26. August 2017 Joachim Bischoff/Bernhard Müller: Die Republik vor der Wahl

Zukunftskonzepte oder »kleinere Übel«?

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Wenige Wochen vor der Bundestagswahl scheint die Feststellung der politischen Kräfteverhältnisse bereits entschieden. Der Abstand zwischen den Unionsparteien und der Sozialdemokratie lässt einen Führungswechsel nicht zu. Der Stimmanteil von CDU/CSU schwankt seit Monaten um knapp 40%, die SPD hat laut Umfragen Mühe, ihr Ergebnis von 2013 von 25,7% zu erreichen.

Gleichwohl ist das künftige Ergebnis der Wahl unbestimmt, was an der Konkurrenz durch kleinere Parteien hängt. Es ist zu erwarten, dass im nächsten Bundestag zwei Parteien mehr als bisher vertreten sein werden: Sowohl FDP als auch AfD nehmen in den aktuellen Umfragen klar die 5%-Hürde. Die FDP liegt jetzt bei den Zweitstimmen-Wahlabsichten zwischen 8% und 10%, die AfD zwischen 7% und 10% (Tendenz steigend!). DIE LINKE erreicht zurzeit 8% bis 9%, die Grünen 7% bis 8%. Für beide Parteien hat sich die Wahrnehmung der Oppositionsrolle nur bemerkenswert wenig ausgezahlt.

Allerdings sind hinsichtlich des Wahlergebnisses Überraschung nicht ausgeschlossen: Durch den deutlichen Rückgang der Parteienbindung bei einem Großteil der Wähler könnte es sowohl bei der Wahlbeteiligung als auch bei dem Parteienvotum noch wichtige Verschiebungen geben. Noch nie war in den vergangenen 20 Jahren die Unschlüssigkeit der WählerInnen wenige Wochen vor der Wahl so groß wie jetzt. 46% der Wahlberechtigten, die sich an der Bundestagswahl beteiligen wollen, sind unentschlossen, wem sie ihre Stimme geben sollen. Vor der letzten Bundestagswahl waren es zum selben Zeitpunkt noch 39%, 2005 und 2009 jeweils rund ein Drittel.

Diese Unentschlossenheit ist nicht mit Offenheit nach allen Seiten gleichzusetzen. Die Meisten schwanken zwischen zwei Parteien, und zwar vor allem zwischen den Unionsparteien und der SPD, zwischen CDU und FDP und zwischen SPD und Grünen. Offen ist also, welche politischen Konstellationen sich im Ergebnis der Bundestagswahl ergeben werden. Zurzeit gibt es zwar eine Mehrheit für eine schwarz-gelben Koalition, schon geringe Verschiebungen in den Parteipräferenzen können jedoch auch zu einer Fortsetzung der großen Koalition oder zu einem Bündnis zwischen CDU/CSU, FDP und Grünen führen.


Die Wahrnehmung sozialer Ungerechtigkeit

Die SPD hat die Regierungsarbeit der letzten vier Jahre deutlich geprägt und wird doch vom Wähler nicht gestärkt werden. Ihr Spitzenkandidat Martin Schulz war mit Versprechen angetreten, das Thema Soziale Gerechtigkeit und die Bedürfnisse der »hart arbeiten Menschen« wieder ins Zentrum sozialdemokratischer Politik zu rücken. Dass Schulz damit einen zentralen Nerv bei vielen Menschen getroffen hatte, zeigte die anfänglich große Zustimmung zu seiner Kandidatur. Der »Schulz-Hype« war allerdings nur von kurzer Dauer, inzwischen bewegt sich die SPD wieder bei Zustimmungswerten der Vor-Schulz-Ära.

Das liegt nicht daran, dass Ungleichheit und soziale Gerechtigkeit für die Mehrheit der WählerInnen kein Thema mehr sind. Im Gegenteil. Eine aktuelle Umfrage des Instituts YouGov belegt dessen Wichtigkeit: Obwohl eine deutliche Mehrheit der Befragten sagt, dass es ihnen gut geht, sorgen sie sich um soziale Gerechtigkeit. Vier von zehn WählerInnen finden, dass soziale Gerechtigkeit ein sehr großes Problem in Deutschland ist. Weitere drei von zehn Wähler denken, dass Deutschland ein Problem im Bereich sozialer Gerechtigkeit hat.

