25. März 2015 Michael Brie: Fragen beim Lesen von Naomi Kleins neuem Buch

Ändert dies wirklich alles?

Die kanadische Journalistin und Aktivistin Naomi Klein ist eine der einflussreichsten und sprachmächtigsten Stimmen der globalisierungskritischen Bewegung im globalen Norden. Gemeinsam mit ihrem Team hat sie sich in ihrem neuen Buch »Die Entscheidung. Kapitalismus vs. Klima« (Klein 2015, die Seitenzahlen in Klammern beziehen sich auf diesen Text) einer Frage zugewandt, der sie vor einem Jahrzehnt noch kaum Aufmerksamkeit geschenkt hat: dem Klimawandel.

Das Buch ist eine Tour de Force auf dem Feld der Klimakämpfe. Detailliert werden große Unternehmen analysiert, Green-Washing aufgedeckt und die Komplizenschaft von großen Umweltorganisationen dargestellt. Die obskuren Fälle, die Klein in großer Zahl und mit Brillanz schildert, machen das Lesen des Buches spannend wie einen Krimi – viele Böse, einige Gute.

Die Botschaft dieses Buches ist nicht darin zu suchen, dass sie Fragen des Klimawandels auf neue Weise behandelt; auch die einzelnen Fallstudien, die sie vereint, sind in all ihrer Intensität nicht wirklich überraschend. Ihre entlarvende Kritik an den »grünen« Milliardären ist wichtig. Das dreckige Geld, die dreckige Gewalt und der genauso dreckige Rechtsbruch, mit dem indigene Völker konfrontiert sind, werden hautnah dargestellt. Vor dem Hintergrund Kanadas zeigt sie das Potenzial, das die Kämpfe dieser Völker gerade aufgrund der überkommenen Nutzungsrechte an Land und Wasser haben. Die Verträge der Stämme Nordamerikas mit den eindringenden Engländern schlossen zumeist ein, dass nur ganz bestimmte Rechte an die Siedler abgegeben wurden. In allen Teilen ist Naomi Klein eine die Leserinnen und Leser packende Journalistin und Schriftstellerin.

Erst 2009, so die Autorin, mitten in den Turbulenzen der Finanz- und Wirtschaftskrise, sei sie sich bewusst geworden, welche Möglichkeiten in den Bewegungen gegen die Erderwärmung stecken würden: Sie erkannte, dass der Kampf gegen die Erderwärmung zum Kristallisationspunkt, zum Katalysator einer globalen zivilisatorischen Transformation werden könne, wie sie in der Einleitung schreibt: »… begriff ich, dass der Klimawandel – sofern man ihn … als weltweiten Notstand betrachtet – eine treibende Kraft für die Menschheit werden könnte« (16). Der Klimawandel könnte so den progressiven Kräften das beste Argument dafür liefern, »den Wiederaufbau und die Wiederbelebung der regionalen Wirtschaft zu fordern; unseren Demokratien dem zerstörerischen Einfluss der Konzerne zu entreißen; gefährliche neue Freihandelsabkommen zu blockieren und alte umzuschreiben; in die unterentwickelte öffentliche Infrastruktur wie Massenverkehrsmittel und bezahlbaren Wohnraum zu investieren; die Privatisierung wichtiger Dienstleistungen wie die Energie- und Wasserwirtschaft rückgängig zu machen; unser krankes Landwirtschafts­system durch ein gesünderes zu ersetzen; Grenzen für Einwanderer zu öffnen, die wegen der Folgen des Klimawandels ihre Heimat verlassen mussten; endlich auch die Landrechte der indigenen Völker anzuerkennen – all das würde dazu beitragen, das groteske Maß an Ungleichheit in und zwischen unseren Ländern zu beenden« (17).

