26. Januar 2015 Redaktion Sozialismus

Syriza kann Griechenland aus der Abwärtsspirale führen

Bei den Parlamentswahlen in Griechenland ist das linke Wahlbündnis Syriza zur stärksten politischen Kraft geworden. Bei einer Wahlbeteiligung von etwa 64% (2000 bis 2009 lag sie noch zwischen 70 und fast 80%, im Mai 2012 fiel sie auf 65%, bei der Wahlwiederholung im Juni gaben nur noch 61% ihre Stimme ab, obwohl eine Wahlpflicht besteht) erhielt Syriza 36,4% (Juni 2012: 26,9%) der Stimmen und wird mit voraussichtlich 149 der 300 Sitze ins Parlament einziehen.

Die bislang regierenden Konservativen und Sozialdemokraten müssen in die Opposition. Die Konservativen der Nea Dimokratia (ND) kamen auf 27,8% (Juni 2012: 29,7%) und damit 76 Sitze. Der bisherige Junior-Koalitionspartner, die sozialdemokratische Pasok bekam nurmehr 4,7% (Juni 2012: 12,3%) und 13 Sitze. Drittstärkste Kraft wurde die rechtsextremistische Goldene Morgenröte mit 6,3% (Juni 2012: 6,9%), sie wird 17 Abgeordnete ins Parlament entsenden. Die im Jahr 2014 neu gegründete proeuropäische Partei To Potami (Der Fluss) kam auf 6,0% und 17 Abgeordnete. Den Einzug ins Parlament schafften auch die Kommunistische Partei KKE mit 5,5% (Juni 2012: 4,5%) und 15 Abgeordneten sowie die rechtspopulistische Partei der Unabhängigen Griechen mit 4,7% (Juni 2012: 7,5) und 13 Mandaten.

Da es für eine absolute parlamentarische Mehrheit knapp nicht reicht, muss Syriza rasch Koalitionspartner für eine Regierungsbildung finden. Die absehbaren Herausforderungen und Schwierigkeiten einer von Syriza geführten Koalitionsregierung sind enorm und der Zeitrahmen eng. Sobald Alexis Tsipras als Vertreter von Syriza von Staatspräsident Karolos Papoulias ein Sondierungsmandat für die Bildung einer Regierung erhalten hat, muss er laut griechischer Verfassung innerhalb von drei Tagen eine Koalitionsregierung auf die Beine stellen. Ansonsten geht das Mandat an die zweitstärkste Partei.


»Reformkurs« gescheitert

Die abgewählte Regierung von Antonis Samaras hatte einen Großteil der Auflagen der Troika umgesetzt: massive Sozialkürzungen, Deregulierung des Arbeitsmarktes, massive Verschlechterungen der sozialen Mindeststandards und Rückführung des Staatsdefizits. Diese Absenkung der Sozial- und Arbeitsstandards hat die Wettbewerbsfähigkeit griechischer Unternehmen erhöht, aber wirkliche Strukturveränderungen (Steuerreform, Neuordnung der Sozialversicherung und des Gesundheitssystems) sind auf der Strecke geblieben. Die griechische Ökonomie kam nach einem Schrumpfungsprozess um rund ein Viertel seiner Wirtschaftsleistung nicht aus dem Kriechgang heraus. Bei einem Wirtschaftswachstum im Jahr 2014 von unter 1% blieb der Rückgang der Arbeitslosigkeit mehr als bescheiden. Stattdessen hatten sich Repräsentanten der Nea Dimokratia und der Pasok immer tiefer in Misswirtschaft, Klientelinteressen und Korruption verstrickt. Für eine Mehrheitsbildung hätte Samaras ohnehin neben der Pasok, die zudem durch heftige innerparteiliche Auseinandersetzungen geschwächt war, weitere Verbündete benötigt.

Die schwarz-roten Koalitionäre hatten sich in den letzten Monaten mit den internationalen Kreditgebern überworfen: Laut Plan der politischen Führung in Athen sollte die Kontrolle der Geldgeber am Jahresende beendet, die noch fällige Kredittranche von 7,1 Mrd. Euro freigegeben und das Konsolidierungsprogramm für abgeschlossen erklärt werden. Ab Januar 2015 wollte Premier Samaras mit seiner Parlamentsmehrheit über die Finanzen selbst entscheiden und – ähnlich wie Irland und Portugal zuvor – seinen Finanzbedarf an den internationalen Kreditmärkten decken. Aber die Troika hat die Freigabe der Mittel verweigert. Das Abkommen mit dem IWF war bis Februar 2015 terminiert und die EU hat eine Verlängerung der Verträge um zwei Monate auf den Weg gebracht. Die letzte Finanztranche wurde jedoch nicht freigegeben, weil laut Haushaltsplan der Primärüberschuss von 2,3% des Bruttoinlandprodukts (anstatt der Planvorgabe von 3%) von der Troika nicht akzeptiert wurde. Die griechische Regierung sollte weitere Sozialkürzungen auf den Weg bringen.

