1. Juli 2006 Karl Georg Zinn

Der machtvolle Minimalstaat der Reichen

"Vom Ordoliberalismus zur Sozialen Marktwirtschaft"[1] lautet der Titel einer theorie- und ideologiegeschichtlichen Monographie, in der Ralf Ptak auf der Grundlage eines überzeugend umfangreichen Studiums der Originalquellen weitreichende Korrekturen an den stark apologetisch gefärbten Selbstdarstellungen des deutschen Neoliberalismus (Ordoliberalismus) vornimmt und die Geschichtsverfälschung einer vermeintlichen "Stunde Null" nach dem Ende des Nationalsozialismus bloßstellt.

Ptaks erhellende Untersuchung ist nicht die erste Arbeit, die Legendenbildungen der Wirtschaftswunderjahre aufdeckt und das Image von "Wunderheilern" mit der ein anderes Bild zeigenden geschichtlichen Wahrheit konfrontiert, aber bisher lag – allenfalls mit der Ausnahme der Arbeit von Haselbach[2] – keine vergleichbar breit angelegte Studie zur deutschen Machart des neoliberalistischen Markttotalitarismus vor.

Der starke, aber keineswegs ungebrochene Einfluss des deutschen Neoliberalismus auf die ordnungspolitische Gestaltung der Bundesrepublik ist allgemein bekannt. Hingegen erfreut sich trotz anderslautender Forschungsergebnisse die Legende von der "Stunde Null" nach Kriegsende auch gegenwärtig noch hoher Popularität, und die bereits während der Nazizeit von der neoliberalen Schule entworfene Wirtschaftspolitik für die Nachkriegsphase wird als Widerstandshandlung "innerer Emigranten" belobigt. Das war sie aber nicht, sondern vielmehr bestand die Erwartung, dass ein "starker Staat" – und das war der nationalsozialistische in der Tat – sich der Durchsetzung des neoliberalen Ordnungsentwurfs annehmen würde. Diese Erwartung wurde durchaus von namhaften Nazi-Funktionären unterstützt. Der Namensgeber der "Sozialen Marktwirtschaft", Alfred Müller-Armack, war von 1933 an NSDAP-Mitglied, hatte sich zuvor schon als Anhänger des italienischen Faschismus bekannt und seine wissenschaftliche Karriere während des "Dritten Reichs" spricht nicht für das Nischendasein eines bloßen Mitläufers. Das Nazi-Regime folgte keiner klaren wirtschaftstheoretischen oder ordnungspolitischen Vorgabe, sondern verhielt sich insofern flexibel, als es darum ging, pragmatisch die kriegswirtschaftlichen Erfordernisse durchzusetzen – einschließlich des Erfordernisses, die innere Moral der "Volksgenossen" zu stabilisieren. Die neoliberale Hoffnung, dass das nationalsozialistische Regime – durchaus im Eigeninteresse an einer dynamischen kapitalistischen Wirtschaft – dem "autoritären Liberalismus" (Haselbach) zuneigte, war also begründet.

Vier Versionen der Sozialen Marktwirtschaft

Die Bezeichnung "Soziale Marktwirtschaft" entbehrt insofern eines festen, allgemein verstandenen Begriffsinhalts, als u.E. mindestens drei oder gar vier Versionen nebeneinander bestehen. Das für die breite Öffentlichkeit maßgebliche Verständnis von Sozialer Marktwirtschaft betrifft die konkrete Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik des Vierteljahrhunderts seit Gründung der zweiten deutschen Demokratie 1949 bis zum Krisenbeginn Mitte der 1970er Jahre. Diese konkrete Soziale Marktwirtschaft könnte als die "historische Version" gegen die anderen abgegrenzt werden. Die zweite Version, die als "Ursprungskonzept" charakterisiert werden kann und im Mittelpunkt der Untersuchung Ptaks steht, ist nicht deckungsgleich mit der "historischen", weist jedoch wesentliche Überschneidungen mit jener auf – etwa in der Betonung der Wettbewerbsordnung, des Privateigentums an Produktionsmitteln und des Bemühens, Marktmacht zu begrenzen und ihren Missbrauch zu ahnden. Erhebliche Unterschiede bestehen jedoch in den sozialstaatlichen Elementen der historischen Sozialen Marktwirtschaft, ihrem pragmatischen Interventionismus und den Ansätzen einer demokratischen Unternehmensverfassung (Mitbestimmung), die ausnahmslos gegen den heftigen Widerstand der Ordoliberalen realisiert wurden und dem neoliberalen Ursprungstypus krass widersprechen. Sinnvoll erscheint auch eine – von Ptak nicht ausdrücklich vertretene – Differenzierung zwischen der Vorstellung Müller-Armacks und der von Eucken bzw. der Freiburger Schule umrissenen marktwirtschaftlichen Ordnung. In Müller-Armacks anschaulicher Formulierung: Die von ihm präferierte Soziale Marktwirtschaft sei ein "Halbautomat", d.h. sie erfordere gewisse staatliche Interventionen ihres sozial befriedigenden Funktionierens halber, wohingegen die freie Marktwirtschaft der Freiburger Schule, also des Ordoliberalismus i.S. Euckens, die Marktwirtschaft als "Vollautomaten" begreife, der – mit Ausnahme eng umrissener Staatseingriffe (gemäß der vier Euckenschen "regulierenden Prinzipien") – weder staatliche Sozialpolitik im Sinne des Sozialstaatsgedankens noch gar konjunktur- und beschäftigungspolitischen Interventionismus vertrüge.

