12. April 2014 Joachim Bischoff: Prognosen deutscher Institute und des IWF

Vor einem kräftigen Konjunkturaufschwung?

Die wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute prognostizieren im Frühjahrsgutachten für 2014 einen Anstieg des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 1,9%. 2015 erwarten sie ein Wachstum von 2,0%. Damit bestätigen sie die Regierungsprognose vom Februar. Diese geht 2014 von 1,8% Wachstum aus und 2015 ebenfalls von 2,0%.

Die treibende Kraft für die günstigen Konjunkturdaten sehen die Institute[1] in der Binnennachfrage. Die Zahl der Beschäftigten dürfte 2014 nochmals kräftig steigen. Zudem falle der Anstieg der Verbraucherpreise 2014 mit 1,3% moderat aus. Der Industrieverband BDI hält die Vorhersage der Institute für realistisch: »Der private Konsum, die gute Entwicklung am Arbeitsmarkt und die Investitionen, gestützt durch ein günstiges Umfeld für die Unternehmensfinanzierung, prägen die konjunkturelle Entwicklung in Deutschland. Positive Impulse kommen auch von der Außenwirtschaft.«

Allerdings es gibt auch deutliche Skepsis gegenüber diesem Optimismus der großen Koalition in der Politik und einer Stimmung der Bevölkerungsmehrheit. Die deutschen Maschinen- und Anlagenbauer kämpfen weiter mit einer schwachen Auftragslage: Die Bestellungen lagen im Februar 2014 um real 4% unter dem Ergebnis des Vorjahres. Während die Risiken aus der Eurokrise abgenommen haben, gibt es neue Risiken aus den Schwellenländern: Die Exporte haben sich verteuert aufgrund der Aufwertung des Euro, und zum Schluss ist die Russlandkrise zu nennen, die auf die Stimmung drückt. Die Erwartungen wurden zurückgenommen, gleichwohl ist die Lage weiterhin gut. Die Unternehmen setzen auf eine moderate Erholung der Weltkonjunktur im Laufe des Jahres, aber die Bäume werden natürlich nicht in den Himmel wachsen.

Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) hat sich auf die These von einer moderaten Erholung der Weltkonjunktur festgelegt. Die weltweite Erholung werde sich verstärken, angeführt von den großen Volkswirtschaften. Allerdings gäbe es immer noch »Altlasten« aus der großen Krise; weitere Reformen dürften nicht aufgeschoben werden, nur weil es jetzt positive Anzeichen gebe. »Die Haushaltseinsparungen lassen nach und Investoren sorgen sich weniger vor Überschuldung. Die Banken werden stärker«, stellt IWF-Chefökonom Olivier Blanchard fest.

Entwicklungs- und Schwellenländer profitierten im gleichen Zug von der vermehrten Nachfrage nach Exportgütern. Dennoch sei die Weltwirtschaft immer noch anfällig. »Akute Gefahren haben nachgelassen, aber die Risiken sind nicht verschwunden«, so Blanchard. Eine der größten Bedrohungen sei die Niedrig-Inflation in großen Volkswirtschaften. Anhaltend geringe Teuerungsraten schadeten der Konjunktur. Das Problem herrsche vor allem in der Eurozone. Als Gegenmaßnahme müsse die Europäische Zentralbank ihre Geldpolitik auch mit »ungewöhnlichen Maßnahmen« weiter lockern.

Sorgen bereiten dem IWF auch weiterhin die drohenden Kapitalprobleme in den Schwellen- und Entwicklungsländern. Die aufstrebenden Nationen müssten sich davor wappnen, dass Investoren ihr Geld abziehen. Sie sollten ihre Wechselkurse flexibel darauf reagieren lassen, ihre Geldpolitik straffen, Defizite in den Staatshaushalten senken und neue Strukturreformen ergreifen, schlägt der IWF vor.

Neben anhaltenden Problemen hat der Währungsfonds zudem auch neue Risiken für die Weltwirtschaft ausgemacht. Dazu gehörten einerseits neue geopolitische Krisen wie der Ukraine-Konflikt. Andererseits sei die Zunahme der Ungleichheit bei der Einkommensverteilung zu einem dominanten Thema geworden.

