1. Februar 2008 Michael Hartwig

Armut und Arbeit als postfordistisches Merkmal

Die Regelsätze für ALG II-BezieherInnen sind in die Diskussion gekommen. Es verbreitet sich immer mehr die Erkenntnis, dass von 347 Euro kein menschenwürdiges Leben möglich ist. Die Quellparteien von DIE LINKE – Linkspartei und WASG – hatten im Rahmen der Anti-Hartzkampagne im Jahr 2004 zu Recht festgestellt, dass ALG II "Armut per Gesetz" ist.

Das wird daran deutlich, dass nach EU-Definition arm ist, wer weniger als 60% des gewichteten Medianwertes zur Verfügung hat und dieser Wert betrug nach der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) aus dem Jahr 2003 938 Euro für eine Person. Dieser Schwellenwert wird durch den Regelsatz, die offiziell festgelegten "angemessenen Kosten der Unterkunft" und den Maximalwert des Zuschlags nach dem Arbeitslosengeld II von 160 Euro nicht erreicht, weshalb ein/e ALG II-Bezieher/in nach der Definition der EU arm ist.

Die nach fiskalischen und politischen Opportunitäten festgelegten Regelsätze sollen – wie noch zu zeigen sein wird – nur das Überleben auf niedrigstem Niveau sichern, während eine kulturelle und kommunikative Teilnahme am Leben so gut wie ausgeschlossen ist. Deshalb soll auch diskutiert werden, warum die Regelsätze nicht so angepasst werden, dass ein menschenwürdiges Leben möglich ist.

Vom Warenkorb- zum Statistikmodell

Bis zum 1.7.1990 wurde das soziokulturelle Existenzminimum durch das so genannte Warenkorbmodell ermittelt. Der Bedarf der SozialhilfebezieherInnen wurde anhand eines fiktiven Warenkorbmodells festgelegt. Dieses soziokulturelle Existenzminimum sollte alle sieben Jahre überprüft und gegebenenfalls aktualisiert werden. Dieser Bestimmung wurde aus fiskalischen Gründen nicht nachgekommen, da eine Aktualisierung der Regelsätze schon 1985 eine Erhöhung um 30% nach sich gezogen hätte. Aus diesen Gründen entschloss man, den Bedarf zukünftig durch das "Statistikmodell" zu ermitteln. Dieses Modell orientiert sich an der jeweils alle fünf Jahre erhobenen EVS, die die Einkommensverhältnisse und Verbrauchsgewohnheiten der BundesbürgerInnen analysiert. Im speziellen Fall der Festlegung der Regelsätze der Sozialhilfe und jetzt auch des ALG II, werden nur die Konsumgewohnheiten der – bezogen auf das Einkommen – untersten 20% aller Haushalte analysiert. Die Verbrauchsgewohnheiten dieser Haushalte werden abzüglich der SozialhilfeempfängerInnen in unterschiedliche Kategorien eingeteilt, von denen jeweils noch sozialhilfeuntypische Abschläge vorgenommen werden. Der verbleibende Rest wird als "soziokulturelles Existenzminimum" definiert.

In diesem untersten Einkommensquintil (Fünftel) gibt es überproportional viele KleinstrentnerInnen, deren Einkommen knapp oberhalb der Sozialhilfeschwelle liegt. Da sich ALG II-EmpfängerInnen per Definition noch nicht im Rentenalter befinden, muss von unterschiedlichen Verbrauchsgewohnheiten beider Gruppen ausgegangen werden, sodass sich vor allem das Freizeit- und Konsumverhalten von ALG II-Bezieher­Innen und der Referenzgruppe nicht decken dürfte.

Darüber hinaus führt die Orientierung der Regelsätze der Sozialhilfe und des ALG II an den untersten Haushaltseinkommen dazu, dass das Niveau sehr durch die Entwicklung im Niedrigeinkommensbereich geprägt ist. Sinken die unteren Einkommen auch nur relativ, müssten die Sätze der Sozialhilfe und des ALG II ebenfalls abgesenkt werden. Diese Problematik ist bei der Auswertung der EVS 2003 deutlich geworden. Gegenüber der bei der Regelsatzbemessung des ALG II zugrunde gelegten EVS 1998 hatte sich die Einkommensposition des untersten Einkommensquintils weiter verschlechtert. Die FAZ vom 13.3.2006 deutete deshalb die Möglichkeit der Reduzierung der Regelsätze an. Da eine solche Absenkung schon damals schwer durchzusetzen war, wurden den LeistungsbezieherInnen höhere Aufschläge bei den einzelnen Positionen gewährt.

