27. Oktober 2011 Redaktion Sozialismus: Ein Plädoyer für politische Lernprozesse

Alte und neue Protestkulturen mit Zukunft

Mitte September 2011 besetzte eine kleine Menge von vielleicht hundert Personen den Zuccotti-Park – eigentlich ein asphaltierter Platz und formal ein »öffentlicher Raum in Privatbesitz« – mitten im Banken- und Finanzdistrikt von New York.

In jenen Tagen fand ebenfalls eine Veranstaltung zum zehnten Jahrestag des Erscheinens von Barbara Ehrenreichs Buch »Nickel and Dimed: On (Not) Getting By in America« statt.[1] Die investigative und anerkannte Journalistin hatte bereits Jahre zuvor darin eindrucksvoll und schonungslos den Alltag der Verliererinnen und Verlierer des amerikanischen Traums beschrieben – noch in Hochzeiten neoliberaler Glücksversprechungen durch Flexibilisierung und Globalisierung unter dem »New Democrat« Bill Clinton.

Nach zehn Jahren sind diese Glücksversprechungen zerstoben, die Einkommensunterschiede krasser denn je – 1980 vereinigte 1% der Bevölkerung 9%, heute 24% des Nationaleinkommens auf sich –, Ehrenreichs früh diagnostizierte »Angst vor dem Absturz« alltägliche Realität in Amerikas Mittelschichten und die USA befinden sich wie die kapitalistischen Metropolen in Europa und die Weltwirtschaft insgesamt in der schwersten Weltwirtschaftskrise seit den 1930er Jahren. Nach einer kurzzeitigen Eindämmung des Krisenverlaufs 2009 durch massive Staatsinterventionen und einer leichten wirtschaftlichen Erholung im Jahr 2010 transformierte sich die anhaltende Krise 2011 in eine Staatsschuldenkrise und der Staatsinterventionismus wurde durch Austeritätspolitik abgelöst, mit der die depressive Grundtendenz verstärkt wird.

Der Hoffnungsträger für Teile der Mittelklassen, Intellektuellen und politischen Linken der USA, Barack Obama, ist demontiert und findet sich drei Jahre nach Krisenausbruch und Amtsantritt als ehemaliger bürgerschaftlicher Aktivist unter dem Druck einer rechtspopulistischen Tea Party-Bewegung und in den Zwängen der Rettung eines angeschlagenen Banken- und Finanzsystems sowie der Sanierung des Staatshaushaltes wieder. »Die Wall Street wurde gerettet, die Menschen nicht«, werfen ihm die Demonstranten, politischen Aktivisten und wahrscheinlich seine ehemaligen Wähler[2] enttäuscht und »empört« vor. So verwundert es nicht, dass in kurzer Zeit aus der Park-Besetzung durch US-»Wutbürger« in den Finanzkrisenmonaten September/Oktober 2011 die Bewegung »Occupy Wall Street« erwuchs.

Occupy Wall Street: global und national

Am 15. Oktober 2011 – parallel zu einem G 20-Treffen in Paris zur Vorbereitung eines weiteren EU-Krisengipfels – erhielt die New Yorker Occupy-Bewegung ein weltweites Echo: In über 900 Städten in über 80 Staaten fanden auf zentralen Plätzen, Straßen und vor Banken vergleichbare Demonstrationen, Protestversammlungen und Sitz- bzw. Zeltblockaden von Hunderttausenden statt. Dieser neuen OWS-Bewegung in Absetzung zu den globalisierungskritischen Protesten und Bewegungen der 1990er und 2000er Jahre nun einen erstmalig wahrhaft globalen Charakter zu attestieren – wie in ersten Kommentierungen von links geschehen –, übergeht zugrundeliegende nationalstaatliche Differenzierungen. Gerade die Krisenverläufe und -bewältigungsstrategien der zurückliegenden zwei Jahre haben gezeigt, dass nationalstaatliche Rahmensetzungen, Regelungen und Besonderheiten immer noch wirksam sind.

Die Teilnahme von über einer halben Million Protestierender in Rom lässt sich nicht einfach als Resonanz eines globalen »Occupy«-Protestes erklären, sondern ordnet sich selbst in eine anhaltende Protestwelle gegen Prekarisierung, Bildungsnotstand und Berlusconi ein, dessen Regierung durch stümperhafte Schuldenpolitik und als Exekutor eines von der EZB verordneten Sparpakets bis ins Unternehmerlager hinein immer mehr diskreditiert ist. Dagegen gibt es in der Kathedrale der Finanzindustrie, der City of London, bislang keine vergleichbare »Occupy«-Bewegung – alle polizeilichen Behinderungen in Rechnung gestellt.

