1. Mai 2001 Paul Boccara

Demokratische Umverteilung

Um die gegenwärtige Ökonomie auf globaler Ebene wie auf der der Unternehmen gründlich wirksam zu demokratisieren, muss weit über die alten etatistischen Konzeptionen hinausgegangen werden.
Die Krise des staatsmonopolistischen Kapitalismus und des Wohlfahrtsstaates hat neue Herausforderungen gesetzt: die informationelle Revolution, reaktionäre Antworten des ungebremst dominierenden Neoliberalismus und die Globalisierung. Angesichts dieser Konstellation geht es darum, die Märkte selbst zu transformieren, um sie radikal zu beherrschen und zu überwinden.

Damit diese radikale Beherrschung Erfolg hat, müsste sie die Übel wie auch die Potenzen, die Schwachstellen wie die Vorzüge der gegenwärtigen Machtstruktur der deregulierten Märkte überwinden. Sie dürfte also weder auf eine ausufernde etatistische Beherrschung noch auf bloß marginale öffentliche Korrekturen eingeengt werden. Eine wirksame demokratische Steuerung, die nicht hinter die Flexibilität der Märkte zurückfällt, müsste m.E. Institutionen schaffen, die neue marktförmige Austauschbeziehungen und Beziehungen des Teilens kombinieren, um allmählich eine gemeinsame Entwicklung aller Menschen zu ermöglichen.

Bevor einige Vorschläge in dieser Richtung unterbreitet werden, soll ein Merkmal der gegenwärtigen Systemkrise präzisiert werden. Es geht um die ambivalenten Erfordernisse der informationellen Revolution: entweder auf monopolistische Herrschaft zielende Verteilung oder sozial effizientes Teilen zwecks gemeinsamer Entwicklung aller Bevölkerungsgruppen.

Aktueller Stand der Systemkrise:
Heranreifen der informationellen Revolution, Erfordernisse universellen demokratischen Teilens

Man redet viel von der auf Informationstechnologien und Globalisierung beruhenden »New Economy« und betont dabei das bedeutende weltweite Wachstum, das manche als dauerhaft, weil vom Wirtschaftsaufschwung der USA angetrieben, hinstellen.

In Wirklichkeit läßt dieser beeindruckende Aufschwung, der auf die schwere Finanzkrise von Mitte 1997 bis Anfang 1999 folgte, seit dem Herbst 2000 in den USA nach. Damit zeichnen sich eine mehr oder minder harte Landung und wahrscheinlich eine spätere Finanz- und Realkrise großen Ausmaßes ab.

In der Tat sind wir keineswegs über die Systemkrise und die seit Ende der 60er Jahre anhaltenden Tendenzen zu Finanzstörungen und Massenarbeitslosigkeit hinweg. Die optimistischen Analysen beweisen allerdings, dass mit dem Heranreifen der neuen Technologien auch Potenziale und Erfordernisse für das Konstruieren eines möglich gewordenen Auswegs heranreifen.

Die Systemkrise betrifft die drei Bestandteile jedes Wirtschaftssystems: nicht nur die Struktur der gesellschaftlichen Reproduktionsverhältnisse, sondern auch die technologischen Operationen und die Regulierung samt den Regulatoren. Ich will im Folgenden auf die Folgen der informationstechnologischen Revolution für die Struktur und die Regulierung des Systems eingehen, und damit auf die neuen ambivalenten Erfordernisse des Teilens.

Die Systemkrise entspricht der absteigenden Phase des Lange-Wellen-Zyklus nach Kondratieff. Diese Phase könnte weitere Deformationen aufdecken. Es offenbart sich eine anhaltende Überakkumulation von Kapitalen oder ein bleibender Akkumulationsüberhang über die Profitlimits für die rentable Kapitalverwertung. Daher die Schwierigkeiten, die Umstellungen und Einschränkungen der Realakkumulation und der Beschäftigung in Zusammenhang mit den sehr starken Pressionen der Akkumulation des Finanzkapitals. Daher die Bemühungen um die neuen Technologien, damit auf die Behinderung des Produktivitätsfortschritts mittels neuer Einsparungen an lebendiger Arbeit, aber nunmehr auch in mit materiellen Mitteln geronnener Arbeit, reagiert werden kann.

Doch in der gegenwärtigen Systemkrise geht es um eine technologische Gesamtumwälzung. Ich habe schon zu Beginn der 1980er Jahre vorgeschlagen, sie als informationelle Revolution zu bezeichnen. Diese hat sich in den 1990er Jahren insbesondere in den USA beschleunigt. [1] Vor allem aus ihr erklärt sich die Radikalität der Krise von Struktur und Regulierung des Sys-tems sowie ihrer Herausforderungen.

