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18. Dezember 2014 Klaus Pickshaus

Gibt es eine neue Dynamik in der Arbeitszeitdebatte?

Es sind mehrere Anlässe in den vergangenen Monaten, die die Frage aufwerfen, ob in der lange Zeit recht ruhigen Debattenlandschaft zur Arbeitszeit nunmehr ein neuer Schwung zu registrieren ist.

Zu diesen Anlässen gehören vor allem folgende Ereignisse: Das WSI hatte für sein jährliches Herbst­forum am 27./28.11. in Berlin das Thema »Arbeitszeiten der Zukunft« gewählt. Für die Veranstalter selbst überraschend war der enor­me Andrang: Statt der sonst üblichen 150 bis 200 Besucher kamen 350 Interessierte und etlichen musste abgesagt werden. Prominente Diskutanten waren der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann sowie die stellvertretende ver.di-
Vorsitzende Andrea Kocsis und der 2. Vorsitzende der IG Metall, Jörg Hofmann.[1] Beide plädierten für eine »kürzere Vollzeit«. In der Vorbereitung hatte das WSI einen Report »Arbeitszeiten in Deutschland. Entwicklungstendenzen und Herausforderungen für eine moderne Arbeitszeitpolitik« vorgelegt.[2]

Fast zeitgleich, am 29.11.2014, hatte der DGB-Bezirk NRW gemeinsam mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung NRW eine Veranstaltung organisiert: »Zeit zu arbeiten, Zeit zu leben«. In der Einladung wurde die vielfältige Problemlage beschrieben: »Wir erleben eine Renaissance der Debatte um die Arbeitszeit. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer leiden unter der Verdichtung und Entgrenzung der Arbeit. Die ständige Erreichbarkeit für die Firma und ein enormer Leistungsdruck lösen Stress aus. Viele Beschäftigte fürchten, nicht gesund bis zur Rente durcharbeiten zu können. Vor allem junge Männer und Frauen wünschen sich eine neue Balance von Arbeit und Freizeit. Und schließlich geht es um eine gerechtere Verteilung der Arbeit.« Auch diese räumlich begrenzte Konferenz war mit ca. hundert Teilnehmenden ausgebucht.[3] Prominenteste Referentin war die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin, Jutta Allmendinger, die sich in der Vergangenheit schon für eine 32-Stunden-Woche als »neuer Vollzeit« ausgesprochen hatte. Eine zentrale Rolle spielte ferner die Vorstellung der Ergebnisse der Beschäftigtenbefragung der IG Metall durch Hilde Wagner (Fachbereich Tarifpolitik beim Vorstand der IG Metall).

Der dritte, medial besonders stark beachtete Impuls bildete die Veröffentlichung des neuesten Reports des DGB-Index Gute Arbeit mit dem thematischen Schwerpunkt »Arbeitszeitgestaltung« am 4. Dezember 2014. Die Ergebnisse der repräsentativen Erhebung beruhen auf einer Befragung von ca. 5.800 abhängig Beschäftigten und fokussieren insbesondere auf das Problem des Zeitdrucks und der langen Arbeitszeiten.[4] Eine zentrale Botschaft lautet: »Die Deutschen wollen weniger arbeiten« (Wirtschaftswoche).[5] Die Pressekonferenz wurde vom DGB-Vorsitzenden Reiner Hoffmann, dem 2. Vorsitzenden der IG Metall, Jörg Hofmann, und dem Vorsitzenden der IG BCE, Michael Vassiliadis, bestritten.

Möglicherweise haben auch die zahlreichen Veranstaltungen im Laufe des Jahres 2014 zur Erinnerung an den Arbeitskampf um die 35-Stunden-Woche vor 30 Jahren, die nicht nur nostalgischen Charakter hatten, dazu beigetragen, arbeitszeitpolitische Themen erneut zu beleben.