Diese erneuten Kürzungen waren weder in der Regierungskoalition noch im Parlament mehrheitsfähig. Die Regierung hatte zudem ohne vorherige Absprache mit der Troika die Sondersteuer auf Heizöl um 30% gesenkt und weitere Steuererleichterungen im Haushalt 2015 angekündigt. Auch der Kompromiss, für Griechenland eine weitere begrenzte Kredittranche bereitzustellen, konnte nicht umgesetzt werden, weil weitere Sozialkürzungen politisch nicht mehr durchsetzbar waren. Die amtierende Regierung sah sich nicht in der Lage, einer Verlängerung der Troika-Aufsicht zuzustimmen.

Die Regierung entschloss sich zur Flucht nach vorn. Die Neuwahl des Staatspräsidenten wurde vorgezogen, auch um den Preis von vorzeitigen Parlamentsneuwahlen. Falls Samaras und die dezimierte Pasok aus den Wahlen als Sieger herausgekommen wären, sollte zügig eine Einigung mit den Troika-Gläubigern erreicht werden, um weitere Einschnitte zu ermöglichen: Kürzungen im Sozialversicherungssystem, eine weitere Flexibilisierung des Arbeitsmarktes sowie eine Aufhebung des Schutzes, den verschuldete Immobilieneigentümer bei Zahlungsunfähigkeit genießen. Sowohl die EU-Kommission als auch der deutsche Bundesfinanzminister haben unmissverständlich klar gemacht, »auch die nächste Regierung in Athen müsse den eingeschlagenen Weg weiter verfolgen und sich an die Vereinbarungen halten«. Die Politiker in Griechenland müssten darauf achten, dass sie nicht vor der Wahl mehr versprechen, als sie hinterher halten könnten, so Wolfgang Schäuble in Richtung des erwarteten Wahlsiegers Syriza.

Auch die EU-Kommission ergriff Partei und rief dazu auf, den »Reformkurs« zu unterstützen: »Ein starkes Bekenntnis zu Europa und breite Unterstützung der griechischen Wähler und politischen Verantwortlichen für den nötigen wachstumsfreundlichen Reformprozess werden entscheidend sein für Griechenland, wieder innerhalb der Eurozone zu florieren«, erklärte EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici. Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) bekräftigte den Zahlungsstopp für die noch ausstehenden Notkredite für Griechenland bis zur Bildung einer neuen Regierung.

Vier Jahre eines brutalen Konsolidierungskurses unter strikter Kontrolle der Troika von EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und IWF sowie sechs Jahre Rezession liegen hinter Griechenland. Nach einer Schrumpfung um ca. 25% rechnete die alte Regierung mit 0,6% Wachstum für 2014 und wollte in  Verhandlungen neben der Auszahlung einer weiteren Kredittranche von 1,8 Mrd. Euro auch eine Zusage für ein Überbrückungsprogramm ab 2015 erreichen.

Viele griechische BürgerInnen sind bis heute auf Notmaßnahmen angewiesen. Unter der Krise leiden vor allem Arbeitslose, Selbstständige, Kranke und Kinder. In einem Unicef-Bericht ist Armut und soziale Ausgrenzung von 700.000 Kindern festgestellt worden. Die Hälfte davon lebe in Familien, in denen kein Erwachsener Arbeit habe – eine »humanitäre Katastrophe« großen Ausmaßes. Die Arbeitslosigkeit liegt in Griechenland bei 27%, bei Jugendlichen erreicht sie nahezu 60%. Die Erhöhung der Massensteuern hat zu einem drastischen Rückgang der Kaufkraft geführt. Und das derzeitige Insolvenzrecht erlaubt es verschuldeten BürgerInnen nicht, sich aus ihrer Not zu befreien.