In der industriellen Revolution der Werkzeugmaschine wird die Werkzeuge führende Hand des Menschen von einem materiellen Mittel abgelöst. In der informationellen Revolution werden bestimmte Funktionen des menschlichen Gehirns z.B. bei der Speicherung, Übertragung und Verarbeitung numerisch codierter Informationen von Computern übernommen. Diese neue Revolution gestattet auch, die industrielle Revolution zu Ende zu führen, und zwar auf technischer Ebene mit der vollständigen Ersetzung der Hand (die noch widerstrebt, mit Rückhalt beim Gehirn) durch die Automatisierung und auf geografischer Ebene durch ihre Globalisierung.

Die Vorherrschaft übernehmen jetzt tendenziell, auch für die materielle Produktion, die vergegenständlichten Informationen, so die Forschung und Entwicklung in der Produktion, die Ausbildung für die Arbeit und die Daten bei allen Dienstleistungen.

Nun unterscheidet sich eine in Symbolen aufgezeichnete Information grundsätzlich von einem industriellen Standardprodukt, das ausgehend von zugelieferten anderen Produkten hergestellt wird. Wenn ich jemandem ein Industrieprodukt liefere, dann habe ich es nicht mehr. Wer dieses Produkt erhält, muss mir also meine gesamten Kosten bezahlen, damit ich mich wenigstens reproduzieren kann. Aber wenn ich eine Information liefere, behalte ich sie auch noch für mich und kann sie wiederum an andere liefern. Ich kann demnach die Kosten mit allen teilen, denen ich sie liefere. Im Fall des Industrieprodukts haben wir den Austausch von Äquivalenten auf dem Markt und im Fall der Information die Möglichkeit der breiteren Umverteilung der Kosten. [2]

Vom Teilen der Kosten für die Ergebnisse kann man außerdem zum Teilen der Forschungsoperationen selbst übergehen, während das Zirkulieren der Informationen oder der erweiterte Zugang zu ihnen erlauben, sie entscheidend anzureichern.

Je mehr ausgebildete, beschäftigte und mit Wissen ausgestattete Werktätige es gibt, desto mehr wird man - wenigstens im Prinzip - die Informationskosten für die Resultate dieser gesellschaftlichen Arbeit teilen können.

Aber in der Wirklichkeit des bestehenden Systems, unter der Vorherrschaft der Rentabilität der Kapitale, wird dieses Teilen von kolossalen Kos-ten zwecks ihrer Senkung in ausgedehnten, mehr oder minder monopolis-tischen kapitalischen Ensembles benutzt, um die finanzielle Rentabilität zu steigern und andere konkurrierende Unternehmensnetze zu verdrängen, womit der Druck auf die Beschäftigten zunimmt.

Diese Erfordernisse neuer Beziehungen und der Kostenteilung haben entscheidend zur Krise des staatsmonopolistischen Kapitalismus und des Wohlfahrtsstaates beigetragen. Hinzu kamen als Folge der deregulierten Märkte: prekarisierte Arbeitsverhältnisse, Herrschaft der Finanzmärkte, der Privatisierung sowie der Globalisierung. Die Umverteilung der Informationskosten zur Steigerung der Rentabilität hat dazu beigetragen, die nationalstaatlichen Monopole in Frage zu stellen (zu schweigen von den alten abgeschotteten Produktionsverfahren). Die Privatisierung öffentlichen Eigentums und öffentlicher Unternehmen zielt auf multinationale Umverteilung zwecks höherer finanzieller Rentabilität, aber auch darauf, den Druck der monopolistischen Rentabilität zu begünstigen. Das hat sich mit den neuesten Riesenfusionen und -aufkäufen im Weltmaßstab verstärkt. [3]

Diese Erfordernisse, Schranken abzubauen und umzuverteilen, haben auch zum Zusammenbruch jener etatistischen Regime, die sich auf den Sozialismus beriefen, beigetragen sowie der Regime der nationalen Entwicklung in der Dritten Welt, was die Herausforderungen der unipolaren Welt und der Hegemonie der USA heraufbeschwor. Sie haben auch die großregionalen Integrationen wie jene der Europäischen Union vorangetrieben. Sie haben die außerordentliche weltweite Expansion der Finanzmärkte befördert, die einerseits riesige, die Informationskosten umverteilende und marktbeherrschende Unternehmsnetze kontrollieren und andererseits Kapitalmassen für den erneut fälligen Informationsaufwand auftreiben.

Aber parallel zu den enormen Innovationen in den Tätigkeiten und Produkten sowie den neuen Kooperationen wurden auch in den kurzfristigen Konjunkturen der langen Systemkrisenphase die Antagonismen dieses Wachstums verschärft, die finanziellen und realen Überakkumulationen wieder in Gang gesetzt und die Massenarbeitslosigkeit vermehrt.