Realität (1): Arbeitszeitverlängerung

Der Aufbruch zu einer neuen arbeitszeitpolitischen Initiative wird schwerwiegende Hemmnisse aus der Vergangenheit wie die Arbeitskampfniederlage der IG Metall in den ostdeutschen Bundesländern um die 35-Stunden-Woche im Jahr 2003 zu überwinden haben, als auch die heutigen Arbeitszeitrealitäten in Rechnung stellen müssen. Dazu gehört die immer größere Diskrepanz zwischen vereinbarten und realen Arbeitszeiten genauso wie die zunehmende Differenzierung der Arbeitszeitinteressen der Beschäftigten. Zu den gegenwärtigen Arbeitszeitrealitäten sind die folgenden Befunde zur Kenntnis zu nehmen: Nach der Erhebung des DGB-Index geben fast 60% der Befragten an, dass sie durchschnittlich länger arbeiten als vertraglich festgelegt. Die tatsächlich geleistete Wochenarbeitszeit liegt im Durchschnitt aller Befragten deutlich über der vertraglich geregelten Arbeitszeit. Bei Männern liegt die vertragliche Arbeitszeit bei 39,9, die reale hingegen bei 44,3 Stunden; bei Frauen bei 39,1 bzw. 42,1 Stunden. Die Beschäftigtenbefragung der IG Metall ergab für diesen Organisationsbereich ebenfalls bemerkenswerte Ergebnisse: Über die Hälfte der Beschäftigten arbeitet real 40 Stunden und mehr und nur noch 17,9% arbeiten 35 Stunden, wie es die IG Metall in den 1990er Jahren endlich vertraglich durchgesetzt hatte.[6] Damit ist schon ein schwieriges Ausgangsproblem für eine Arbeitszeitverkürzungsinitiative benannt. Hinzu kommt, dass die Arbeitszeit »in den letzten beiden Jahrzehnten heterogener und flexibler geworden (ist). Von einem einheitlichen Arbeitszeitmuster kann längst nicht mehr die Rede sein.«[7]


Realität (2): interessens­politische Differenzierung

Welche Problemlagen und Initiativen spielen für die gegenwärtige Debatte eine Rolle? Auf beiden erwähnten Konferenzen und in den jetzt vorliegenden Materialien geht es vor allem um die folgenden Aspekte:

  • Die Vereinbarkeit von Arbeit und Familie gehört zu den zentralen Handlungsfeldern und zugleich thematischen Treibern künftiger Arbeitszeitpolitik. Hilde Wagner zeigte anhand der Ergebnisse der Beschäftigtenbefragung der IG Metall auf, dass 82% ihre tägliche Arbeitszeit kurzfristig an private Bedürfnisse anpassen wollen und 78% den Wunsch haben, die Arbeitszeit für Kinder und Pflegebedarfe abzusenken. Der WSI-Report weist darauf hin, dass Frauen nach wie vor sehr viel stärker als Männer in der häuslichen Fürsorgearbeit engagiert sind, und dass der »Gender Time Gap« zu den gravierendsten gleichstellungspolitischen Problemen gehört.[8] Lebensphasenbezogene Arbeitszeitverkürzungen gehören zu den gewerkschaftlichen Vorschlägen.
  • Demgegenüber spielt die Problematik der Entgrenzung von Arbeitszeiten und Leistungsverausgabung unter den Bedingungen indirekter Unternehmenssteuerung eher eine restriktive und ungenügend bearbeitete Rolle. Der WSI-Report notiert hierzu: »Ein hohes Maß an formaler Zeitsouveränität führt in der Konsequenz häufig zur Intensivierung und Extensivierung der Arbeitszeit. Die Folge sind stress- und überlastungsbedingte Gesundheitsgefährdungen und Probleme bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Arbeitszeitregulierungen bisherigen Zuschnitts werden durch die neuen Konzepte betrieblicher Leistungspolitik häufig unterlaufen.«[9] Aus diesen Gründen war für eine »arbeitspolitische Erweiterung der Arbeitszeitdebatte« plädiert worden, die unter dem Leitbild guter Arbeit Arbeitszeit- und Leistungsbedingungen gleichermaßen ins Visier nimmt.[10] Die Akzeptanz von Arbeitszeitverkürzungen wird für viele Beschäftigtengruppen von der erfolgreichen Bearbeitung dieses Problems abhängen. Verbindlichere Rahmenbedingungen als Haltegriffe für die Beschäftigten etwa durch eine »Anti-Stress-Verordnung« könnten dabei helfen.
  • Aus dem demografischen Wandel resultieren mehrere Anstöße für die Arbeitszeitdebatte: Dies betrifft einerseits den Wunsch nach kürzeren Arbeitszeiten bei Älteren, andererseits nach flexiblen Ausstiegsmöglichkeiten. Nach den Befunden des DGB-Index Gute Arbeit 2014 ergibt sich folgendes Bild: Etwa die Hälfte (49%) der älteren Beschäftigten (über 55 Jahren) wünscht sich eine schrittweise Reduzierung der Arbeitszeit beim Übergang in die Rente. Im verarbeitenden Gewerbe (inkl. Bergbau, Energie und Wasserversorgung) ist dieser Wunsch noch stärker ausgeprägt (60%). Hinzu kommt: Der Wunsch nach einem flexiblen Übergang in den Altersruhestand ist in jenen Beschäftigtengruppen überdurchschnittlich, die besonders belastende Arbeitsbedingungen aufweisen. Dabei reichen die bisherigen Angebote bei weitem nicht aus: Von den Beschäftigten, die einen schrittweisen Übergang wünschen, haben nur 25% in ihrem Betrieb die Möglichkeit dazu. Die IG Metall-Forderung nach Verlängerung und Verbesserung der Altersteilzeit in der aktuellen Tarifbewegung kann sich auf diese Voten stützen. Zugleich bleibt die Politik hier Adressat, um einen »Verschiebebahnhof« zu Lasten der Gewerkschaften zu vermeiden.[11]
  • Auch im Handlungsfeld Qualifizierung und Weiterbildung wird mit der Forderung der IG Metall nach Bildungsteilzeit ein arbeitszeitpolitischer Impuls gegeben. In der Beschäftigtenbefragung der IG Metall erklärten 93% der Befragten, dass es für sie wichtig sei, sich weiterzubilden, um bis zur Rente in ihrem Job arbeiten zu können. Nach Aussage von Jörg Hofmann (IG Metall) ist die Digitalisierung der Arbeitswelt/Industrie 4.0 ein Beispiel für die großen bevorstehenden Veränderungen von Arbeitsprozessen. Traditionelle Berufe werden weniger gebraucht, andere werden neu entstehen. Das Ziel sei, dass die Beschäftigten zusätzliche berufsqualifizierende, arbeitsmarktfähige Abschlüsse erwerben können.
  • Zu einem Kernfeld künftiger Arbeitszeitpolitik wird der Komplex Flexibilität und Zeitsouveränität gehören. Die Befunde des DGB-Index zeigen: 41% der Beschäftigten haben überhaupt keinen Einfluss auf Beginn oder Ende ihrer Arbeitszeit. Für 29% ändert sich aus Unternehmensmotiven kurzfristig die Arbeitszeit; 22% arbeiten auch außerhalb der regulären Arbeitszeit. Demgegenüber steht der Wunsch der Beschäftigten (Beschäftigtenbefragung der IG Metall): 92% möchten, dass Flexibilität nicht ihr Privatleben beeinträchtigt.

