5. Februar 2011 Joachim Bischoff: Einmal mehr: »It’s the economy«

Zeitenwende: die Vormachtstellung der USA erodiert

Die USA haben die Regierungsumbildung in Ägypten als unzureichende Antwort auf die Massenproteste kritisiert. »Die Regierung kann nicht einfach die Karten neu mischen und dann stillstehen.« Präsident Obama mahnt zu Reformen. Die US-Regierung erwägt eine Kürzung der Auslandshilfe in Höhe von jährlich 1,5 Mrd. US-Dollar. Diese Unterstützung ist für das Machtgefüge in Ägypten zentral.

Dass die ägyptische Armee bei den jüngsten Unruhen zum zentralen Faktor avanciert ist, ist kein Zufall. Es gibt neben der politisch dominierenden Nationaldemokratischen Partei keine Institution, die Staat und Gesellschaft in Ägypten so umfassend durchdringt wie die Streitkräfte. Der militärische Apparat ist ein bestimmendes politisches Element und gleichsam das Widerlager des ägyptischen Machtgefüges. Er ist direkt dem Präsidenten unterstellt, der es in der Hand hat, mit den eng an ihn gebundenen militärischen Kommandostrukturen über seinen Kurs zu bestimmen.

Die Politik in Ägypten wird schon seit dem Sturz der Monarchie 1952 von Militärs dominiert. Das Militärbudget dürfte bei rund sechs Mrd. US-Dollar liegen, wobei noch die rund 1,5 Mrd. US-Dollar hinzukommen, die die USA jährlich einschießen. Das amerikanische Engagement widerspiegelt sich deutlich in der Bewaffnung der ägyptischen Streitkräfte.

Die politische Krise in Ägypten hat in Washington Sorgen ausgelöst. Schon der Irakkrieg schwächte Amerikas Stellung in der Welt. Mit dem anhaltenden Krieg in Afghanistan wurde die Phase der globalen Vorherrschaft der USA massiv in Frage gestellt und beschleunigte den Übergang zu einem multipolaren System. Mit dem revolutionären Umbruch in Nahost wird die Stellung der USA weiter unterminiert.

Erstmals in der Geschichte sehen wir eine Welt, in der eine große Gruppe von Ländern wie China, Indien, Brasilien und andere gleichzeitig aufsteigen – wirtschaftlich, politisch und kulturell. Das ist neu. Die Welt, wie wir sie in den letzten Jahrzehnten gekannt haben, in der die USA alles prägten, ist am Ende. Amerika bleibt zwar weiter das mit Abstand wichtigste Land der Welt, es wird sie aber nicht mehr so dominieren wie bisher. Diese Schwächung ihrer Vormachtstellung hat einen ökonomischen Hintergrund.

Die US-Ökonomie: Erholung bei bleibender Unsicherheit

Die amerikanische Wirtschaft hat sich von der tiefen Rezession, die offiziell im Sommer 2009 zu Ende gegangen ist, langsam erholt. Angesichts einer Erwerbslosenquote von mehr als 9% und hoher Verschuldung hielten sich die Konsumenten, von deren Ausgaben rund zwei Drittel des Bruttoinlandproduktes bestimmt werden, bisher zurück. Obwohl sich die Lage am Arbeitsmarkt bisher kaum verbessert hat, ist dieser Attentismus offenbar zu einem Ende gekommen: Von Oktober bis Dezember 2010 legte das Bruttoinlandsprodukt der weltgrößten Volkswirtschaft auf das Jahr hochgerechnet um 3,2% zu. Für das Gesamtjahr 2010 ergab sich ein Plus von 2,9%, das ist das kräftigste Wachstum seit 2005.

