19. August 2011 Bernhard Sander: Frankreichs Präsident schaut eher nach innen

Zweitakter als europäischer Wirtschaftsmotor?

Die Zusammenarbeit der beiden führenden Volkswirtschaften Europas bzw. ihrer Regierungen verläuft bisher nicht besonders produktiv. Nun haben Staatspräsident Sarkozy und Angela Merkel sich auf eine Wirtschaftsregierung in der Euro-Zone verständigt. Diese Formel wird an den zugrundeliegenden Problemen Europas wenig ändern. Im Hinblick auf die anstehende Präsidentschaftswahl hat Sarkozy nämlich Wichtigeres fest im Blick – die Konkurrenz bei den Präsidentschaftswahlen 2012.

Bereits seit Ausbruch der Großen Krise hat der französische Staat große Summen zur Rettung von Banken bereitgestellt, deren faulen Kredite also zentralisiert. In der gerade erst überwundenen Rezession sanken die Steuern beträchtlich, was den öffentlichen Kreditbedarf steigert. Und auch Frankreich hat versucht, die Wirtschaftskrise mit öffentlichen Ausgabenprogrammen zu überwinden.

Im Resultat liegt das französische Haushaltsdefizit bei rd. 84% der jährlichen Wirtschaftsleistung. Aktuell bricht die Wachstumskurve ab. Während im EU-Raum noch 1,7% erzielt werden, stagniert die französische Wirtschaft bei 0%. Aus dem Hauptabnehmerland Deutschland ist ebenfalls ein sinkender Zuwachs und damit Nachfrageimpuls zu melden (lediglich + 0,2% BIP-Zuwachs gegenüber dem Vorquartal).

Kommt es zu einer erneuten Rezession, fällt es schwer, die Zinsansprüche von Banken, Pensionsfonds und Spekulanten zu bedienen. In den Jahren bis 2019 muss Frankreich zudem jeweils Altschulden in Höhe von 2,5% bis 3% des BIP refinanzieren, im kommenden Jahr exakt 2,8% des BIP von 2008. Das ist zwar weniger als die 7% Italiens oder 11,2% Griechenlands; doch die Belastungen sind absehbar groß, wenn die Wirtschaftsleistung keine Zuwächse mehr produziert. Bereits im Mai hatte die Ratingagentur Fitch auf die Möglichkeit eines Down-Rating infolge »überzogener Konjunkturprognosen« bzw. kostspieliger Wahlkampfgeschenke hingewiesen.

Umgekehrt sind französische Finanziers ähnlich stark wie deutsche in den Staatsschulden anderer Länder investiert; z.B. mit rd. einem Fünftel an der spanischen Staatsschuld (ca. 1.100 Mrd. Euro) und auch bei den Investments in die anderen Wackelkandidaten sieht es ähnlich aus. Drohen hier Zahlungsausfälle wird das Finanzsystem Frankreichs zusätzlich destabilisiert.

Deutschland hat mit extrem niedrigen Unternehmenssteuern (24%), mit Reallohnverlusten und geringem Wachstum der Lohnstückkosten seinen Exportüberschuss im vergangenen Jahrzehnt auf 1,5 Bio. Euro ausdehnen können. Frankreichs Unternehmen zahlen tatsächliche 41% Steuern auf Gewinn und Vermögen, allerdings liegt das Wachstum der Lohnstückkosten gehörig unter dem europäischen Durchschnitt.

Es stimmt also, wenn Angela Merkel sagt, dass der Euro die Grundlage »unseres« Wohlstandes ist. Mit der Einführung der Gemeinschaftswährung hat das deutsche Kapital einen von den Schwankungen nationaler Währungen unberührten Markt, auf dem Kostenvorteile sich in Aneignung nationalen Einkommens bezahlt machen. Das ist nicht zu unterschätzen am fast zeitgleich stattfindenden Jubiläumstag der Aufhebung der fixen Gold-Umtauschbarkeit des Dollar am 15. August 1971. Das Außenhandelsdefizit Frankreichs konnte durch die erzielten Einkommen aus starkem Binnenwachstum, aus wachsender privater und öffentlicher Verschuldung finanziert werden. Der Nachbar jenseits des Rheins wird also auf die Finanzmärkte angewiesen bleiben.

Die europäische Wirtschaftsregierung hat nicht das politische Ziel einer Konvergenz der Volkswirtschaften, sondern eine Integration unter neoliberalen Prärogativen, damit der Ausfall von Staatsanleihen nicht die Solvenz der Banken und Versicherungen gefährdet. Ein Regelwerk zum Management der Schuldenkrise wurde ebenso wenig geschaffen wie ein europäischer Konsens über die Notwendigkeit einer politischen Vertiefung der EU.

