15. Juli 2011 Joachim Bischoff: Keine Stabilisierung in Sicht

USA im Konjunktur- und Schuldendilemma

Die Konjunktur in den USA will trotz jahrelanger Null-Zins-Politik der US-Notenbank (FED) nicht in Schwung kommen: Nach zuletzt stark enttäuschenden Daten aus der Industrie, zum Konsum und vom Immobilienmarkt schwächelt auch der wichtige Arbeitsmarkt. Konsequenz: Der US-Konjunkturmotor stottert. Schlimmer ist allerdings: Es ist kein Stabilisierungsmittel in Sicht.

Null-Zins-Politik, Hunderte Milliarden US-Dollar für den Kauf eigener Staatsanleihen, noch mal Hunderte Milliarden US-Dollar für Konjunkturprogramme – das alles verhalf der weltgrößten Volkswirtschaft nur zu einem zögerlichen Aufholprozess. Und der ist offenkundig auch schon wieder vorbei. Mehr und mehr zeichnet sich ab, dass die angestrebte große Erholung ausbleibt. »Amerika steht auf der Kippe«, sagt Robert Shiller. Und Robert Reich, Obamas ehemaliger Wirtschaftsberater und einst US-Arbeitsminister unter Bill Clinton, sieht eine »40-prozentige Wahrscheinlichkeit«, dass Amerika erneut in die Rezession verfällt.

Dabei kann die FED über ihre Leistung in den zurückliegenden Monaten durchaus zufrieden sein. Die amerikanische Notenbank hat die nach der großen Krise 2008 bis 2010 drohende Deflation und damit eine Verfestigung der ökonomischen Abwärtsbewegung abgewendet. Der Finanzsektor konnte stabilisiert werden und die Realökonomie hat sich etwas erholt. Die Kerninflation, bei der Lebensmittel- und Energiekosten aus der Berechnung ausgeschlossen werden, hat im Oktober 2010 noch +0,6% betragen und Befürchtungen ausgelöst, dass in den Folgemonaten ein Absturz in die Deflation droht.

Wenige Monate später stellt sich die Lage deutlich verändert dar – die Kerninflation lag im Mai 2011 bei 1,5%, die Gesamtinflation, bedingt durch den hohen Ölpreis, sogar bei 3,6%. Es gibt zwar keine vollständige Entwarnung für eine Deflation, sie ist aber sehr unwahrscheinlich geworden. Geblieben sind die strukturellen Probleme, die allerdings über geldpolitische Maßnahmen allein nicht lösbar sind.

US-Notenbankchef Ben Bernanke hat zunächst Spekulationen auf ein baldiges drittes Konjunkturprogramm für die lahmende US-Wirtschaft im Herbst 2011 befördert. Er hat die Politiker deutlich vor einem zu drastischen Sparkurs gewarnt.

Nach Moody's hat nun auch die Ratingagentur Standard & Poor's mit einer Herabstufung der Kreditwürdigkeit gedroht, sollten die politischen Lager in Washington weiterhin keine Lösung finden. Präsident Barack Obama braucht die Zustimmung des Kongresses, um die Verschuldungsgrenze von derzeit 14,3 Bio. US-Dollar anzuheben.

Falls die Gespräche scheitern, sind die USA voraussichtlich ab dem 2. August zahlungsunfähig. Die Republikaner wollen eine Erweiterung der Schuldengrenze nur mittragen, wenn zugleich die öffentlichen Ausgaben drastisch gekürzt werden. Die Demokraten wollen Kürzungen im Bereich der sozialen Sicherheit und Gesundheit auf keinen Fall zustimmen und plädieren für die Beendigung von Steuersenkungen für die Reichen.

Neben der Frage der Sicherung der Zahlungsfähigkeit geht es bei dem Streit auch um die Stützung der Konjunktur. Übertriebene Einschnitte bei den Staatsausgaben in naher Zukunft drohen den ohnehin noch labilen Konjunkturaufschwung aus dem Tritt zu bringen. Deshalb fordert auch der FED-Chef nachdrücklich eine Anhebung der US-Schuldengrenze. Andernfalls würden die USA ihrer eigenen Wirtschaft Schaden zufügen. »Dies hätte katastrophale Folgen«, warnte Bernanke. »Das würde einen sehr schweren Finanzschock auslösen mit Auswirkungen auf die Wirtschaft der USA und der ganzen Welt.« Zuvor schon waren in Washington alarmierende Signale angekommen. So verlangte China als größter ausländischer Geldgeber einen Schutz seiner Investitionen.