Insbesondere die Konsumausgaben der Verbraucher sorgten für Impulse: Mit 4,4% zogen sie im Schlussquartal 2010 so stark an wie seit rund fünf Jahren nicht mehr. Der private Verbrauch wurde seiner Rolle als Wachstumsstütze einmal mehr gerecht und fiel noch etwas besser aus als erwartet. Vor allem langlebige Güter waren beliebt. Neben dem Konsum kurbelten am Jahresende auch die Exporte die Wirtschaft an: Die Ausfuhren stiegen um 8,5% und damit stärker als im Vorquartal. Mit dem Auslaufen des Konjunkturprogramms schrumpften zudem die Ausgaben des Staates. Anschubhilfe leistete der Wirtschaft hingegen die Notenbank, die im Herbst mit dem Kauf von Staatsanleihen im Volumen von 600 Mrd. US-Dollar begonnen hat, und damit frisches Geld in die Wirtschaft pumpt.

Die Handelsbilanz bleibt ein Sorgenkind der USA. Obwohl die Exporte im letzten Quartal immerhin um 8,5% gestiegen sind, wird nach wie vor ein Außenhandelsbilanzdefizit erwirtschaftet. Problematisch ist auch, dass die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung durch einen geringen Anstieg der Lagerhaltung getrübt wurde. Sie wuchs nur um 7,17 Mrd. US-Dollar, was dem Wachstum erheblich zusetzte.

Allerdings wird die US-Wirtschaft ihr Tempo im ersten Quartal 2011 nicht halten können. Die hohe Arbeitslosigkeit verhindert eine anhaltend rasche Erholung. Der Internationale Währungsfonds traut den USA für 2011 ein Wirtschaftswachstum von 3,0% zu, das sich 2012 nur leicht abkühlen soll. Die Arbeitslosenrate ist für amerikanische Verhältnisse mit 9,4% jedoch noch immer sehr hoch. Dies bereitet auch der amerikanischen Notenbank weiter Kopfzerbrechen: Das Tempo sei einfach nicht hoch genug, um eine »deutliche Besserung« am Arbeitsmarkt zu bewirken.

Die Stellung auf den Weltmärkten

Die Führungsmacht USA ist in den letzten Jahren an Grenzen gestoßen. Bei seiner Neuverschuldung im Jahr 2009 und dem Anteil der Gesamtverschuldung am Bruttoinlandprodukt kommt Amerika auf negative Spitzenwerte, wie sie auch die europäischen Problemländer Griechenland, Spanien und Irland erreichen. Seit der Begründung der amerikanisch dominierten Finanzordnung nach dem Zweiten Weltkrieg hatte Washington kaum je solche Mühe, seine wirtschaftspolitischen Ziele durchzusetzen, wie heute.

Obwohl die Welt seit nunmehr elf Jahren im 21. Jahrhundert lebt, funktioniert sie noch immer nach der internationalen Finanzarchitektur von Mitte des letzten Jahrhunderts, lautete einer der zentralen Vorwürfe. In den letzten zehn Jahren hat der Dollaranteil an den internationalen Reservewährungen um etwa 10% abgenommen und ist in diesem Umfang primär durch den Euro ersetzt worden. Es findet somit eine Diversifikation statt, auch ohne dass sie politisch verordnet wird. Und dass die chinesische Währung international noch kaum eine Rolle spielt, hat nicht mit einer Verschwörung der Amerikaner, sondern mit dem politischen Willen der chinesischen Führung zu tun. Peking hat aus handelspolitischen Gründen seine Währung faktisch an den Dollar gebunden, und das zu einem strukturell unterbewerteten Kurs.

Zwar wäre es möglich, die Sonderziehungsrechte des Internationalen Währungsfonds (IMF) zu einem neuen Währungsinstrument zu entwickeln, das Zentralbanken auch als Reservewährung halten könnten. Doch verändern dürfte sich damit wenig, und die Ungleichgewichts-Probleme, unter denen manche Volkswirtschaften derzeit leiden, wären dadurch nicht gelöst. Sonderziehungsrechte wären eher ein theoretisches Konstrukt, dem wahrscheinlich bloß eine buchhalterische Funktion zukommen würde und kaum als eigentliches Zahlungsmittel gebraucht werden könnte.

