31. Januar 2018 Björn Radke

Wohin steuern die GRÜNEN?

Foto: Benjamin Beckmann/flickr.com (CC BY-SA 2.0)

Nach der Bundesdelegiertenkonferenz der GRÜNEN/Bündnis90 mit der Wahl eines neuen Vorstands am letzten Januarwochenende rauschte eine Euphoriewelle durch den Medienwald, die die Grünen fast als letzten Hoffnungsträger der Parteienlandschaft feiert.

Die Brandenburger Bundestagsabgeordnete Annlena Baerbock setzte sich auf dem Parteitag in Hannover in einer Kampfabstimmung gegen Anja Piel aus Niedersachsen klar mit 64,5% der Stimmen durch. Der schleswig-holsteinische Umweltminister Robert Habeck erhielt mit 81,3% mehr Unterstützung als sein Vorgänger Cem Özdemir bei seinen letzten beiden Wahlen.

Die Wahl von Baerbock und Habeck zur neuen Doppelspitze fällt in eine Zeit, in der die SPD dabei ist, ihren Status als linke Volkspartei mit Zustimmungswerten von unter 20% zu verlieren. In den sich quälend hinziehenden Wochen des Versuchs einer Regierungsbildung – erst die gescheiterten Jamaika-Verhandlungen, und jetzt die in großen Teilen der SPD und der Bevölkerung nicht geliebten Verhandlungen über eine Neuauflage der Großen Koalition –, haben die Grünen eine Inszenierung hingelegt, die viel mit dem eloquenten Auftreten des neugewählten Führungsduos Annalena Berbock und Robert Habeck zu tun hat. Ihnen ist es gelungen, als Hoffnungsträger und Gesicht einer »neuen Frische« in der zuletzt als moralinsauer verschrienen Partei aufzutreten, die nur noch nach einer schwarz-grünen Regierungsoption geschielt hat.

Personell hat es bei den Grünen – anders als in der SPD – einen Neuanfang gegeben. Die Delegierten haben auf dem Parteitag in Hannover auch gleich zwei Grundsätze über Bord geworfen. Eigens für Habeck verabschiedete man sich in Hannover erstens vom Prinzip der Trennung zwischen Amt und Mandat. Dann hat man zweitens die bisherige Flügelsymmetrie außer Kraft gesetzt. Mit Annalena Baerboch wurde eine Frau gewählt, die genau wie Habeck zu den sogenannten Realos zählt. »Einmal das Heilige forträumen! Was für ein Anfang. Wie spannend. Und vielleicht sogar: wie erleichternd«, kommentiert die FAZ.

Dass eine Erneuerung, die sich nur auf das Personal beschränkt, nicht ausreichen wird, um der Partei neue Impulse und größeren gesellschaftlichen Rückhalt zu geben, stellten auch die beiden neuen Parteichefs klar. »Deutschland und die Grünen stehen an einem Scheideweg«, hatte Habeck vor dem Parteitag die Lage skizziert. Schon vor den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein hatten die Grünen mit ihrem Wahlkampf voll auf das Landesspitzenduo Heinold/Habeck gesetzt und sich auch deutlich von der Bundespartei abgegrenzt. Robert Habeck, bis dahin Landwirtschaftsminister der Küsten-Koalition, hat maßgeblich den Wahlkampf mitbestimmt.

In Schleswig-Holstein laufe es für die Grünen, weil sie den Mut hätten, eine Grenze zur Bundespartei zu ziehen – weil sie keine Verbotspartei seien und auch nicht so wahrgenommen würden. Sie wollten Politik machen »nicht nur für ein kleines Milieu«, sondern für die ganze Gesellschaft. »Der Vorwurf, wir sind abgehoben, wir sind elitär, eine Nischenpartei, der trifft hier Null. Hier sind wir eine kleine Volkspartei.« Mit 12,9% (14.976 Stimmen mehr als 2012) ist diese Rechnung in Schleswig-Holstein wohl auch aufgegangen. Als »kleine Volkspartei« sind die Grünen dann auch dem Angebot der CDU, eine »Jamaika«-Koalition mit der FDP zu bilden, gefolgt.