Wie so viele andere hat Naomi Klein die Fragmentierungen der globalisierungskritischen Bewegungen beobachtet, die Schwäche, den immer neuen Attacken des Neoliberalismus zu widerstehen, die auseinanderlaufenden Interessen zu verknüpfen und die Kämpfe wirksam zusammenzuführen. Während sie früher die eher amorphen Proteste junger Leute unterstützt habe, sei sie ungeduldig geworden: »… wie vielen allmählich klar wird, können sich die Protestbewegungen von heute die heilige Kuh der Strukturlosigkeit, die Rebellion gegen jede Form von Institutionalisierung, ganz einfach nicht mehr leis­ten. […] In der Praxis heißt das, dass uns trotz aller Meckerei, trotz Twitter, Flashmobs und der Occupy-Bewegung insgesamt viele jener Instrumente fehlen, von denen die Protestbewegungen der Vergangenheit getragen wurden.« (197)

Und dies macht die Botschaft des Buches aus: Das Klimageschehen bietet eine übergreifende Erzählung an, unter der »sich alles von dem Kampf für gute Arbeitsplätze, Gerechtigkeit für die Migranten bis hin zur Wiedergutmachung historischen Unrechts durch Sklaverei und Kolonialismus zu einem großen gemeinsamen Projekt vereinen lässt, um eine giftfreie, schocksichere Wirtschaft aufzubauen, bevor es zu spät ist« (192). Die Grundthese ist, dass die Bewegung gegen die Erderwärmung das Potenzial habe, alle anderen zu verknüpfen, also wirkliche Gegen-Hegemonie zu entfalten (siehe zu Hegemonie und Gegen-Hegemonie Laclau/Mouffe 2006; Brand 2011): »Der Klimawandel macht also keine blitzblanke neue Bewegung notwendig, die auf magische Weise durchsetzt, woran andere gescheitert sind. Als die weit reichendste Krise … kann der Klimawandel vielmehr die Kraft – der große Schub – sein, der alle diese noch lebendigen Bewegungen zusammenführt. Ein reißender Strom, in den zahllose Bäche münden, die mit vereinter Kraft das Meer erreichen.« (550f.)

Frühere Bewegungen hätten fast immer dort haltgemacht, wo es ans Eingemachte ging – an die Vormacht und den Reichtum der Herrschenden. Dieses Mal sei dies nicht möglich. Wie hätte man in meiner mecklenburgischen Heimat gesagt: Jetzt muss Butter bei die Fische – Butter, die sich früher nur die Reichen leisten konnten. Der sozialökologische Umbau, der nötig wäre, um den Klimawandel zumindest abzubremsen und eventuell eine Katastrophe zu verhindern, ist durch ein »Weiter so«, das gegenwärtige Wachstumsmodell, die Kontrolle von Kapitaloligarchien (zur zerstörerischen Rolle dieser Oligarchien siehe Dellheim 2014) über die Finanzströme und den Stoffwechselprozess mit der Natur, die heutige Produktions- und Lebensweise der globalen Mittelschichten, die schreiende Ungleichheit nicht möglich. Klimawandel wird also von Naomi Klein zum archimedischen Punkt erklärt, von dem aus die Welt des Kapitalismus aus den Angeln gehoben werden kann. Die früheren Bewegungen »für eine echte Umsetzung der Menschenrechte und Gleichheit ohne Ansehen ethnischer Zugehörigkeit, Geschlecht oder sexueller Orientierung; für eine echte Entkolonialisierung und Entschädigung der Opfer; für Nahrungssicherheit und Rechte der Bauern, gegen die Herrschaft von Oligarchien; und für die Verteidigung und Ausweitung des öffentlichen Sektors« (550) müssten angesichts des Klimawandels zu Ende geführt werden. »Klimawandel ... ist unsere Chance, diese schwelenden Missstände endlich zu korrigieren und die unvollendete Aufgabe der Befreiung zu vollenden.« (551) Der Kampf gegen die Erderwärmung wird so nicht mit einer, sondern mit der historischen Mission radikaler Befreiung überhaupt aufgeladen.