Auf dem G-20-Gipfel in Seoul scheiterte Präsident Obama gleich zweifach. Er konnte weder China zur Aufwertung seiner Währung, noch Deutschland zur Verringerung seines Leistungsbilanzüberschusses bewegen. Die Forderung, den US-Dollar als globale Reservewährung durch einen Währungskorb zu ersetzen, gewinnt immer mehr Anhänger. Auch wenn dies kaum Wirklichkeit werden dürfte, hat der US-Dollar kontinuierlich an Boden gegenüber dem Euro verloren.

Dass der Dollar trotz sinkendem Anteil der USA an der weltweiten Wirtschaftsleistung weiter als Leitwährung fungiert und noch rund 60% der Reservewährungen ausmacht, hängt vor allem damit zusammen, dass Amerikas Finanzmarkt mit Abstand der liquideste und am weitesten entwickelte ist.

Trotz allem Druck aus den USA und Europa dürfte sich China in Währungsfragen kaum wesentlich bewegen. Zu abhängig ist die Wirtschaft des Landes noch immer von billigen Exporten. Zwar haben Berater der chinesischen Zentralbank in den letzten Wochen durchblicken lassen, China könnte sich möglicherweise für den amerikanischen Vorschlag erwärmen, den Leistungsbilanzüberschuss künftig auf 4% zu begrenzen. Wohl als Geste des guten Willens hat die chinesische Zentralbank vor kurzem den Yuan gegenüber dem Dollar demonstrativ um relativ kräftige 0,2% aufwerten lassen. Deren Gouverneur Zhou Xiaochuan hat sich allerdings wiederholt dezidiert gegen eine »exzessiven Aufwertung« ausgesprochen.

Der weltpolitische Aufstieg der USA im 20. Jahrhundert korrelierte mit Chinas Niedergang. Präsident Nixons historischer Besuch in Peking 1972 symbolisierte den Scheitelpunkt und das Ende dieser denkwürdigen Konstellation. Seitdem haben sich die amerikanisch-chinesischen Beziehungen ins Gegenteil verkehrt.

Heute scheint Amerika seinen Optimismus zu verlieren, während China selbstbewusster denn je auf der weltpolitischen Bühne agiert und seine Machtansprüche ständig ausweitet. Die mittlerweile zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt treibt nicht nur die Weltwirtschaft an, sondern greift auch geostrategisch auf alle Kontinente aus – nicht nur bei Rohstoffen, sondern auch um neue Interessensphären zu sichern. Dazu passt die massive Aufrüstung: Die Armee wird modernisiert, die Luftwaffe entwickelt einen Tarnkappenbomber, das Weltraumprogramm wird vorangetrieben und die Marine wird zu einem Instrument globaler Interessensicherung ausgebaut.

Dieser ökonomischen Erosion der Stellung der USA auf den Weltmärkten entspricht ein Rückgang des machtpolitischen Einflusses. Gebannt beobachtet seitdem die Welt, wie Amerikas Fundamente jahrzehntelanger Weltgeltung zerrinnen, während China in dieser Krise geradezu aufblüht. Trotz der gewaltigsten Militärmaschinerie der Welt kann Amerika keine Lösung in Afghanistan erzwingen und beginnt im nächsten Jahr mit dem Rückzug. Im Irak obsiegte Washington zwar militärisch, aber zu hohen politischen Kosten: Iran bestimmt seit Saddams Sturz in Bagdad mit und ist in der Region stärker denn je. Der Krieg dort hat nicht nur gewaltige Ressourcen verschlungen, seine Begleitumstände haben die USA darüber hinaus rund um den Erdball viel moralisches Kapital gekostet. Auch das, was gern als Amerikas »Soft Power« bezeichnet wird, glänzt nicht mehr wie ehedem.

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