2. März 2012 Joachim Bischoff / Bernhard Müller

Trotz Wirtschaftsflaute stabile Beschäftigung

Der Arbeitsmarkt in Deutschland zeigt trotz Wirtschaftsflaute keine Anzeichen von Schwäche. Die deutsche Wirtschaft befindet sich zum Jahreswechsel in einer Schwächephase, von der noch keineswegs ausgemacht ist, ob sie nur vorübergehend ist. Nach ersten Berechnungen des Statistischen Bundesamtes ist das reale Bruttoinlandsprodukt im vierten Quartal 2011 saison- und kalenderbereinigt um 0,2% geschrumpft, nach einem Zuwachs von 0,6% im dritten Quartal.

Das Bruttoinlandsprodukt werde im ersten Quartal stagnieren, prognostiziert das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Die massiven Interventionen der EZB hätten die durch die Krise im Euroraum verunsicherten Unternehmen und Konsumenten zumindest vorübergehend beruhigt.

Auf dem Arbeitsmarkt ist von einer konjunkturellen Abschwächung wenig zu erkennen. Von Januar auf Februar ist die Arbeitslosigkeit um 26.000 auf 3.110.000 gestiegen. Saisonbereinigt ergibt sich keine Veränderung. Im Vergleich zum Vorjahr nahm die Zahl der arbeitslosen Menschen um 203.000 ab. Maßgeblich für den Rückgang ist der Zuwachs sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung, der tendenziell die Chancen erhöht hat, durch Aufnahme einer Beschäftigung die Arbeitslosigkeit zu beenden. Ein Ende des »deutschen Jobwunders« ist also vorerst nicht in Sicht; die Personalplanungen sind nach wie vor auf Expansion ausgerichtet.

Ganz anders die Situation auf den Arbeitsmärkten in vielen europäischen Nachbarstaaten: Sie ist bedrückend. Im Dezember belief sich die saisonbereinigte Erwerbslosenquote im Dezember in der Eurozone (EZ 17) auf 10,4% und in der Europäischen Union (EU 27) auf 9,9%. Von den Mitgliedstaaten der EU verzeichneten Österreich (4,1%) die niedrigste und Spanien (22,9%) die höchste Quote. Deutschland liegt mit 5,7% deutlich unter dem Durchschnitt.

Im Vergleich zum Vorjahresmonat hat die saisonbereinigte Erwerbslosenquote in der Eurozone und in der EU um jeweils 0,4% zugenommen. Den größten Rückgang verzeichnete Estland (-3,2%), den stärksten Anstieg das am ökonomischen Abgrund stehende Griechenland (+4,8%). In Deutschland betrug das Minus 1,1%. Diese Entwicklung hat sich im Januar 2012 fortgesetzt. Die saisonbereinigte Arbeitslosenquote lag in diesem Monat m Euroraum1 (ER17) bei 10,7%. Im Januar 2011 hatte sie 10,0% betragen. In der EU27 lag die Arbeitslosenquote im Januar 2012 bei 10,1%, gegenüber 9,5% im Januar 2011.

Eurostat schätzt, dass im Januar 2012 in der EU27 insgesamt 24,325 Mio. Männer und Frauen arbeitslos waren, davon 16,925 Mio. im Euroraum. Gegenüber Januar 2011 nahm die Zahl der Arbeitslosen in der EU27 um 1,488 Mio. und im Euroraum um 1,221 Mio. zu.

Besonders hart trifft die ökonomische Unsicherheit vor allem die junge Generation: So waren im Januar 2012 in der EU27 5,507 Mio. Personen im Alter unter 25 Jahren arbeitslos, davon 3,314 Mio. im Euroraum. Gegenüber Januar 2011 stieg deren Zahl in der EU27 um 269.000 und im Euroraum um 141.000. Die Jugendarbeitslosenquote lag im Januar 2012 in der EU27 bei 22,4% und im Euroraum bei 21,6%. Im Januar 2011 hatte sie 21,1% bzw. 20,6% betragen. Die niedrigsten Quoten verzeichneten Deutschland (7,8%), Österreich (8,9%) und die Niederlande (9,0%) und die höchsten Quoten Spanien (49,9%), Griechenland (48,1% im November 2011) und die Slowakei (36,0%). In Frankreich waren 23,3% und in Italien 31,3% der jungen Menschen unter 25 Jahren ohne Arbeit.

Und: Die Aussichten sind trübe. Denn die ökonomische Situation der Euro-Zone wird sich mit den beschlossenen Austeritätsprogrammen weiter verschlechtern. Wird, wie geplant, die Krise durch eine mehrere Jahre dauernde Austeritätspolitik bekämpft, wird sich als Konsequenz eine tiefe Rezession nicht nur in der Euro-Zone festsetzen. Die Medizin von immer mehr »Sparpolitik«, die die Europäische Union und der Internationale Währungsfonds nicht nur den akuten Krisen-Staaten verordnet haben, verschlechtert die ökonomischen Rahmenbedingungen der Globalökonomie immer mehr. Wird diese Politik nicht geändert, droht die Gefahr, dass die Euro-Zone den Rest der Welt wie ein »schwarzes Loch« in eine Depression saugt.