Dass Einflussmöglichkeiten auf die Gestaltung der Arbeitszeit positive Effekte haben, belegen die Befunde des DGB-Index: Beschäftigte mit solchen Möglichkeiten berichten grundsätzlich seltener davon, gehetzt bzw. unter Zeitdruck zu arbeiten. Z.B. arbeiten 71% der Beschäftigten, die keine Möglichkeit besitzen, kurzfristig einen Tag frei zu nehmen, oft oder sehr häufig gehetzt. Dieser Wert nimmt mit zunehmenden Einflussmöglichkeiten linear ab.
Beschäftigte, die in sehr hohem Maß die Möglichkeit besitzen, kurzfristig einen Tag frei zu nehmen, berichten nur noch zu 46% von Arbeitshetze bzw. Zeitdruck. Zeitsouveränität hat – schon bei begrenztem Ausmaß – positive Effekte auf die Arbeitsqualität. Mehr Autonomie und Verfügungsrechte über die eigene Arbeitszeit durch verbindliche kollektive Regelungen einzufordern, wäre eine zentrale Forderung der Gewerkschaften. Ferner wäre zu diskutieren, ob nicht jeder weitere eingeforderte Schritt einer Flexibilität durch die Unternehmer mit der Forderung nach einer Kompensation durch Arbeitszeitverkürzung beantwortet werden könnte.