Doch der nächste, besonders starke Ausbruch der Überakkumulation, der sich insbesondere im Zusammenhang mit den Spannungen bei Erdölprodukten, bei den Löhnen oder den Aktionärsdividenden ankündigt, fällt in eine Zeit, in der die Potenziale ihrer möglichen Überwindung bereits herangereift sind.

Es handelt sich zunächst um die Herausforderungen der fundamentalen Antagonismen auf der globalen Ebene. Das sind die Pressionen auf die Löhne, aber auch auf die öffentlichen Ausgaben und die soziale Sicherheit, die letztlich zum Nachlassen des Wachstums der Produktions- und Produktivitätskapazitäten und dann mit den so wieder in Gang gesetzten Inflationstendenzen zu mangelnder Gesamtnachfrage beitragen, weil das Drängen nach finanziellem Surplus über die Kon-sump-tion obsiegt. Das sind ferner die schwindelerregende Aufblähung der Finanztitel und das enorme Ausmaß der Schulden, wodurch die Risiken von Zusammenbrüchen scharf ansteigen. Das sind weiter die potenziellen Überkapazitäten, die in Verbindung mit den Riesenfusionen im Rivalisieren um Weltmarktanteile entstehen. Und schließlich die neuen Risiken für die Gesundheit, die Umwelt, die kulturelle Vielfalt, die sich aus dem hemmungslosen globalisierten Streben nach Senkung der materiellen Kosten unter vollkommen neuartiger Nutzung der Information ergeben.

Dies alles verbindet sich mit den Herausforderungen der Antagonismen in der Unternehmensführung und -organisation. Es geht nicht nur um die Rivalitäten um monopolistische Umverteilung zwischen Ensembles von Unternehmen oder auch um dauerhafte Beziehungen des Teilens von Informationen mit ihren Kunden. Es handelt sich auch um Bemühungen, Informationen und Verantwortlichkeiten mit den Beschäftigten zu teilen, um sie zu binden und ihre Kreativität zu nutzen. Dabei entstehen Antagonismen verstärkter Herrschaft, mit denen die Beschäftigten dazu gebracht werden, unter Berufung auf Aufstiegsmöglichkeiten und Wettbewerbsfähigkeit an ihrer Ausbeutung durch Druck auf Bedingungen, Kosten und Schutz der Arbeit mitzuwirken.

Es handelt sich schließlich um die Herausforderungen der internationalen und weltweiten Antagonismen in den neuen Integrationszonen (wie der Europäischen Union), zwischen solchen Zonen (wie zwischen der EU und ihren Nachbarn in Ost oder Süd) sowie gegenüber der zunehmenden Hegemonie der USA. Das betrifft ganz besonders die neuartige Herrschaft durch massive Kapitalimporte der USA aus der ganzen Welt, speziell aus Japan und der Europäischen Union (mit Kursverlusten des Euro als ersten Auswirkungen), zugunsten des eigenen Dominationsaufwands. Dieser Kapitalimport verweist auf die De-facto-Rolle des Dollars als Weltgeld, das die Potenziale der monetären Revolution - des Abgehens der Währung vom Goldstandard - in Beschlag nehmen will. Es verweist auch auf den relativen Vorsprung der USA in den Informationstechnologien und bei der Entwicklung der globalisierten transnationalen Monopolnetzwerke.

Die Antagonismen zwischen entwickelten Ländern und Entwicklungsländern sind 1997/98 in der Krise der aufstrebenden Länder erstmals deutlich hervorgetreten. Aber zunehmend verstärken sich auch zwischen den höchstentwickelten Ländern die Herausforderungen der Gegensätze zwischen Kooperation und Beherrschung. Deshalb wäre auf mögliche Annäherungen der EU-Länder und der anderen mehr oder minder dominierten Großregionen zwecks gemeinsamer Entwicklung aller Beteiligten zu setzen, statt auf das Streben nach einem ungleichen Kondominium mit den USA und auch mit Japan.

Außer der informationellen und der monetären Revolution drängen im Übrigen die demografische Revolution (steigende Lebenserwartung bei sinkender Geburtenrate) und die ökologische Revolution (Probleme der Pollution, der Biotechnologien, des Raumes) zu demokratischem Teilen bis zur Ebene jeder Person, nicht nur in jedem Land, sondern auch in den internationalen Zonen und im Weltmaßstab.

Demokratische Umverteilung auf drei Märkten:
Arbeitsmarkt, Geld /Finanzmarkt, Warenmärkte

Im Folgenden werden nur einige Hauptrichtungen von Zielen und Mitteln für Institutionen genannt, die eine radikale Demokratisierung bis hin zu direkten und dezentralisierten Interventionsbefugnissen aller Bürger und Beschäftigten organisieren.

