP/MRPP) erhielt 62.610 Stimmen oder 1,1%. Die politische Linke in Portugal ist bunt und vielfältig.

Die Botschaft der Wahl in Portugal ist zweideutig: Der bisherige Ministerpräsident Pedro Passos Coelho (PSD) kann mit dem Koalitionspartner Paulo Portas (CDS-PP) den Regierungsauftrag beanspruchen. Minderheitenregierungen in Portugal sind nicht unüblich. Aber in Zeiten, in denen die Sparpolitik aus Sicht der EU-Troika nicht aufgegeben werden kann, ist eine Minderheitenregierung keine Garantie für die Fortsetzung des neoliberalen Sparkurses. So befürchten »die Märkte« schon wieder schlimmeres. Im linken politischen Lager, das theoretisch eine Mehrheit hätte, auch wenn sie nicht die stärkste Kraft im Parlament innehat, verläuft aber eine Trennlinie in den Fragen Fortbestand des Euro und radikaler Ablehnung der Sparpolitik.

Diese Trennlinie war auch schon in der September-Wahl in Griechenland sichtbar. Die Syriza-Abspaltung, die den Sparkurs ablehnt und einen Euro-Austritt befürwortet, hat in den vorgezogenen Neuwahlen nur 2,8% auf sich vereinen können und scheiterte knapp an der Mindesthürde. Alexis Tsipras hingegen hat sich mit 35,5% neue Spielräume eröffnet. Der harte Sparkurs wird abgelehnt, aber ein Ausscheiden aus dem Euro wird stärker abgelehnt. Diese trennende Entwicklungslinie lässt sich am ehesten zwischen einer politischen Verortung als »unionale« oder »nationale« Linke differenzieren.

Unabhängig von der Schärfe und Lautstärke, mit der diese Diskussion auch in Deutschland teilweise geführt wird, sprechen die Zahlen der Wahlgänge für sich. Plan A von Tsipras hat bei denen, die wählen gehen, eine größere Attraktivität als Plan B, der Mitte September vom ehemaligen griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis, dem ehemaligen französischen Präsidentschaftskandidaten der Front de Gauche, Jean-Luc Melenchon, Oskar Lafontaine und anderen veröffentlicht wurde. In dem grundlegenden Bruch mit diesem Europa sehen sie eine Grundvoraussetzung dafür, die Zusammenarbeit zwischen den Völkern und Ländern auf neuer Basis wiederaufzurichten.

Das neue Regierungsbündnis in Portugal dürfte nicht zuletzt aus dieser Differenz am ehesten auf eine Dreier-Konstellation zwischen Konservativen und Sozialdemokraten hinauslaufen. Zusammen hätte sie etwa 69%.

Thomas Nord ist Mitglied der Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag und Schatzmeister der Partei DIE LINKE.

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