26. Januar 2014 Angelika Beier / Günter Güner / Fritz Schösser / Susanne Wiedemeyer
Der Auftrag der Daseinsvorsorge
Reformen in der stationären Versorgung sind notwendig – eine Replik
Vorweg eine grundsätzliche Feststellung: Patientinnen und Patienten haben einen einklagbaren Rechtsanspruch auf eine bedarfsgerechte, in höchster Qualität erbrachte medizinische Versorgung. Die Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen.
Außerdem schreibt das Sozialgesetzbuch (SGB) vor, dass Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein müssen und das Maß des Notwendigen nicht überschreiten dürfen. Die gesetzliche Verpflichtung zur Wirtschaftlichkeit als auch zur gesicherten Qualität der zu erbringenden medizinischen Dienstleistungen in Diagnostik, Behandlung und Pflege nach evidenzbasierter Medizin bedeutet, dass die Solidargemeinschaft nur solche Leistungen zu erbringen hat, die medizinisch notwendig und wirtschaftlich sind.
An diesen Auftrag hat sich der Verwaltungsrat des Spitzenverbandes der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) bei seinem Positionspapier »Reform der Krankenhausversorgung – 14 Positionen für 2014« gehalten. Der Versuch, diesem Positionspapier das Etikett »Vermarktlichung« oder gar »neoliberaler Umbau des Gesundheitswesens« aufzukleben,[1] geht fehl.
Krankenhäuser sind Teil der Daseinsfürsorge
Krankenhäuser sind Einrichtungen der öffentlichen Daseinsfürsorge. Sie sind aber deshalb nicht über Kritik an ihrer Qualität und Wirtschaftlichkeit erhaben und schon gar nicht frei davon, sich im Interesse einer effizienten und effektiven Versorgung der Patienten dem erforderlichen Strukturwandel zu stellen. Auch der verantwortliche Umgang mit Beitragsgeldern, die die Solidargemeinschaft für stationäre Versorgung zur Verfügung stellt, ist Teil des Auftrags der Daseinsvorsorge. Die Forderung von Thomas Böhm nach mehr Geld von den gesetzlichen Krankenkassen für Krankenhäuser verkennt, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für ihre Krankenkassenbeiträge erwarten dürfen, dass ihr Geld bedarfsorientiert, wirtschaftlich und für bestmögliche Qualität eingesetzt wird. Gewerkschaftliche Tarifpolitik wird sonst entwertet. Deshalb ist der bloße Ruf nach mehr Geld für Krankenhäuser und »Weg mit den Fallkostenpauschalen« nicht fortschrittlich, sondern Ausdruck einer strukturkonservativen Haltung.
Zur Beschäftigungssituation im Gesundheitswesen in Deutschland gehört die Information, dass über alle Bereiche des Gesundheitswesens hinweg auf 1000 Einwohner 3,8 Ärzte und 11,4 Pflegekräfte kommen, im Durchschnitt der Industriestaaten sind es aber nur 3,2 Ärzte und 8,8 Pflegende. Also spricht vieles dafür, dass nicht zu wenig Beschäftigte für die Versorgung der Patienten da sind, sondern die Beschäftigten nicht zielgenau, in leider noch zu häufig überkommenen und ineffizienten Strukturen eingesetzt werden. Das Positionspapier des Verwaltungsrates des GKV Spitzenverbandes zum Teilbereich Krankenhäuser zielt gerade darauf ab, deren Strukturen auch im Beschäftigteninteresse zu verbessern, damit gute Arbeit dort ankommt, wo sie gebraucht wird – in der qualitativ hochwertigen Versorgung der Versicherten. Zum Beispiel in Perinatalzentren zur Versorgung von Früh- und Neugeborenen. Weil es zu viele und schlecht ausgestattete Einrichtungen für Frühgeborene mit zu geringen Fallzahlen gibt, sterben mehr Frühchen oder tragen lebenslang die Folgen in Form von erheblichen Behinderungen. In solchen falschen Strukturen nützt der aufopferungsvolle Einsatz der dort beschäftigten Krankenpfleger und Ärzte nur wenig. Gute Arbeit in den Krankenhäusern braucht auch entsprechende sinnvolle Strukturen.
Reformbedarfe
In der Krankenhauslandschaft gibt es erhebliche Strukturprobleme. Darüber hinaus bestehen in den Krankenhäusern Qualitäts- und Mengenprobleme. Überdies ist sektorenübergreifende Versorgung immer noch ein Stiefkind.