In den konkreten Kämpfen und praktischen Vorschlägen von heute zeichnen sich Anliegen einer Emanzipation von der Diktatur der Märkte durch von allen beherrschtes Teilen auf lokaler wie auf weltweiter Ebene ab. Sie stehen im Gegensatz zu dem vorherrschenden Teilen zwecks dominierter Integration in diese Diktatur. Allerdings präsentieren sie sich noch als Stückwerk. Ich werde deshalb - sehr gedrängt - Vorschläge unterbreiten, die diese Bestrebungen nach emanzipativen Kooperationen zusammenbinden können.

Ich gehe davon aus, dass ein wirksamer Zusammenhalt, der unter den Bedingungen der informationellen Revolution über die Schwächen wie über die starken Seiten der Märkte hinausgeht, drei Gruppen von Erfordernissen entsprechen muss.

  Erstens muss die Flexibilität des Marktes selbst beim Abbau von Tätigkeiten übertroffen werden, aber ohne soziale Verwerfungen durch diesen Abbau. Das ist durch Rotationen oder Teilen von Tätigkeiten zu erreichen. Beispiel: Die Flexibilität des Beschäftigungsabbaus durch Arbeitslosigkeit ist durch Alternieren zwischen Ausbildung und Beschäftigung zu übertreffen.

  Zweitens müssen die kreativen Anreize zerstörerischer Konkurrenz durch die Umverteilung zwischen Unternehmen oder im Unternehmen (mit den Beschäftigten) sowie zwischen Lokalitäten, Regionen, Nationen und internationalen Zonen bis hin zum Weltmaßstab aufgehoben werden. Anzustreben wären nicht nur gemeinsame Ziele, sondern auch ein Wetteifer um originelle Beiträge zur besseren Realisierung dieser Ziele, um überall die Bevölkerungsgruppen und ihre schöpferischen Fähigkeiten zu entwickeln.

  Drittens sind die Übergänge zwischen den alternierenden Tätigkeiten und der Umverteilung zwischen Unternehmen oder Bevölkerungsgruppen so zu regulieren, dass Über- und Unterproduktion vermieden und die soziale Effektivität gesteigert wird. Unter Effektivität wäre zu verstehen, dass allerorts die Fähigkeiten und Lebensbedingungen der verschiedenen Bevölkerungsgruppen gefördert werden.

1. Den Arbeitsmarkt durch »flexible Beschäftigungs- oder Ausbildungssicherheit« beherrschen und zu überwinden beginnen. [4]

Es geht darum, über die Grenzen der Vollbeschäftigung hinauszugehen. Vollbeschäftigung bedeutete in Theorie und Praxis nie das Fehlen von Arbeitslosigkeit, sondern eine hohe Beschäftigungsrate mit einer gewissen Arbeitslosenrate, die als nicht aufhebbar galt, weil das Unterschreiten angeblich inflationstreibend wirkt. Von Vollbeschäftigung spricht man z.B. in den USA bei einer Arbeitslosenrate von 4%, und in Europa soll die unaufhebbare Rate noch merklich höher sein. Außerdem verhindert die Vollbeschäftigung nicht, dass es mangelnde Qualifikation oder eine niedrigere Nachfrage der Frauen nach Beschäftigung gibt.

Die mit der informationellen Revolution möglich gewordene Aufhebung der Arbeitslosigkeit würde die Flexiblität des Beschäftigungsabbaus durch das Alternieren zwischen Beschäftigung oder Ausbildung beibehalten. Das stünde im Gegensatz zu der verschwenderischen Rigidität der angeblichen Beschäftigungsgarantien der etatistischen Regime, die sich auf den Sozialismus beriefen.

Zwar würden schon die widerspruchsvollen verkappten und verkürzten Einstellungen in jene Richtung laufen. Das gilt für die Ausdehnung des Arbeitslosengeldes, die gestützten Beschäftigungen, die Fortbildung oder dauernde Weiterbildung, die Mindestsätze der Sozialhilfe. Eine Beschäftigungs- oder Ausbildungssicherheit stünde jedoch im Gegensatz zur Diskontinuität wie auch zu dem niedrigen Niveau dieser Unterstützungen und zu allen Arten von Prekarität.

Sie wäre auch radikal verschieden von den »Workfare«-Maßnahmen, die prekäre Arbeits- oder Ausbildungsplätze auf niedrigem Niveau zuweisen und Ablehnung mit dem Entzug der Sozialleistungen bestrafen.

Sie stünde schließlich auch im Gegensatz zu den Vorschlägen für exis-tenzsichernde Mindesteinkommen ohne Zusammenhang mit Beschäftigung oder Ausbildung.

