25. April 2022 Fritz Fiehler: Wie hält Putin knapp 145 Millionen Menschen bei der Stange?

Der Kreml – ein Rentierstaat

Mit dem russischen Krieg gegen die Ukraine ist die Europäische Union (EU) gefordert, mit politischem Druck, Unterstützung der Ukraine und wirtschaftspolitischen Sanktionen auf seine Einstellung hinzuwirken. Die Sanktionsdebatte richtet sich insbesondere auf die Belieferung von Gas, Öl und Kohle der EU durch die Russische Föderation.

Inwieweit wäre ein Energieembargo zu realisieren? Und inwieweit könnte ein derartiges Embargo Druck auf das Putin-Regime ausüben?

Dazu erklärt Janis Kluge von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin: »Aus rein außenpolitischer Sicht ist ein Energie-Embargo die ideale Sanktion gegen Russland. Der Staatshaushalt, aus dem das Militär finanziert wird, wird geschwächt. Zudem wäre der Kollateralschaden für die russische Bevölkerung nicht so hoch wie bei anderen Maßnahmen. Ein Boykott wäre ein gezieltes Instrument, das genau den Richtigen trifft. Das russische Regime hat seine Macht um den Energiekomplex herum aufgebaut. Es sind Putins älteste Vertraute, die die Hebel in der Energiewirtschaft in der Hand haben. Öl und Gas sind für den Kreml von existentieller Bedeutung.« (Janis Kluge in der Tagesschau vom 28.3.2022)

Allerdings trägt das russische Energiegeschäft nicht nur zur Finanzierung von Rüstung und Militär bei. Auf seine Erlöse muss auch für die Bezahlung von Gehältern und Renten zurückgegriffen werden. Auf diesen wunden Punkt des Regimes hat der britische Historiker Adam Tooze bereits aufmerksam gemacht. »In der Allianz mit den Oligarchien hat der Kreml das Sagen und einen Deal ausgehandelt, der dem Staat strategische Ressourcen und dem Großteil der Bevölkerung Stabilität und akzeptablen Lebensstandard sichert.« (Berliner Zeitung vom 29.1.2022) Vor dem Hintergrund einer stagnierenden Industrie gehen die Einkommenssteuern zurück. Damit hängt der fiskalische Ausgleich von Rohstoffpreisen ab, wie sie auf dem Weltmarkt zustande kommen. Daher sind Bevölkerung und Staatsapparat nur bei der Stange zu halten, wenn sich der Kreml und die Oligarchen ein Geschäft teilen, mit dessen Erlösen Militär, Beamt*innen und Rentner*innen etwas geboten werden kann. Es gilt: »Ihr sorgt für uns und lasst unsere Sozialleistungen nach sowjetischem Vorbild laufen, und wir werden für euch stimmen und uns nicht für eure Diebstähle und Bestechungen interessieren.« (Zitiert nach Tooze) Ist der Status quo aber mit einer Einschränkung der öffentlichen und politischen Willensbildung verbunden, kann mit ihr eine industrielle Modernisierung nicht befördert werden. Eine Modernisierung, die für die weitere Gewinnung und Lieferung von Gas und Öl bereits vordringlich geworden ist.

Kluge erläutert: »Fördersteuern und Exportzölle auf Öl und Gas machten seit Mitte der 2000er Jahre in Russland rund die Hälfte und etwa ein Viertel der gesamten Steuereinnahmen aus. … Während des Ölbooms der Jahre 2010-2014 sind aus dem Öl- und Gasgeschäft jährlich Einnahmen in Höhe von 9 Prozent des BIP angefallen. Russland gehört damit auf den ersten Blick nicht in die Kategorie der sogenannten ›Rentierstaaten‹, die einen Großteil ihrer Steuereinnahmen aus dem Verkauf von Öl und Gas beziehen. Der Anteil der Energie-Einnahmen in Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und dem Irak liegt bei über 80% des Gesamthaushalts. Allerdings hängen auch die sonstigen Steuereinnahmen teilweise vom Energieexport ab. Die bloßen Haushaltszahlen verdecken im Übrigen die Tatsache, dass die Energieversorgung der russischen Wirtschaft mit Einnahmen aus dem Gasexport quersubventioniert wird.« (Janis Kluge, Russlands Staatshaushalt unter Druck. Berlin 2018, S.7)

Für die These vom Rentierstaat,[1] der sich mit seinen Einkünften die Zustimmung der Klassen erkaufen kann, lassen sich zahlreiche Länder anführen, die sich aber nach Art und Politik voneinander unterscheiden.

Fritz Fiehler arbeitet in den Sozialistischen Studiengruppen (SOST) mit.

[1] Vgl. Friedrich Steinfeld: Der Krieg ist zurück in Europa, in: Sozialismus.de, Heft 4-2022, S. 13.

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