Auf den Arbeitsmärkten der Berliner Republik herrscht freilich noch gedämpfter Optimismus. »Der Arbeitsmarkt zeigt sich in der aktuellen konjunkturellen Schwächephase robust. Die Arbeitslosigkeit ist allein aufgrund des frostigen Winterwetters gestiegen. Erwerbstätigkeit und sozialversicherungspflichtige Beschäftigung haben weiter deutlich zugenommen. Einzig die Nachfrage nach Arbeitskräften hat nachgegeben, liegt aber weiterhin auf hohem Niveau.«, sagte der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit (BA), Frank-J. Weise.

Weise ist zuversichtlich, dass sich die Abkoppelung der Berliner Republik von der Entwicklung in der Euro-Zone fortsetzen wird. Die Rückwirkungen der Rezession in der Euro-Zone würden überschätzt. »Dass gefühlte Risiko ist größer als das tatsächliche. Die Gefahr, dass die Krise den Arbeitsmarkt erreicht liegt gerade einmal bei 20 Prozent.« Die Bundesagentur geht deshalb für 2012 davon aus, »dass es ein kleines Minus bei der Beschäftigung gibt und ein kleines Plus bei den Arbeitslosen. Im Schnitt erwarten wir eine Quote von unter sieben Prozent. Das wären 2,9 Millionen.« Einzige – nicht unwichtige – Einschränkung: »Jetzt hoffen wir, dass die Euro-Krise nicht eskaliert.«

Dieser Optimismus ist angesichts der Verflechtungen der europäischen Volkswirtschaften, der rezessiven Tendenzen in der Weltwirtschaft, der nachlassenden stabilisierenden Wirkung der Nachfrage der aufstrebenden Schwellenländer (China, Indien etc.), der Wirkungen der Austeritätspolitik auch in Deutschland (»Schuldenbremse«) und der Rückwirkungen der anhaltenden Finanzkrise wenig begründet.

Zu den Negativposten für die weiteren Entwicklungsperspektiven gehören selbstverständlich auch die politisch geförderten (Hartz IV etc.) Verwerfungen in den Strukturen des deutschen Arbeitsmarkts. Die massive Ausweitung prekärer Beschäftigungsverhältnisse und die andauernd hohe Langzeitarbeitslosigkeit belasten die inländische Nachfrage. Das »Job-Wunder« hat also auch eine folgenreiche Schattenseite.

Die massive Tendenz zur Prekarisierung zeigt sich erstens in der Entwicklung der Struktur der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung. Sie lag im Dezember nach der Hochrechnung der Bundesagentur für Arbeit bei 28,75 Mio., gegenüber dem Vorjahr war das ein Zuwachs von 718.000 oder 2,6%. Dabei hat die sozialversicherungspflichtige Vollzeitbeschäftigung im Vorjahresvergleich um 421.000 oder 1,9% und die sozialversicherungspflichtige Teilzeitbeschäftigung um 295.000 oder 5,4% zugenommen. Die Dynamik in der Teilzeitarbeit zeigt sich vor allem im Jahresvergleich. So sind seit Dezember 2008 insgesamt 1,12 Mio. neue sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse entstanden, von denen 65% (707.000) auf die Teilzeitbeschäftigung entfallen.

Die anhaltende Zerstörung des Status der Lohnarbeit zeigt sich neben der rasanten Zunahme der Teilzeitarbeit auch in den fast eine Mio. LeiharbeiterInnen, die ganz überwiegend sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind, wie auch in der Tatsache, dass heute fast jedes zweite neue sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis zeitlich befristet ist.

Die Zahl der ausschließlich geringfügig entlohnt Beschäftigten ist kaum zurückgegangen. Sie betrug nach ersten Hochrechnungen der Bundesagentur für Arbeit im Dezember 4,87 Mio., das waren 59.000 oder 1,2% weniger als vor einem Jahr. Darüber hinaus sehen sich immer mehr »Normalbeschäftigte« gezwungen, ihr Einkommen durch einen Zweitjob aufzubessern. So übten 2,58 Mio. oder 9,0% der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten zusätzlich einen geringfügig entlohnten Nebenjob aus, gegenüber dem Vorjahr 128.000 oder 5,2% mehr.

So ist denn die verbesserte Situation am deutschen Arbeitsmarkt in den vergangenen Jahren teuer erkauft worden. Die festangestellten Lohnabhängigen haben wegen zu geringer Lohnerhöhungen nach Abzug der Inflationsrate kein Plus im Portemonnaie gehabt. Zudem müssen immer mehr Lohnabhängige ihr Geld als LeiharbeiterInnen verdienen. Die Folgen: Der Lohn fällt fast immer deutlich niedriger als bei den fest angestellten Kollegen aus. Und es herrscht eine extreme Unsicherheit, wie lange man im jeweiligen Betrieb beschäftigt bleiben darf. Rund eine Million Bundesbürger sind bereits als Leiharbeiter im Einsatz – Tendenz steigend.