Auch die Direktorin des IWF, Christine Lagarde, betont, dass die Globalökonomie sich in einer Phase »moderater und fragiler Erholung« befindet. Ziel müsse es allerdings sein, einen Pfad zu »rapiderem und tragfähigem Wachstum zu beschreiten«, d.h. zu einer beschleunigten Kapitalakkumulation der Vorkrisenzeit zurückzukehren. Denn die Weltkonjunktur bewege sich nach ihrer Ansicht nach wie vor auf brüchigem Boden. Weiter bestehende Abwärtsrisiken stellen demnach die hohe Arbeitslosigkeit, in vielen Ländern die nach wie vor hohe Staatsverschuldung und die noch unvollständigen Finanzmarktreformen dar. Hinzu gesellen sich zwischenzeitlich neue Unsicherheiten, allen voran die Gefahr einer »low-flation«, einer zu niedrigen Inflation speziell in Europa.

Der Motor für die Erholung der Weltkonjunktur sind anders als in der großen Krise nicht die Schwellenländer, sondern die kapitalistischen Hauptländer. Die Brics-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) sind wegen interner Probleme kein Beschleunigungsfaktor für die Globalökonomie. Die Schwellen- und Entwicklungsländer tragen rund zwei Drittel zum Wachstum der Weltwirtschaft bei. An die hohen Wachstumsraten von 8% vor der Krise kommen sie nicht mehr heran. So hat sich in diesen Staaten etwa seit Mai 2013 die Finanzierung verteuert. Damals hatte die amerikanische Notenbank angedeutet, im Verlaufe von 2013 die Anleihenkäufe zu drosseln, was sie gegen Ende Jahr auch umsetzte.

Vor allem in China sehen wir eine Verlangsamung eines Wachstums, das zwar weiterhin relativ hoch bleibt, auch gemessen an den Maßstäben anderer Schwellenländer, aber doch einen Strukturwandel anzeigt. China ist mit gut 12% der gesamten Wirtschaftsleistung der Welt ist ein wichtiger Teil der Globalökonomie. Das Land hat vor fünf Jahren dazu beigetragen, die Weltwirtschaft in der Krise zu stabilisieren. Aber es kann weder die Welt retten, noch würde eine chinesische Rezession die Welt aus den Angeln heben.

Sollte es in China allerdings – völlig wider Erwarten – doch zu einer harten Landung kommen, würde das heißen, dass die Notenbanken in den USA, in Europa und in vielen Schwellenländern in ihrer eigenen Politik expansiver werden müssten, um einen solchen China-Schock auszugleichen. In China ist jedoch – anders als in Russland – keine Rezession zu erwarten, aber der langsame Verlust an Wachstumsdynamik wird anhalten. Das ist wichtig für die Weltökonomie, aber solange es keine harte Landung gibt, ist es für den Rest der Welt verkraftbar.

In den kapitalistischen Hauptländern wird ein anderes Kernproblem aktuell: die niedrigen Zinsraten. Selbst wenn sich die aktuellen Unsicherheiten hinsichtlich der Erholung der Weltkonjunktur verflüchtigen und die Renditen für Staatsanleihen wieder steigen, bleibt wegen der gefallenen Investitionsneigung und der extrem expansiven Geldpolitik der Zentralbanken die Hauptursache für das allgemein niedrige Zinsniveau bestehen. Die Leitzinssätze der wichtigsten Notenbanken der Welt liegen derzeit nahe 0% und dürften entsprechend der Ankündigungen dieser Notenbanken auch bis auf weiteres auf diesem niedrigen Niveau verharren. Darüber hinaus führen die US-Notenbank und die Bank of Japan durch direkte Käufe von Anleihen der Weltwirtschaft weiterhin Liquidität zu und drücken so das Zinsniveau über das gesamte Laufzeitenspektrum zusätzlich.

Es gibt jedoch Anzeichen, dass diese expansive Geldpolitik der Notenbanken ihren Höhepunkt durchschritten hat. Erstens kauft die Bank of England schon seit einiger Zeit keine weiteren Staatsanleihen auf und die Fed hat damit begonnen, ihr Anleihekaufprogramm schrittweise zu reduzieren. Zweitens hat die EZB ihr Programm zum Kauf von Staatsanleihen (OMT) bis jetzt nicht aktiviert. Drittens hat die EZB schon seit längerem eine Reduktion der Liquiditätsversorgung der Banken eingeleitet.