Gegen die humanitäre Krise

Mit einem Sofortprogramm will sich das Linksbündnis Syriza gegen die »humanitäre Krise« stemmen. Dies sieht laut Alexis Tsipras in erster Linie steuerpolitische Gerechtigkeit vor, die dadurch erreicht werden soll, dass die »finanzielle Oligarchie«, die bislang geschont und protegiert blieb, »endlich zahlen« müsse.

Syriza schlägt die Neuverhandlung der Troika-Auflagen vor. Hauptziel ist die Ermöglichung eines Programms zur Bekämpfung der humanitären Krise: Versorgung der ärmsten Familien mit Elektrizität, Nahrungsmittelsubventionen, verbilligter Wohnraum zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit und eine Senkung der Besteuerung von Heizöl auf Vorkrisen-Niveau. Dieses Programm würde jährlich 1,8 Mrd. Euro kosten. Angesichts der bis zu 80 Mrd. Euro, die Deutschland im Falle eines »Grexit« verlieren könnte, wäre es nicht nur zynisch und unmenschlich, sich diesem Verhandlungsansatz zu verweigern, sondern auch ökonomisch vollkommen unsinnig.

Eine von Syriza geführte Regierung will – so programmatische Äußerungen des Linksbündnisses – nach den Sofortmaßnahmen zur Linderung der humanitären Krise in einem zweiten Schritt umgehend ein soziales Investitionsprogramm auf den Weg bringen, mit dem die Arbeitslosigkeit bekämpft und die Wirtschaft wieder in Schwung gebracht werden kann. Ein solches »mittelfristiges« Programm soll rund 11,5 Mrd. Euro kosten und aus inländischen Mitteln finanziert werden, etwa durch Verbesserung der Steuererhebung.

Syriza glaubt, diese Ziele ohne weitere Kredite erreichen zu können, weil Griechenland nicht einen so hohen Primärüberschuss wie von der Troika verlangt erwirtschaften müsse. Zudem würden höhere Sozialausgaben und eine Restrukturierung privater Kredite, finanziert aus ursprünglich für Banken vorgesehenen Rettungskrediten, die Verbrauchernachfrage und das Wachstum ankurbeln.

Das deutsche Finanzministerium hat diese Überlegungen kritisiert. Die Wahlziele von Syriza würden 17,2 Mrd. Euro kosten und eine sofortige Haushaltskrise auslösen, das Haushaltsdefizit auf 9% des BIP ansteigen. Mit dieser durchsichtigen Schreckensvision stellte sich der deutsche Finanzminister auf die Seite der griechischen Oligarchie. Syriza plädiert für einen Bruch mit diesem wirtschaftlichen und politischen System. Der Einfluss der Oligarchen, die im Bündnis mit korrupten Politikern Teile der Wirtschaft kontrollieren, soll beschnitten werden. »Europa ist aktuell in einer sehr ernsten Krise. Wir haben Deflation, nicht nur in Griechenland, sondern in mehreren Ländern. Dazu Stagnation an der Schwelle zur Rezession. So kann Europa nicht weitermachen. Wir brauchen ein anderes Modell. Wir müssen das Europäische Sozial­modell, den Wohlfahrtsstaat fördern und müssen die Wirtschaft durch Realinvestitionen ankurbeln, die Zukunftstechnologien fördern. Was wir nicht brauchen ist zum Beispiel ein Wettlauf um niedrigere Löhne«, so Jannis Milios, einer der maßgeblichen Ökonomen des Parteienbündnisses.

Griechenland sei »eine Oligarchie, in der einige wenige den Wohlstand unter sich aufteilen« und damit das Land in die Krise gewirtschaftet haben, so Milios. Verantwortlich sind die Parteien, die Griechenland schon seit Jahrzehnten regieren. Sie sind fester Bestandteil des Systems der Korruption und Vetternwirtschaft. So existiert eine Liste mit 24.000 Personen, die in den letzten Jahren jeweils mehr als 100.000 Euro am Finanzamt vorbei außer Landes gebracht haben. Innerhalb von zwei Jahren hat die Regierung nur 407 dieser Fälle untersucht. All das zeigt: Bisher fehlt der Wille zur Bekämpfung der Korruption. Die herrschenden Parteien sind eng mit den Oligarchen und Konzernen verknüpft. Syriza steht für einen neuen Kurs und will das Land durch Reformen voranbringen. »Wir sind nicht Teil dieses Systems.« Das Ziel ist nicht die Rückkehr zum Status des Jahres 2009, sondern dass sich all das ändert, was das Land an den Rand des wirtschaftlichen und moralischen Bankrotts geführt hat.

