1. Februar 2014 Otto König / Richard Detje: Panikmache in der Zuwanderungsdebatte

»Wer betrügt, der fliegt!«

»Wer betrügt, der fliegt«, schallt es aus dem Freistaat Bayern. Die CSU-Granden meinen damit nicht skrupellose Subunternehmen, die »moderne Tagelöhner« aus den osteuropäischen Staaten zum Teil unter mafiösen Bedingungen nach Deutschland lotsen, damit sie hier in menschenunwürdigen, teilweise illegalen Arbeitsverhältnissen in der Landwirtschaft, im Baugewerbe, in der Logistikbranche und in der Fleischindustrie schuften.[1] Mit populistischen Parolen wird gegen eine neue Rechtslage Sturm gelaufen.

Seit Jahresbeginn gilt für Menschen aus den EU-Beitrittsländern Bulgarien und Rumänien – nachdem eine siebenjährige Übergangsfrist abgelaufen ist – Freizügigkeit. Auch ohne Arbeitserlaubnis besteht die Möglichkeit, sich in Deutschland niederzulassen.

Das CSU-Schreckensszenario: Massenhaft kämen nun Menschen aus osteuropäischen Armutsländern, um in Deutschland auf Kosten des hiesigen Sozialsystems (Sozialhilfe und Kindergeld) zu leben. Gegen diesen »Missbrauch der europäischen Freizügigkeit durch Armutszuwanderung« müssten neue Regeln erlassen werden, zitiert die Süddeutsche Zeitung aus einem Arbeitspapier für die Klausur der CSU-Landesgruppe in Wildbad Kreuth.

Eine »generelle Aussetzung des Bezuges von Sozialleistungen für die ersten drei Monate des Aufenthalts in Deutschland« soll geprüft und bei nachgewiesenem Sozialleistungsbetrug eine »Wiedereinreise-Sperre« verhängt werden. »Der Zustand, dass man sich durch Betrug Sozialleistungen erschleicht und nach einer Ausweisung wieder einreisen kann, muss beendet werden« (Gerda Hasselfeldt, CSU-Landesgruppenchefin in Berlin). Wer so spricht, hat in erster Linie Roma-Familien im Visier.[2]

Mit ihren Stammtisch-Parolen suggeriert die CSU, dass am 1. Januar 2014 die Ausplünderung des deutschen Sozialstaates begonnen hat. Ein Blick auf die Statistik entlarvt diese Argumentation als Panikmache. Laut Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) lebten im Jahr 2013 insgesamt 368.000 Bulgaren und Rumänen in Deutschland, bei denen es sich überwiegend um (mittel- und hoch-) qualifizierte Fachkräfte handelt wie beispielsweise Krankenschwestern, Ärzte, Facharbeiter und Ingenieure.[3] Von Armutszuwanderung kann keine Rede sein.

Die IAB-Experten prognostizieren, dass die Zahl der Menschen, die nach Einführung der Arbeitnehmerfreizügigkeit am 1. Januar aus Bulgarien und Rumänien kommen, eventuell von 71.000 Personen im Jahr 2012 auf 100.000 bis 180.000 Personen in 2014 ansteigen könnte,[4] wobei das durchschnittliche Qualifikationsniveau der neuen Zuwanderer weiter ansteigt.

Das Gros der zugewanderten rumänischen und bulgarischen Staatsangehörigen ist sozialversicherungspflichtig oder geringfügig beschäftigt. Insgesamt liegt die Arbeitslosenquote dieser Gruppe mit ca. 7,4% unter dem Wert der Zuwanderer aus Südeuropa (»EU 4 Staaten« Griechenland, Italien, Portugal, Spanien: 10,9%) und deutlich unter dem Wert aller in Deutschland lebenden Ausländer (14,7%) sowie leicht unter der Arbeitslosenquote der Gesamtbevölkerung in Deutschland (7,7%).

Auch für einen »systematischen Sozialbetrug« finden sich keine belastbaren Zahlen. So bezogen zur Jahresmitte 2013 rund 10% von ihnen Leistungen nach dem SGB II (Hartz IV). Dieser Wert liegt zwischen dem Anteil aller Ausländer (16,2%) und dem Anteil der Gesamtbevölkerung (7,5%).[5] Tatsachlich waren von den 27.000 Rumänen und Bulgaren, die Mitte 2013 Hartz IV bezogen, rund 36% erwerbstätig und stockten ihre niedrigen Einkommen mit Hartz IV auf. Der Anteil an Niedriglöhnern unter ihnen, die gezwungen waren, ihre geringen Einkommen aufzustocken, lag somit über dem entsprechenden Bundesdurchschnitt von 30% – eine Folge des Lohndumpings beim Geschäftsmodell Ausbeutung.