Hier setzen dann auch meine Fragen an, in deren Zentrum die Folgende steht: Gibt es attraktive Alternativen, die Milliarden von Menschen in ihren Bann schlagen können? Die schlechteste Entwicklung wird sich so lange fortsetzen, wie es keine solchen Alternativen gibt. Ohne solche Alternativen würde selbst eine Klimakatastrophe vor allem autoritäre, faschistoide Systeme befördern. Wenn es eine Erfahrung aus den vielen alternativen Projekten der letzten 200 Jahre gibt, dann diese: Die Attraktivität von Alternativen ist von den Ressourcen abhängig, die mit ihnen verbunden sind und die sie freizusetzen vermögen. Oft wurden Alternativen wieder aufgegeben, weil sie genau daran scheiterten – im großen Stil der Staatssozialismus des 20. Jahrhunderts. Die­se Ressourcen sind ökonomisch, politisch, kulturell, aber nicht selten auch militärisch. Es beginnt mit der Sicherung elementarer Güter wie dem Schutz der persönlichen Unversehrtheit, Nahrung, Kleidung, Wohnung, Bildung, Gesundheitsvorsorge, Mobilität bis hin zum Zugang zum Internet usw. Aber es geht auch um reiche Sozialbeziehungen, um Rechtssicherheit, um Kultur und individuelle wie kollektive Freiheiten. Es ist kein Ökonomismus, wenn festgestellt wird, dass diese Güter ihre materiellen wie geistigen Voraussetzungen haben, die produziert werden müssen.

Alternative Politik, die nicht die Ressourcen ihrer eigenen Durchsetzung reproduziert, ist zum Scheitern verdammt. Eine solche Politik muss erstens dazu fähig sein, durchaus auch mit Einsatz staatlicher Macht, weitere Privatisierungen öffentlicher Güter, die Vormacht internationaler Konzerne oder neue extraktivistische Projekte zu unterdrücken. Es geht darum, die von bisher herrschenden Kräften präferierten Lösungen machtvoll zu blockieren und andere Regeln von Kooperation durchzusetzen (siehe dazu Wright 2013: 24). Sie muss zweitens in der Lage sein, hinreichend Unterstützung für das eigene Projekt zu generieren. Dies aber ist abhängig von den materiellen und geistigen Ressourcen, von den Lebensperspektiven, die mit diesem Projekt nachhaltig verbunden werden können. Reduktion von Armut, reale Aufstiegschancen und überzeugende Freiheitsgewinne müssen sich bei einer linken Politik verbinden, die ein Unten-Mitte-Bündnis zu begründen vermag. Umso erfolgreicher eine solche Politik bei der Verringerung von Armut ist, umso größer werden die Anforderungen, die Freiheit der Einzelnen zu erweitern, die dafür notwendigen öffentlichen Güter bereitzustellen, Rechtsstaatlichkeit zu sichern und breites eigenständiges Handeln zu ermöglichen.

All diesen Fragen schenkt Naomi Klein wenig Aufmerksamkeit. Wie viele andere blickt sie vor allem auf die extraktivistischen Industrien und den Widerstand gegen diese. Der Automobilbau oder die gesamte Hightech-Industrie finden keine Erwähnung. Der Kampf indigener Völker wird dargestellt, aber die Integration von Hunderten Millionen neuer Arbeiterinnen und Arbeiter in diese Kette globaler Arbeitsteilung und Kooperation zwischen extraktivistischen, produktivistischen und konsumistischen Sektoren bleibt randständig. Die Sogkraft des heutigen Sys­tems geht aber vom Zentrum des Taifuns aus, der Produktions- und Lebensweise der Kerngruppen in den Metropolen des globalen Kapitalismus – New York und London, San Francisco und Schanghai, Bombay und São Paulo. Aus dem intensivierten Wettbewerb der Staaten und Regionen und dem Kampf der alten und neuen Mittelschichten und jener, die in diese drängen, erwächst eine sich immer noch weiter verstärkende Dynamik von wissenschaftlich-technologischen Umbrüchen, Wirtschaftswachstum, Konsum, Ressourcenverbrauch und CO2-Emis­sionen, die dieses Mal nicht nur den Westen, sondern große Teile der Erdbevölkerung erfasst hat. Von externen, durch Erschöpfung der Rohstoffe vorgegebenen »Grenzen des Wachstums« ist in den nächsten 30 bis 40 Jahren nichts zu sehen (siehe dazu in aller Schärfe Cattin 2011).