Jannis Milios benennt drei Schwerpunkte zur Überwindung der humanitären Krise:

  • »Wir müssen den Produktionsapparat und die Produktionsbedingungen modernisieren, damit die Produktivität wieder steigt.
  • Es geht uns darum, die Sparauflagen abzumildern, um Griechenland wieder Luft zum Atmen zu geben. Nach geltender Vereinbarung muss Griechenland die nächsten Jahre hohe Überschüsse im Staatshaushalt erzielen und weitere Kredite aufnehmen.
  • Wir müssen das Problem der privaten Überschuldung lösen: Der Schuldendienst der privaten Haushalte darf künftig nicht mehr als ein Drittel des Einkommens betragen. Schulden, die darüber hinausgehen, werden eingefroren, bis der Schuldendienst wieder geleistet werden kann.«

Dazu schlägt Syriza ein ganzes Bündel von weiteren Maßnahmen vor:

  • Umverteilung von Einkommen, Besteuerung von Reichtum und Abschaffung unnötiger Ausgaben;
  • Reorganisierung und Konsolidierung der Mechanismen der Steuereintreibung;
  • Besteuerung von Vermögen über eine Million Euro und von hohen Betriebseinkommen;
  • allmähliche Anhebung der Steuer auf die Gewinne von SAs (= Anonymen Kapitalgesellschaften, d.h., solche ohne ausgewiesene/n Eigentümer) auf 45%;
  • Besteuerung von Finanztransaktionen. Sondersteuern auf den Kauf und Konsum von Luxusgütern;
  • Aufhebung der Steuerbefreiungen für Schiffseigentümer und die Griechisch-Orthodoxe Kirche;
  • Aufhebung von Bank- und Kaufmannsgeheimnis, Verfolgung von Steuerhinterziehung und Nichtbezahlung der Sozialversicherungsbeiträge;
  • Verbot von durch Offshore-Unternehmen durchgeführten Transaktionen;
  • Erschließung von neuen Ressourcen durch Nutzung europäischer Fonds, durch Eintreibung des deutschen Besatzungskredits und der noch offenen deutschen Reparationszahlungen aus dem Zweiten Weltkrieg und schließlich durch die drastische Verringerung der Militärausgaben.

Alexis Tsipras erklärte, es gehe nicht um einen Bruch mit Partnern, sondern um den »Bruch mit der Barbarei... Diese Sparpolitik kann nicht weiterverfolgt werden. Das wissen sogar schon unsere EU-Partner.«

Die WählerInnen scheinen in einem Punkt in ihrer großen Mehrheit einig: Sie sind dafür, ihr Land »um jeden Preis« in der Eurozone zu halten. Auf eine entsprechende Frage antworteten 75,7% der Befragten mit »ja« oder »eher ja«. Mit »nein« oder »eher nein« hingegen nur 22,3%.

Demgegenüber treffen Äußerungen aus der Union und SPD, die vor dem Wahlsieg des Linksbündnisses einen Euroaustritt des Landes an die Wand malten, offenbar bei der bundesdeutschen Bevölkerung auf Zustimmung. Im letzten ARD-Deutschlandtrend sind 61% der Befragten dafür, dass Griechenland die Euro-Zone verlassen müsse, wenn die mit den internationalen Geldgebern verabredeten Spardiktate nicht eingehalten würden. Ein Schuldenerlass für Griechenland kommt nur für 28% der Bundesbürger in Betracht, 68% lehnen das ab.

Was aber würde mit dem riesigen Schuldenberg passieren, der auf Griechenland lastet? Das sei kein griechisches Problem, stellt Alexis Tsipras klar, sondern ein europäisches, und brauche daher eine nachhaltige europäische Lösung. Im Rahmen einer europäischen Vereinbarung müsse der größte Teil des nominalen Werts der öffentlichen Schulden abgeschrieben werden. Darüber hinaus fordert seine Partei ebenso wie die europäische Linke ein Moratorium für die Rückzahlung und eine Wachstumsklausel, auf deren Basis die verbleibenden Schulden sinnvoll getilgt werden könnten. Eine von ihm geführte Regierung wird über eine Lösung innerhalb der Währungsunion verhandeln – mit dem Ziel, eine Lockerung der Troika-Programme und einen Teil-Schuldenerlass zu erreichen. Die deutsche Bundesregierung wäre sehr schlecht beraten, auf stur zu schalten, solche Verhandlungen zu verweigern und einen »Grexit« zu forcieren.

