24. Februar 2022 Friedrich Steinfeld: Kontrollverlust des Westens und europäische Konflikt-Diplomatie
Am Rande eines großen Krieges: der Russland-Ukraine-NATO-Konflikt
Russland will als Großmacht neben den USA und China respektiert werden. In scharfem Tonfall hat das Land die USA zum Abzug der NATO-Streitkräfte aus den osteuropäischen Staaten aufgefordert. Der Auf- und Ausbau der militärischen Infrastruktur verletze die vertraglichen Sicherheitsgarantien für Russland nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Als Begleitung zu diesen Forderungen hat Russland ein Großmanöver mit ca. 130.000 Militärpersonen angesetzt.
Moskau hat im Nervenkrieg mit der NATO den Einsatz erhöht und eine Übung seiner Atomstreitkräfte angeschlossen. Sie fand laut russischem Verteidigungsministerium unter Führung von Präsident Wladimir Putin statt.
Dieser Erklärung widerspricht die NATO. US-Präsident Joe Biden sagte, alles deute darauf hin, dass Russland zu einem Angriff bereit sei. Dieser könne in den nächsten Tagen erfolgen. Die Gefahr einer Invasion sei sehr hoch. Auch die britische Regierung rechnet nach eigenen Angaben mit einem Angriff. Seit den Warnungen vor Saddam Husseins Vernichtungswaffen steht es allerdings mit der Glaubwürdigkeit des politisch-nachrichtendienstlichen Komplexes in den USA nicht zum Besten. Washington hat ein bisschen zu oft gelogen.
Fakt ist: Russland hat Truppen und militärisches Gerät an der Grenze zur Ukraine in einer seit Jahrzehnten nicht mehr gekannten Größenordnung zusammengezogen, und damit eine massive militärische Drohkulisse aufgebaut, um seine dem Westen übermittelten Forderungen nach »verbindlichen Sicherheitsgarantien« in Europa in aggressiver Form Nachdruck zu verleihen. Unter anderem werden ein Ende der NATO-Osterweiterung (insbesondere Verhinderung einer NATO-Mitgliedschaft der Ukraine und Georgiens) sowie ein Rückzug der NATO auf die Positionen von 1997 gefordert.
In ihrer Antwort wiesen die USA und die NATO die russischen Forderungen als in weiten Teilen unannehmbar zurück, betonten aber, dass man die bestehenden militärischen Kommunikationskanäle in vollem Umfang nutzen wolle, um die Transparenz zu fördern und Risiken zu verringern. Konkret schlage man in einem ersten Schritt im NATO-Russland-Rat gegenseitige Unterrichtungen zu Manövern und Nuklearpolitik vor. Auch solle das Wiener Dokument – ein zentrales Instrument zur Vertrauensbildung zwischen den Mitgliedsstaaten der OSZE – zur militärischen Transparenz modernisiert werden. In einer Antwort darauf warf Russland den USA vor, nicht an einer Verbesserung der Sicherheitslage in Europa interessiert zu sein. Gespräche über einzelne Aspekte der Rüstungskontrolle ohne Berücksichtigung des gesamten russischen Forderungspaketes werden abgelehnt. Russland werde daher zu Reaktionen gezwungen sein, »darunter auch zu Maßnahmen militärisch-technischen Charakters«.
Unterdessen verstärken sich auch die militärischen Auseinandersetzungen im Bürgerkrieg in der Ostukraine. Zur Deeskalation in diesem Krieg fordert Russland den Westen auf, die ukrainische Regierung zur Verwirklichung der Minsker Vereinbarungen von 2014/2015 zu zwingen, alle Waffenlieferungen an die Ukraine einzustellen, die bereits gelieferten Waffen wieder zurückzunehmen sowie alle westlichen Berater und Instrukteure abzuziehen und auf jegliche gemeinsamen Übungen der NATO mit ukrainischen Streitkräften zu verzichten.
Der Westen hat im Falle einer militärischen Intervention – vergleichbar der Annexion der Krim – schärfste Sanktionen angekündigt, darunter auch die Außerkraftsetzung der mit Russland 1997 geschlossenen Grundakte, in der Einschränkungen der militärischen Präsenz der NATO in den osteuropäischen NATO-Mitgliedsländern festgelegt sind, wie zum Beispiel die Nichtstationierung von Nuklearwaffen. Die USA führen darüber hinaus einen intensiven Informations- und Kommunikationskrieg, um gegenüber russischen Narrativen die Deutungshoheit über diesen Konflikt zu erlangen.
Russland und China haben während der Eröffnung der Olympischen Winterspiele in Peking öffentlichkeitswirksam den geo-strategischen Schulterschluss beider Länder vollzogen.
Friedrich Steinfeld arbeitet in der Sozialistischen Studiengruppe (SOST). Zuletzt schrieb er in Heft 2-2022 von Sozialismus.de zu »Neue Welt(un)ordnung im Zeitalter sozialer und ökologischer Transformation«.