22. Februar 2014 Otto König / Richard Detje: Kampf gegen die German-Mitbestimmung

Union-Busting in Chattanooga

Die Südstaatler der USA pflegen ihren Mythos vom »Land der Freien«. Freie Gewerkschaften und das Menschenrecht, sich ungehindert organisieren zu können, sind darin nicht vorgesehen. Im Gegenteil: »Unamerikanisch« wäre es für US-Senator Bo Watson gewesen, wenn die Automobilgewerkschaft United Auto Workers (UAW)[1] in das Volkswagen-Werk in Chattanooga/Tennessee eingezogen wäre.

Trotz Kritik bis hin zu Zorn in der US-amerikanischen Bevölkerung über die zunehmende Kluft zwischen Arm und Reich ging die Saat der Hetzkampagne von konservativen Republikanern und Wirtschaftslobbyisten auf. Gnadenlos schürten sie die Angst vor Arbeitsplatzverlust. »Möchten Sie bei Tarifverhandlungen von der Gewerkschaft UAW vertreten werden?«, lautete die monatelang hart umkämpfte Frage beim zweitägigen Urnengang der Belegschaft.

Mit 712 zu 626 Stimmen (98% Wahlbeteiligung) votierten die Beschäftigten des VW-Werks im US-Bundesstaat Tennessee gegen die Zulassung der UAW. In Folge dessen kommt es zunächst einmal auch nicht zur Wahl eines Betriebsrats. Damit verfügt der Standort Chattanooga vorerst weiter als einziges der mehr als 100 weltweiten VW-Werke über kein Gremium zur betrieblichen Mitbestimmung.

Seit Gründung des Werks im Jahr 2011 suchen der VW-Gesamtbetriebsrat und die IG Metall nach Wegen, um in Tennessee die betriebliche Mitbestimmung der Arbeitnehmer einzuführen. Keine Arbeitnehmervertretung ohne staatlich anerkannte Gewerkschaft, so will es das US-amerikanische Arbeitsrecht. Damit eine gewerkschaftliche Vertretung im Werk aufgebaut und Tarifverträge abgeschlossen werden können, muss die Mehrheit der Belegschaft dafür stimmen.

Angeschoben durch den VW-Gesamtbetriebsrat nahmen Vertreter des Wolfsburger Automobil-Konzerns im Herbst vergangenen Jahres Verhandlungen mit der UAW auf. Ziel war die Einrichtung eines Betriebsrats in Chattanooga, der die Interessen der Beschäftigten bei »internen Angelegenheiten« in dem Werk vertreten sollte, während die Tarifverträge zwischen dem Unternehmen und der UAW zu verhandeln seien.

Schon Wochen vor der Abstimmung fegte ein antigewerkschaftlicher Shitstorm über die Beschäftigten und die UAW hinweg. Republikanische Politiker und Wirtschaftslobbyisten erklärten sich zu »Freiheitskämpfern« gegen die »German Mitbestimmung«. Die Stadt wurde mit Plakaten zugepflastert. Die polemische Botschaft lautete: Zieht die Gewerkschaft im VW-Werk ein, erleidet Chattanooga das Schicksal der Automobil-Hochburg Detroit und wird Pleite gehen.

Auf breiter Front marschierten die Gewerkschaftsgegner auf. Sollte die UAW Fuß fassen, schimpfte Landrat Tim Boyd aus Hamilton County, »wäre das wie ein Krebsgeschwür für das Wirtschaftswachstum«. Der republikanische Gouverneur von Tennessee, Bill Haslam, wetterte: »Es ist keine Frage, dass eine Öffnung für die UAW unsere Möglichkeit einschränkt, Firmen nach Tennessee zu locken.« Schließlich kolportierte Senator Bob Corker, ihm hätten VW-Vertreter verraten, dass das Passat-Werk nur dann um eine neue Produktlinie erweitert werde, wenn die Gewerkschaft die Abstimmung verliere.

Finanziert wurde die Kampagne u.a. von der Lobbygruppe von Grover Norquist in der US-Hauptstadt Washington, die sonst Wahlkampagnen für die Rechtsaußen der Republikaner unterstützt (TAZ vom 12.2.2014). UAW-Gewerkschaftschef Bob King beklagte nach der Abstimmungsniederlage die massive Einflussnahme der Politik: »Es ist noch nie in der Geschichte dieses Landes vorgekommen, dass ein Senator, der Gouverneur, der Führer des Repräsentantenhauses, die Abgeordneten vor Ort einer Firma mit dem Entzug von Unterstützungen und den Arbeitern mit dem Verlust eines Produkts gedroht haben« (Zeit online vom 15.2.2014).

Mit allen Mitteln sollte ein Präzedenzfall verhindert werden. »Als Nächstes kommt BMW, dann Mercedes, dann Nissan« – ein Horror-Szenario für den Südstaatler Corker. Er und die militanten republikanischen Kampftruppen wähnten das Eldorado in Gefahr, das der Süden der USA bislang für Unternehmer, auch aus Deutschland, darstellt. Gelten doch die Gewerkschaften in den einstigen landwirtschaftlich orientierten Sklavenstaaten als Teufelszeug.

