26. April 2018 Hinrich Kuhls: Was die Linke in SPD und Linkspartei daraus lernen könnte

Der Erneuerungsprozess der Labour Party

Die britische Labour Party durchläuft seit acht Jahren einen widersprüchlichen Prozess der Erneuerung. Im Mai 2010 hatte sie die Parlamentswahl verloren, auf die sozialdemokratische Regierung, die unter dem Banner »New Labour« 13 Jahre lang die Regierungsgeschäfte bestimmt hatte, folgte eine konservativ-liberale Koalitionsregierung.

In den folgenden fünf Oppositionsjahren mit dem jungen Vorsitzenden Ed Miliband an der Spitze gelang es der Partei allerdings nicht, der harten Austeritätspolitik der Konservativen und Liberaldemokraten ein alternatives Gesellschaftsprojekt entgegenzusetzen. Die Brit*innen entschieden sich bei der Parlamentswahl 2015 mehrheitlich nicht für einen nur leicht korrigierten sozialdemokratischen »Neoliberalismus light«, sondern für das Politikangebot der Konservativen: harte Sparpolitik, Stärkung des Nationalstaats, Diskriminierung ausländischer Arbeitskräfte. Die Tories konnten so große Teile des rechtspopulistischen Wählerspektrums einbinden, das im Jahr zuvor noch bei den Wahlen zum Europäischen Parlament die UK Independence Party zur stärksten Partei gemacht hatte.

Nach dieser erneuten Wahlniederlage und der sofortigen Demission Milibands als Parteivorsitzender wurde mit Jeremy Corbyn in der Urwahl zur Neubesetzung der Parteispitze der Kandidat gewählt, der als einziger in den Parteiversammlungen während der Wahlkampagne eine alternative Wirtschafts- und Sozialpolitik umrissen, und auf die notwendige Verbindung von Erneuerung der Parteistrukturen und Richtungsänderung der gesellschaftlichen Entwicklung gedrängt hatte. Trotz massiver Widerstände aus der eigenen Parlamentsfraktion setzte Corbyn eine Wende durch, die auch nicht durch das Misstrauensvotum seitens drei Viertel der Labour-Abgeordneten der Unterhausfraktion aufgehalten werden konnte.

Mit dem Wahlprogramm »For the Many, Not the Few« gelang es Labour nach einer fulminanten Aufholjagd bei den vorgezogenen Neuwahlen im Juni 2017, die absolute Mehrheit der Konservativen Partei zu brechen. Die Sozialdemokraten konnten ihren Stimmenanteil von 30% auf 40% erhöhen. Ihre Revitalisierung drückt sich auch darin aus, dass ihr in weniger als drei Jahren mehr als 300.000 Menschen beigetreten sind. Mit fast 600.000 Mitgliedern ist sie derzeit die größte politische Partei in Europa. Labour wird jetzt als Regierungspartei im Wartestand gehandelt. Die innerparteiliche Auseinandersetzung hält allerdings unvermindert an, der Erneuerungsprozess ist längst nicht abgeschlossen.

Zweitgrößte sozialdemokratische Partei in Europa mit rund 450.000 Mitgliedern ist derzeit die SPD. Ihre Politik zur Stärkung der »Neuen Mitte« ab 1998 hatte zu einer Neugruppierung der politischen Kräfte links der Mitte geführt. Parallel zur Stärkung des rechtspopulistischen Spektrums im Laufe der letzten Legislaturperiode des Deutschen Bundestags sind die Chancen für die linksprogressiven Kräfte zerronnen, eine politische Wende zur Beendigung der Austeritätspolitik durchzusetzen.

Wenn in diesem Zusammenhang auf Jeremy Corbyn verwiesen wird, steht meist seine Person im Vordergrund, vor allem das Charisma, das ihn im Wahlkampf 2017 umgeben hat, weniger die Auseinandersetzung mit den Inhalten seiner Politik und mit den spezifisch britischen Bedingungen des Erneuerungsprozesses der Labour Party. Bezeichnend ist, dass das Wahlprogramm »For the Many, Not the Few«, das wegen seiner Frische und Kürze auch von Medien diesseits des Kanals gelobt wurde, nicht ins Deutsche übersetzt worden ist – weder im Umfeld der SPD, noch dem der LINKEN.

Hinrich Kuhls, Düsseldorf, arbeitet in der Sozialistischen Studiengruppe (SOST) mit. In Sozialismus 4/2018 schrieb er über das »Pulverfass Nordirland«; im Heft 11/2017 über »Corbynomics vor dem Härtetest. Labours Wirtschafts- und Sozialpolitik.«

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