1. März 2002 Friedrich Steinfeld

BA - Auslese, und zwar effizient

Der Kanzler hat’s entschieden. Nach Willen Bundeskanzlers Gerhard Schröder (SPD) erhält die Spitze der Bundesanstalt für Arbeit (BA) die Form eines modernen Managements. Neuer BA-Chef wird Florian Gerster (SPD), über den Verbleib Bernhard Jagodas (CDU) ›sollen sich die Juristen den Kopf zerbrechen‹ (Schröder). Durch die Verzahnung von öffentlicher und privater Vermittlung erhalten interessierte Unternehmen direkteren Zugriff auf das Angebot. Die effektivere Vermittlung des brauchbaren Anteils der Arbeitslosen macht eine rationellere Verwaltung des weniger nützlichen Parts erforderlich. Das muss natürlich auch statistisch umgesetzt werden. An einer derartigen Revision der Statistik hatte sich Bundesarbeitsminister Walter Riester (SPD) bereits interessiert gezeigt. Mit der betriebswirtschaftlichen Anpassung der »Anstalt« nimmt der Umbau des Arbeitsregimes, wovon im »Bündnis für Arbeit« lange genug die Rede gewesen ist, festere Konturen an.

Entscheidungsreif hat sich die rot-grüne Bundesregierung die Situation durch die Presse machen lassen. So titelte etwa die »Welt am Sonntag« vom 10.02.: »Das 50-Milliarden-Loch. Behäbig, teuer, korrupt und erfolglos. Wie die Bundesanstalt für Arbeit sich selbst überflüssig macht.« In der Arbeitsstatistik will der Bundesrechnungshof 70% »Fehlbuchungen« herausgefunden haben. Eine von Arbeitslosigkeit und Sozialabbau geprägter Situation schafft eine gewisse Mischung im Alltagsbewusstsein, das jeden Sündenbock gierig aufgreift, der ihm geboten wird.

Die in der Öffentlichkeit mit großer Heftigkeit und teilweise auch stark ideologisch geführte Debatte über »Manipulationen« der Arbeitsämter in der Vermittlungsstatistik weist verschiedene Aspekte auf. Es gibt zwischen der Innenrevision der BA und dem Bundesrechnungshof auf der einen Seite und den Arbeitsämtern bzw. den Landesarbeitsämtern auf der anderen offenbar erhebliche Unterschiede in der Auffassung, was alles als gelungene Arbeitsvermitttlung zu zählen ist. Ursächlich hierfür sind unübersichtliche, missverständliche, z.T. widersprüchliche Aussagen und Anweisungen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Nach 14 Tagen heftiger Polemik gegen die Bundesanstalt für Arbeit und massiver Verunsicherung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter äußerte sich der Vorstand der BA wie folgt: »Der Begriff ›Fehlbuchung‹ ist nicht gleichzusetzen mit bewussten Manipulationen. Der Bundesrechnungshof legt Wert darauf, dass er dies auch nie getan hat.«

Das Interpretationsdurcheinander zeigt sich daran, dass sich der Vorstand der BA und das Bundesarbeitsministerium die Verantwortung für diese chaotische Situation wechselseitig zuschieben, was schließlich zum Rücktritt des Präsidenten dieser Anstalt, Jagoda, führte. Das macht die eigentlichen, politischen »Steuerungsdefizite« und fehlende Verantwortung deutlich! Es bleibt völlig unklar, warum nicht die weite Definition von »Vermittlung«, wie sie in § 35 SGB III enthalten ist, [1] als für die Vermittlungssatistiken verbindlich vorgegeben wurde. Dem Bundesrechnungshof (BRH) ist vorzuwerfen, dass er seine Erkenntnisse ausschließlich über die EDV gewonnen und diese nicht mit den Arbeitsvermittlern vor Ort auf ihre Plausibilität hin abgeklärt hat. Eine Vielzahl von als »nicht nachvollziehbar« eingeordneten Fällen hätte sich, so Praktiker vor Ort, dadurch ohne weiteres erklären lassen. Statt einer umfassenden Recherche hat er seine Wertung vorschnell an die Politik weiter gegeben, ohne dass die BA Gelegenheit hatte, die Vorwürfe zu überprüfen und gegebenenfalls richtig zu stellen. Dies kommt einer Vorverurteilung gleich. Der BRH trägt damit eine Mitschuld an der schweren Vertrauenskrise, in die die Arbeitsämter nun geraten sind. War dies politisch intendiert?

Die Debatte über die Vermittlungsstatistiken war nur der Anlass, alles an der Bundesanstalt für Arbeit in Frage zu stellen: die Effektivität der arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen (»Sackbahnhöfe«), die Selbstverwaltungsstruktur der BA als einer Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltungscharakter (»Selbstabschottung« und »Selbstbedienungsladen«), die Fortexistenz einer öffentlich-rechtlichen Vermittlung überhaupt (»bloße Verwaltung von Arbeitslosigkeit«), kurzum: die BA als »der Nürnberger Versorgungstrichter«. Die Diskussion wird im Moment vor allem darauf fokussiert, wie die Vermittlung von Arbeitslosen in Deutschland verbessert werden kann. Für den Kölner Sozialwissenschaftler Streeck, Mitarbeiter in der Benchmarking-Gruppe im Bündnis für Arbeit, ist völlig klar: Großorganisationen wie die BA könne man – ähnlich wie Bahn und Post – nicht umbauen. Sie können nur durch »Konkurrenz am Markt« in Bewegung gebracht werden. »Auch die letzten Reste des Vermittlungsmonopols gehören abgeschafft. Der Apparat müsste zerlegt, Arbeitslosengeld und Vermittlung müssten voneinander getrennt werden. Die Vermittlung wird dann dem Markt überlassen. Da können sich die jetzigen Arbeitsämter durchaus als Anbieter beteiligen. Aber sie müssen ihr Geld in Gestalt von Erfolgsprämien selber verdienen.« (Frankfurter Rundschau vom 9.2.02) Auch Kanzler Schröder hat sich in diese Diskussion eingeschaltet. Insbesondere wolle er sich dafür einsetzen, dass es bei der Arbeitsvermittlung private Konkurrenz gibt, »die nicht unter der Oberhoheit der Bundesanstalt selber geschieht.« (Nürnberger Nachrichten vom 18.2.02) Der ver.di-Vorsitzende Bsirske hingegen hat zu Recht davor gewarnt, diese Debatte um die Zukunft der BA dazu zu missbrauchen, die Abschaffung der gesetzlichen Sozialversicherungssystems gleich mitzubetreiben.