Eine Beschäftigungs- oder Ausbildungssicherheit würde darauf abzielen, allen einen ihnen genehmen Arbeits- oder Ausbildungsplatz unter Beibehaltung von gutem Einkommen und Anrechten und von den Betreffenden geregelten Übergängen in beiden Richtungen anzubieten.

Diese radikalen sozialen Ziele setzen entsprechende Befugnisse und Finanzmittel sowie Institutionen voraus. Diese Umverteiulung von Zielen, Befugnissen und Mitteln wäre auf verschiedenen Ebenen einzurichten, von den lokalen Beschäftigungsbereichen aufwärts. Ausbildungsplätze und Finanzmittel würden auf Gegenseitigkeit gewährt. Das beträfe insbesondere erhöhte Ausbildungsabgaben der Unternehmen. Es würde aber auch auf Bankkredite oder öffentliche Vorschüsse für Ausbildungsausgaben abzielen, die von denen rückzuerstatten wären, die die Ausgebildeten beschäftigen. Es würde gleichermaßen auf neue soziale Normen abzielen.

Anreize und Stützungen aus öffentlichen Finanzmitteln und Kredite würden je nach Quantität und Qualität für Beschäftigungs- und Ausbildungsvorschläge vergeben, die nicht nur von Unternehmenschefs, sondern auch von beschäftigten Werktätigen, von Arbeitsuchenden, von Gewerkschafts- und Arbeitslosenorganisationen und Abgeordneten erwartet werden.

Schließlich würde die lebenslange Weiterbildung nicht nur auf qualifiziertere und verantwortlichere Beschäftigung abzielen und zugleich für anhaltende neue Nachfrage sorgen. Sie beträfe auch die kulturelle Entwicklung zur Gestaltung eines weiter entfalteten, kreativen Lebens für alle und jeden.

2. Den Geldmarkt mit gemeinsamen Währungen für Großregionen und die Welt sowie mit Finanztiteln für gemeinsame Entwicklung in Form von Obligationen und Aktien neuen Typs beherrschen und zu überwinden beginnen. [5]

Es handelt sich darum, über die Stützung des Kreditwesens und der Finanzmärkte durch eine nicht nur auf Zwangskurs gesetzte, sondern nunmehr auch von der Regelung durch das Gold abgelöste Währung hinwegzukommen.

Das erpresserische Drängen der Kapitale auf finanzielle Rentabilität mittels Umsteigen auf andere Währungen wäre durch gemeinsame Währungen bis hin zu einer gemeinschaftlichen Weltwährung zu überwinden. Und die Zerstörungswirkungen von Kredit-sperrungen oder Pressionen der Finanzmärkte auf Sozialabbau wären bei Verlagerungen von Tätigkeiten durch begleitende Verlagerungen der Finanzierung entweder in Richtung neuer Produktionsorganisationen oder in Richtung von mit Arbeitsplätzen zusammenhängenden Bildungsgängen in dem Maß zu überwinden, wie Kriterien gemeinsamer Entwicklung der Bevölkerungsgruppen vorankommen.

Eine Besteuerung internationaler Finanzflüsse - eine rein negative Maßnahme - ist zwar nützlich, aber ganz und gar unzureichend. James Tobin hat selbst erklärt, dass das Hauptverdienst der von ihm vorgeschlagenen Steuer darin besteht, eine andere Kreditpolitik mit ermäßigten Zinssätzen zu ermöglichen.

So würden großregionale gemeinsame Währungen wie der Euro - aber möglichst keine Einheitswährungen - erlauben, die Geldschöpfung in einer ganzen internationalen Zone nicht zwecks Stützung der Finanzanlagen, wie beim jetzigen Euro, sondern zwecks langfristiger Kredite mit selektiv ermäßigter Verzinsung zu teilen, um die Kooperation von Unternehmen in der Forschung und Entwicklung und bei der Beschäftigung oder Ausbildung gemeinsamer Bevölkerungsgruppen zu fördern. Die Zinssätze für Investitionskredite wären um so niedriger, je mehr Arbeits- oder Ausbildungsplätze programmiert würden. Man würde so darauf abzielen, entgegen den zerstörerischen Konkurrenzen die internationalen Solidaritäten in jeder Großregion zu entwickeln, und sich dabei auf geteilte Geldschöpfung z.B. in Ostasien oder in Lateinamerika stützen.

Eine gemeinsame Weltwährung könnte ausgehend von den Sonderziehungsrechten des IWF geschaffen werden, im Gegensatz zur dominierenden Rolle der jetzigen de facto Weltwährung Dollar.

Der inflationistische Zugriff des Dollars auf die Welt und die Stützung der USA-Kapitalimporte durch ihn könnten so durch einen umverteilten inflationis-tischen Zugriff überwunden werden, der überall Beschäftigung oder Ausbildung sowie für die gemeinsame Entwicklung aller Völker kooperierende Kapitale begünstigt.