Soziale Integration wie ein europäischer Mindestlohn, feste Anteile der Sozialsysteme und der entsprechenden Minima am Volkseinkommen der jeweiligen Staaten, eine nachhaltige Stärkung der jeweiligen Binnenwirtschaften, nachholende Lohnzuwächse in Deutschland usw. stehen eh nicht auf der Agenda dieser europäischen Wirtschaftsregierung, ganz zu schweigen von einer erweiterten demokratischen Kontrolle.

Die deutsche Kanzlerin und der französische Staatspräsident haben den deutschen Grundsatz bekräftigt, dass eine Wirtschaftsregierung ein Ausschuss der nationalen Minister bleibt. Keinesfalls wird diese Wirtschaftsregierung die Bänder bei BMW im Herbst anhalten, um Peugeot aus den Absatznöten zu helfen. Eher werden die restlichen 15%, die der französische Staat an Renault hält, verkauft. Eine weitere Re-Nationalisierung verhindert die angedachte Wirtschaftsregierung nicht.

Um dauerhaft sicherzustellen, dass die Eigentumstitel bedient werden können, will Sarkozy eine »goldene Regel« einführen, also eine Art Schuldenbremse. Sie soll nun auch das Heil der Eurozone werden. Sie erzwingt Haushaltskürzungen und damit wiederum eine Schwächung der Binnennachfrage. Die Einberufung des Konvents, der aus der Nationalversammlung und dem Senat besteht und eine solche Verfassungsänderung beschließen müsste, wird die Sozialistische Partei (PS) vermutlich als »Blockierer« entlarven. Oder der Amtsinhaber Sarkozy kann sich durchsetzen und die PS als uneinig vorführen, da es in ihren Reihen eine größere Gruppe von Modernisierern gibt, die der Schuldenbremse mit Verfassungsrang positiv gegenüberstehen.

Dritter wesentlicher Bestandteil der deutsch-französischen Vereinbarungen ist die Einführung einer Finanztransaktionssteuer. Diese Umsatzsteuer steht weder in ihrer Höhe noch mit einem Einführungstermin fest. Sie bleibt letztlich ein Mittel Sarkozys, den Konkurrenten von der PS ein wichtiges Wahlkampfargument aus der Hand zu nehmen.

Das vierte Element ist die Angleichung der Unternehmensbesteuerung, die für den französischen Haushalt zu erheblichen Einnahmeausfällen führen dürfte. Denn Frau Merkel hat bereits klargestellt, dass es zu Mehrbelastungen der deutschen Unternehmen auf gar keinen Fall kommen dürfe. Jeder Schritt in diese Richtung wird also eine Verschärfung der Verteilungskämpfe zwischen den französischen Klassen nach sich ziehen. Dann wird sich wohl auch Frankreich den Vorwurf gefallen lassen müssen, über seine Verhältnisse gelebt zu haben.

Denn es steht schlecht um die Beliebtheit des Präsidenten-Zappelphilipps, auch wenn sich die Umfragewerte ein wenig erholen. Zwar kann er als in der Regenbogenpresse wohl-inszenierter werdender Familienvater sich von den Sozialdemokraten abheben, deren Führungspersonal offenbar von den sexuellen Aggressionen ihres heimlichen Stars Strauss-Kahn gewusst hat.

Aber Sarkozys Wirtschaftsministerin Lagarde bleibt eine Belastung. Der Präsident hatte sie für das Amt der IWF-Präsidentin vorgeschlagen, um sie aus seiner Umgebung zu entfernen, weil sie ihrerseits mit einer Affäre konfrontiert ist. Der Vorwurf lautet auf Begünstigung im Amt, da sie als Ministerin unter Umgehung der befassten Institutionen dem zwielichtigen Unternehmensjongleur Tapie mehrere Hundert Millionen Euro überweisen ließ. Tapie fühlt sich beim Verkauf des Sportartikelherstellers Adidas von der damals staatlichen Bank betrogen und drohte mit einer Schadensersatzklage, die vermutlich den Präsidentschaftswahlkampf belastet hätte. Jetzt ist das Untersuchungsverfahren zu einem Strafverfahren aufgewertet worden.

Marine Le Pen, die Kandidatin des Front National, kann sich die Hände reiben, da »weder Rechts noch Links« über moralische Reputation verfügen und die Nation nicht vor Vermögensverlust bewahren können.

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