Auch die Wahrnehmung, dass sich in den letzten Jahren die Einkommensunterschiede vergrößert haben, und dass Reichtum und Macht ungleich verteilt sind, teilt eine übergroße Mehrheit der Befragten. Der Aussage »Die Einkommensunterschiede in Deutschland haben sich in den letzten Jahren stark vergrößert« stimmen 83% der Befragten zu. Für 82% sind Reichtum und Macht sehr ungleich verteilt.

Am stärksten wird Ungerechtigkeit im Bereich von Rente und Versorgung im Alter wahrgenommen, gefolgt von Einkommensunterschieden und Belastung zukünftiger Generationen. Die Integration von Einwanderern wird als viertwichtigster Bereich, in dem Ungerechtigkeit ein Problem ist, empfunden. Bildung (Rang sechs) und Arbeitslosigkeit (Rang acht) sind von nachgelagerter Bedeutung.

Relativiert wird diese Wahrnehmung einer wachsenden sozialen Spaltung durch den Blick über die Grenzen. So finden 68% der Befragten »Deutschland ist ein gerechteres Land als die meisten anderen Länder auf der Erde«, und 60% stimmen der Aussage zu, dass es »alles in allem« ein gerechtes Land sei. Das sehen vor allem Wähler von CDU/CSU, Grünen und FDP so – und immerhin noch 60% der SPD-WählerInnen.

Auf die der Wahrnehmung von wachsender sozialer Ungleichheit zugrundeliegenden gesellschaftlichen Entwicklungstendenzen weist auch ein internes Faktenblatt des SPD-geführten Bundeswirtschaftsministeriums hin, das zu dem Schluss kommt, die Einkommensschere werde immer größer. Die Lohnungleichheit verharre auf einem historisch hohen Niveau, heißt es in einem Faktenblatt des Ministeriums.

»Das ist nicht gerecht und ein Stachel im Zusammenhalt Deutschlands«, sagte Wirtschafts-Staatssekretär Matthias Machnig gegenüber der Süddeutschen Zeitung. Das Papier macht deutlich, dass das Ministerium trotz zuletzt wieder steigender Reallöhne noch keine Entwarnung sieht. »Deutschland hat (nach wie vor) ein Lohnproblem«, heißt es in dem Papier weiter. Vor allem die BezieherInnen niedriger und mittlerer Einkommen hätten vom Wirtschaftswachstum zu lange nicht profitiert. »Im Jahr 2015 waren die realen Bruttolöhne der unteren 40% zum Teil deutlich niedriger als 1995.« Ihr Arbeitsentgelt besitze heute weniger Kaufkraft als vor 20 Jahren. Das bedeutet, dass ein Großteil »unserer Bevölkerung nicht mehr vorankommt«, warnte Machnig. »Den Kindern geht es auf einmal schlechter als ihren Eltern.«

Dagegen haben die oberen 60% teils ausgeprägte Zuwächse verbucht. »Die Schere bei den Löhnen ging also deutlich auseinander«, stellen die Experten des Ministeriums fest. Zwar seien die Reallöhne seit 2013 in Deutschland mit einem Plus von 1,8% wieder deutlich gestiegen. Doch bestehe »weiterhin Nachholbedarf für Lohnsteigerungen«, denn immer weniger ArbeitnehmerInnen würden von der Tarifbindung profitieren. Sie geht seit vielen Jahren zurück und liegt derzeit bundesweit bei 56%. Zudem haben Teilzeit- und Minijobs stark zugenommen.

Fakt ist: Der wirtschaftliche Aufschwung kommt nicht bei allen Gesellschaftsmitgliedern an. Die Entwicklung der Lohnkosten ist nur bedingt durch die Politik zu steuern, sie verläuft aber nicht völlig unabhängig davon. Die Verschärfung der sozialen Ungleichheit in der »Berliner Republik« geht im Kern auf die politisch verursachte Entwertung und Entgrenzung der Lohnarbeit zurück. Die Deregulierung der Arbeitsmärkte und der Umbau der sozialen Sicherungssysteme führen zu deren partiellen Entwertung und zu einem Zuwachs prekärer Arbeitsverhältnisse.