Bernanke bekräftigte die frühere Zusicherung, dass die Federal Reserve bei einem Erlahmen des jüngsten Konjunkturaufschwungs in den USA zu weiteren Maßnahmen bereit sei. Alle Optionen für eine Straffung oder Lockerung der Geldpolitik seien auf dem Tisch.

Derzeit hält die FED den Leitzins knapp über der Null-Linie, d.h. die Banken können sich bei Hinterlegung werthaltiger Papier faktisch ohne Zinsaufschlag refinanzieren. Angesichts der angespannten Wirtschaftslage, der miesen Lage am Arbeits- und Immobilienmarkt, kann die FED diese Zinspolitik nicht aufgeben. Seit Beginn der Krise hat sie regelmäßig bekräftigt, dass das außerordentlich niedrige Leitzinsniveau »für geraume Zeit« angemessen sei. Sie kauft US-Staatsanleihen und sorgt so für einen andauernden Geldstrom. Die Fachwelt gab dem Vorgehen den Namen »Quantitative Easing 2« (QE2 = Quantitative Lockerung).

Das zweite Programm dieser Art im Volumen von 600 Mrd. US-Dollar soll nach bisherigen Ankündigungen Ende August auslaufen. Bislang sieht es nicht nach einer Neuauflage aus. Der Präsident der Notenbank von Texas, Richard Fisher, sagte: »Wir haben genug getan.« Die Notenbank sei nicht ohne weiteres bereit, die Geldpolitik ein weiteres Mal zu lockern, da die Inflation seit Ende 2010 zugenommen habe.

Bemerkenswert ist weiter, dass die FED ihre Konjunkturprognosen nach unten anpasst hat. Der Konjunkturaufschwung – im ersten Quartal gab es ein Plus von 1,8%, für das zweite wird mit 2,5% gerechnet – bleibt hinter den Hoffnungen der Experten zurück. An dieser fragilen Situation wird sich nichts ändern. Insofern besteht eine Tendenz, weitere Konjunkturstützen auf den Weg zubringen. Neben stabilen Preisen gehört auch Vollbeschäftigung zu den erklärten Zielen der Notenbank.

Gleichzeitig gibt es bei den Republikanern massiven Widerstand gegen weitere Konjunkturstützen. Hier lautet die Botschaft: »Schluss mit diesen Exzessen beim Ankurbeln der Konjunktur. Die Wirtschaft muss jetzt endlich ohne Stützräder laufen.« Die »frustrierend langsame« Erholung könnte dann allerdings durch die von den Republikanern geforderten harten Kürzungsprogramme die Initialzündung für einen Absturz in eine rezessive Entwicklung sein.

Wie wird die FED auf den Schwächeanfall reagieren? Dass die FED ihre immer noch hochexpansive Geldpolitik erneut lockern wird, ist angesichts der Schuldenkrise unwahrscheinlich. Seit der Finanzkrise hat sie die Finanzmärkte mit Liquidität über mehrere Billionen US-Dollar geflutet – nicht zuletzt über den Kauf von amerikanischen Staatsanleihen. Ein Kurs, der von Experten teils hart kritisiert wird, zumal die US-Konjunktur vor der aktuellen Schwächephase wieder robust gewachsen war. Doch ausgerechnet mit dem Auslaufen des jüngsten und zweiten Kaufprogramms von Staatsanleihen (QE2) droht die Konjunktur erneut zu verflachen.

Darauf deuten jüngste Konjunkturdaten hin, die seit Wochen nahezu ausnahmslos enttäuscht haben. Ein Ausweg wäre: Der US-Kongress einigt sich auf eine Anhebung der Schuldengrenze und beschließt ein mittelfristig angelegtes Sanierungsprogramm der öffentlichen Finanzen. Zugleich wird die Notenbank ermutigt, ein nationales Investitionsprogramm auf den Weg zu bringen. Da eine solch wundersame Verständigung unrealistisch ist, wird – neben der europäischen Schuldenkrise – auch die US-Entwicklung weitere Sorgenfalten auslösen.

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