Madrid wiederum hat selbst schon vor Monaten mit der Manifestation der »Indignados« für »Democracia Real Ya« eine Protestkultur hervorgebracht, in der sich die europaweit höchste Jugendarbeitslosigkeit (fast 50%), Wut und Enttäuschung über die (Anti-)Krisenpolitik der spanischen Sozialisten, Folgen der verordneten Austeritätspolitik und diffuse Erwartungen an bevorstehende Neuwahlen Ausdruck verschaffen. Die Initiative eines Aufrufs für den 15. Oktober als weltweitem Aktionstag ging bereits Ende Mai von hier aus.

Auch die französische Protestkultur hatte ihren spezifischen Anteil am »globalen« OWS. In den letzten beiden Jahren brachte sie zwei »Manifeste« hervor, die es beide zu hohen Auflagen im In- und Ausland brachten, aber innerhalb der sozialen Bewegungen und emanzipatorischen Linken politisch-strategisch höchst unterschiedlich bewertet werden. Dem »kommenden Aufstand« eines »unsichtbaren Komitees« wird eine zutreffende Machtkritik am Netzwerk-Kapitalismus und radikale Systemverweigerung attestiert, wohingegen dem Résistance-Kämpfer und Mitverfasser der UN-Menschenrechtscharta Stéphane Hessel mit seinem Aufruf »Empört Euch!« in Kreisen einer autonomen und interventionistischen Linken eher bürgerliche Harmlosigkeit bescheinigt wird.

Aber es war der 94jährige Hessel, der am »Occupy«-Day im österreichischen Graz den dort versammelten Empörten »Engagiert Euch!« zurufen sollte, und es war des öfteren das Cover seiner Streitschrift und keine kapitalismuskritische Parole, das am 15.10.2011 von New York über Frankfurt, dem Sitz der EZB, hochgehalten wurde bis nach Berlin, der Hauptstadt des »german miracle«. Letzteres hat zwar im laufenden Jahr immer mehr Schrammen bekommen, bleibt aber noch wirksam und aus den damit einhergehenden sozialen Mentalitäten erklärt sich u.a. die begrenzte Anzahl von ca. 40.000 OWS-Protestlern in 50 deutschen Städten. »Es liegt daran, dass die Krise die Einwohner dieser Republik noch nicht in dem Maße bedrängt wie die US-Bürger, die Spanier oder die Griechen. So einfach ist das.«[3]

Bewegung oder Partei?

Die Resonanz auf die OWS-Bewegung ist bis in die Reihen der politischen Eliten weithin positiv. Als »Bürger«-Protest – festgemacht an den Auswüchsen des Finanzmarktkapitalismus – unterstützt die Occupy-Bewegung – ob sie es will oder nicht – diejenigen Tendenzen innerhalb eines zunehmend in sich zerstrittenen bürgerlichen Lagers, die zurück zu einem intakten bürgerlichen Wertekosmos mit Regeln, Haftung, Verantwortlichkeit, Maß und Mitte wollen. »Es verletzt das Gerechtigkeitsgefühl, dass international nicht die Regeln der sozialen Marktwirtschaft gelten, die wir uns in Deutschland gegeben haben«, lässt die deutsche Kanzlerin ihre Sympathie mit den Akteuren verlauten.[4]

Die Offenheit, weltweite Anschlussfähigkeit und politische Uneindeutigkeit als kleinster gemeinsamer Nenner wird nun als das Neue dieser Protestkultur angesehen. Die Mehrzahl der politischen Kommentatoren streicht dabei heraus, dass heute ein qualitativer Unterschied zu den zurückliegenden globalisierungskritischen Bewegungen von Seattle, Genua, Porto Alegre, zu der europäischen wie der Weltsozialforumsbewegung bestehe: »Diese Bewegung, die einen ideellen globalen Charakter hatte, erreichte nie die Protestbreite und Synchronizität der Occupy-Bewegung.«[5]

Die­se Argumentation irritiert, lässt sich Attac in Europa oder dem Zusammenkommen auf den Weltsozialforen gerade eine Synchronizität internationaler Diskurse, Diskussionen und Lernprozesse doch keineswegs absprechen. Aber offensichtlich wird der neuen »Multitude« schon vorab eine höhere Intensität und Qualität zugesprochen: »die Bereitschaft, trotz staatlich-polizeilichen Verbots auf die Straße zu gehen, die Wiederkehr des popularen Aufstandes, das Forum der Menge« – so die höheren Weihen durch Teile der Interventionistischen Linken hierzulande.[6]