Ein Blick auf die in Schleswig-Holstein regierende Jamaika-Koalition aus CDU, FDP und Grünen lohnt sich. Die Regierung unter dem CDU-Vorsitzenden Daniel Günther hat sich als »Koalition der Möglichmacher und der Brückenbauer« vorgestellt. Für die Regierung der »Brückenbauer« gibt es keine soziale Spaltung, keine Armut und kein ernstzunehmendes Wohnraumproblem. In der Regierungserklärung tauchen diese Probleme nicht mit einem Wort auf. Auch im 115 Seiten starken Koalitionsvertrag werden zu diesen Problemfeldern nur vage Absichtserklärungen formuliert. [1]

Wohin die Reise der Grünen weitergehen wird, zeichnet sich noch nicht ab. Nachdem die favorisierte Beteiligung an einer Jamaika-Koalition gescheitert ist, an deren Sondierungen Baerbock und Habeck beteiligt waren, sind sie nur noch die kleinste Oppositionspartei im Bundestag. Die beiden neuen Parteichefs wollen die Grünen angesichts des Rechtsrucks, der sich mit dem Einzug der AfD und auch den Positionsverschiebungen bei FDP und Unionsparteien vollzogen hat, nun als »progressive Kraft der linken Mitte« positionieren. Umverteilung, die Schere zwischen Arm und Reich, die soziale Frage bei der ökologischen Transformation der Wirtschaft – das waren die Themen, denen Baerbock und Habeck in ihren Reden viel Platz einräumten und die in den vergangenen Jahren bei den Grünen deutlich weniger präsent waren. Ob die grün-konservative Strömung um Wilfried Kretschmann und Boris Palmer diesen Weg mitgehen werden, ist zweifelhaft.

Inwieweit es Baerbock und Habeck mit der formulierten Akzentverschiebung gelingen wird eine drohende Zerreißprobe für die Grünen zu vermeiden, wird sich zeigen. Habeck, stellvertretender Ministerpräsident der Kieler Jamaika-Koalition, hat Schwarz-Gelb-Grün in Schleswig-Holstein auf dem Parteitag nicht als Blaupause oder als Vorbild für die Bundespolitik herausgestellt, aber Annalena Baerbaum hat immer wieder klargestellt, im Fall eines Scheiterns der GroKo stünden die Grünen für Jamaika weiterhin bereit.

Die seit Längerem schon geschwächte linke Strömung dagegen stützt die neue Spitze. Denn Baerbock und Habeck betonen die Vielfalt innerhalb der Grünen. »Das inhaltliche Ringen, das ja auch von den Flügeln kommt, ist ein wichtiger Bestandteil unserer Partei«, sagte Baerbock. Sie will die Arbeit am neuen Grundsatzprogramm »ganz bewusst so gestalten, dass man nach außen sieht, die ringen wirklich um Inhalte, die streiten und diskutieren«. Vor allem will Baerbock auch über das klassische grüne Milieu heraus WählerInnen gewinnen, die »globalisierungskritische Studentin genauso wie die Start-up-Frau oder die Erzieherin«. Hans Christian-Ströbele, langjährige Galionsfigur und noch immer Sachwalter des linken Parteiflügels, findet die Wahl von Habeck und Baerbock eigentlich »ganz gut«. Er werde Habeck nun an seinen Taten messen – am Verhalten zu Kriegseinsätzen oder in der Flüchtlingspolitik.

Verabschiedet wurde auf der BDK ein sozialliberales und pro-europäisches Papier »Zukunft GRÜN gestalten«. Darin wird wenig konkret davon gesprochen, was denn GRÜN auszeichnet bei der Gestaltung einer »menschenrechtsbasierten Außenpolitik«, die die Globalisierung gerecht gestaltet, Fluchtursachen bekämpft und auf eine faire Handelspolitik setzt. GRÜN mache auch den Unterschied, bei » der Aufgabe, den Zusammenhalt eines starken und vereinten Europas zu sichern. Dabei, wie eine gerechte Verteilung zwischen starken und schwachen Schultern aussieht, wie die skandalöse Kinderarmut in unserem vermögenden Land beendet und gerechte Bildungschancen für alle Kinder – egal aus welchem Elternhaus – erreicht werden können. Dabei, die Folgen der Digitalisierung ökologisch, sozial und demokratisch zu gestalten, indem wir Freiheitsrechte stärken und uns für Arbeitnehmer*innen einsetzen. Und nicht zuletzt dabei, wie wir die sozialen Sicherungssysteme fit für die Zukunft machen, die Zweiklassenmedizin abschaffen, Altersarmut beenden und zu gleichen Rechten und Möglichkeiten für Alle kommen.« [2]

