1. April 2023 Hinrich Kuhls: Vom Belfaster Vertrag zum Windsor-Rahmenabkommen
25 Jahre Friedensprozess in Nordirland
Am 10. April 1998, einem Karfreitag, unterzeichneten die Konfliktparteien das Belfaster Abkommen, das auf den irischen und britischen Inseln meist als Karfreitagsabkommen bezeichnet wird.
Es beendete dreißig Jahre paramilitärischer Kämpfe in Nordirland. Die anstehenden Feierlichkeiten zum 25. Jahrestag des Vertragsschlusses könnten allerdings durch die seit einem Jahr andauernde Blockade von Parlament und Regierung in Nordirland getrübt werden. Die nordirischen Unionisten verweigern die verfassungsrechtlich gebotene Zusammenarbeit, seit ihre stärkste Partei, die Democratic Unionist Party (DUP), ihre hegemoniale Stellung in der teilautonomen britischen Provinz verloren hat. Bei den Wahlen zum nordirischen Parlament, der Assembly, im Mai 2022 hatte die linksrepublikanische Sinn Féin erstmals die Mehrheit der Stimmen errungen.
Geduld und Konsens
Das Belfaster Karfreitagsabkommen von 1998 (Belfast/Good Friday Agreement – im Folgenden »B/GFA«) ermöglichte in Nordirland einen Ausgleichsprozess, der zwar immer wieder durch politische Krisen gestört wurde, aber trotz anhaltender gegenseitiger kultureller Abschottung eine weitgehend friedliche Entwicklung des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zusammenlebens der überwiegenden Teile der irischen und britischen Bevölkerungsgruppen förderte. Im Vertrag hatten sich alle Seiten auf zwei zentrale, miteinander verbundene Grundsätze verpflichtet: Geduld und Konsens. Die Entscheidung über die Wiedervereinigung Irlands, die wichtigste noch ungelöste Frage in der mehr als 100-jährigen Geschichte der Loslösung Irlands von der Oberhoheit des Vereinigten Königreichs, wurde nicht blockiert, sondern auf einen unbestimmten Zeitpunkt verschoben.
Mit der Ratifizierung durch die Parlamente, der notwendigen Verfassungsänderung in Irland und der Schaffung des entsprechenden Primärrechts im UK wurde das Friedensabkommen in einem völkerrechtlich verbindlichen Vertrag kodifiziert. In zwei getrennten Referenden stimmten die Wahlberechtigten in Irland (94%) und Nordirland (71%) dem Vertrag mit großer Mehrheit zu. Die entsprechenden Normen bilden seitdem die verfassungsrechtliche Grundlage für die politischen Institutionen in Nordirland. Der von bürgerkriegsähnlichen Gewaltausbrüchen begleitete Konflikt während der gesamten zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, in dem 3.500 Menschen getötet wurden, wurde damit nicht einfach eingefroren, sondern die Konfliktparteien einigten sich im B/GFA auf einen Prozess, in dem sich die Akteure zur aktiven Mitwirkung an der Konfliktlösung verpflichteten.
Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses gehörten Irland und das Vereinigte Königreich seit einem Vierteljahrhundert der Europäischen Union an. Zusammen mit Dänemark waren beide Staaten 1973 der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft beigetreten. Auch wenn in beiden Staaten sowohl innerhalb der Wählerschaft als auch bei den wechselnden Regierungen die verschiedenen Stadien der Übertragung von souveränen Rechten auf die supranationale Europäische Union umstritten war, so war doch der ökonomische Fortschritt auf den irischen und britischen Inseln weitgehend unbestritten.
Hinrich Kuhls ist Mitglied der Sozialistischen Studiengruppe (SOST). Im Rahmen der Berichterstattung über den Brexit und seine Folgen hat er in Sozialismus.de die Auswirkungen des EU-Austritts des UK auf die fragile Situation in Nordirland analysiert, darunter: Pulverfass Nordirland (Heft 4/2018), Nordirland – beunruhigende Brexit-Folgen. Hundert Jahre Teilung der irischen Insel (Heft 5/2011) und Der Vertragsbruch der Brexit-Regierung. Zum Konflikt um das Irland-Nordirland-Protokoll (Heft 7-8/2022).
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