Was würde eine markt- und gewinndominierte Arbeitsvermittlung für die Arbeitslosen bedeuten? Eine erste Antwort gibt die Entwicklung der privaten Arbeitsvermittlung seit 1994. Im vergangenen Jahr sollen diese 140.000 Menschen einen neuen Job vermittelt haben – in der Regel qualifizierte Mitarbeiter und Führungskräfte aus kaufmännischen, technisch-gewerblichen, informationstechnischen und medizinischen Berufen. Auch wenn man diese Vermittlungszahlen zugrunde legt (faktisch sind es nach Abzug der von Künstleragenturen betreuten fristgebundenen Einzelengagements nur 46.000), einen substanziellen Beitrag zum Abbau der Arbeitslosigkeit haben die privaten Vermittler bisher nicht nicht geleistet. Warum? Der Markt hat für sie nicht mehr hergegeben. Vor allem für schwer vermittelbare Arbeitslose ist die private Arbeitsvermittlung keine Lösung. Dies sieht auch die FAZ: »Private Unternehmen haben wegen der geringen Erfolgsaussicht und der hohen Suchkosten lediglich zu hohen Gebühren Interesse an dieser Kundengruppe. Der jetzt als Allheilmittel sowohl der Schwächen staatlicher Vermittlung wie auch der Arbeitsmarktmisere gepriesene Wettbewerb wird nur dort verstärkt, wo er ohnehin schon gegeben ist: im schmalen Segment der Vermittlung von hochqualifizierten Menschen.« (FAZ vom 14.02.02) Konkurrenz belebt eben hier nicht das gesamte Geschäft, sondern nur die »Rosinenpickerei«. Die Existenz einer gut funktionierenden öffentlich-rechtlichen Arbeitsvermittlung stellt daher – wie die Arbeitslosenversicherung – ein wesentliches Element der Zivilisierung kapitalistischer Marktmechanismen dar.

Zur Verbesserung der Vermittlungschancen für die Problemgruppen des Arbeitsmarktes ist eine massive Stärkung der öffentlich-rechtlichen Arbeitsvermittlung erforderlich. Dies bedeutet zum einen eine weitere personelle Verstärkung der Arbeitsvermittlung. Denn solange ein Arbeitsvermittler im Durchschnitt zwischen 700 und 800 Arbeitslose (teilweise bis zu 1000) zu betreuen hat, kann er nicht wirklich auf die Anliegen und Bedürfnisse des einzelnen Kunden eingehen. Gleichzeitig ist die Arbeitsvermittlung von allen bürokratischen Hemmnissen radikal zu entschlacken, von Hemmnissen, die oftmals aus gesetzlichen Regelungen, für die die Politik verantwortlich ist, entspringen. Die Selbstverwaltung ist nicht abzuschaffen, sondern – im Sinne der Zivilgesellschaft – zu stärken. Es muss eine noch bessere Kooperation der verschiedenen, für die Region beschäftigungs- und arbeitsmarktpolitisch verantwortlichen Einrichtungen geben. Die Gewerkschaften müssen darüber nachdenken, warum die Selbstverwaltungsstrukturen so in Misskredit geraten sind und welche Schlussfolgerungen daraus zu ziehen sind. Eine wesentliche Verbesserung der Effizienz der Arbeitsvermittlung ist aber letztlich nur denkbar, wenn auch ein entsprechendes Angebot an Arbeitsplätzen vorhanden ist. »Verbleibsuntersuchungen von Arbeitslosen zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit, eine Stelle zu finden, für eine Person mit demselben Fähigkeitsprofil im Arbeitsbezirk Freising mit derzeit 2,7% Arbeitslosenquote (November 2001) mindestens viermal höher ist als etwa in Gelsenkirchen mit einer Arbeitslosenquote von 14,2%. In vielen ostdeutschen Regionen ist die Stellensituation noch dramatisch schlechter.« (Günther Schmidt, FR vom 15.2.02)

Und noch eines sei der herrschenden Klasse ins Stammbuch geschrieben: Die PISA-Studie hat gezeigt, dass nahezu ein Viertel der bundesrepublikanischen Schüler nur über rudimentäre sprachliche Kompetenzen (»literacy«), die Basiskompetenz für alle individuellen Aneignungsprozesse, verfügt. Bezogen auf den Arbeitsmarkt heißt dies, dass durch die offenkundigen Qualitätsmängel des deutschen Bildungswesens die zukünftigen Problemgruppen des Arbeitsmarktes systematisch gesellschaftlich produziert werden – Problemgruppen, deren Defizite dann die Arbeitsämter mit ihren Bildungsmaßnahmen »korrigieren« bzw. »kompensieren« sollen. Auch in diesem Punkt ist ein radikales Umdenken erforderlich.

Friedrich Steinfeld lebt in Berlin (ver.di-Mitglied)

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