Vor die Wahl gestellt, arm und sauber oder nicht ganz so arm zu sein, dies aber mit der Ansiedlung extraktiver Industrien zu bezahlen, werden viele oder fast alle sich für das »schmutzige« Geld entscheiden. Naomi Klein illustriert dies selbst am Beispiel des Kampfes um den Yasuní-Nationalpark in Ecuador und fasst das Dilemma in die Worte: »Die jahrhundertelangen, serienmäßigen Raubzüge – zur Aneignung von Land, Arbeitskraft und Raum in der Atmosphäre – haben zur Folge, dass die Entwicklungsländer heute in einem Teufelskreis stecken, denn die Auswirkungen der Erderwärmung werden durch anhaltende Armut noch verschlimmert, und Armutsbekämpfung funktioniert in unserem gegenwärtigen Wirtschaftssys­tem am kostengünstigsten und leichtesten, wenn noch viel mehr Kohlenstoff verbrannt wird, womit sich die Klimakrise wiederum drastisch verschärft. Ohne Hilfe finden sie aus diesem Teufelskreis nicht heraus, und diese Hilfe muss von jenen Ländern und Unternehmen kommen, die vor allem aufgrund widerrechtlicher Aneignungen reich wurden.« (500) So breitet sich das extraktivistisch-produktivistisch-konsu­mistische Projekt der kapitalistischen Moderne im Moment seiner eigenen Krise sogar noch beschleunigt aus.

Naomi Klein hofft, ausgehend von der Bedrohung des Klimawandels, die fragmentierten Kämpfe mit der Kraft einer neuen Erzählung wirksam verbinden zu können. Eine solche Verknüpfung ist aber sicherlich genauso möglich, ausgehend von der Frage nach einer Ordnung, die den Absturz in immer neue Kriege (Ressourcenkriege, Klimakriege, Kriege zum Schutz der eigenen Grenzen vor »Flüchtlingen«) verhindert. Mehr noch: Jeder der vielen Konflikte hat ein universelles, alles andere mitziehendes Potenzial. Niemand kann vorhersagen, welcher der Konflikte sich als Attraktor erweist, der alle anderen neu ausrichten könnte. Nur vom Standpunkt jener, die satt sind und nicht von Mord und Vertreibung bedroht werden, ist die Klimafrage wirklich die »am weitestgehende« Krise. Die, die durch Versteppung und Verwüs­tung, durch Überschwemmungen und Vernichtung ihrer Lebenssphären unmittelbar betroffen sind, sind genau jene, für die die langen Zeithorizonte einer Veränderung der Klimapolitik in den Hintergrund treten. Der Verweis auf die Klimafolgen ist Mittel zum Zweck. Es sind die Mittelklassen der saturierten Länder, die vielleicht mit Verweis auf das Klima für die existenziellen Probleme insgesamt mobilisiert werden können, und so verstehe ich Naomi Kleins Botschaft.

Aber nicht hier liegt das eigentliche Problem des Buches. Welche Frage die anderen am Ende in ihren Bann zieht, ist offen. Wichtiger ist etwas anderes: Zu wenig Aufmerksamkeit wird der Tatsache geschenkt, dass die Zerstörungen, die mit dem Klimawandel verbunden sind, die Bedrohungen, die er nach sich zieht, gegenwärtig genau jene Dynamiken verschärfen, die ihn verursachen. Die reicheren Länder und auch viele Schwellenländer gehen nicht etwa zu einer Politik über, die Ursachen anzugehen, sondern versuchen, mit gesteigertem Ressourcen- und Energieaufwand die Folgen abzuschwächen. Dies ist ein »Rebound-Effekt« besonderer Art. Die gesteigerte Nachfrage nach diesen Ressourcen erhöht gleichzeitig das Angebot, da bisher zu kostspielige Erschließungen von Energie plötzlich sinnvoll werden. Nicht Knappheit, sondern ein Überfluss prägt gerade jetzt den Markt für Öl und Gas und nicht nur diesen. Der Herausforderung durch den Klimawandel wohnen gegensätzliche Richtungen inne: Ein Wechsel vom »Kapitalozän«, dem Zeitalter der Einheit von Kapitalismus und »planetarischer Naturalform« (Altvater 2014: 27; siehe auch Altvater 2015) hin zu einer solidarischen Gesellschaft, eingebettet in die irdische Natur, ist möglich. Der Klimawandel kann aber auch so »verarbeitet« werden, dass sich die Tendenzen hin zu einer Entfesselung des Kapitalismus in den nächsten Jahrzehnten sogar noch verstärken. Zurzeit sieht es so aus, als würde nicht die Bremse gezogen, sondern das Gaspedal voll durchgetreten. Hölderlins Hoffnung, »Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch«, könnte sich ins Gegenteil verkehren. Mit der Gefahr würde die Zerstörung und Barbarei zunehmen.