Es gibt derzeit klare Voraussetzungen für steigende Zinsen. Die geringe konjunkturelle Dynamik und eine vorsichtige Neuausrichtung der Geldpolitik lassen es jedoch wenig wahrscheinlich erscheinen, dass es 2014 zu einem deutlichen Zinsanstieg kommt, der die Rendite für US-Staatsanleihen mit einer Restlaufzeit von zehn Jahren über das Niveau von 3,5% hebt und vergleichbare Bundesanleihen mit mehr als 2,5% rentieren lässt. Ferner haben die jüngsten Entwicklungen gezeigt, dass der zu erwartende Zinsanstieg störanfällig ist.

Die G20-Gruppe der führenden Industrie- und Schwellenländer sieht die Ukraine-Krise als eine mögliche Bedrohung für die Weltkonjunktur. »Wir beobachten die wirtschaftliche Situation in der Ukraine mit Blick auf jegliche Risiken für die ökonomische und finanzielle Stabilität«, erklärten deren Finanzminister und Notenbankchefs. Zugleich hob die Gruppe, zu der auch Russland gehört, die wichtige Rolle des IWF bei der Verhandlung über Milliardenhilfen mit der ukrainischen Regierung hervor, die zur Arbeit an »bedeutenden Reformen« bereit sei.

Die Ukraine-Krise sehen auch die Konjunkturforscher als größtes Risiko für die Entwicklung der Weltkonjunktur. Unternehmen und Banken ziehen angesichts der Krim-Krise massenhaft Geld aus Russland ab – im ersten Quartal laut russischer Zentralbank 50,6 Milliarden Dollar. Selbst im Fall einer Beruhigung des Konfliktes mit der Ukraine dürften Investoren in diesem Jahr bis zu 85 Milliarden Dollar aus dem Schwellenland abziehen, erwartet die Weltbank. Bei einer Eskalation könne sich die Summe auf bis zu 150 Milliarden Dollar erhöhen. Bereits vor dem Konflikt hatte die schwächelnde russische Wirtschaft mit einer Kapitalflucht im Zuge der strafferen US-Geldpolitik zu kämpfen.

Russland war allerdings schon vor dem Ausbruch der Ukraine-Krise angeschlagen. Wuchs das Bruttoinlandprodukt (BIP) des drittgrößten Schwellenlandes im Jahr 2011 noch um 4,3%, so waren es im vergangenen Jahr bereits nur 1,3%. Vor der Zuspitzung der Krise hielten russische Experten für 2014 ein Wirtschaftswachstum von rund 1% für möglich. bei einer weiteren Eskalation der Ukraine-Krise könne das russische BIP dieses Jahr laut Weltbank sogar um 1,8% schrumpfen – wenn etwa die politischen Spannungen zunähmen, Investoren und Unternehmer von großer Unsicherheit erfasst würden, sowie russische Banken und Firmen nur schwer an den globalen Kapitalmarkt gelangten. Internationale Handelssanktionen sind in diesem negativen Szenario noch gar nicht berücksichtigt. Im Fall einer positiveren politischen Entwicklung erwarten die Ökonomen der Weltbank ein BIP-Wachstum von 1,1%.

 

Rund 3% der deutschen Exporte gehen nach Russland und 4,5% der Einfuhren stammen von dort. Die drei wichtigsten Gütergruppen bei den Exporten sind Maschinen, Kraftwagen und chemische Erzeugnisse. Etwa 5% der gesamten Maschinenexporte Deutschlands gehen nach Russland. Bei Kraftwagen und chemischen Er­zeugnissen bewegt sich der Anteil zwischen 3 und 4%. Daher klagt ein Teil der deutschen Automobilkonzerne über eine Verschlechterung ihres Absatzes in Russland. Die Einfuhren aus Russland werden im Wesentlichen von den Öl- und Gaslieferungen bestimmt. Fast 75% der Importe bestehen aus Erdöl und Erdgas.

Gleichwohl halten die Institute die Auswirkungen vor allem für Deutschland für begrenzt, weil sie nicht mit einer Einschränkung der Energielieferungen aus Russland rechnen. Sie erwarten jedoch, dass die Krise die russische Wirtschaft schädigen wird und unterstellen ein Minus von 4%. Dann würde das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland 2014 um 0,1 bis 0,3 Prozentpunkte weniger stark steigen.

[1] Gemeinschaftsdiagnose Frühjahr 2014; siehe auch IMK Report Nr. 91 vom April 2014: Deutschland im Aufschwung – Risiken bleiben; sowie IMF World Economic Outlook, April 2014

 

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