Staaten wie Tennessee, Alabama und South Carolina gehören zu den US-Bundesstaaten, die ein Gesetz mit dem irreführenden Namen »Right-to-Work« – Recht auf Arbeit – eingeführt haben. Dieses soll dazu dienen, mit gewerkschaftsfeindlicher Politik, Steuergeschenken und niedrigen Löhnen ausländische Produzenten anzulocken. So wirbt die Administration des Staates Tennessee bei Investoren mit dem Hinweis: »Es gibt keinen Gewerkschaftszwang. Die Gewerkschaftszugehörigkeit liegt weit unter dem US-Durchschnitt.«

Seit den 1970er Jahren sind fast 20 Autoproduzenten, die sich in den USA angesiedelt haben, dem Ruf in die »Right-to-Work«-Staaten und der Offerte niedriger Arbeitskosten gefolgt. BMW produziert seit 1994 in Spartanburg im Bundesstaat South Carolina. Mercedes hat 1996 in ein Werk in Tuscaloosa in Alabama investiert. Auch japanische und südkoreanische Automobilproduzenten haben sich im gewerkschaftsfreien Süden niedergelassen.

Eine ganze Armada von Anwälten hat sich darauf spezialisiert, diese gewerkschaftsfreien Zonen zu schützen und diejenigen einzuschüchtern, die sie bedrohen.[2] »Natürlich gibt es in den USA Gesetze, die Arbeiter schützen, wenn sie sich organisieren wollen. Doch mit zahlreichen Druckmitteln wissen das die Gegner der Arbeiterorganisationen bislang zu verhindern« (William Spriggs, Chefökonom der Gewerkschaftsdachverbands AFL-CIO, Deutsche Welle vom 12.2.2014). Wenn ein Arbeiter bekundet, er wolle einer Gewerkschaft beitreten, dann ist in der Regel die erste Antwort, die er erhält, die Aushändigung seiner Entlassungspapiere oder die Androhung eines Gerichtsverfahrens. Viele haben auf diese Weise ihren Job verloren.

Der negative Ausgang der Abstimmung in Chattanooga ist ein herber Rückschlag für die UAW. Damit ist vorerst ein weiterer Versuch gescheitert, in den Südstaaten Fuß zu fassen. Für die UAW eine wichtige Zukunftsfrage: Um relevant zu bleiben, muss sie in der Lage sein, nicht nur General Motors, Ford und Chrysler im Norden zu organisieren, sondern auch die bisher mitbestimmungsfreien Produktionsstätten ausländischer Anbieter wie VW, BMW, Daimler, Toyota und Nissan in den Südstaaten.

Nach der Wahlniederlage bei VW könnte ein umgekehrter Effekt einsetzen, indem fehlende Organisationsmacht im Süden in beschleunigt schwindende Organisationsmacht im Norden umschlägt. Im kommenden Jahr laufen die Vier-Jahres-Tarifverträge bei General Motors, Ford und Chrysler aus und müssen neu verhandelt werden. Mit einem positiven Signal aus Chattanooga – möglicherweise auch aus Produktionsstätten von Daimler und Nissan, wo die UAW unter schwierigeren Bedingungen versucht, Fuß zu fassen – wäre das leichter gefallen.

Trotz des negativen Wahlausgangs will der VW-Konzernbetriebsrat die Schaffung einer Interessenvertretung im Werk Chattanooga auch gegen den Widerstand der Südstaaten-Politiker weiter vorantreiben. »Die Konservativen haben von außen eine massive, gewerkschaftsfeindliche Stimmung gemacht. Möglich ist, dass man zu dem Ergebnis kommt, dass diese Einflussnahme ›unfair labour praxis‹ ist, also eine unfaire Einflussnahme auf die Belegschaft«, so Gesamtbetriebsratsvorsitzender Bernd Osterloh.

Es sollen zügig andere Wege ausgelotet werden, um in dem US-Werk eine Arbeitnehmervertretung zu gründen. »Es ist uns gelungen, hochspezialisierte US-amerikanische Arbeitsrechtsexperten zu gewinnen, mit denen wir in den nächsten zwei Wochen Beratungen aufnehmen, um weitere Schritte zu definieren.« (Gunnar Kilian, Generalsekretär des VW-Konzernbetriebsrats) Vielleicht gibt es ja eine Hintertür, um die Arbeitsbeziehungen in den USA auf neue Beine zu stellen.

[1] Die United Auto Workers (UAW) mit Sitz in Detroit, zählt mit rund 390.000 Mitgliedern aus der Automobil- und Luftfahrtindustrie, dem Landmaschinenbau und dem Gesundheitswesen zu den stärksten Gewerkschaften in den USA und Kanada. Ihr Einfluss ist in Folge der Deindustrialisierung und gewerkschaftsfeindlicher neoliberaler Politik jedoch stetig zurück gegangen. 1979, auf dem Höhepunkt ihrer Organisationsmacht, zählte sie 1,5 Millionen Mitglieder.
[2] Um in Unternehmen Gewerkschaften zu verhindern, hat sich in den USA eine »union avoidance industry« breitgemacht, die mehrere Hundert Millionen Dollar im Jahr umsetzt.

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