26. Juni 2023 Redaktion Sozialismus.de: Prigoschin und seine Söldnertruppe

Vom Oligarchen zum Putschisten

Putin und Progoschin im Jahr 2010.

Im Herbst 2022 gibt sich Jewgeni Prigoschin der ganzen Welt als Chef der Söldnergruppe Wagner zu erkennen. Der reiche Geschäftsmann zählt zum engsten Kreis um den russischen Präsident Wladimir Putin.

Jahrzehntelang hat der Oligarch Prigoschin im Schatten agiert. Bevor er zum Geschäftsmann und später zum Söldner-Chef wurde, saß er noch zu Zeiten der Sowjetunion neun Jahre wegen bewaffneter Raubüberfälle im Gefängnis. Nach seiner Zeit im Knast versuchte er sich in St. Petersburg als Gastronom und verkaufte zunächst Hotdogs. Dort lernte er in den 1990er-Jahren den stellvertretenden Bürgermeister kennen, Wladimir Putin. Dank ihm wurde Prigoschin einer der größten Caterer des Landes, man nannte ihn auch »Putins Koch«. Er ist Inhaber des Gastronomieunternehmen »Konkord« und betreibt das einzige private Restaurant im Gebäude des russischen Parlaments.

Mit dem russischen Überfall auf die Ukraine tritt Prigoschin als Söldnerchef international erstmals in Erscheinung. Er hatte zuvor  Truppen in afrikanischen Ländern eingesetzt. Wegen Menschenrechtsverletzungen erklärt die amerikanische Regierung seine Gruppe Anfang 2023 zu einer »transnationalen Verbrecherorganisation«. Die US-Regierung vermerkte bereits zu diesem Zeitpunkt, dass die Wagner-Gruppe zu einem mit dem regulären Militär konkurrierenden Machtzentrum heranwachsen könnte – auch weil seitdem der Kreml die Existenz der Söldnertruppe eingeräumt hatte.

Prigoschin und seine Gruppe stehen während des Überfalls auf die Ukraine für eine besondere Brutalität. Ursprünglich bestand die Wagner-Truppe aus Veteranen der russischen Streitkräfte, in der Ukraine reicht das jedoch nicht mehr aus. Westliche Geheimdienste schätzen, dass für seine Söldnertruppe insgesamt etwa 50.000 Häftlinge mobilisiert worden sind.

Prigoschin selbst soll von Gefängnis zu Gefängnis gereist sein, um in Straflagern Häftlinge für den Kriegseinsatz in der Ukraine anzuwerben. Der sei hart, aber wer sich seiner Gruppe anschließe und ein halbes Jahr überlebe, dem winke die Begnadigung. In Russland kann nur der Präsident Häftlinge begnadigen, daher der Schluss, dass Prigoschin mit Einwilligung von Putin handelte.

Seitdem er ca. 50.000 Strafgefangene dazu bewogen hatte, sich seiner privaten Söldnertruppe anzuschließen, ist er ein zentraler Akteur und eines der prominentesten Gesichter in Russlands Krieg gegen die Ukraine. Seine Einheiten gehören zu den schlagkräftigsten auf der russischen Seite. Prigoschin inszeniert sich auch als General und tritt seit kurzem mit beißender Kritik an der russischen Militärführung auf, der er vorwirft, seine Truppen nicht ausreichend mit Munition zu beliefern. Im Mai droht er mit dem Abzug seiner Söldner aus der umkämpften Stadt Bachmut.

Der Chef der Privatarmee Wagner hatte Verteidigungsminister Sergej Schoigu und Generalstabschef Waleri Gerassimow Unfähigkeit vorgeworfen und die beiden für zu viel Niederlagen verantwortlich gemacht, mit denen der Krieg gegen die Ukraine nicht zu gewinnen sei. Außerdem beklagte Prigoschin Korruption, Bürokratie, Betrug und Diebstahl in den russischen Streitkräften unter der Führung der beiden.

Der Kreml hat in den vergangenen Wochen versucht, den Einfluss der Söldnertruppe einzudämmen. Sie sollten eigentlich einen Vertrag mit dem russischen Verteidigungsministerium unterschreiben – Prigoschin lehnte ab. Daraus entwickelt sich die Eskalation.

Der Söldnerchef spitzte zuletzt seine Schimpftirade zu, weil ein Angriff der russischen Militärführung auf eine Gruppe von Wagner-Söldnern erfolgt sei. Dabei sei eine »sehr große« Zahl ums Leben gekommen. Außer einem zweifelhaften »Beweisvideo« legt er keine Belege für diese Anschuldigungen vor. Ob es den Angriff gegeben hat, ist unklar. Der Schuldige war aus Prigoschins Sicht der russische Verteidigungsminister.