Auf diesen Zusammenhang weist auch der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung hin: »Die starke Zunahme der Ungleichheit der Markteinkommen zu Beginn der 2000er Jahre ist auch eine Folge der Ausdifferenzierung der Lohnarbeit: Niedriglohnbeschäftigung, nachlassende Tarifbindung und die Zunahme atypischer Beschäftigung haben zu einer stärkeren Spreizung der Erwerbseinkommen beigetragen. Bis in die Einkommensmitte hat es Reallohnverluste gegeben.«[1] 

Diese Ausdifferenzierung der Lohnarbeit schlägt sich nieder im massiven Anstieg prekärer Beschäftigung. Ein immer größerer Anteil der Beschäftigten in Deutschland ist gering bezahlt.


Hintergrund: Prekarisierung der Lohnarbeit

So ging 2016 nach Angaben des Statistischen Bundesamts jeder fünfte Erwerbstätige zwischen 15 bis 64 Jahren einer atypischen Beschäftigung nach (20,7%).[2] Damit blieb der Anteil der atypisch Beschäftigten in den letzten drei Jahren nahezu unverändert (2015: 20,8%, 2014: 20,9%). Der Anteil der Normalarbeitsverhältnisse lag 2016 mit 69,2% ebenso in etwa auf dem Vorjahresniveau (2015: 68,7%). Auf Selbstständige entfielen 9,9% und auf unbezahlt mithelfende Familienangehörige 0,3%.

Zu den Erwerbsformen der atypischen Beschäftigung zählen Lohnabhängige, die in ihrer Haupttätigkeit eine geringfügige oder befristete Beschäftigung ausüben, in Teilzeit mit bis zu 20 Wochenstunden arbeiten oder bei einer Zeitarbeitsfirma angestellt sind.

Die absolute Zahl der atypisch Beschäftigten vergrößerte sich 2016 im Vergleich zum Vorjahr um 121.000 Personen auf 7,7 Mio. Durch den gleichzeitigen Anstieg um 808.000 Personen auf 25,6 Mio. Erwerbstätige in Normalarbeitsverhältnissen blieb der Anteil der atypisch Beschäftigten an allen Erwerbstätigen jedoch konstant.

Innerhalb der atypischen Beschäftigung entwickelten sich die einzelnen Erwerbsformen unterschiedlich: Der Anteil der befristeten Beschäftigung nahm leicht zu auf 7,2%. Der Anteil der in Zeitarbeit Tätigen stieg etwas an auf 2,0%. Bei der geringfügigen Beschäftigung gab es hingegen einen Rückgang auf 5,9%. Zudem sank der Anteil der Teilzeitbeschäftigten bis zu 20 Wochenstunden auf 13,0%. Betrachtet werden hierbei Erwerbstätige, die 15 bis 64 Jahre alt sind und sich nicht in Bildung, Ausbildung oder einem Freiwilligendienst befinden. Die Zahl dieser sogenannten Kernerwerbstätigen stieg 2016 im Vergleich zum Vorjahr um 2,5 % auf 37,1 Mio. Personen.

Die Statistik des Statistischen Bundesamts unterschätzt allerdings das Ausmaß atypischer Beschäftigung bzw. prekärer Lohnarbeit. Denn erstens arbeiten auch etwa 20% der »NormalarbeitnehmerInnen« im Niedriglohnsektor. Zweitens ist die Abgrenzung von Teilzeit bis zu 20 Wochenstunden strittig, weil auch Teilzeit über 20 Stunden häufig prekär ist, denn die so erzielten Einkommen die davon abgeleiteten Sozialversicherungsleistungen (Arbeitslosengeld, Rente) reichen oft für eine eigenständige Lebensführung nicht. Schließlich wird die Zahl der geringfügig Beschäftigten vom Statistischen Bundesamt unterzeichnet. Die Bundesagentur für Arbeit etwa weist für Dezember 2016 7,444 Mio. Lohnabhängige mit geringfügiger Beschäftigung aus, davon waren 4,795 Mio. ausschließlich geringfügig beschäftigt.

So kommt denn auch das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut des DGB (WSI) in seiner Datenbank »Atypische Beschäftigung«[3] (erstellt auf Basis der Daten der Bundesagentur für Arbeit und des Statistischen Bundesamts) zu der Einschätzung, dass der Anteil der atypisch beschäftigten Lohnabhängigen 2016 bei fast 40% lag. Dieser Anteil hat zudem seit 2008 kontinuierlich zugenommen.