Das Ziehungsrecht einer dem IWF angeschlossenen Zentralbank auf Mitgliedswährungen des Fonds ergäbe sich aus der Bewilligung von Beträgen der gemeinsamen Währung in Höhe vom Mehrfachen der beim IWF (in nationaler oder großregionaler Währung) deponierten Einlagen. Diese Ziehungsrechte aufs Mehrfache (vierfach, fünffach, zehnfach ...) der zum IWF beigesteuerten Nationalwährung wären um so erheblicher, je größer die Bevölkerung und deren Unterbeschäftigung im betreffenden Nationalensemble sind. Die Vergabekriterien würden auf zinsgesenkte Kredite für Investitionen zugunsten von Beschäftigung und Ausbildung abzielen. IWF-Stimmrechte und Einlagenhöhe würden entkoppelt.

Neue Finanztitel könnten in Konkurrenz zu den bestehenden Titeln eingeführt und entwickelt werden. In Frage kämen niedrig verzinste, aber durch eine Trägerschaft der Zentralbanken gestützte und gesicherte öffentliche Obligationen mit Zweckbindung für Ausgaben zur Entwicklung von Fähigkeiten für alle Schichten der Bevölkerung. In Frage kämen auch öffentliche Aktien von öffentlichen oder gemischten Unternehmen auf der Basis des vorhandenen Eigentums und des faktisch gemischtwirtschaftlichen Charakters zahlreicher Privatisierungen, aber mit abgewandelten Aktionärsrechten. Abtretungen könnten erschwert, Dividendenbezüge stark reduziert, dafür aber Ansprüche in Bezug auf Beschäftigung und Ausbildung in Kooperation gewährt werden. In Frage kämen weiter ein neues Recht gleichen Typs für Belegschaftsaktien sowie neue Regeln für deren Vergabe.

In Frage kämen ferner gesetzliche Regelungen für die Geschäftsführung der großen Investmentfonds wie der Pensionsfonds, um deren spekulativen Ansprüchen entgegenzuwirken und ethische und soziale Kriterien zu stimulieren. In Frage kämen schließlich Joint Ventures insbesondere von öffentlichen oder gemischten Dienstleistungsunternehmen oder von öffentlichen Unternehmen mehrerer kooperierender Nationalstaaten.

Zu erwähnen wäre die Organisation von Diskussionen, von Befugnissen und von entsprechenden Institutionen. Das beträfe lokale Interventionsbefugnisse in die Beziehungen zwischen Banken und Unternehmen, insbesondere um die Ablösung eines Teils der Zinsen durch öffentliche Gutschriften anzuregen. Abzuzielen wäre jedoch auch auf eine neue Impulsgeber-Rolle der öffentlichen und halböffentlichen Finanzinsitute und eine demokratische Kontrolle der Politik der Zentralbanken. Man könnte gleichfalls eine neue Verteilung der Stimmrechte und ihre demokratische Kontrolle in einem umgegründeten IWF, mit anderen Interventionskriterien, oder auch eine Umgestaltung der Weltbank organisieren. Angestoßen von Beteiligungen der öffentlichen Hand, der Beschäftigten usw. wären Diskussionen und Schlichtungsverfahren für die Geschäftsführung einzuführen.

Über die Verteilung der Finanzmittel und ihre Verwendungsnormen hinaus würden die Reaktionen auf inflationäre oder deflationäre Tendenzen darauf abzielen, statt asymmetrischer und depressiver Korrekturen solche Korrekturen anzuregen, die das Teilen von Finanzmitteln und Informationskapazitäten anstreben, um die Effektivität aller Teile voranzubringen. Eine andere Geld- und Finanzpolitik würde Kooperationen zur Verbesserung der Verhältnisse zwischen Kosten und Produktion durch geteilte Zugänge zu den fortgeschrittensten Verfahren, durch Lehrgänge und durch Reorganisation von Unternehmen ohne die destruktiven Zwänge von Kreditsperren oder Fondsabzügen zu begünstigen.

Schließlich könnte man organisieren, dass außer den monetären Maßnahmen sach- und zeitbezogene Maßnahmen für die Produktionen und die Dienstleistungen bedacht werden, die ein demokratisches Beherrschen der gesellschaftlichen Zeiten und das Reagieren auf die Bedürfnisse erlauben.

3. Den Warenmarkt beherrschen und zu überwinden beginnen:
Vorstöße zu Kriterien sozialer Effektivität in der Unternehmensführung sowie zu Kooperationen für die Produktionsorganisationen und ihre gesellschaftlichen Implikationen.