Selbst jüngste Protestbewegungen in Deutschland wie die wiedererstarkte Anti-AKW-Bewegung oder S 21, denen eben noch eine neuartige politische Kultur – jenseits traditioneller, organisationsfixierter Politikformen einer Gewerkschafts- oder Arbeiterbewegung – attestiert wurde, werden schon wieder ad acta gelegt. Ab heute gilt: »Das bittere Erlebnis, kombiniert mit der immer krasseren wirtschaftlichen Ungleichheit, war für viele der letzte Beweis, dass den Verhältnissen mit den bürgerlichen Mitteln des Protestes nicht beizukommen ist und auch nicht mit Konfrontationen wie bei den Anti-WTO-Protesten 1999 in Seattle. Ganz zu schweigen von parlamentarischen Mitteln« – so der Kommentar im Feuilleton der SZ.[7]

Diese Absetzung des OWS-Protestes gegenüber den Montagsdemos der Hartz-Proteste oder den verschiedenen Versuchen, in Bündnissen zwischen zivilgesellschaftlichen Organisationen, Gewerkschaften und der (partei-)politischen Linken sowie organisierten Demonstrationen wie jüngst bei den Protesten »Wir zahlen nicht für eure Krise« einen Politikwechsel in Deutschland einzuleiten, gipfelt in der These: »In der neuen Bewegung herrscht ein elementarer demokratischer Individualismus«,[8] der nicht mehr der gesellschaftlichen Unterstützung von Gewerkschaften und Parteien bedarf. »Es sind die Bürger selbst, die sich präsentieren.«[9] Auch die FAZ sieht damit gegenüber der Krise der Parteien-(Demokratie) die Zukunft in der Selbstrepräsentanz einer »Multitude« à la Hardt/Negri.

Zuguterletzt wird dann noch das Urbild dieses unorganisierten und von den vielen »vereinzelten Einzelnen« (Marx) ausgehenden Protests von den westlichen Metropolen weg auf den Tahrir-Platz in Kairo verlegt: »Was sich im arabischen und mediterranen Raum regt, ist eine auch für Linke vollständig neue Bewegung: partei- und ideologiefrei, eher moralisch situativ – und doch hochpolitisch. Entstanden als Demokratiebewegung für Werte der Freiheit, Gerechtigkeit und Würde.«[10]

Dabei ist noch keineswegs ausgemacht, ob nicht von Teilen der ausgebildeten Mittelklasseaktivisten in der »Arabellion« gegen die Strukturen halbfeudaler und autoritärer Rentierstaaten letztlich doch nichts anderes eingefordert wird als die Ideale und Mythen moderner marktwirtschaftlicher Verhältnisse. Und wenn die OWS-Bewegung vor die Banken zieht und sich gleichzeitig in der »Tradition« der Proteste auf dem Tahrir-Platz sieht, muss auch thematisiert werden, dass und wie Finanz­institute, Investmentbanken, Pensionsfonds und Versicherungen durch Wetten auf Preisveränderungen bei agrarischen Rohstoffen mitschuldig an Lebensmittelkrisen und Hungersnöten in den ärmsten Ländern der Welt werden – eine zentrale soziale Dimension auch des Aufbegehrens in Ägypten. Über die Verknüpfung der OWS-Proteste im Frankfurter Bankenviertel mit dem jüngst erschienenen Foodwatch-Report »Die Hungermacher« kann der Protest der vielen Einzelnen in einen kollektiven Lernprozess, politische Aufklärung und Stärkung systemkritischen Zusammenhangsdenkens transformiert werden.

Das Ausspielen eines »demokratischen Individualismus« gegenüber den verschiedensten Versuchen, ansatzweise gegenhegemoniale Positionen in den Rissen des Neoliberalismus durch eine neue politische Kultur »lernender Organisationen« wie Attac und durch die Öffnung bestehender Repräsentationsstrukturen über Elemente direkter Demokratie zu erlangen,[11] verkennt die Verschiebungen politischer Konstellationen und Kräfteverhältnisse auf diesem Wege. Immerhin: »Zur Hochphase der Hartz-IV-Proteste 2004 demonstrierte eine Viertelmillion Menschen – damals ging es darum, den bevorstehenden Sozialabbau zu verhindern. Was es derzeit zu verhindern oder zu erkämpfen gilt, ist den deutschen ›Occupy‹-Demonstranten weit weniger klar.«[12]

Den damaligen Montagsdemonstrationen wurde vorschnell eine systemsprengende Qualität attestiert, aber sie trugen mit zum Ende von Rot-Grün und einer Öffnung des sozialen Feldes zwischen Sozialdemokratie und Gewerkschaften bei und beförderten mit der Entstehung der WASG einen Transformationsprozess auf dem politischen Feld, der über die Linkspartei nicht zuletzt zu einer parteipolitischen Repräsentanz der Anliegen und Forderungen der Anti-Hartz-Proteste führte.