Naomi Klein beginnt mit der Notwendigkeit und Möglichkeit eines globalen Marshall-Plans, um den Kampf gegen die Erderwärmung zu führen. Aber dazu wird es mit großer Wahrscheinlichkeit nicht kommen. Das ist die bittere Wahrheit. Es wird vielleicht Fonds geben, die den technologischen Wandel in den Entwicklungsländern befördern. Einige Auswüchse mögen zurückgedrängt, manche Schäden minimiert werden. Aber die grundlegende Richtung und Dynamik wird dadurch in absehbarer Zeit nicht berührt werden (sie­he dazu sehr überzeugend Randers 2012; siehe auch die Analyse von Dieter Klein 2015a). Und ohne Rückzahlung der ökologischen Schulden an den globalen Süden (von den anderen Schulden ganz zu schweigen) ist ein Umstieg dort kaum möglich. Es wäre zudem irrwitzig, wieder einmal von den Schwächeren der Weltgesellschaft zu erwarten, dass sie die Rolle einer »Avantgarde« übernehmen, die Kosten tragen und Gewinne bestenfalls in ferner Zukunft erwarten können, während die Linke im Norden sehnsuchtsvoll zusieht.

Der Erzählung von Naomi Klein fehlt wie so vielen anderen globalisierungskritischen Erzählungen das Entscheidende: eine überzeugende machtwirksame Alternative. Dies ist objektiv bedingt und kein Manko des Buches. Dessen Schwäche ist nur, diesen Mangel zu kaschieren. Der Platz solcher Alternativen ist noch nicht besetzt. Es herrscht gähnende Leere, wo sich früher Sozialismus, Kommunismus, Anarchismus in ihren vielen Spielarten tummelten. Die vielen Ansätze von kleineren Alternativen, wie sie seit den 1960er Jahren erprobt wurden, sind marginal geblieben (siehe für die Bundesrepublik Reichardt 2014). Das Projekt einer sozialökologischen Transformation, wie es in der Bundesrepublik in den 1980er Jahren konzipiert wurde (Lafontaine 1988), wurde 1990 von der Tagesordnung genommen. Das »neue Denken« (Gorbačev 1988), die Politik der Nachhaltigkeit (Hauff 1987) und der Rio-Gipfel blieben weitgehend folgenlos. Die »globale Revolution« (King/Schneider 1992) fand nicht statt. Ob ihre Hoffnung, dass es in der jetzigen Situation zu einem Wandel komme, weil »Führung, vorangetrieben von unten« (559) möglich werde, ist offen. Die ökonomischen, politischen, kulturellen und sicherheitspolitischen Bedingungen dafür werden von Naomi Klein nicht konkretisiert. Die tragenden Kräfte blieben unklar. Wenn sie auf Führung setzt, dann führt aber auch die (berechtigte) Kritik an den aufgeklärten Milliardären und Umweltgroßorganisationen nicht weiter. Die von ihr zitierten Beispiele der Sklavenbefreiung oder des New Deals waren immer eine Verbindung heftiger sozialer Kämpfe, starker Bewegungen, eines neuen gegenhegemonialen Diskurses und Spaltungen in den herrschenden Kreisen sowie heftigster Legitimations- und offener Machtkrisen (siehe u.a. Klein, Dieter 2015b). Einschneidende Ereignisse, auf die Naomi Klein ihre Hoffnung setzt (558ff.), werden nur dann eine progressive transformatorische Wirkung entfalten, wenn dafür die Voraussetzungen gegeben sind. Dazu beizutragen, diese zu schaffen, wird die wohl wichtigste Aufgabe der nächsten Jahre oder Jahrzehnte sein. Naomi Kleins Hoffnung liegt auf der nächsten Krise, wenn die Geschichte wieder an die Tür klopft. Ihre neue Erzählung ist ein Beitrag, um darauf vorbereitet zu sein. Noch aber sind die »Progressiven« nicht bereit, für eine neue Chance einzugreifen. Dafür ist noch viel, sehr viel mehr zu tun.

