26. April 2021 Ein Gespräch mit Hasan Cakir und Matthias Wilhelm

Alternativen der Transformation

Die wirtschaftliche Lage in der Stahl­industrie ist von Krisen geprägt. Investitionsschwäche, Modernisierungsrückstand, Sparprogramme und Beschäftigungsabbau lauten die wiederkehrenden Stichworte. Im Standortvergleich stehen die Stahlwerke der Salzgitter AG allerdings recht gut da. Was macht die Unterschiede aus?

Hasan Cakir: Um es auf einen Punkt zu bringen: dass wir das Zepter des Handelns in unserer Hand haben. Dass wir eigenständig handeln können, dass die Entscheidungsgewalt bei uns liegt – das macht den großen Unterschied aus. Da sind wir ein wenig vergleichbar mit Saarstahl, auch die stehen besser da.

Das musst Du erläutern.

Hasan Cakir: Zunächst einmal haben wir es mit einem Unternehmen zu tun, das mit der Kapitalbeteiligung des Landes Niedersachsen zum Teil im öffentlichen Besitz ist. Damit sind wir weniger von irgendwelchen Finanzinvestoren oder sonstigen Kapitalvertretern abhängig, die ausschließlich auf die Rendite in der kurzen Frist schielen, Unternehmensteile abstoßen oder eigentlich zwingend erforderliche Investitionen immer wieder vertagen, wenn der kalkulierte Ertrag nicht zustande kommt. Das ist doch das Drama bei thyssenkrupp. Jahrelang wurde kaum noch in die Stahlsparte investiert, schließlich wollte man sie abstoßen. Stattdessen versilberte man dort die Aufzugsparte, die den Konzern am Leben gehalten hatte. Nun versucht man Hals über Kopf den Modernisierungsrückstand beim Stahl wettzumachen – Ausgang ungewiss.
Klar, Überkapazitäten und Preisdumping auf den Weltmärkten, insbesondere der Druck chinesischer Anbieter, macht allen zu schaffen. Doch im Vergleich stehen wir in Salzgitter gut da. Die Werke sind technologisch auf einem sehr guten Stand, die Produktpalette stimmt.

Das ist ein wichtiger Punkt: öffentliche Kapitalbeteiligung als Instrument der Zukunftssicherung. Beteiligung nicht passiv, sondern aktive Einmischung. In der gegenwärtigen pandemiebedingten Krisensituation wird das – wie bereits vor gut zehn Jahren in der Finanz- und Wirtschaftskrise – aus den politischen Entscheidungszentralen oft anders kommuniziert: Staatliche Hilfen bis hin zu öffentlichen Unternehmensbeteiligungen ja, aber keine Einmischung in die Unternehmenspolitik.

Matthias Wilhelm: Ja, in Salzgitter zeigen wir Tag für Tag, dass öffentliche Unternehmensbeteiligung sich letztlich rechnet. Finanzinvestoren hingegen sind wohl mit die schlechtesten Entscheider, wenn es darum geht, wirklich vorausschauend zu investieren.
Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Die nächste Frage lautet doch: Mit welchen Interessen und Zielen handelt die Politik, also in unserem Fall die Landesregierung, sei sie nun christ- oder sozialdemokratisch geführt. Der entscheidende Punkt ist hier: Wie gut ist die Belegschaft aufgestellt? Wie stark sind Betriebsrat und IG Metall.

Hasan Cakir ist Betriebsratsvorsitzender der Salzgitter Flachstahl GmbH und Konzernbetriebsratsvorsitzender der Salzgitter AG.
Matthias Wilhelm ist 1. Bevollmächtigter der Geschäftsstelle der IG Metall in Salzgitter-Peine. Mit ihnen sprachen Richard Detje und Klaus Pickshaus.

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