Ein wesentliches Strukturproblem ist die fehlende konsequente Ausrichtung am medizinischen Versorgungsbedarf. Dies festzustellen ist nicht Prosa. Zu oft wird das Krankenhaus von der regionalen Politik überwiegend als Arbeitsmarktfaktor gesehen. Zu sehr sind auch die Krankenhäuser als Profitquelle in den Fokus privatwirtschaftlicher Konzerne geraten. Diese Blickwinkel sind aus Versicherten- und Patientenperspektive ungeeignet zur Lösung der Strukturprobleme.
Wir haben zu viele Krankenhäuser in Deutschland. Warum gibt es bei vergleichbarer Bevölkerungszahl und Fläche in Nordrhein-Westfalen rund 400, in den Niederlanden dagegen nur etwas über 100 Krankenhäuser? Mit acht Krankenhausbetten pro 10.000 Einwohner befindet sich Deutschland an dritter Stelle hinter Japan und Südkorea. Eine bessere Versorgungsqualität gegenüber vergleichbaren Gesundheitssystemen wird dadurch nicht erreicht. Obwohl die Bettenauslastung bei 77,4% (2012) liegt, hat Deutschland international die zweithöchste Zahl an Krankenhausbehandlungen. In der Krankenhauslandschaft bestehen also erhebliche Effizienzreserven. Hinzu kommt, dass die Krankenhäuser medizinisch zu wenig spezialisiert sind und sich im Behandlungsspektrum nicht auf die notwendigerweise stationär zu behandelnden Fälle konzentrieren. Denn Tatsache ist, dass kurze, oftmals nur tagesbezogene Krankenhausbehandlungen zunehmen. Diese könnten weitgehend ebenso gut ambulant in entsprechend ausgestatteten medizinischen Versorgungszentren (MVZ) erfolgen.
Krankenhausplanung verändern
Eine Reform der Krankenhausstrukturen ist daher notwendig. Dazu bedarf es einer verbindlichen Rahmengesetzgebung des Bundes und der Länder mit dem Ziel der Herstellung einer bedarfsgerechteren, abgestuften stationären Krankenhausversorgung. Dazu ist die bisherige, weitestgehend starre und überholte Krankenhausbedarfsplanung von einer an den tatsächlichen Bedürfnissen der Patienten ausgerichteten »Raumplanung für Gesundheit« abzulösen. Unhaltbar ist die Behauptung von Böhm, Krankenkassen seien am Planungsprozess vollwertig beteiligt. Allein der Blick in das Gesetz würde Klarheit schaffen. Im Krankenhausgesetz wird von der »Zusammenarbeit mit Beteiligten« gesprochen (ohne diese konkret zu benennen) und von »Regelungen«, die anzustreben seien. Faktisches Mitbestimmungsrecht der Krankenkassen an der Landesplanung sieht anders aus. Um es am Beispiel Baden-Württembergs zu konkretisieren: Im Landeskrankenhausausschuss mit 17 Vertretern werden fünf durch Krankenkassen bestellt. Und auch hier besteht nur die gesetzliche Vorschrift, dass einvernehmliche Regelungen anzustreben seien. Das ist nicht mehr als ein Anhörungsrecht. Weil aber politisch dominierte Krankenhausplanung zu häufig »landratsgeprägt« ist, setzt sich die Strukturkonservierung letzten Endes faktisch durch.
Krankenhausfinanzierung reformieren
Mit dem Krankenhausfinanzierungsgesetz von 1972 wurde die duale Finanzierung festgelegt. Danach sind die Bundesländer zuständig für die Investitionskosten und die Krankenkassen für die Betriebskosten. Heute stellen wir fest: Die Länder entziehen sich weitgehend ihrer gesetzlichen Pflicht, die Investitionsfinanzierung der Krankenhäuser zu tragen. Daran ändert auch ein Landeskrankenhausausschuss nichts. Dass notgedrungen Investitionen aus dafür nicht vorgesehenen Betriebsmitteln finanziert werden, ist weder sachgerecht noch rechtlich zulässig. Leider gibt es gegenüber Ländern, die so verfahren, keine rechtliche Sanktionsmöglichkeit. Das Problem der unzureichenden Investitionsfinanzierung der Länder hat zu einer längeren Debatte in der Selbstverwaltung geführt. Die berechtigte Forderung nach Investitionsfinanzierung durch die Länder ist nachvollziehbar und richtig. Es spricht aber vieles dafür, dass der Rückzug der Länder weiter anhalten wird. Hintergrund ist die allgemeine Unterfinanzierung öffentlicher Aufgaben, die durch die verfassungsrechtliche Schuldenbremse künftig verschärft wird. Die Leidtragenden sind die Beitragszahler, weil ihre Beiträge, die zudem nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze erhoben werden, zunehmend für Krankenhausinvestitionen statt für gute Behandlung und Pflege verwendet werden.
