4. Juni 2011 Joachim Bischoff: Griechenland gerät immer stärker in Abhängigkeit

Zeit für weitere Rettungsprogramme?

Das Drama eines drohenden Staatsbankrotts Griechenlands geht in die nächste Runde. Das Land wird seit rund einem Jahr von den Euro-Staaten und vom IMF mit einem Kreditprogramm über 110 Mrd. Euro unterstützt. Das Finanzpaket sollte für die nächsten drei Jahre in mehreren Tranchen ausbezahlt werden. Im Gegenzug muss Griechenland, das für 2010 ein Staatsdefizit von 10,5% des Bruttoinlandprodukts (BIP) und eine staatliche Bruttoschuld von 143% des BIP ausgewiesen hat, die Staatsfinanzen sanieren und Wirtschaftsreformen umsetzen.

Die Auszahlung der einzelnen Kredittranchen – diesmal geht es um 12 Mrd. Euro – hängt ab von der vierteljährlichen Überprüfung der Umsetzung dieses Sanierungsprogramms durch die »Troika«, d.h. eine von Experten der EU-Kommission, der Europäischen Zentralbank (EZB) und des Internationalen Währungsfonds (IMF) gestellte Kommission.

Mit dem Finanzpaket sollte die Finanzierung des griechischen Staatshaushalts über drei Jahre von den Kapitalmärkten unabhängig gemacht werden. Zugleich verpflichtete sich die griechische Regierung zu einem ökonomisch-finanziellen Restrukturierungsprozess. Faktisch dominierte ein strikter Sparkurs, während die Frage des wirtschaftlichen Wachstums in einem fragilen globalen ökonomischen Umfeld offen blieb.

Aufgrund der extrem restriktiven Fiskalpolitik rutschte Griechenland in eine Rezession. Damit erhöhte sich der Widerstand in der Bevölkerung gegen weitere Kürzungen. Aus der Ferne betrachtet schien es jedoch so, als sei das Land nicht ambitioniert genug. Faktisch wird die Binnenwirtschaft massiv stranguliert, so dass die Entwicklung der öffentlichen Finanzen weiter hinter den Erwartungen der Experten zurückblieb.

Im Kern ist eben nicht nur der Sanierungsprozess in Griechenland nicht vorangekommen, sondern die mit Blick auf die Stabilität des europäischen Banken- und Finanzsystems betriebene Sanierungspolitik hat sich als totaler Fehlschlag erweisen. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) konstatiert sogar, dass in den letzten 25 Jahren kein OECD-Land sein strukturelles Defizit binnen eines Jahres so stark gesenkt habe. Da aber die Fehlentwicklungen vieler Jahre korrigiert werden müssen, ist der Anpassungsprozess nicht über Nacht zu bewältigen. Jede andere Erwartung ist eine pure Illusion.

Mittlerweile liegen geschätzt zwei Drittel der auf rund 340 Mrd. Euro taxierten griechischen Staatsschulden in öffentlichen Händen. Zugleich sind aber viele europäische Banken von einem Bankrott betroffen, weil sie neben Wertberichtungen auf griechische Staatspapiere auch ihre Risikoabsicherungen deutlich erhöhen müssten. Selbst bei massiven politischen Abstützungen stellt die Insolvenz Griechenlands ein hohes Risiko für eine Panikreaktion dar, durch die das gesamte europäische Bankensystem erhebliche Wertverluste verdauen müsste. Aus Angst vor Banken und Versicherungen wollen die europäischen FinanzpolitikerInnen mit neuen Krediten noch mehr Zeit kaufen, um die Schulden weiter umzuschichten. Wenn es zu dem unweigerlichen Schuldenschnitt kommt, werden vor allem die SteuerzahlerInnen die Wertverluste ausgleichen müssen.

Die »Troika« hat dem Land zum Abschluss einer mehrwöchigen Überprüfung des mit der griechischen Regierung vereinbarten Sanierungsprogramms ein positives Zeugnis ausgestellt. Sie verbrachte mehrere Wochen in Athen und rang der griechischen Regierung die Verpflichtung zu zusätzlichen Schritten zur Haushaltsanierung und zur Beschleunigung des Privatisierungsprogramms ab. Formell beschlossen werden kann die Auszahlung der nächsten Tranche aber nicht durch die »Troika«, sondern nur durch die FinanzministerInnen der Euro-Zone (Euro-Gruppe) und das IMF-Exekutivdirektorium. Vermutlich wird sich der IMF nicht an der Auszahlung der nächsten Tranche beteiligen.