Tabelle 1: Anteile der Ausgaben im untersten Einkommensquintil, die beim Regelsatz zugemessen werden

Abteilung

Posten

Prozent EVS 1998

Prozent EVS 2003

01

Nahrung, Getränke, Tabak

96

96

03

Bekleidung, Schuhe

89

100

04

Wohnung, Strom, Gas etc.

8

8

05

Einrichtungsgegenstände

87

91

06

Gesundheitspflege

64

71

07

Verkehr

37

26

08

Nachrichtenübermittlung

64

75

09

Freizeit, Unterhaltung, Kultur

42

55

11

Beherbergung, Gaststätten

30

29

12

Andere Waren u. Dienstleistungen

65

67

Quelle: Nationale Armutskonferenz vom 16.10.2007. Danach werden einer/m Regelsatzempfänger/in z.B. für Verkehr 37% der Ausgaben, die 1998 in Haushalten des untersten Einkommensqeuntils festgestellt wurden, zugestanden. Dieser Anteil wurde dann nach der EVS 2003 auf 26% abgesenkt.

Aus Tabelle 1 ist ablesbar, dass den RegelsatzbezieherInnen bezogen auf die EVS 2003 bei fünf Posten ein höherer Anteil an den Verbrauchsgewohnheiten der untersten Haushaltseinkommensgruppe gewährt und nur bei zwei Posten ein Abschlag vorgenommen wurde. Aufgrund dieser Veränderung wurde der damals aktuelle Regelsatz von 345 Euro nicht abgesenkt.

Tabelle 2: Bedarfszumessung für eine/n alleinstehende/n Regelleistungsempfänger/in des SGB II (Juli 2007) in Euro

Abteilung

Posten

Euro

 

01

Nahrung, Getränke, Tabak

128,05

 

03

Bekleidung, Schuhe

34,44

 

04

Wohnung, Strom, Gas etc.

25,94

 

05

Einrichtungsgegenstände

24,79

 

06

Gesundheitspflege

12,74

 

07

Verkehr

15,52

 

08

Nachrichtenübermittlung

30,43

 

09

Freizeit, Unterhaltung, Kultur

39,48

 

11

Beherbergung, Gaststätten

8,22

 

12

Andere Waren u. Dienstleistungen

26,93

 

 

Gesamt

347,00

 

Quelle: Arbeitnehmerkammer Bremen. Die Nationale Armutskonferenz vom 16.10.2007 weist leicht davon abweichende Beträge aus.

Was bedeutet das nun für ein Leben mit ALG II? Aus Tabelle 2 ist ersichtlich, dass ALG II-EmpfängerInnen monatlich 128,05 Euro, also täglich 4,28 Euro für Nahrung, Getränke und Tabak zur Verfügung haben. Für Gesundheitspflege stehen ihnen monatlich 12,74 Euro zur Verfügung, was ebenso deutlich zu wenig ist, wie die Beträge für die Posten "Freizeit, Unterhaltung, Kultur" und "Beherbergung, Gaststätten".

Es ist klar, dass die Bedarfszumessung den realen Bedürfnissen nicht entspricht und bei dem bewilligten Bedarf für die Positionen "Freizeit, Unterhaltung, Kultur" und "Beherbergung, Gaststätten" sogar von Ausgrenzung gesprochen werden muss.

Dass diese zu knappe Regelsatzbemessung politisch gewollt ist, wurde schon bei der Festlegung der Regelsätze des ALG II mit der EVS 1998 deutlich. So sprach der "Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband" (DPWV) im Rahmen des Regelsatzfestlegungsverfahrens von einem "statistischen Wunder", da punktgenau der damals aktuelle Regelsatz der Sozialhilfe bei der Berechnung herausgekommen ist. Der DPWV vermutete, dass politische Vorgaben bei der Berechnungspraxis berücksichtigt worden sind. (DPWV 2005: 4).[1] Zur Begründung dieser These führte der DPWV einige Beispiele aus der Regelsatzfestlegung an. So wurde den ALG II-BezieherInnen ein Zuschlag von sechs Euro aufgrund erhöhter Zuzahlungen im Gesundheitsbereich zugestanden. Diese sechs Euro wurden exakt bei der Ausgabeposition "Nahrungsmittel, Getränke, Tabakwaren" gekürzt. (ebd.: 14)