Was das alles konkret bedeutet, bleibt offen. Konkretisieren wollen die Grünen das in einem Diskussionsprozess, der durch »einen online-gestützten Beteiligungsprozess begleitet werden (soll). Dabei sollen mit inhaltlichen Mitgliederbefragungen und elektronischen Mitgliederbegehren neue Wege der Beteiligung gegangen werden. Wir werden dabei auf die gleichberechtigte Beteiligung von Frauen achten. Als Bewegungspartei wollen wir auch unsere Bündnispartner in den Prozess einbeziehen und uns mit ihren Forderungen auseinandersetzen.«

Das zentrale Thema des Parteitagsbeschlusses ist Europa. »Wir bereiten uns intensiv auf die Europawahl im Frühjahr 2019 vor. Diese Wahl wird entscheidend sein, wie sich die EU in den kommenden Jahren entwickeln wird. Wir Grüne bekennen uns klar zur Europäischen Union und wollen die europäische Idee stärken und demokratisch fortentwickeln. Dazu gehört für uns die Diskussion über die Vorschläge von Frankreichs Präsident Macron. Wir wollen nicht zulassen, dass der Brexit die verbliebenen Mitglieder der EU auseinandertreibt. Wir schlagen ein sozial-ökologisches Modernisierungsprojekt für Europa vor, weg von Austerität hin zu mehr Investitionen und Reformen. Wir stehen für eine starke EU, die auch in Zeiten von Globalisierung und Digitalisierung soziale und ökologische Rechte setzen kann. Wir stellen uns Rechtspopulist*innen, völkischen Nationalist*innen und Europafeind*innen entgegen. Diesen bieten wir die Stirn und setzen auf eine bessere EU, die Umwelt- und Klimaschutz, den Abbau sozialer Ungleichheit, Demokratie und Rechtstaatlichkeit, Freiheit und Frieden, Humanität, Solidarität und Weltoffenheit ins Zentrum stellt.« [3]

In dieser unsicheren, aber dadurch auch offeneren Gemengelage besteht die Chance für die Parteien links der Mitte, den grünen Ball aufzunehmen und mit den Grünen in eine öffentliche Debatte darüber zu treten, mit welchen Konzepten »Umverteilung, die Schere zwischen Arm und Reich, die soziale Frage bei der ökologischen Transformation der Wirtschaft« in praktische Politik umzusetzen ist und wie eine Machtoption dafür hergestellt werden kann. Gegenwärtig sind SPD (18%), LINKE (10%) und GRÜNE (11%) nicht mehrheitsfähig.

Stattdessen agiert DIE LINKE mit entschiedener Abgrenzung und zertrümmert jeden Versuch einer ernsthaften Rot-Rot-Grün-Option. Dies sei ein schwarzer Tag für den linken Flügel der Grünen, schrieb die Fraktionsvorsitzende der Linkspartei, Sahra Wagenknecht. Mit der Doppel-Realo-Spitze seien die Grünen »endgültig auf dem Weg zur Partei des Ökowohlfühlwohlstandsbürgertums«. Für die soziale Wende fielen sie damit aus. Auch der Fraktionsgeschäftsführer der Linken, Jan Korte, der dem Reformerflügel angehört und bisher ein R2G-Befürworter war, sieht in der Wahl der neuen Doppelspitze einen Richtungswechsel.

»Die Grünen haben endgültig den linken Teil ihrer Geschichte hinter sich gelassen«, sagte Korte der Deutschen Presse-Agentur. »Nun dominiert der Flügel, der frei von Überzeugungen ist und mit CDU/CSU und FDP kooperiert. Sie haben sich aus dem Mitte-Links-Lager verabschiedet.« Die Partei habe Kurs auf Schwarz-Grün genommen, meinte Parteichef Bernd Riexinger. »Der rechte Flügel zieht mit Habeck und Baerbock als Vorsitzende durch. Kein guter Tag für die gesellschaftliche Linke«, schrieb Riexinger auf Twitter. Dietmar Bartsch beglückwünscht die neue GRÜNEN-Spitze immerhin und twitterte: »Glückwunsch zur Wahl. Auf fairen Wettstreit um die besten Ideen.«

Das ist Wahlkampfmodus und Ausdruck eigener Konzeptionslosigkeit. DIE LINKE ist weit entfernt von einem ernsthaften Versuch, Schnittmengen zu finden und Konzepte für eine Reformalternative zu entwickeln, die erst wieder die Chance auf das Gewinnen von Mehrheiten böten.


[1] Vgl. Björn Radke, Jamaika in Kiel: Koalition der Brückenbauer?, vorortLINKS, 30.10.2017.
[2] https://www.gruene.de/ueber-uns/beschluesse-der-bundesdelegiertenkonferenz.html
[3] Ebd.

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