Doch ungeachtet dieser Fakten ist es richtig, dass einige Kommunen in strukturschwachen Gebieten des Ruhrgebiets wie Duisburg und Dortmund, aber auch Berlin, vor großen Herausforderungen durch größere Zuwanderung stehen. Sie haben u.a. Kosten für Unterkunft, Gesundheitsversorgung, Sprachvermittlung usw. zu tragen. Diesen Kommunen ist jedoch nicht mit unverantwortlicher Stimmungsmache geholfen, sondern nur mit schnellen, effektiven finanziellen Hilfen aus dem Bundeshaushalt.

Fakt ist: Der Brain Drain qualifizierter MigrantInnen schwächt die südosteuropäischen Länder zugunsten des deutschen Wettbewerbsregimes. Bedingt durch ihre günstige Altersstruktur wirkt sich die Zuwanderung zudem per Saldo positiv auf die Einnahmen im Staatshaushalt und bei den Sozialversicherungssystemen aus. Die Sozialleistungen, die an rumänische und bulgarische Staatsangehörige ausgezahlt werden, sind wesentlich geringer als die Steuern und Sozialversicherungsbeiträge, die diese in deutsche Kassen einzahlen.

Das alles wissen natürlich auch die CSU-Politiker und ihr irrlichtender Vorsitzender Seehofer. Aber sie wissen auch, dass sich mit rassistischen Hetzkampagnen Wahlkämpfe gewinnen lassen. Schon in der Vergangenheit ist die Union immer wieder mit Stimmungsmache gegen Ausländer in den Wahlkampf gezogen. So siegte Roland Koch bei der hessischen Landtagswahl 1999 mit der umstrittenen Unterschriftenaktion »Ja zur Integration, Nein zur doppelten Staatsbürgerschaft«.

In Bayern stehen am 16. März Kommunalwahlen an, am 25. Mai sind Europawahlen. Der CSU geht es mit der diskriminierenden Zuwanderungsdebatte darum, die Konkurrenz der »Alternative für Deutschland« auszubremsen, indem sie Angst vor einem drohenden Strom von Arbeitskräften, die die Deutschen unterbieten und ihnen die Arbeit wegnehmen, schürt. Die bayerische Volkspartei nimmt mit ihrer Hetze gegen die »Armutszuwanderung« auch die Nähe zu Rechtsradikalen in Kauf.

Bei der NPD heißt es »Rente für die Oma statt für Sinti und Roma«. Wer einen rechtspopulistischen Diskurs vorantreibt, muss wissen, dass er neofaschistischen Kräften bereitwillig Argumente liefert. Dass diesen Kräften damit auch Legitimation verschafft wird, negiert die CSU. Ihre Strategie, keine organisierte politische Kraft rechts von ihr zuzulassen, verschiebt das Koordinatensystem weiter in Richtung Rechtspopulismus.

[1] Vgl. Otto König/Richard Detje: Lohnsklaven der Weltwirtschaft. Werkverträge – Lohndumping – Drei-Klassen-Belegschaft, in: Sozialismus 9/2013; Otto König/Richard Detje: Die Lohnsklaven der Schlachthöfe.  Fleischindustrie – Kampf um menschenwürdige Arbeitsbedingungen und Entlohnung, in: Sozialismus 12/2013.
[2] »Ihnen geht es doch in Wirklichkeit bei dieser Diskussion um die Zuwanderung von Sinti und Roma. Das nicht zu sagen, ist heuchlerisch«, hebt zu Recht der IG Metall-Vorsitzende Detlef Wetzel hervor (Braunschweiger Zeitung, 25.01.2014)
[3] Die Zuwanderung nach Deutschland stieg gemessen an der Bevölkerungszahl zwar leicht an, doch der Anstieg war im europäischen Vergleich eher gering (Migrationsbericht 2012 der Bundesregierung).
[4] Diese und die folgenden Zahlen beziehen sich auf folgende Quellen: Statistisches Bundesamt; Statistik der BA;  Berechnungen des IAB Dezember 2013.
[5] Informationen der IG Metall zur Sozialpolitik Nr. 23/Januar 2014.

Zurück