Literatur
Altvater, Elmar (2014): Wertform, Naturform, der Doppelcharakter der Ware und das ökologische Weltsystem. Ein vorausschauender Rückblick auf das Kapitalozän, in: Z, Zeitschrift marxistische Erneuerung, Vol. 100 (Dezember), S. 20-27.
Altvater, Elmar (2015): Engels neu entdecken. Das hellblaue Bändchen zur Einführung in die »Dialektik der Natur« und die Kritik von Akkumulation und Wachstum, Hamburg.
Cattin, Daniel (2011): Unheimliche Zukunft. Wie die nächsten 40 Jahre unsere Welt verändern, Norderstedt.
Dellheim, Judith (2014): Kapitaloligarchien und Transformation. Zur Entwicklung der Europäischen Union, in: Brie, Michael (Hrsg.): Futuring. Transformation im Kapitalismus über ihn hinaus, Münster, S. 332-367.
Gorbačev, Michail S. (1988): Umgestaltung und neues Denken für unser Land und für die ganze Welt, Berlin.
Hauff, Volker (Hrsg.) (1987): Unsere gemeinsame Zukunft. Der Brundtland-Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung, Greven.
King, Alexander/Schneider, Bertrand (1992): Die erste globale Revolution. Ein Bericht des Rates des Club of Rome, Frankfurt a.M.
Klein, Dieter (2015a): »Hoffen Sie auf das Unwahrscheinliche! Arbeiten sie auf das Unwahrscheinliche hin!«, in Brie, Michael (Hrsg.): Mit Realutopien den Kapitalismus transformieren? Beiträge zur kritischen Transformationsforschung 2, Hamburg.
Klein, Dieter (2015b): Fähig zu progressiver Transformationspolitik? Die Macht­eliten angesichts globaler Großgefahren, in: Thomas, Michael/Busch, Ulrich (Hrsg.): Transformation im 21. Jahrhundert. Theorien – Geschichte – Fallstudien. I. Halbband, Berlin, S. 265-300.
Klein, Naomi (2015): Die Entscheidung. Kapitalismus vs. Klima. Frankfurt a.M. (Originaltitel: This Changes Everything. Capitalism vs. the Climate, New York 2014).
Lafontaine, Oskar (1988): Die Gesellschaft der Zukunft. Reformpolitik in einer veränderten Welt, Hamburg.
Randers, Jørgen (2012): 2052 – der neue Bericht an den Club of Rome. Eine globale Prognose für die nächsten 40 Jahre, München.
Reichardt, Sven (2014): Authentizität und Gemeinschaft: Linksalternatives Leben in den siebziger und frühen achtziger Jahren, Berlin.
Wright, Erik Olin (2013): Transforming Capitalism through Real Utopias. Presidential Address, in: American Sociological Review, Vol. 78(1), S. 1-25.

Michael Brie ist Mitarbeiter am Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung auf dem Feld von Theorie und Geschichte sozialistischer Transformation. Dieser leicht gekürzte Beitrag ist ein Vorabdruck aus dem vom Autor herausgegebenen Band Mit Realutopien den Kapitalismus transformieren? Beiträge zur kritischen Transformationsforschung 2, der Mitte April im VSA: Verlag erscheint. Michael Brie hat zudem gerade bei VSA: »Polanyi neu entdecken. Das hellblaue Bändchen zu einem möglichen Dialog von Nancy Fraser und Karl Polanyi« veröffentlicht, das zugleich Band 1 der »Beiträge zur kritischen Transformationsforschung« ist.

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