Der Euro-Gruppen-Chef, Jean-Claude Juncker, konstatiert nach einem Treffen mit dem griechischen Ministerpräsidenten Papandreou: Es sei klar, dass Griechenland nicht aus der Euro-Zone austreten und dass es keinen Zahlungsausfall geben werde. Mit der neuen Zusage auf Auszahlung der nächsten Tranche und den weiteren Kürzungsmaßnahmen in Griechenland rückt auch eine weitere zusätzliche finanzielle Unterstützung einen Schritt näher, über die seit kurzem verhandelt wird.

Wie Juncker, der finnische EU-Wirtschaftskommissar Olli Rehn und andere seit Tagen andeuten, droht nämlich für 2012 eine weitere Finanzierungslücke. Im nächsten Jahr wird der griechischen Finanzierungsbedarf laut den bisherigen Plänen nur noch zum Teil durch die Kredite der EU und des IMF gedeckt. Den auf rund 27 Mrd. Euro veranschlagten Rest müsste Athen bereits wieder auf den Finanzmärkten beschaffen. Dies wird aus heutiger Sicht kaum möglich sein. Damit droht eine Finanzierungslücke, die den IMF laut dessen eigenen Regeln auch davon abhalten könnte, seinen Anteil an der Juni-Kredittranche auszuzahlen. Und selbst wenn die Euro-Staaten kurzfristig einspringen würden, muss mittelfristig eine Lösung für die Lücke gefunden werden. Dies erklärt den hektischen Verhandlungsreigen.

Das EZB-Direktoriumsmitglied Bin Smaghi hat die für 2012/13 drohende Finanzierungslücke auf 60-70 Mrd. Euro beziffert, wobei aus seiner Sicht etwa die Hälfte aus privaten Quellen (z. B. Privatisierungseinnahmen) gedeckt werden könnte. Wird sie nicht geschlossen, ist die Auszahlung der IMF-Kredite bereits in diesem Jahr gefährdet. Hinter den Kulissen haben deshalb Beratungen über weitere Kredithilfen begonnen, die bis Ende Juni abgeschlossen werden sollen.

Wie das bisherige Paket hätten diese zusätzlichen Gelder die Funktion, Griechenland »Zeit zu kaufen« zur Durchführung der nötigen tiefgreifenden Reformen. Diese Reformen müssten in einer Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit bestehen, die unter den Bedingungen eines konjunkturellen Aufschwunges der Globalökonomie eine Trendwende einleiten könnte.

Die Hoffnung auf eine neue Blüte der griechischen Ökonomie ist allerdings mehr als illusionär. Eine der Bedingungen für neue Hilfen sind zusätzliche Spar- und Reformanstrengungen, wie sie die Athener Regierung nun angekündigt hat. Der griechische Ministerpräsident Papandreou erläuterte vor kurzem diese Pläne Juncker. Dieser und auch auch EU-Wirtschaftskommissar Rehn erklärten, die neuen Schritte der griechischen Behörden ebneten der Euro-Gruppe den Weg zur Prüfung »weiterer Schritte« – aber eben nur, wenn die strikten Bedingungen eingehalten würden.

Eine der Konditionen für zusätzliche Unterstützung ist laut Juncker die Beteiligung des privaten Sektors auf freiwilliger Basis. Wie dies geschehen soll, ist noch in Diskussion. Am wahrscheinlichsten erscheint derzeit eine Art Roll-over (Zusage von Banken, fällig werdende Staatsanleihen durch den Kauf neuer Bonds abzulösen). Denn es wird befürchtet, dass jede »härtere« Maßnahme zu Kettenreaktionen (weitere Herabstufung der griechischen Bonität, Fälligwerden von Kreditausfallversicherungen usw.) führen könnte.

Griechenland kann die Zahlungsunfähigkeit voraussichtlich vorerst abwenden. Vielleicht gibt es auch zügig eine Einigung über ein weiteres Hilfspaket. Aber all diese Maßnahmen sind lediglich Operationen um Zeit zu gewinnen. Eine wirksame Restrukturierung des europäischen Wirtschafts- und Akkumulationsprozesses sähe anders aus. Dass viele GriechInnen das als Verstärkung des Würgegriffs und Aussetzung sämtlicher demokratischen Strukturen empfinden, mit der sämtliche öffentlichen Angelegenheiten und schon als erstes bereits die Regierung privatisiert werden, ist nachvollziehbar.

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