Und auch die Protestbewegung gegen das hybride Bahnhofs- und Immobilienprojekt »Stuttgart 21« steht für eine neue politische Kultur organisierter Lernprozesse, die in einem Verbund von kontinuierlichen »Montagsdemonstrationen«, hoher Kompetenz der Laienexperten und S 21-Kritiker sowie politisierter (Stadt-)Öffentlichkeiten schließlich zu einer nicht unbedeutenden Verschiebung der (partei-)politischen Kräfteverhältnisse in Baden-Württemberg beigetragen haben. Die ketzerische Gegenthese zum mehrheitlichen Selbstverständnis der OWS-Bewegung lässt sich mithin nicht so ohne Weiteres von der Hand weisen: »Die ›Zornbanken‹ der modernen Demokratie sind und bleiben die Parteien ... Nur sie können die Motive des Protests auf Dauer stellen ... was die politischen Eliten als ernsthafte Bedrohung wahrnehmen.«[13]

Kapitalismuskritisches Bewusstsein und politischer Adressat

In ersten Analysen wird der OWS-Bewegung eine so genannte »nicht-identitäre« und »ideologiefreie« Politik bescheinigt, deren systemkritische Qualität im einfachen Geltendmachen von Rechten und Ansprüchen einer gesellschaftlichen Mehrheit von 99% gegen­über einer Gesellschaft besteht, in der 1% der Bevölkerung gegenüber dem Rest deutlich privilegiert ist. Daher bezeichnet die »Occupy Wall Street«-Bewegung ihren Protest auch als das »99-Prozent-Projekt«, das gerade keine konkreten und klaren Forderungen stellt. »Forderungen gehen im Gegensatz zu Ansprüchen vom Rahmen der etablierten Ordnung aus. Sie rufen eher nach Reformen des Status quo als nach Ablehnung dieses Status quo.«[14]

Diese aus der Geschichte der Protestbewegungen leidig bekannte Entgegensetzung von Reform und Revolution wird auch im bürgerlichen Feuilleton hofiert: »Je konkreter die Forderungen, desto systemerhaltender sind sie. Wer höhere Steuern für Reiche verlangt, gibt dem Fortbestehen von Armut und Reichtum seinen Segen.«[15] Hier wird letztlich die sozial(geschichtlich)e Basis eines ansonsten gefeierten »elementaren demokratischen Individualismus« dementiert: No Representation without Taxation!

Der Auf- und Abstieg der Mittelklasse, von der viele unter den Wall-Street-Besetzern sind, hat aber viel mit Taxation, Besteuerung zu tun. Das Ergebnis der steuerpolitischen »Great Compression« in Roosevelts »New Deal« war ein Spitzensteuersatz von 79 Prozent und ein Wirtschaftswachstum, das eine breite Mittelschicht entstehen ließ. Auch heute genügt es also nicht, »Zeltstädte vor den Banken in New York oder Frankfurt aufzuschlagen, sondern die Demonstranten müssten sich auf klare Forderungen einigen, wie die Reichen zu belasten sind. Auch die Wall-Street-Okkupanten könnten sich am New Deal orientieren.«[16]

Die Occupy-Bewegung wird nicht umhinkommen, die Repräsentation ihrer Ansprüche und Rechte in politische Forderungen zu transformieren. Das unterstellt Aufklärungs- und Bewusstwerdungsprozesse – mithin politische Lernprozesse.

Dagegen wird eingewandt: »Das letzte, was die Empörten auf den Plätzen der großen und kleinen Städten dieser Welt brauchen, sind Flugblätter, die ihnen den Kapitalismus, den Fetischcharakter der Ware oder die Notwendigkeit erklären, sich der Arbeiterklasse anzuschließen.«[17 Ein gutes aufklärerisches Flugblatt wäre immer noch besser als Sprachlosigkeit. Die naive Polemik dagegen verkennt das viel gravierendere, tieferliegende Problem.

Das kapitalistische System ist in der Tat in höchstem Maße fetischisiert: Wie der Finanzmarktkapitalismus funktioniert, ist das komplizierteste Rätsel der modernen Welt. In einer ganzen Kette der Mystifikationen der kapitalistischen Produktionsweise ist das Rätsel, wie aus Geld mehr Geld wird, das vertrackteste. Nicht wenige – auch aus den Reihen der OWS-Protestierenden – sind in diese Mechanismen eingebunden: vom Sparbuch über Transferzahlungen bis hin zu Renten und Pensionen. Im Alltagsbewusstsein herrscht auch ein weitverbreitetes Unbehagen bis hin zu einer latenten Systemkritik.