Weiterhin führt der DPWV an, dass aus der Abteilung "Freizeit, Unterhaltung, Kultur" sozialhilfeuntypische Ausgaben für Wohnwagen, Sportboote und Segelflugzeuge herausgerechnet wurden (ebd.: 28). Auch die Abteilung "Bekleidung, Schuhe" wurde um sozialhilfeuntypische Positionen wie "Pelzmäntel und Maßkleidung" bereinigt (ebd.: 24). Berücksichtigt man allerdings, dass die Referenzgruppe im untersten Einkommensquintil meist aus Ein-Personen-Haushalten mit einem monatlichen Einkommen von im Jahr 1998 unter 920 Euro besteht, dürften die oben erwähnten Ausgaben wenig wahrscheinlich und die Abschläge rein haushaltspolitisch motiviert gewesen sein (ebd.: 28).

Eine Studie der evangelischen Kirche über die Erfahrungen von Langzeitarbeitslosen mit dem SGB II im Bereich Hessen/Nassau bestätigt die Einschätzung, dass die Regelsätze Ausgrenzung befördern, da die Befragten als häufigste Einschränkungen durch den ALG II-Bezug die Kategorien "Urlaub, Ausflüge, Erholung", "Kultur, öffentliches Leben" und "Angehörige, Freunde besuchen, Pflege sozialer Kontakte" angegeben haben.[2]

Es scheint, dass sich die Wohn-, Bekleidungs- und Ernährungsbedürfnisse auf niedrigstem Niveau sichern lassen. In diesem Rahmen soll das "niedrige Niveau der Bedürfnisbefriedigung" hervorgehoben werden, da in der zitierten Untersuchung der evangelischen Kirche die fehlende "gute Ernährung" als zweithäufigste Einschränkung aufgrund des Geldmangels genannt wurde. Eine kulturelle Teilhabe ist gar nicht möglich und kann höchstens in Ansätzen befriedigt werden, wenn dafür an der Ernährung oder Bekleidung gespart wird. Da dieser Tatbestand als bekannt vorausgesetzt werden kann, muss gefragt werden, warum die Regelsätze des ALG II nicht entsprechend angepasst werden.

Das SGB II und der Arbeitsmarkt

Die Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik Deutschland soll durch den Ausbau des Niedriglohnsektors und für den Teil, der auch in diesem Segment des Arbeitsmarktes nicht mehr untergebracht werden kann, durch eine Alimentierung auf niedrigstem Niveau gelöst werden. Langzeitarbeitslose erhalten die durch das Sozialstaatsgebot vorgeschriebene Grundvorsorgung, die ein Armutsniveau aber nicht überschreitet. Ein weiterer Aspekt der niedrigen ALG II-Sätze besteht in ihrem disziplinierenden Charakter. Die Aussicht nach 12 bzw. 18 Monaten Arbeitslosigkeit auf ein Armutsniveau zu fallen, lässt viele Erwerbstätige Kompromisse bei der Entlohnung und Qualität der Arbeit machen. Die niedrigen ALG II-Sätze werden faktisch als Drohpotenzial gegenüber den Erwerbstätigen benutzt.

Das wichtigste Kriterium bei der Diskussion über die Höhe der Lohnersatzleistungen ist die neoliberale Annahme, dass die Unternehmen produktivitätsgerechte Löhne zahlen. Die wirtschaftswissenschaftlichen Institute gehen in diesem Rahmen weiter davon aus, dass die Produktivität von ALG II-BezieherInnen nicht oberhalb der Regelsätze des ALG II liegt. Diese Sichtweise ist umstritten und muss als interessengeleitet angesehen werden. Ifo-Chef Hans Werner Sinn hat die Zielfunktion dieses Ansatzes klar dargestellt. Die "Menge der verfügbaren Arbeitsplätze hängt entscheidend von der Lohnhöhe ab. Es gibt produktive und weniger produktive Arbeitsplätze, die Unternehmer zur Verfügung stellen können. Die Produktivität hängt von der Art des Arbeitseinsatzes, von der persönlichen Qualifikation der Arbeitsplatzinhaber und vor allem von den Kapitalinvestitionen ab, mit denen die Unternehmer den Arbeitsplatz ausrüsten. Findige Unternehmer werden alle Arbeitsplätze realisieren, die netto mehr an Wertschöpfung einbringen, als sie kosten. Je niedriger der Lohnsatz ist, desto niedriger ist die Wertschöpfung, die erbracht werden muss, damit kein Verlustgeschäft entsteht, desto größer ist also die Menge der Arbeitsplätze, die Unternehmer rentabel bewirtschaften können. Deshalb führt eine Lohnsenkung zu einem Zuwachs von Arbeitsplätzen."[3] Sinn u.a. führen aus, dass Lohnsenkungen generell zu mehr Arbeitsplätzen führen. Als Lohnuntergrenze fungiert im gering qualifizierten Bereich die Sozialhilfe, da sie Mindestansprüche an die Entlohnung formuliert. Sinn u.a. folgern daraus, dass Arbeitsplätze, deren Produktivität unterhalb der Regelsätze der Sozialhilfe liegt, nicht entstehen können (ebd.).