 

  • Beschäftigungspolitische Effekte einer Arbeitszeitverkürzung, die für die Beschäftigten auch real wahrnehmbar sind und nicht durch Arbeitsintensivierung kompensiert werden, können die Debatte befördern: Hierbei spielen nach wie vor die Erfahrungen der Krisenjahre 2007ff. eine Rolle, während der kurzfristig durch Abbau der Arbeitszeitkonten und Kurzarbeit Beschäftigung gesichert werden konnte. Aber auch die Erfahrungen mit neuen, von Arbeitswissenschaftlern empfohlenen Schichtsystemen im Konti-Betrieb in einigen Stahlbetrieben etwa beim Übergang zu Fünf-Schicht-Gruppen, die bei einer vertraglichen 32-Stunden-Woche mit Teileinkommensausgleich die lästigen Einbringschichten verzichtbar machen, können Impulse geben.
  • Alle Befunde des DGB-Index wie der Beschäftigtenbefragung der IG Metall weisen darauf hin, dass es angesichts der gegenwärtigen Arbeitszeitrealitäten einen verbreiteten Wunsch nach kürzerer Vollzeit gibt. Nach den Befunden des DGB-Index liegt die Wunscharbeitszeit der Beschäftigten im Durchschnitt deutlich unter der tatsächlich geleisteten wie auch der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit. Vollzeitbeschäftigte (35 Stunden und mehr pro Woche) wünschen sich im Durchschnitt eine Reduzierung ihrer tatsächlichen Arbeitszeit auf ein Niveau, das knapp unterhalb ihrer vertraglich festgelegten Arbeitszeit liegt. Teilzeitbeschäftigte wünschen sich dagegen im Durchschnitt eine Aufstockung ihrer vertraglich geregelten Arbeitszeit, in etwa auf das Niveau der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit. Fast jede/r fünfte Beschäftigte (18%) wünscht sich eine Wochenarbeitszeit zwischen 30 und 34 Stunden (kurze Vollzeit). Derzeit arbeiten tatsächlich lediglich 6% der Beschäftigten mit diesem Arbeitszeitumfang.


»Aktivierende Regulierung«

Angesichts der starken Differenzierung der Arbeitszeiten nach Beschäftigten- und Qualifikationsgruppen, nach Betrieben, nach gewerkschaftlichem Einfluss und vor allem nach dem Geschlecht lässt sich der Wunsch nach kürzeren Arbeitszeiten nicht einfach auf eine Zahl als Ziel für alle fokussieren, wie das noch in der 35-Stunden-Kampagne der Fall war.

Allerdings ließe sich die These einer neuen Dynamik der Arbeitszeitdebatte damit begründen, dass die Summe der hier dargestellten Themen einen neuen Anstoß ergeben könnte. Offenkundig haben die diversen thematischen Zugänge das Gesamtinteresse an der Arbeitszeitdebatte befördert. Allerdings verlangt die Heterogenität der Handlungsfelder unabdingbar eine strategische Bündelung und Zuspitzung, wenn diese Anstöße wirkungsmächtig werden sollen. Eine solche Fokussierung kann nur als Ergebnis einer gewerkschaftlichen Strategiediskussion entwickelt werden, in der einerseits die realen gewerkschaftlichen Machtressourcen geprüft und andererseits kurz-, mittel- und langfristige Ziele abgesteckt werden.

Auf dem WSI-Herbstforum fand Steffen Lehndorffs Vorschlag einer »aktivierenden Regulierung« große Zustimmung und wurde im Schlusswort von Reinhard Bispinck unterstrichen. »Aktivierende Regulierung« könnte im Unterschied zu einer rein stellvertretenden Regulierung von Arbeitszeiten als Ansatz interpretiert werden, der die Beschäftigten schon bei der Durchsetzung von Leitplanken und Haltegriffen als Kern einer Regulierung mobilisiert und gleichzeitig die Beschäftigten zu Akteuren der Grenzziehung in der betrieblichen Praxis befähigt. Um den Weg zu einer kurzen Vollzeit als neuem Standard zu bahnen, wären vor allem auf zwei Ebenen Aufgaben zu lösen:

  • Anlassbezogene Arbeitszeitverkürzungen im Lebensverlauf etwa wegen Eltern- oder Pflegezeiten ebenso wie die erwähnten neuen Schichtmodelle könnten beispielhaft eine kurze Vollzeit attraktiv machen. Solche Erfahrungsbereiche wären auszuwerten und zu verbreitern.
  • Zum anderen müsste die lange Vollzeit betrieblich wie gesellschaftlich und politisch zum Konfliktthema gemacht werden. Das hieße, die überlangen Arbeitszeiten in vielen Bereichen (und zugleich den Verfall von Arbeitszeiten) offensiv zu bekämpfen und auch politisch für eine Herabsenkung der zulässigen Grenzen im Arbeitszeitgesetz zu streiten.