Aber das politisch Fatale und damit die eigentliche Herausforderung aller gegenwärtigen Protestformen besteht darin: Diese Systemkritik mündet bislang in Ohnmachtserfahrungen – oder in »adressatenloser Wut«, wie das in ersten empirischen Untersuchungen benannt wird.18 Dieser Befund trifft auch auf die bisherige OWS-Bewegung zu, wie der Bewegungsforscher Dieter Rucht konstatiert: »Hier mischt sich heute in der Tat viel, und es fehlt ein Adressat, eine zentrale Instanz. Das macht es schwierig.«[19]

Aus dieser Schwierigkeit führt kein Königsweg einer prädestinierten Protestform heraus – auch Occupy Wall Street nicht. Stellt man die für die nächsten Jahre anhaltenden langwierigen Krisenprozesse mit ihren Unberechenbarkeiten, Volatilitäten und Konjunkturen in Rechnung, braucht es die Stärkung des Zusammenhangsdenkens bei den politischen Subjekten[20] sowie eine Vielzahl organisierter Lernprozesse und lernender Organisationen, die einmal erreichtes Wissen und Einsichten konservieren und wach halten und so zur Herausbildung eines politikfähigen Adressaten beitragen können.

Für die »Poesie der Zukunft« sozialer Protestbewegungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts,[21] und erst recht bei dem Anspruch auf ein »99-Prozent-Projekt« gilt: »Wo es sich um eine vollständige Umgestaltung der gesellschaftlichen Organisation handelt, da müssen die Massen selbst mit dabei sein, selbst schon begriffen haben, worum es sich handelt, für was sie mit Leib und Leben eintreten.« (Friedrich Engels 1895)


[1] Auf deutsch erschienen unter dem Titel »Arbeit poor. Unterwegs in der Dienstleistungsgesellschaft«, München 2001.
[2] Auf die Zusammensetzung der OWS-Gruppen in USA angesprochen vermutet der Politikwissenschaftler Andrei S. Markovits, »dass sie jener sehr ähnlich ist, die damals in Seattle angefangen hat, aber dass es sich diesmal disproportional um enttäuschte Obama-Anhänger handelt« (Jungle World, 20.10.2011).
[3] Christoph Twickel, Für eine Revolution ist es zu frisch, Spiegel Online, 19.10.2011.
[4] Vgl. dazu Christian Semler, Angela Merkel liebt euch, TAZ, 24.10.2011.
[5] Oliver Nachtwey, Globaler Aufbruch, Freitag, 21.10.2011.
[6] Occupy together! Kommt zum Forum der Menge!, Ein Textentwurf der IL, Frankfurt 14.10.2011.
[7] Jörg Häntzschel, Protest ohne 68er, SZ, 22./23.10..2011.
[8] Nachtwey, a.a.O.
[9] Stefan Schulz, Dann machen es die Bürger eben selbst, FAZ vom 17.10.2011.
[10] Mag Wompel, Eine Krise kann jeder Idiot haben, AK, 21.10.2011.
[11] Vgl. dazu Ulrich Brand, Post-Neoliberalismus? Aktuelle Konflikte – Gegen-hegemoniale Strategien, Hamburg 2011.
[12] Twickel, a.a.O.
[13] Mathias Greffrath, Lasst euch vereinnahmen! Auch die Occupy-Bewegung braucht die Parteien. Das ist unsexy, aber wahr, TAZ, 19.10.2011.
[14] Peter Marcuse, Occupy wall Street –
Wieso? Weshalb? Warum? Umfassende Ansprüche, nicht begrenzte Forderungen, AK, 21.10.2011.
[15] Häntzschel, a.a.O.
[16] Ulrike Herrmann, Von Roosevelt lernen, TAZ 22./23.10.2011.
[17] Occupy together!, a.a.O.
[18] Vgl. Richard Detje/Wolfgang Menz/Sarah Nies/Dieter Sauer, Krise ohne Konflikt? Interessen- und Handlungsorientierungen im Betrieb – die Sicht von Betroffenen, Hamburg 2011.
[19] Zit. in Stefan Locke, Sind wir gekommen, um zu bleiben?, FAS, 23.10.2011.
[20] Vgl. dazu Oskar Negt, Der politische Mensch. Demokratie als Lebensform, Göttingen 2010.
[21] Siehe dazu auch den folgenden zeitdiagnostischen Beitrag zur aktuellen Protestkultur von Annette Ohme-Reinicke.

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