Bei den Vorstößen zur radikalen Demokratisierung der Unternehmensführung ginge es darum, neue Befugnisse der Beschäftigten zu abgestimmtem Intervenieren in das Management mit der Anwendung neuer Kriterien sozialer Effektivität zu verbinden. Diese würden es erlauben, die Vorherrschaft der Kriterien finanzieller Rentabilität durch einen machbaren, streitigen Mix in öffentlichen, gemischten oder privaten Unternehmen jeweils unterschiedlich weit zurückzudrängen.

Eine neue gemischte Wirtschaft mit öffentlicher und sozialer Prädominanz würde darauf abzielen, die globalisierten multinationalen Privatisierungen durch Förderung von öffentlichen Unternehmen, die für internationale und nationale Kooperationen untereinander und mit den Beschäftigten, den Verbrauchern und Nutzern, den gemischten und privaten Unternehmen offen wären, zu überwinden.

Eine effektive soziale Aneignung der Produktions- und Zirkulationsmittel, die die Dominanz des Profits überwindet, setzt eine Überwindung der Kapitale als Geldeigentum mit Zugriff auf die Mobilisierung des Kredits für die Rentabilität voraus. Diese Aneignung betrifft deshalb nicht nur das Eigentum im eigentlichen Sinn, sondern auch die geteilte soziale Beherrschung des Kredits und der Kriterien für die Nutzung der Fonds.

Die neuen Kriterien sozialer Effektivität würden dazu beitragen, die Verbindung der Unternehmensebene mit den Gesamtorientierungen der neuen sozialen Ziele ›Beschäftigungs- und Ausbildungssicherheit‹ sowie mit den neuen selektiven geteilten Krediten und den neuen Finanztiteln herzustellen.

Diese Leistungskriterien würden über die neuerdings gestellten Forderungen nach einer Berücksichtigung aller Faktoren der Gesamtproduktivität statt der überspitzten Konzentration auf die scheinbare Produktivität der Arbeit hinausgehen. Und sie würden darauf abzielen, die synthetischen und dezentralisierten Kriterien der Kapitalrentabilität für die Einschätzung der Ergebnisse und die Kombination der Produktionsfaktoren an Flexibilität zu überbieten.

Diese Kriterien sozialer Effektivität würden, statt ruinöser Konkurrenz, Kooperationen zwischen Unternehmen erlauben, die nicht nur auf gemeinsamen oder verbundenen Märkten operieren, sondern auch dieselben Bevölkerungsensembles berühren. Es ginge jedoch auch darum, durch Kooperationen zwischen Unternehmen organisatorische Veränderungen innerhalb der Unternehmen oder zwischen ihnen flexibler zu bewältigen als das durch Ruin oder Übernahme von Unternehmen mit den entsprechenden katastrophalen Verwerfungen möglich ist. Zu erreichen wäre dies namentlich durch Vereinbarungen, die sowohl die Märkte (Preise und Mengen) wie auch das Teilen von Information oder Kooperationsfonds betreffen können.

Ich habe bereits vor etwa zwanzig Jahren neue Kriterien sozialer Effektivität für die Unternehmensführung vorgeschlagen. [6] Sie haben dazu beigetragen, dass in Frankreich mehrere andere dem mehr oder minder nahe kommende oder entgegengesetzte, rivalisierende Vorschläge gemacht wurden. [7] In einem streitigen und evaluierenden Mix der Führungsmethoden wären sie sowohl kompatibel als auch gleichzeitig inkompatibel mit den Kriterien der finanziellen Rentabilität. So schließt die Zielgröße »Neuwert« den Profit mit ein und überwindet ihn zugleich.

Im Gegensatz zu und in Verbindung mit der wirtschaftlichen Rentabilität »Profit / Gesamtkapital des Unternehmens« handelt es sich erstens um Kriterien der Effektivität des Kapitals: »Neuwert / materielles und finanzielles Kapital«. Zweitens geht es um die soziale Effektivität. Auf der Basis der Steigerung der Neuwert-Effektivität des Kapitals und des Wachstums des Neuwerts würde angestrebt, den für die Beschäftigten und die Bevölkerung disponiblen Neuwert (Löhne, Ausbildung, soziale und öffentliche Abgaben) zu steigern. Drittens werden die Produktivität aller Faktoren und der Gewinn in den Blick genommen, um über den zu den geltenden Sätzen notwendigen, für die Beschäftigten und die Bevöllkerung disponiblen Neuwert hinaus einen zusätzlichen disponiblen Neuwert anzustreben. So kann man schreiben:

Gewinn = Profit (für die Kapitalakkumulation)
+ zusätzlicher disponibler Neuwert

Damit werden die Ausgaben für die Beschäftigten und die Bevölkerung sowohl zu Kostenfaktoren wie auch zu Zielgrößen, statt nur als Kosten zu erscheinen, die gesenkt werden müssten.

