27. Januar 2025 Witich Roßmann: Aspekte zum Thema Intellektuelle und Gewerkschaften anlässlich seines 150. Geburtstags
Das Phänomen Hans Böckler
Der 150. Geburtstag von Hans Böckler am 26. Februar 2025 gibt guten Anlass, einigen Facetten eines außerordentlichen Gewerkschafters nachzugehen, dem es inmitten der Trümmer eines von den Alliierten befreiten faschistischen Deutschland gelang, eine bis heute in Europa beispielhafte moderne industriegewerkschaftliche Einheitsgewerkschaft durchzusetzen und die Tür für die Unternehmensmitbestimmung zu öffnen.[1]
Als er im April 1945 aus seinem Versteck im bergischen Land nach Köln zurückkehrte, lagen zwölf Jahre innerer Emigration und faschistischer Repressalien hinter ihm. Als er seine zweite Gewerkschaftskarriere begann, war er schon 70 Jahre alt. Werner Hansen, als Mitarbeiter des amerikanischen Geheimdienstes »Office of Strategic Services« (OSS), am 15. März 1945 mit der US-Armee in Köln eingezogen, fasst seine Beobachtungen so zusammen: »Böckler ist seit einigen Wochen hier in Köln. Obwohl er bereits sehr alt ist, wird er von allen Gewerkschaftern ohne weiteres als der Mann anerkannt, der den Wiederaufbau der Gewerkschaften vorzunehmen hat. Er ist wirklich eine Persönlichkeit nicht nur vom Format eines Gewerkschaftssekretärs. Es gibt hier weder unter den Christen noch unter den Kommunisten jemanden, der ihm gewachsen wäre.« (Rüther 1989: 96)
Worauf beruhte diese wie selbstverständliche Autorität? In den strategischen Debatten im ADGB-Bundesausschuss wie in der SPD-Reichstagsfraktion vor 1933 blieb er schweigsam, Kontakten zu Widerstandsgruppen im Faschismus stand er ablehnend gegenüber (siehe Roßmann 1991: 470f.). Aber vier Jahre nach seiner Rückkehr in die Gewerkschaftsbewegung wird er 1949 – inzwischen 74 Jahre alt – zum unumstrittenen Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbunds gewählt.
Auf der Spurensuche treffen wir erstens auf die vielfältige Akkumulation politischen und sozialen Kapitals, das er auf den Stationen seines mobilen Gewerkschaftslebens bis 1933 sammelte, zweitens auf die enge Zusammenarbeit mit zwei intellektuellen Wegbegleitern: Werner Hansen, der ihm die Diskussionsergebnisse der gewerkschaftlichen Emigration vermittelte, und Victor Agartz, dessen Wirtschaftskompetenz und sozialistische Überzeugungen er schätzte. Und drittens auf seine intimen Kenntnisse der rheinisch-westfälischen Machteliten, deren politisches Machtzentrum sich um den ehemaligen Kölner Oberbürgermeister und ersten Bundeskanzler Konrad Adenauer und Josef Pferdmenges (Deutsche Bank) sammelte. Nicht zufällig erfolgte am 4. Januar 1951 – wenige Tage vor seinem Tod am 16. Februar 1951 und inmitten der dramatischen Verhandlungen um die Montanmitbestimmung – eine gemeinsame Verleihung der Kölner Ehrenbürgerschaft an Böckler und Adenauer und setzte damit ein Ausrufezeichen für den Start einer Nachkriegsgesellschaft, die der französische Ökonom Michelle Albert (1992) Jahrzehnte später als »Rheinischen Kapitalismus« titulierte.
Das biografische Kapital bis 1933
Bis Böckler in Köln einen festen Wohnort und im Rheinland seine Heimat fand, lag ein bewegliches Gewerkschaftsleben hinter ihm: Als Goldschläger in seiner Geburtsstadt Fürth, wo er am 26. Februar 1875 geboren wurde, organisierte er seine ersten Streiks, war an der Gründung der AOK beteiligt und saß für die SPD im Stadtparlament. Sein Weg führt ihn 1903 hauptamtlich für den Deutschen Metallarbeiter-Verband (DMV) nach St. Ingbert im Saargebiet. 1908 wechselt er in die Bezirksleitung Frankfurt a.M. und schon 1910 wird er Bezirksleiter in Schlesien mit Sitz in Breslau. Bis zu seiner Schussverletzung an der Ostfront 1915 ist Hans Böckler Infanterist im Ersten Weltkrieg, leistet dann Gewerkschaftsarbeit in Oberschlesien und Siegen.
Witich Roßmann ist Vorsitzender des Stadtverbands Köln des DGB.
[1] Die Skizze folgt weitgehend meiner Quellensammlung zur Geschichte der Kölner Metallgewerkschaften (Roßmann 1991) und dem Essay »Die revolutionäre Neuorganisation der deutschen Gewerkschaften 1945–1949« (Roßmann 2019: 58–84); hier finden sich alle Belege, soweit nicht ausdrücklich anders zitiert.