Von der erfolgreichen Bearbeitung dieser zweiten, höchst anspruchsvollen Aufgabenstellung wird ein neuer Aufbruch in der Arbeitszeitpolitik in hohem Maße abhängen. Dass diese Konfliktfähigkeit von den Gewerkschaften derzeit strategisch vorbereitet wird, kann bezweifelt werden.

Hinzu kommt: Wenn sich gewerkschaftliche Arbeitszeitpolitik nicht auf die Abfederung weiterer Flexibilisierungskonzepte beschränken soll, sondern die Autonomie- und Zeitsouveränitätsbedürfnisse der Beschäftigten in den Mittelpunkt stellen würde, werden die Machtfragen der Verfügungsrechte über die Zeit, mit anderen Worten die Frage »Wem gehört die Zeit?«, strategisch zu bearbeiten sein. Dies könnte ein Kernpunkt künftiger Arbeitszeitpolitik sein.

Auf jeden Fall sind »Kämpfe um Zeit« komplexer und anspruchsvoller geworden – entsprechend die Durchsetzungsbedingungen. Die Wiederan­eignung der Zeit trifft den Kern eines finanzmarktgetriebenen Akkumulationsregimes, dessen Verwertungsansprüche mehr als je zuvor auf dem Raubbau an lebendiger Arbeit basieren. Galt von Beginn des Kapitalismus an mit der Regulierung des Arbeitstages, dass der Kampf um Zeit ein Kampf um die Politische Ökonomie in Gänze ist, so gilt dies heute im Besonderen. Dabei geht es um Hegemonie im eminenten Sinne – nicht nur um Themensetting. Die Erschließung einer neuen Vision von Arbeitszeitverkürzung braucht Realisierungsbrücken zu den heutigen Realitäten der Arbeitszeit- und Leistungsregime, wenn sie mobilisierungsfähig und handlungsorientierend sein soll.

Klaus Pickshaus ist ehemaliger Bereichsleiter für Arbeitsgestaltung und Qualifizierungspolitik beim Vorstand der IG Metall und freier Publizist. 2014 erschien von ihm bei VSA: Rücksichtslos gegen Gesundheit und Leben. Gute Arbeit und Kapitalismuskritik – ein politisches Projekt auf dem Prüfstand.

[1] Das WSI-Herbstforum wird dokumentiert unter www.boeckler.de unter der Rubrik »Veranstaltungen«, »Dokumentationen«.
[2] WSI-Report 19: Arbeitszeiten in Deutschland, Düsseldorf, November 2014. Download des Reports.
[3] Die Rosa-Luxemburg-Stiftung bearbeitet seit einiger Zeit das Thema. Vgl. Richard Detje/Sybille Stamm/Florian Wilde (Hrsg.): Kämpfe um Zeit. Bausteine für eine neue (arbeits-)zeitpolitische Offensive, Manuskripte Nr. 10, Berlin 2014
[4] Alle Ergebnisse sind zu finden unter: www.dgb-index-gute-arbeit.de
[5] www.wiwo.de/erfolg/beruf/dgb-umfrage-die-deutschen-wollen-weniger-arbeiten/11073988.html
[6] Vgl. hierzu Hilde Wagner: Lebensvorstellungen und Arbeitszeitwünsche – Beschäftigtenbefragung der IG Metall. Referat auf der Tagung von DGB NRW und Rosa-Luxemburg-Stiftung am 29.11.2014.
[7] WSI-Report 19, S. 61.
[8] Ebenda, S. 62.
[9] Ebenda.
[10] Vgl. Richard Detje/Klaus Pickshaus/Sybille Stamm: Der Arbeit wieder ein gesundes Maß geben. Plädoyer für eine arbeitspolitische Erweiterung der Arbeitszeitdebatte, in: Z – Zeitschrift Marxistische Erneuerung, September 2013, S. 97ff.
[11] Vgl. Hans-Jürgen Urban/Christoph Ehlscheid: »Viel Rhetorik – wenig Taten!« Zur Strategie des »Verschiebebahnhofs« in der staatlichen Demografiepolitik, in: Lothar Schröder/Hans-Jürgen Urban (Hrsg.): Gute Arbeit. Qualitative Tarifpolitik – Arbeitsgestaltung – Qualifizierung, Frankfurt 2015.

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