16. Oktober 2017 Redaktion Sozialismus

SPD-Erfolg in Niedersachsen

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Drei Wochen nach der Bundestagswahl und dem Rechtsruck der Berliner Republik haben die Landtagswahlen in Niedersachsen einen anderen politischen Akzent gebracht. Die SPD unter Ministerpräsident Stephan Weil hat die Landtagswahl nach beeindruckender Aufholjagd zur führenden CDU überzeugend gewonnen. Die bisherige rot-grüne Koalition verfehlte gleichwohl die Mehrheit.

Auch die bundesweite Niederlage der SPD konnte die Aufholjagd nicht stoppen. Die Meinungsforscher verkündeten ein Kopf-an-Kopf-Rennen, das Wählervotum machte die Sozialdemokraten zur stärksten Kraft im Land. Sie erreichte 36,9% der Stimmen und lag damit deutlich vor der christdemokratischen Partei, die mit 33,6% ihr schlechtestes Wahlresultat seit 1959 erreichte.

Damit hat sich für die CDU der negative Trend der Bundestagswahl fortgesetzt. Sie musste in den Bundestagswahlen im Durchschnitt 7,4% Verluste hinnehmen. In Niedersachsen fiel der Wählerrückgang mit 6,2% gegenüber 2013 etwas geringer aus, aber bei den Landtagswahlen konnte die Union gleichfalls ihre Position nicht verteidigen. Die Union hat bei den Landtagswahlen zwar nur wenige WählerInnen verloren, aber die höhere Wahlbeteiligung führte zu einem geringeren Stimmanteil.

Die CDU hat eine politische Niederlage eingefahren. Trotz VW-Skandal, Schröders Russland-Peinlichkeiten, unsauberem Umgang mit den öffentlichen Finanzen durch die rot-grüne Koalition und politische Verwerfungen in der Partei der Grünen, hat die Union es nicht geschafft, die bürgerlichen und konservativen Milieus so zu mobilisieren, dass es für einen Regierungswechsel gereicht hätte. Eine Rolle spielten dabei auch die unionsinternen Auseinandersetzungen im Anschluss an die Bundestagswahl über die Revision der Flüchtlingspolitik.

Aus dem Wechsel der ehemaligen Grünen-Abgeordneten Elke Twesten in die niedersächsische CDU konnte die Partei keinen Vorteil ziehen. Im Gegenteil haben die undurchsichtigen Umstände bei dem Parteiwechsel, durch den die vorgezogenen Neuwahlen in Niedersachsen erst notwendig geworden waren, der Führung der CDU eher geschadet – die Überläuferin brachte der CDU kein Glück. Ministerpräsident Weil wurde nicht müde, zu betonen, wie unanständig der Vorfall war – und die Niedersachsen empfanden das schließlich ähnlich.

Stephan Weil erkämpfte mit einer hochmotivierten Partei nach drei verlorenen Landtagswahlen und einem katastrophalen Ergebnis auf Bundesebene einen überzeugenden politischen Erfolg. Ihm ist es gelungen, die niedersächsische SPD in einem kurzen, intensiven Wahlkampf aus einer denkbar schlechten Ausgangsposition zu einem Plus von fast vier Prozentpunkten zu führen – und damit einen deutlichen Kontrapunkt zu dem mit 20,5% historisch schlechten Ergebnis der SPD bei der Bundestagswahl zu setzen.

Der niedersächsischen SPD gelang sogar das Kunststück trotz deutlich niedrigerer Wahlbeteiligung bei der Landtagswahl absolut mehr Zweitstimmen zu erreichen, als auf die SPD bei der Bundestagswahl in Niedersachsen entfallen waren. Vermutlich hat die niedersächsische SPD auch davon profitiert, dass die SPD-Spitze noch am Wahlabend der Bundestagswahl eine Große Koalition ausschloss und den Gang in die Opposition ankündigte.

Weils gutes Ergebnis beruht auch auf einer erfolgreichen Nichtwähler-Mobilisierung: 167.000 BürgerInnen, die 2013 nicht zur Wahl gegangen waren, stimmten für die SPD. Zur Mobilisierung beigetragen hat dabei sicherlich auch Twestens Wechsel und der Verlust der Ein-Stimmen-Mehrheit der rot-grünen Regierung. Die Wahlbeteiligung stieg insgesamt von 59,4 auf 63,1%.

Entscheidend für den SPD-Erfolg waren landespolitische Themen. Weil galt im Vergleich zu seinem Herausforderer Bernd Althusmann als sympathischer, bürgernäher und glaubwürdiger. Und sogar als kompetenter in Wirtschaftsfragen – ein Bereich, bei dem die CDU traditionell als stärker wahrgenommen wird. Im Vergleich mit Martin Schulz wurde Weil als klarer konturiert und kompetenter wahrgenommen.

Ein weiterer Faktor des SPD-Erfolgs besteht darin, dass eine Mehrheit der BürgerInnen des Landes (63%) zufrieden mit der bisherigen Arbeit der rot-grünen Landesregierung waren, und zwar zufriedener mit der Arbeit der Sozialdemokraten als mit der der Grünen. Laut Infratest dimap bewerten 55% der Befragten die Arbeit der SPD positiv – mit der Politik der Grünen sind hingegen 54% unzufrieden.