Unabhängig davon, dass die dahinter stehende Prämisse, bei völliger Flexibilität der Löhne würde ein Vollbeschäftigungsgleichgewicht entstehen, falsch ist, muss die Implikation der Theorie der völligen Flexibilität der Löhne bedacht werden. Nicht nur, dass die Argumentation neoliberaler Theoretiker einem Zirkelschluss folgt (wenn die Löhne zu hoch sind, entsteht Arbeitslosigkeit; da Arbeitslosigkeit besteht, sind die Löhne zu hoch) ist zu problematisieren, sondern auch die radikalen Konsequenzen dieses Ansatzes. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR) konstatiert in seinem Gutachten 2002/2003, dass die Sozialhilfe z.B. in den Branchen Hotel- und Gaststättengewerbe, Gebäudereinigung und Gartenbau an die unteren Lohngruppen heranreicht und, dass es sich für gering Qualifizierte deshalb nicht lohnen würde, in eine niedrig entlohnte Stelle zu wechseln (SVR 2002, Ziffer 444).[4] Er fordert aus diesem Grund eine Absenkung der Regelsätze für arbeitsfähige SozialhilfeempfängerInnen auf 70% des Ausgangsniveaus. Im Gegenzug will er ihnen die Verbleibsrate des auf dem Markt realisierten Einkommens erhöhen. Mit diesem Kombilohnmodell will der SVR einerseits Druck auf die HilfeempfängerInnen ausüben, jeden niedrig entlohnten Job anzunehmen und hofft andererseits darauf, dass durch die Absenkung der Regelsätze für arbeitsfähige HilfeempfängerInnen ein Spielraum für weitere Lohnsenkungen im Niedriglohnbereich geschaffen wird (ebd.: Ziffer 448).

Diese theoretischen Implikationen werden vom ehemaligen Ratsmitglied und Chef des Zentrums für europäische Wirtschaftsforschung, Wolfgang Franz, geteilt. Franz geht davon aus, dass die Arbeitslosigkeit im gering qualifizierten Bereich nur weiter abgebaut wird, wenn die untersten Lohngruppen, die sich zwischen drei und vier Euro die Stunde bewegen, weiter abgesenkt und diese niedrigen Einkommen durch staatliche Hilfen aufgestockt werden (Der Tagesspiegel 15.4.2007).

Der SVR und Wolfgang Franz gehen davon aus, dass die Produktivität von gering Qualifizierten nicht ausreicht, ihren Lebensunterhalt zu sichern. Aus diesem Grund muss der Staat für ein Mindesteinkommen sorgen und die niedrigen Löhne aufstocken. Neben der Feststellung, dass der geringste Teil der im Niedriglohnsektor Beschäftigten keinen Berufsabschluss hat, da zwei Drittel dieses Personenkreises einen Berufsabschluss vorweisen können,[5] stellt sich die Frage, wie die Produktivität im Dienstleistungssektor gemessen wird. Darüber hinaus muss hervorgehoben werden, dass die Produktivität von einzelnen Personen nicht bestimmt werden kann, da Arbeit im Betrieb immer als Interaktion zu sehen ist.

Obwohl die Forderungen von CDU/CSU, FDP und wirtschaftswissenschaftlichen Instituten nach einem weiteren Ausbau des Niedriglohnsektors nicht nachlassen, zeigen verschiedene Forschungsergebnisse, dass in Deutschland schon eine hohe Lohnspreizung besteht.