 

Durch die Eingrenzung auf Erwerbstätige zwischen 15 und 64 Jahre wird in der Kernerwerbstätigen-Statistik des Statistischen Bundesamts zudem die wachsende Zahl arbeitender RentnerInnen nicht erfasst. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit gingen Ende Dezember 2016 insgesamt 266.753 BürgerInnen ab 65 Jahren einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach, davon 51.090 bis zur Regelaltersgrenze. Mehr als eine Million (1.001.007) der arbeitenden Alten hatte einen Minijob (davon: 72.925 bis zur Regelaltersgrenze).


(Drohende) Altersarmut

Der Hintergrund für diese Entwicklung ist die politische gewollte Absenkung des Rentenniveaus, die die Altersarmut treibt, und damit auch den Zwang zur Weiterarbeit nach Erreichen des Rentenalters. Darauf weist eine neue WSI-Studie[4] hin.

Wird das Rentenniveau, wie geplant, weiter abgesenkt, wird es danach auch für qualifizierte Beschäftigte mit mittlerem Einkommen schwieriger, sich eine gesetzliche Rente deutlich oberhalb der Grundsicherungs- oder der Armutsgefährdungsschwelle zu erarbeiten. »Das gilt insbesondere, wenn man statt des traditionellen Konzepts des ›Eckrentners‹ mit 45 Beitragsjahren mit Durchschnittsverdienst kürzere Versicherungsverläufe zugrunde legt, die heute und wahrscheinlich auch in Zukunft realistischer sind – insbesondere bei Frauen.« Die massiven Veränderungen kann anhand von Modellrechnungen verdeutlicht werden.

  • Beim aktuellen Rentenniveau (rund 48%, gemessen am Durchschnittsentgelt) erhält eine Person, die als Alten- oder Krankenpfleger/in nach dem Tarifvertrag des Öffentlichen Dienstes bezahlt wird, nach gut 25 Beitragsjahren eine Rente, die höher ist als die Grundsicherung im Alter. Würde heute dagegen bereits das für das Jahr 2045 prognostizierte Rentenniveau von knapp unter 42% gelten, hätte die Pflegerin/der Pfleger erst nach rund 29 Beitragsjahren einen Rentenanspruch oberhalb der Grundsicherung, die 2015 bei durchschnittlich 747 Euro im Monat lag.
  • Ein Rentner mit 45 Beitragsjahren in Vollzeit muss beim aktuellen Rentenniveau im Durchschnitt 11,42 Euro pro Stunde brutto verdienen, um die Grundsicherungsschwelle zu überschreiten. Gälte schon das für 2045 prognostizierte Rentenniveau, wären dafür mindestens 13,06 Euro nötig. Bei 35 Beitragsjahren in Vollzeit stiege der notwendige Stundenlohn von aktuell 14,68 Euro auf 16,79 Euro.
  • Soll die gesetzliche Rente über der Armutsgefährdungsschwelle liegen, die nach den neuesten vorliegenden Daten von 2015 bei 942 Euro Monatseinkommen für einen Alleinstehenden liegt, fallen die notwendigen Stundenlöhne noch deutlich höher aus: Nach heutigem Stand und bei 45 Beitragsjahren in Vollzeit müssen im Durchschnitt 14,40 Euro verdient werden. Beim Rentenniveau des Jahres 2045 wären es 16,47 Euro. Rechnet man mit 40 Beitragsjahren in Vollzeit, betragen die nötigen Stundenlöhne sogar 16,20 bzw. 18,53 Euro.

Zentraler Ansatzpunkt für eine Stärkung des gesetzlichen Rentensystems ist die Stabilisierung und Anhebung des Rentenniveaus. Damit würde die Entwicklung der Renten wieder direkt der Lohnentwicklung folgen und ein wichtiger Beitrag zur Legitimität des Sicherungssystems geleistet. Darüber hinaus bedarf es zur Bekämpfung von Altersarmut bei Niedrigverdiensten oder stark fragmentierten Erwerbsverläufen zusätzlicher Maßnahmen, wie etwa Elemente einer Mindestsicherung. Eine weitere Maßnahme könnte eine Mindestbemessungsrundlage sein, der zufolge bei Niedrigeinkommen die Beiträge zur Rentenversicherung durch den Arbeitgeber in dem Umfang aufzustocken sind, dass bei langjähriger Vollzeitbeschäftigung eine armutssichere Rente folgt.