Unabhängig davon: Wer gute Versorgung will, muss bereit sein, für weniger, aber besser organisierte und finanzierte Krankenhäuser einzutreten. Wenn allerdings zur Sicherstellung der Versorgung im ländlichen Bereich die Grenzen zwischen ambulanter und stationärer Versorgung fallen sollten, würde neuer Beratungsbedarf entstehen. Ein Strukturwandel ist auch vor dem Hintergrund des medizinischen Fortschritts notwendig. Deshalb haben die GKV-Selbstverwalter das Konzept für Marktaustrittshilfen mitgetragen. Im Übrigen ist das keine GKV-Idee. Sie findet sich in nahezu allen Landeskrankenhausgesetzen. Marktaustritt bedeutet nicht generell Arbeitsplatzverlust. Durch Schwerpunktsetzung von Krankenhäusern können an anderen Orten neue Arbeitsplätze entstehen. Dann aber mit der Folge, dass besser und ggf. auch effizienter versorgt werden kann. Zukunftsorientierte gewerkschaftliche Politik sollte sich deshalb im Interesse guter Versorgung der Versicherten nicht gegen einen sozial abgefederten Strukturwandel stellen.
Selektivverträge ermöglichen
Bisher gibt der Kollektivvertrag den ordnungspolitischen Rahmen für die Krankenhaus-Budgets vor. Unter den gesetzlich vorgegebenen Rahmenbedingungen besteht ein zu geringer Anreiz, die Qualität zu erhöhen, denn schlechte Qualität wird gleich bezahlt und sie wird auch nicht durch Korrekturen der Krankenhausbedarfsplanung sanktioniert. Dagegen würden Selektivverträge es dem einzelnen Krankenhaus und den Krankenkassen ermöglichen, über elektive (zeitlich planbare) Behandlungen zu verhandeln und die Vertragsinhalte zu vereinbaren. Diese Selektivverträge als Einschleifen der Länderplanung zu sehen oder gar als die Übernahme der Planung durch die Krankenkassen, ist abwegig. Selektivverträge für planbare Leistungen zielen definitiv nicht auf Marktbereinigung. Sie sind auch nicht dafür geeignet. Sie sind der Verantwortung der Krankenkassen gegenüber ihren Versicherten geschuldet. Krankenkassen wollen Patienten dorthin steuern, wo sie die qualitativ bestmögliche Versorgung erhalten. Selektivverträge erfordern nach wie vor eine bedarfsorientierte Landesplanung und sie sollten einen rechtlichen Rahmen erhalten, der ihren Einsatz als Qualitäts- und nicht als Preisinstrument fördert.
Fallkostenpauschalen weiterentwickeln
Es ist populär geworden, die Fallkostenpauschalen (DRG) als Auslöser für Kosten- und Arbeitsstress sowie Versorgungsmängel zu sehen. Fakt ist: DRGs schaffen erst einmal eine notwendige Transparenz über Leistungen, die im Krankenhaus erbracht werden. Neben dem medizinischen Fortschritt haben auch die DRGs zur Verkürzung der Liegezeiten beigetragen. DRGs bilden Durchschnittswerte ab. Begründete Abweichungen sind immer möglich. Würde das Selbstkostendeckungsprinzip wieder eingeführt, wie Böhm es fordert, stünde wieder nur die Auslastung auch unwirtschaftlicher Krankenhäuser im Vordergrund. Die Folge wäre, dass Beitragsgelder unkontrollierbar und ineffizient eingesetzt würden. Sie würden dann an anderer Stelle der Versorgung fehlen.