Prigoschin rief deshalb zum »Marsch der Gerechtigkeit« gegen die Armeeführung auf, und glaubt, die Unterstützung des russischen Volkes dafür zu haben. Keinen Tag später kontrollierten seine Söldner bereits die strategisch wichtige Stadt Rostow am Don im Süden Russlands, das Hauptquartier des südlichen Militärbezirks sei ohne Schussabgabe eingenommen worden. Dagegen seien er und seine Kämpfer von Artillerie und Helikoptern beschossen worden, behauptete Prigoschin in einer Audiobotschaft.

Präsident Wladimir Putin bezeichnete diesen Vorgang in einer Sondersendung des russischen Fernsehens als »Verrat«. In einer Sondersendung des Fernsehens hatte der Präsident gegen die gewettert. Putin sprach von einer »tödliche Bedrohung unseres Staates«, einer »Schlacht«, die um das Schicksal der Nation geführt werde, und warnte vor Anarchie. Ohne Prigoschin beim Namen zu nennen, bezichtigte er ihn des Hochverrats.

Ebenso plötzlich, wie er begonnen hatte, wurde der »Marsch der Gerechtigkeit« abgebrochen. Progoschin sagte, er wolle kein russisches Blut vergießen und werde seine Truppen in ihre Heimat zurückbeordern. Da »wir uns der Verantwortung dafür bewusst sind, dass auf einer Seite russisches Blut vergossen wird, werden wir unsere Konvois umdrehen und in die entgegengesetzte Richtung zu unseren Feldlagern gehen.«

Die russische Regierung hatte zuvor seine Streitkräfte mobilisiert und Verteidigungsanlagen vorbereitet. Beamte gruben Panzergräben in Bundesstraßen, errichteten Maschinengewehrstellungen an der Stadtgrenze und stationierten Infanterie-Kampffahrzeuge auf den Straßen Moskaus, während Putin versprach, dass der russische Staat brutal gegen den bewaffneten Aufstand vorgehen werde.

Stundenlang schien Russland am Rande eines Bürgerkriegs zu stehen, denn Prigoschin Truppen hatten sich bereits bis auf 200 Kilometer der russischen Hauptstadt genähert. Am späten Abend des Samstags dann blies der Wagner-Chef den Einsatz ab.

Nach dem Abbruch der Rebellion berichteten russische Staatsmedien, die Wagner-Truppen und sein Chef würden straffrei bleiben. Putin hat sich zunächst nicht zu dem von Weißrussland ausgehandelten Abkommen geäußert, das Prigoschins Abzug aus Russland und den Abzug der Wagner-Truppen aus Rostow vorsah. Kremlsprecher Peskow äußerte, dass Personalfragen – er spielte damit auf die Kritik von Prigoschin an Schoigu und Gerassimow an – nicht Gegenstand der Gespräche zur Beendigung des Aufstandes gewesen seien.

Präsident Putin hat sich nach dem Rückzug der Wagner-Truppen erneut an die Öffentlichkeit gewandt. Russland werde alle Ziele in der Ukraine erreichen, sagte er dem staatlichen Fernsehsender Rossija. Die militärische Spezialoperation habe höchste Priorität.

Die Ereignisse in Russland lösten in den USA Bedenken hinsichtlich der Sicherheit des Moskauer Atomwaffenarsenals aus. »Wir haben keine Veränderungen in der Aufstellung der russischen Nuklearstreitkräfte gesehen«, antwortete ein Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats auf Fragen. »Russland hat eine besondere Verantwortung dafür, das Kommando, die Kontrolle und die Obhut seiner Nuklearstreitkräfte aufrechtzuerhalten und sicherzustellen, dass keine Maßnahmen ergriffen werden, die die strategische Stabilität gefährden.«

Gleichwohl bereitet die Sicherheit dieser Waffen Washington anhaltende Sorgen. US-Geheimdienste stellten in ihrer jährlichen Bedrohungsbewertung 2023 fest, dass »Russlands nukleare Materialsicherheit […] trotz Verbesserungen des materiellen Schutzes, der Kontrolle und der Bilanzierung an Russlands Nuklearstandorten seit den 1990er-Jahren weiterhin Anlass zur Sorge gibt.«

US-Außenminister Antony Blinken sagte am Sonntag in mehreren Interviews, dass die Turbulenzen, die durch den Putschversuch am Samstag entstanden seien, nicht vorbei seien und noch Wochen oder Monate dauern könnten. Die Spannungen hätten sich seit Monaten akzentuiert und könnten Russlands Pläne in der Ukraine beeinträchtigen. »Die Russen sind abgelenkt und gespalten.«

Mit Blick den Status des Lands als Atommacht sagte er außerdem: »Jedes Mal, wenn ein großes Land wie Russland Anzeichen von Instabilität aufweist, ist das ein Grund zur Sorge.« Das chinesische Außenministerium ließ derweil verlauten, dass es sich um innere Angelegenheiten Russlands handle. Man würde das Land jedoch bei der Aufrechterhaltung der nationalen Stabilität unterstützen.

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