Die SPD verliert sich bei ihren Alternativen in vielen kleinen Änderungsvorschlägen und verfügt über keine gesellschaftspolitische Gesamtkonzeption. Eine ähnliche Schwäche findet sich bei der Linkspartei. Und auch bei den zahlreichen politischen Bewegungen von der Umwelt- bis zur Migrationsfrage sehen wir eine Aufsplitterung in immer noch kleinere Interessen und Faktionen, die von einzelnen, genau definierten Zielsetzungen bestimmt werden. Das einmal vorherrschende politische Ansinnen, BürgerInnen mit unterschiedlichen Anliegen hinter einem gemeinsamen Zukunftskonzept zu versammeln, ist der Pseudopolitik von programmatischen Warenhauskatalogen gewichen.

Wenn die Lohngerechtigkeit bei 40% der Beschäftigten verletzt und dies laut Umfragen von ihnen auch so empfunden wird, muss man für eine Veränderung der gesellschaftlichen Architektur streiten. Man wird der anhaltenden Tendenz zur Prekarisierung der Lohnarbeit nur beikommen können, wenn politisch regulierend in den Arbeitsmarkt eingegriffen wird. Dazu müssten etwa durch eine massive Ausdehnung der Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen und die Abschaffung der Mini-Jobs die geschwächte Position der Gewerkschaften gestärkt werden.

Aber auch für Renten, Gesundheit und Mieten bieten Klein-Klein-Lösungen keinen Ausweg. Nichts führt etwa an einer deutlichen Erhöhung des Rentenniveaus, der Verbesserung der sozialen Mindestsicherungsleistungen und regulierenden Eingriffen in den Wohnungsmarkt vorbei. Auch in der Frage des Ausbaus der öffentlichen Infrastruktur und des Umbaus der bundesdeutschen Wirtschaft gibt es keine sozialdemokratischen Zukunftskonzepte. Hinzu kommt, dass es bis heute keine selbstkritische Auseinandersetzung mit der Politik der Agenda 2010 gibt.

Es gibt erheblichen Reformbedarf in der »Berliner Republik«. Aber ohne eine Bündelung der Reformanliegen bleibt es für die Mehrheit der WählerInnen – auch mit Blick auf wenig überzeugenden Alternativen jenseits der Grenzen – bei der Option für eines der geringeren Übel.

[1] Der fünfte Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, S. 53; siehe hierzu auch unseren Beitrag »Nährboden von ›politischer Wut‹. Die Ungleichheit von Einkommen und Vermögen im Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung« in: Sozialismus, Heft 2-2017, S. 26-31.
[2] Ergebnisse auf Basis des Mikrozensus. Der Mikrozensus mit der integrierten Arbeitskräfteerhebung ist eine Stichprobenerhebung, bei der jährlich rund 1 % der Bevölkerung in Deutschland mit Auskunftspflicht befragt wird. Ab dem Berichtsjahr 2016 wurde die Stichprobe des Mikrozensus und der darin integrierten Arbeitskräfteerhebung auf die Datenbasis des Zensus 2011 umgestellt. Durch diese Umstellung ist die Vergleichbarkeit der Ergebnisse des Mikrozensus 2016 mit den Vorjahren eingeschränkt.
[3] Atypische Beschäftigung geht häufig mit prekärer Beschäftigung einher, ist mit dieser aber nicht gleichzusetzen. Prekäre Beschäftigungsverhältnisse sind nicht geeignet, auf Dauer den Lebensunterhalt einer Person sicherzustellen und/oder deren soziale Sicherung zu gewährleisten. Insofern können auch Normalarbeitsverhältnisse prekär sein, wenn sie mit Niedriglöhnen verbunden sind. Auch sind die persönlichen Lebensumstände des Arbeitnehmers oder der Arbeitnehmerin zu beachten.
[4] Florian Blank, Das Rentenniveau in der Diskussion, Nr. 13·Policy Brief WSI 08/2017; zum Thema siehe auch die Beiträge in: Klaus Wicher (Hrsg.), Altersarmut: Schicksal ohne Ausweg? Was auf uns zukommt, wenn nichts geändert wird, Hamburg 2017.

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