Allerdings stellt sich nach zehn Jahren DRG-Praxis auch heraus, dass sie weiterentwickelt werden müssen. DRGs beinhalten keine direkte Mengenkontrolle. Die Häufigkeit von Herzkathedereingriffen liegt in Deutschland nahezu doppelt so hoch wie in der Schweiz, dabei liegt die Sterberate in der Schweiz nach einem Myokardinfarkt niedriger als in Deutschland. Hierzu sei auch auf die aktuelle Debatte über zu viele, vor allem unnötige Operationen verwiesen. Es wird mitunter zu schnell zum Messer gegriffen. Letzteres ist zuerst einmal ein Verstoß gegen die ärztliche Ethik und kann nicht mit dem ökonomischen Druck auf die Krankenhäuser gerechtfertigt werden. Nicht die Krankenkassen setzen Monetik vor Ethik, betroffen macht uns, dass in Krankenhäusern Operationen durchgeführt werden, die nicht den Kriterien strenger medizinischer Indikation entsprechen. Beispiele gibt es genügend.
Qualität verbessern
In der Tat: Ein schwieriges Kapitel ist die Qualitätsmessung von Krankenhausleistungen. Eine Problematisierung des Qualitätsbegriffs hilft aber hier nicht weiter. Es gibt schon einen recht ordentlichen Stand der objektiven Qualitätsmessung. Subjektive Qualitätsmessung ergänzt, aber ersetzt diese nicht. Vorhandene Daten der Qualitätsmessung sind ein guter Ausgangspunkt, sie decken leider erst rund ein Viertel der Behandlungen ab. Sie sollten weiter ausgebaut und auf patientennahe Ergebnisindikatoren ausgerichtet werden. Würden aktuelle Rankinglisten für Krankheitsbilder bestehen, die für Patienten nachvollziehbar sind, würde diese Transparenz dem Streben nach Verbesserung der Qualität einen deutlichen Schub geben. Dies allein könnte zu mehr Spezialisierung führen – mit dann hoffentlich weniger Komplikationen, weniger Leid für die Betroffenen und auch geringeren Kosten. Ergänzt werden sollte der Prozess der Qualitätsverbesserung durch Strukturvorgaben wie z.B. Mindestmengen bezüglich der Fallzahlen.
Gewerkschaftliche Orientierung der Selbstverwaltung ausbauen
In seinem Beitrag »Wunschzettel für die neue Regierung« bezeichnet Böhm es als erstaunlich, dass der Beschluss zu dem »Reformpapier zur Krankenhausversorgung aus Sicht des GKV-Spitzenverbandes. 14 Positionen für 2014« einstimmig gefallen ist. Er findet es nicht akzeptabel, dass gewerkschaftliche Selbstverwalter dem Papier zugestimmt haben. Zugleich erhebt er die Demokratiefrage und die Frage der gewerkschaftlichen Steuerung der Selbstverwalter. Dies suggeriert dem Leser ein unkontrolliertes Handeln jenseits gewerkschaftlicher Beschlüsse. Dieser Vorwurf ist starker Tobak und falsch.
In regelmäßigen Klausurtagungen besprechen DGB-Vertreter im GKV-Verwaltungsrat gemeinsam mit Vertretern des DGB und der Einzelgewerkschaften anstehende Fragen. Die Mitarbeit der Selbstverwalter in sozialpolitischen Arbeitskreisen bei den Einzelgewerkschaften und beim DGB auf Landes- und Bundesebene ist Praxis. Dabei geht es einerseits darum, gewerkschaftliche Politik im Gesundheitsbereich festzulegen, andererseits die aktuellen Erfahrungen aus der Selbstverwaltung einzubringen und Ziele des Handelns abzustimmen. Dass diese Prozesse nicht konfliktfrei verlaufen, liegt auf der Hand. Da treffen unterschiedliche Brancheninteressen (Pharmaindustrie, Beschäftigte im Gesundheitsbereich, Medizintechnik) auf Patienten- und Beitragszahlerinteressen. Dieses Spannungsverhältnis kann nur durch eine konsequente Orientierung der Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter im GKV-Spitzenverband auf gute Versorgung im Interesse der Patienten und Versicherten aufgelöst werden.
Angelika Beier, Günter Güner, Fritz Schösser und Susanne Wiedemeyer sind gewerkschaftliche Selbstverwalter und u.a. Mitglieder des Verwaltungsrats des GKV-Spitzenverbands.
[1] Thomas Böhm: Wunschzettel für die neue Regierung. Die gesetzlichen Krankenkassen wollen die Krankenhausversorgung weiter vermarktlichen, in: Sozialismus 12/2013, S. 19-23.