Des Weiteren ist in den vergangenen Jahren die Zahl derjenigen deutlich gestiegen, die zusätzlich zu ihrem Einkommen staatliche Hilfe benötigen. Im Klartext: Der Lohn allein reicht zum Leben nicht. Länder und Kommunen müssen Niedrigstlöhne aufstocken, damit der Beschäftigte Miete, Essen und Kleidung bezahlen kann. Gerade in teuren Großstädten wie Hamburg greift diese Lohnsubventionierung um sich.

Die Abgekoppelten des Arbeitsmarkts aber sind vor allem die Langzeitarbeitslosen. Davon betroffen waren in 2011 1,1 Mio. BürgerInnen. Ihre Zahl ist im Wirtschaftsaufschwung 2010/2011 nur marginal zurückgegangen. Sie tragen zugleich das größte Armutsrisiko. So sind in Deutschland arbeitslose Menschen viel öfter von Armut bedroht als in allen anderen Ländern Europas. Zuletzt waren hierzulande 70% der Erwerbslosen armutsgefährdet – das ist ein Spitzenwert. In keinem anderen EU-Staat war die Quote auch nur annähernd so hoch. Im EU-Durchschnitt waren nach Angaben der europäischen Statistikbehörde Eurostat zuletzt 45% der Arbeitslosen armutsgefährdet.

Durch die Beschneidung der Leistungen für Arbeitslose (etwa die Länge des Bezugs von Arbeitslosengeld) und die Einführung des Hartz-IV-Systems haben viele Arbeitsuchende nach einem Jahr (oder kürzer) nur noch Anspruch auf Hartz IV. Und diese Hilfen sind so niedrig, dass die Menschen von Armut bedroht sind. So erhielt ein alleinstehender Hartz IV-Empfänger vor einem Jahr im Durchschnitt knapp 570 Euro im Monat – inkl. Wohngeld. Damit liegt er deutlich unter der Armutsschwelle.

Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat diese Ausgrenzung der Arbeitslosen durch das von ihr verordnete rigorose Sparprogramm bei allen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen noch einmal enorm verschärft. So waren im Januar nach vorläufigen Angaben nur mehr 117.000 Arbeitslosengeld II-Empfänger in Arbeitsgelegenheiten (in der Mehraufwandsvariante) beschäftigt, das waren 71.000 oder 38% weniger als vor einem Jahr. Insgesamt befanden sich im Februar 2012 nur mehr 1,04 Mio Personen in einer von Bund oder Bundesagentur für Arbeit geförderten arbeitsmarktpolitischen Maßnahme. Das waren 21% weniger als im gleichen Monat des Vorjahrs. So gab es Abnahmen bei Beschäftigung schaffenden Maßnahmen (einschließlich Beschäftigungszuschuss: -66.000), bei Maßnahmen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung (einschließlich Eignungsfeststellungs- und Trainingsmaßnahmen sowie der Förderung Behinderter: -45.000), bei der Förderung der Selbständigkeit (-20.000), bei der beruflichen Weiterbildung (einschließlich der Förderung Behinderter: -53.000) sowie bei den vorruhestandsähnlichen Regelungen14 (Saldo von -38.000).

Aus Sicht von Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) steht der deutsche Arbeitsmarkt »grundsolide da«. Verglichen mit den Februarmonaten der vergangenen Jahre habe die Arbeitslosigkeit nicht zugenommen, sagte die Ministerin. Der gemessene Zuwachs sei »der sibirischen Kälte geschuldet, die wir im letzten Monat plötzlich erlebt haben«. Mit Blick auf die gestiegene Zahl der Erwerbstätigen bezeichnete von der Leyen die Gesamtlage als stabil und erfreulich. »Der Markt ist also offensichtlich trotz der Krise im Euro-Raum aufnahmefähig wie selten.« Die Auftragslage und die Nachfrage nach Arbeitskräften in den Betrieben seien hoch.

Von der Leyens Fazit: »Also insgesamt bleibt der deutsche Arbeitsmarkt in der Spur.« Sie sieht deshalb auch keinen Grund, vom Kurs des arbeitsmarktpolitischen Kahlschlags und der Ausblutung der Ressourcen der Bundesagentur für Arbeit Abstand zu nehmen. Eine vorausschauende Beschäftigungs- und Investitionspolitik, die die konjunkturelle Abschwächung oder Rezession mildern könnten, liegen ihr fern. Das Land geht damit schlecht aufgestellt und unvorbereitet in eine Konstellation, wo sich infolge der abschwächenden Konjunktur und der anhaltenden Schuldenkrise auch der Arbeitsmarkt »dreht«. Dann wird nicht nur das »Armutsrisiko« in dieser Republik besonders hoch sein.

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