Viertens handelt es sich darum, zwischen Unternehmen desselben territorialen Ensembles zu kooperieren, um den pro Kopf der Bevölkerung dieses Ensembles disponiblen Neuwert namentlich im Volumen zu steigern und zugleich die Arbeitszeit zu senken. Fünftens geht es darum, die Informationsausgaben im Unternehmen und in der Kooperation, Ausbildung und Forschung / Entwicklung zu erhöhen, um mehr zusätzlichen disponiblen Neuwert zu erhalten und umgekehrt.

4. Teilen von Befugnissen und Informationen mit partizipativ-demokratischen Institutionen.

Diese Vorschläge für den Aufbau einer Beherrschung der Märkte und den Beginn ihrer Überwindung wären nicht auf doktrinäre Art zu verwirklichen, etwa durch ohne Beziehung zu den laufenden konkreten Kämpfen und Auseinandersetzungen ausgearbeitete Gesetzentwürfe.

Zuerst geht es darum, zwecks Demokratisierung der Institutionen auf direktes Intervenieren der Arbeitenden und Bürger zu setzen, um Druck auf die Relationen und Institutionen der verschiedenen Märkte auszuüben und dabei erst faktisch, dann auch de jure neue Befugnisse und Rechte der Arbeitenden einzuführen. Das beträfe Rechte auf Zugang zu Informationen und Teilnahme am Fällen von Entscheidungen.

Neben den Delegationsinstitutionen der parlamentarischen Demokratie könnten dezentralisiert, von den lokalen Beschäftigungs- und Ausbildungsbereichen an aufwärts, Treffen von Bürgern und Arbeitenden - u.a. von Betriebsratsvorsitzenden, Verantwortlichen der lokalen Gewerkschaftorganisationen und Vereinen sowie Abgeordneten des Wahlbezirks - organisiert werden, um namentlich an Leiter von Unternehmen, Banken und öffentlichen Dienstzweigen Vorschläge heranzutragen und darüber eine Abstimmung zu erzielen.

So würden dezentralisierte Dreiecke zwischen Vorschlägen für soziale Ziele, Finanzmitteln und neuen Befugnissen (mit Teilen von Informations- und Interventionsrechten) herausgebildet. Diese dezentralisierten lokalen Treffen wären einerseits mit Konsultierungen der Belegschaftsversammlungen und Betriebsräte in den Produktions- oder Dienstleistungsunternehmen und -einrichtungen verbunden, deren Befugnisse erweitert würden. Sie würden auch auf regionaler Ebene Verbindung aufnehmen. Abstimmungen könnten auch auf umfassenderen Ebenen in regionalen Versammlungen organisiert werden, mit unmittelbarer Öffentlichkeit der Debatten und organisierten Anfragen an Mandatsträger seitens der Mandanten.

Solche Versammlungen könnten auf nationaler Ebene beim Parlament eingerichtet werden. In Frankreich wären sie z.B. höher zu stellen als die Institutionen des Wirtschafts- und Sozialrats oder der Ausschüsse des Kommissariats für den Plan, die so konvertiert werden könnten, dass sie ihnen als Informations- und Studienbüros dienen. Auf der Ebene der Europäischen Union könnte durch vollständige Umbildung des jetzigen Wirtschafts- und Sozialausschusses eine Versammlung für Interventionen beim Europäischen Parlament organisiert werden. Die modernen Informations- und Diskussionsmedien Internet und e-Mail wären so einzusetzen, dass Thema für Thema von allen Interessierten bis zur Ebene des Erdballs und der umgebildeten multilateralen weltweiten Institutionen verfolgt werden kann.

Jenseits aller der Versuche zwischenstaatlicher, großregionaler oder weltweiter Koordinierung, die zur Beherrschung bestimmter Staaten und zu Antagonismen unter den Staaten führen, ermöglicht die Beteiligung bei dezentralisierten Interventionen aller Interessierten und bei ihrer Konzertation auf den verschiedenen Ebenen Kooperationen zur gemeinsamen Entwicklung aller Teile.

Zum Abschluss sei betont, wie wichtig das Aufkommen neuer ethischer Werte des Teilens nicht nur von Ressourcen, sondern auch von Befugnissen und Informationen für die Kreativität aller Menschen ist. Es geht nicht darum, paternalistisch für das Wohl anderer Leute sorgen oder auch sich aufopfern zu wollen. Stattdessen ist jedem und jeder die Möglichkeit zu verschaffen, selbst und in Beziehung mit den anderen zu seinem/ihrem eigenen Wohl beizutragen, wie es einer Ethik der Interkreativität entspricht.

Paul Boccara ist Professor an der Universität der Picardie und Mitglied im Nationalkomitee der Französischen Kommunistischen Partei.
Aus dem Französischen von Joachim Wilke, Zeuthen.

Zurück