In der Tat: Ein Ausstieg aus der Währungsunion würde zu einem erheblichen Zahlungsausfall führen. Allerdings: Im Jahr 2010 hielt der Privatsektor noch rund 94% aller Forderungen an Griechenland. Heute reagieren die Banken ziemlich entspannt auf die Grexit-Debatte. Warum? Weil ihr Anteil an den Forderungen mittlerweile auf rund 11% geschrumpft ist. Ein Zahlungsausfall träfe sie heute nur noch in einem sehr bescheidenen Umfang von insgesamt maximal 35 Mrd. Euro. Im Jahr 2010 beliefen sich die griechischen Staatsschulden auf 320 Mrd. Euro. Seither wurden dem Land bilateral sowie über die »Rettungsfonds« EFSF und ESM so genannte Hilfskredite in Höhe von insgesamt 237 Mrd. Euro gewährt. Auflage war dabei stets, dass der Schuldendienst bei der Mittelverwendung höchste Priorität haben muss. Dies führte dazu, dass die Gelder zu über 90% direkt an die damaligen Gläubiger – also die Banken – weitergegeben wurden.

Griechenland musste sich bei der EFSF und beim ESM verschulden, um die Forderungen der Banken zu bedienen. Die Gesamtverschuldung des Landes hat sich nur geringfügig verändert. Verändert hat sich stattdessen die Gläubigerstruktur. Der Anteil öffentlicher Gläubiger ist von 6% auf 88% gestiegen. Heute liegen 228 Mrd. Euro Forderungen an Griechenland in öffentlicher Hand. Deutschland trägt aufgrund seiner Bürgschaften bei den »Rettungsfonds«, seiner Anteile im EZB-System und seiner bilateralen Kredite den größten Teil dieser Schulden. Allein die EFSF/ESM-Bürgschaften Deutschlands belaufen sich auf 56 Mrd. Euro. Insgesamt stehen bei einem Zahlungsausfall für den Bundeshaushalt bis zu 80 Mrd. Euro auf dem Spiel.


»Das griechische Volk hat Geschichte geschrieben« (Tsipras)

Für Alexis Tsipras ging es bei der Wahl um Folgendes: »Heute können wir zwei gegensätzliche Strategien für Europas Zukunft unterscheiden. Auf der einen Seite haben wir die Sicht, die von Herrn Schäuble angeführt wird: Die Gesetze und Prinzipen, auf die man sich geeinigt hat, werden weiter durchgesetzt, egal ob sie funktionieren. Auf der anderen Seite ist die Strategie: ›was immer nötig ist‹, um den Euro zu retten – dieser Satz wurde zuerst vom Chef der EZB gesagt. In Wirklichkeit sind die bevorstehenden griechischen Wahlen eine Mischung dieser beiden unterschiedlichen Strategien.«

Mit dem Wahlsieg von Syriza wird ein komplizierter politischer Prozess in Europa eröffnet. Klar ist: Eine Rückkehr zu Verhältnissen mit einer Arbeitslosigkeit von fast 30%, Ausbildungsplatzmangel und flächendeckender Armut kann es nicht geben. Stattdessen wird die »humanitäre Krise« beendet werden müssen. Und das ist nichts weniger als die Wiedererlangung einer Lebens- und Zukunftsperspektive für die Menschen in Griechenland. Es mögen Rückschläge in der Arbeit einer linken Reformregierung unvermeidlich und auch die sicher einsetzenden Repressionen der Hauptdarsteller der Finanzmärkte dürften nicht von Pappe sein. Aber die Griechinnen und Griechen haben mit ihrem Votum für Syriza die Chance eines neuen Entwicklungspfades für eine progressive europäische Politik eröffnet und der Wiedergewinnung der Würde der Demokratie einen großen Dienst erwiesen.

Sofort nach der Wahl hat Syriza Sondierungsgespräche mit möglichen Koalitionspartnern aufgenommen. Infrage kommen die »Unabhängigen Griechen« oder »To Potami«, auch eine Minderheitenregierung ist denkbar, sofern es gelingt, bei der Wahl des Ministerpräsidenten 151 Stimmen zu gewinnen. Für den 5. Februar ist die konstituierende Sitzung des neuen Parlaments geplant. Sollte Syriza keine Regierungsbildung gelingen, sind weitere politische Turbulenzen vorprogrammiert.

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