Zu den wahlentscheidenden Themen gehörten vor allem Bildung, soziale Gerechtigkeit, Sicherheit und der Umgang mit dem VW-Diesel-Skandal. Bei fast all diesen Themen hatte die SPD die Nase vor. Nur bei der Kriminalitätsbekämpfung schätzten die Niedersachsen die Kompetenz der CDU höher ein. Doch die erfolgreiche Besetzung dieses Themenfeldes reichte nicht aus, um in Hannover eine Wechselstimmung herbeizuführen – obwohl es auch der CDU gelang, eine beachtliche Zahl von Nichtwählern zu mobilisieren (88.000). Doch Althusmanns Partei verlor Stimmen an die AfD. Und an die SPD, die alle ursozialdemokratischen Themen besetzte: kostenlose Kitas, mehr Lehrer, mehr Polizisten.

Dagegen haben die Grünen deutlich verloren, für Rot-Grün gibt es deshalb im Landtag keine Mehrheit mehr. Sie erzielten zwar immer noch ihr zweitbestes Ergebnis in Niedersachsen, verloren aber fast ein Drittel ihrer Stimmen. Gründe sind erstens eine Korrektur der Überbewertung bei den vorherigen Landtagswahlen, und zweitens eine Verunsicherung über den zukünftigen Kurs der Partei. Der mögliche Einstieg der grünen Bundespartei in eine »Jamaika-Koalition« und dessen Folgen hinterlassen deutliche Spuren beim grünen Wählerklientel.

Auch die FDP, vor der Wahl als Koalitionspartner umworben, blieb deutlich hinter den eigenen Erwartungen zurück. Hatte sie bei der Landtagswahl 2013 noch 9,9% erreicht, fiel sie nun auf 7,5% zurück. Von ihrem jüngsten Erfolg auf Bundesebene konnten die Liberalen offenbar nicht profitieren.

Die AfD erzielte mit 6,2% eines ihrer schwächeren Ergebnisse bei einer Landtagswahl. Bereits bei der Bundestagswahl hatte die Partei in Niedersachsen mit 9% weit hinter dem bundesweiten Ergebnis von 12,6% gelegen. Das AfD-Schlüsselthema Migration spielte im Wahlkampf insgesamt nur eine untergeordnete Rolle. 22% gaben es laut ZDF-Politbarometer als wichtiges Thema an. Weit wichtiger waren für 36% Bildung und Schule.

Allerdings sollte man vorsichtig sein, angesichts der innerparteilichen Turbulenzen und den personellen Querelen die AfD schon wieder abzuschreiben. Treffender ist die Bewertung, dass die niedersächsische AfD trotz eines völlig desorganisierten Landesverbands mit heftigen Fehden innerhalb der Führungsmannschaft und massiven Korruptionsvorwürfen deutlich die Fünf-Prozent-Hürde überwunden hat.

DIE LINKE verfehlte erneut die 5%-Hürde. Sie erreichte mit 4,6% der Stimmen zwar ein deutlich besseres Ergebnis als 2013, blieb aber hinter ihrem Ergebnis bei der Bundestagswahl von 7% weit zurück. Gegenüber der Bundestagswahl fehlten ihr ca. 150.000 Stimmen. Der Einzug in den Landtag hätte sicherlich die Chance geboten, eine linke Reformpolitik nach vorne zu bringen. Sicherlich war die Abgrenzungspolitik seitens der SPD kein Beitrag zur Unterstützung einer Mitte-Links-Reform-Koalition.

Vor dem Hintergrund eines politischen Patts zwischen Rot-Grün und den Parteien des konservativ-liberalen bürgerlichen Lagers steht Niedersachsen vor einer schwierigen Regierungsbildung. Rot-Grün hat keine Mehrheit und der Wahlsieger Stephan Weil muss mit komplizierten Koalitionsverhandlungen rechnen. Eine große Koalition hätte zwar eine satte Mehrheit, würde aber quer zum angekündigten Erneuerungskurs der SPD stehen. Rechnerisch wäre auch eine Ampel-Koalition möglich, aber diese Option hat FDP-Spitzenkandidat Stefan Birkner am Wahlabend noch einmal kategorisch ausgeschlossen. Auch ein Jamaika-Bündnis wäre möglich, doch die niedersächsischen Grünen würden wohl nur schwer mit CDU und FDP zusammenfinden.

Doch egal welches Bündnis am Ende in Hannover regieren wird: Die SPD hat Hoffnung geschöpft und weiß nun wieder, wie sich Erfolg anfühlt – und der amtierende und wohl auch zukünftige Ministerpräsident Stephan Weil dürfte nun auch auf Bundesebene eine größere Rolle spielen. Entscheidend wird freilich sein, ob der mit dem Gang in die Opposition auf Bundesebene angekündigte Erneuerungskurs auch tatsächlich eingeschlagen wird. Nur so hat die Sozialdemokratie eine Chance, ihren Niedergang zu stoppen.

Das niedersächsische Wahlergebnis erschwert zugleich die anstehenden Koalitionsverhandlungen zwischen Union, FDP und Grünen im Bund: Alle beteiligten Parteien mussten in Hannover federn lassen. Das wird auch im Hinblick auf die Personaldebatten in der CDU nicht ohne Folgen bleiben. Im Hintergrund lauert die AfD, die ihre Erfolgsspur trotz des mäßigen Ergebnisses in Niedersachsen keineswegs verlassen hat.

Ihre Einhegung hängt maßgeblich davon ab, welche Politik die anderen Parteien einschlagen. Unter Jamaika droht eine weitere Verschärfung der sozialen Spaltung im Land. Umso wichtiger wäre es, dass Sozialdemokratie und DIE LINKE konzeptionell und praktisch an einer linken Reformalternative arbeiten.

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