So kommt eine Studie des "Instituts zur Zukunft der Arbeit" zu dem Ergebnis, dass im Zeitraum 1991-2001 die Löhne der einkommensstärksten 15% der Bevölkerung in Deutschland um mehr als 10% gestiegen sind, während die Löhne der unteren 5% um bis zu 12% gesunken sind. Die Studie macht für die Lohnsteigerungen im oberen Segment den technologischen Wandel und für das Sinken im unteren Teil der Einkommenspyramide die Schwäche der Gewerkschaften verantwortlich.[6]

Diese und andere Studien[7] haben gezeigt, dass in Deutschland eine zunehmende Lohnspreizung existiert und von starren Löhnen im unteren Bereich nicht gesprochen werden kann. Dass gleichwohl weiteren Lohnsenkungen das Wort geredet wird, dürfte einerseits dem wissenschaftstheoretischen Dogmatismus und andererseits den Bedürfnissen der Exportindustrie geschuldet sein, die an niedrigen Lohnkosten interessiert ist.

Konnten im Zeitalter des Fordismus aufgrund des Massenkonsums, der Stärke der Gewerkschaften und der Systemkonkurrenz Löhne oberhalb des Existenzminimums erreicht werden, kristallisiert sich jetzt immer stärker heraus, dass Armut vorrangig durch Arbeit überwunden werden muss.[8] Dass diese gesetzliche Armutsschranke immer noch Armut und Ausgrenzung bedeutet, ist im ersten Teil dieses Artikels dargelegt worden. Erst wenn die Überwindung von Armut durch Arbeit nicht möglich ist, gewährt der Staat eine Minimalunterstützung. Die Entkoppelung von Arbeit und gesellschaftlicher Teilhabe ist derzeit das prägende Moment der postfordistischen Übergangsperiode. Wenn der immer stärker werdende Zusammenhang von Arbeit und Leistungsbezug im untersten Einkommenssegment durchbrochen werden soll,[9] muss die Linke neben dem Widerstand gegen diese Politik eine "ökonomische Alphabetisierung" durchführen und in diesem Rahmen nicht nur Konzepte für eine lokale und binnenmarktorientierte Ökonomie entwickeln, sondern auch im internationalen Bereich für eine Kooperation der Regionen eintreten. Eine solche nachfrageorientierte, mit der Exportlogik brechende Politik, würde nicht nur Basis für Lohnsteigerungen sein, sondern würde auch den kohärenten Kontext für eine deutliche Leistungssteigerung der Regelsätze des ALG II und den Einstieg in eine andere gesellschaftliche Entwicklungslogik ergeben.

Michael Hartwig ist Soziologe, lebt in Hamburg.

[1] DPWV: Zum Leben zu wenig, Kinder und Hartz IV, Eine erste Bilanz der Auswirkungen des SGB II (Grundsicherung für Arbeitsuchende), Expertise von Dr. Rudolf Martens, 2005.
[2] Anne Ames. "Ich hab’s mir nicht ausgesucht..." Eine Studie im Auftrag des Zentrums Gesellschaftliche Verantwortung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, 2006, S. 34. Siehe: www.zgv.info/hartz/befragung_ergebnis.htm. Obwohl die Studie im strengen Sinn keine Repräsentativität beanspruchen kann, liefert sie plausible Ergebnisse.
[3] Hans Werner Sinn, Christian Holzner u.a. Aktivierende Sozialhilfe. Ein Weg zu mehr Beschäftigung und Wachstum, in: Ifo-Schnelldienst 9/2002, S. 9.
[4] Sachverständigenrat zur Begutachtung des gesamtwirtschaftlichen Lage (SVR), Zwanzig Punkte für Beschäftigung und Wachstum, Jahresgutachten 2002/2003, Stuttgart.
[5] Siehe Michael Schlecht, Die wahren Sozialschmarotzer, in: junge Welt vom 17.1.2008.
[6] IZA-Discussion Papers No. 2685.
[7] Zunehmende Lohnspreizung in Deutschland. DIW-Wochenbericht 6/2007; Roland Schettkat, Lohnspreizung, Mythen und Fakten, Düsseldorf 2006.
[8] Das SGB II fordert, dass die/der Hilfeempfänger/in verpflichtet ist, ihre/seine Unterstützungsleistung zu minimieren.
[9] Über eine Million ALG II-EmpfängerInnen beziehen Unterstützungsleistungen trotz Arbeit.

Zurück