Der (Neo)Liberalismus verwirft bekanntlich alle Konjunktur- und Krisentheorien mit dem Argument, dass die "richtig" konstruierte kapitalistische Marktwirtschaft aus sich selbst heraus keine Ungleichgewichte erzeuge, sondern die Wirtschaftsschwankungen erst durch die staatlichen Interventionen hervorgerufen würden. Im Hinblick auf die Abweichung der historischen Sozialen Marktwirtschaft vom ordnungstheoretischen Ursprungstypus erscheint uns die Gegenüberstellung der beiden Versionen – Müller-Armack versus Eucken – sinnvoll, da eben der ordoliberale Purismus einer sich selbst steuernden "freien" Marktwirtschaft nicht durchgesetzt wurde, sondern die flexiblere bzw. realistischere Fassung der Wettbewerbsordnung Müller-Armacks mit ihrer größeren Offenheit für staatliche Interventionen Praxisrelevanz gewann. Daher ließ sich auch die spätere Ergänzung der bundesdeutschen Wirtschaftsordnung durch den "hydraulischen Keynesianismus" des "Stabilitätsgesetzes" (1967) als "Vollendung" der sozialen Marktwirtschaft deklarieren. Diese ordnungspolitische Neuorientierung fand erbitterten Widerspruch im neoliberalen Lager, das jedoch nach dem Abgang Ludwig Erhards von der politischen Bühne seine prominenteste Leitfigur verloren hatte: "Gegen den Einfluss des keynesianischen Interventionismus und gegen das Konzept eines makroökonomisch fundierten Wohlfahrtsstaates auf der Basis von Vollbeschäftigungspolitik stellten die deutschen Liberalen die Idee einer ›sozialen Marktwirtschaft‹, mit der sie an die ordnungspolitischen Grundlinien des ›organisierten Kapitalismus‹ in Deutschland anknüpften… Damit sind wesentliche Prämissen, die bis in die Gegenwart zur Legitimation der Sozialen Marktwirtschaft dienen, in Frage gestellt. Die immer wieder angeführte Behauptung, dass die Soziale Marktwirtschaft für eine nach 1945 geborene Konzeption steht, die in Reaktion auf zwangswirtschaftliche Entwicklungen entstanden sei, ist ebenso in das Reich der Legendenbildung zu verweisen wie die Behauptung, das ordoliberale Programm mitsamt seinen Praxisvorschlägen sei in Gegnerschaft zum Nationalsozialismus entstanden. Das gilt eben auch für die … Nachkriegsplanungen der Ordoliberalen, die sie trotz marktwirtschaftlicher Grundorientierung lange Zeit im Rahmen des nationalsozialistischen Systems dachten – nicht aus nationalsozialistischer Überzeugung, sondern mehr aus Gründen der Staatsraison, waren sie doch vor allen Dingen daran interessiert, die Regierung von der grundsätzlichen Sinnhaftigkeit wirtschaftsliberaler Grundsätze zu überzeugen." (Ptak, 135)

Als vierte Version präsentiert sich gegenwärtig die von einer ideologischen Offensive der Metallarbeitgeber ausgehende "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft",[3] die aber kaum noch etwas mit der historischen Sozialen Marktwirtschaft gemeinsam hat und sich die Bezeichnung nur des guten Klangs in der Öffentlichkeit halber bedient.[4] Die angebotspolitische Wende der 1980er Jahre – vorbereitet durch die monetaristische Gegenrevolution zum Keynesianismus, die seit 1973 von der Deutschen Bundesbank durchzusetzen versucht wurde – führte zur schrittweisen Revision der historischen Sozialen Marktwirtschaft. Dieser restaurative Prozess wird als Offensive des angelsächsischen Neoliberalismus verstanden, da es sich um einen ideologischen Import aus den USA der Ära Reagan und aus Frau Thatchers Großbritannien handelt. In der Bundesrepublik erfuhr das angebotspolitische Credo jedoch eine besonders militante (deutsche?) Ausprägung, die sich insbesondere in der dogmatischen Ablehnung nachfragepolitischer Konzessionen und eines aggressiven Anti-Keynesianismus äußert. In den angelsächsischen Ländern kam es seit den 1990er Jahren wieder zu einer pragmatischeren Haltung gegenüber nachfragepolitischen Ergänzungen der Angebotspolitik.

Die "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" ist, wie erwähnt, "neu" in Relation zur historischen Sozialen Marktwirtschaft, aber sie weist enge Verwandtschaft mit der von Ptak analysieren Ursprungsversion auf. Es handelt sich sozusagen um den Rückgriff auf ein geistig-moralisches bzw. ideologisches Konzept, das während der Zeit des Dritten Reiches ausgearbeitet wurde. Die Affinität von "neuer" und ursprünglicher Version zeigt sich u.a. in der Diskreditierung der Sozialstaatlichkeit, der schroffen Ablehnung des beschäftigungspolitischen Interventionismus, des universellen Geltungsanspruchs des marktwirtschaftlichen Mechanismus einschließlich der rein marktwirtschaftlichen Verteilungsergebnisse (Arbeitskosten senken!) sowie der Forderung, dass der Staat seinen Aufgabenbereich minimalisiert, somit Steuer- und Abgabensenkungen als unabdingbar für die erwünschte Wirtschaftordnung propagiert werden, während zugleich aber ein "starker Staat" die kapitalistische Eigentumsordnung und die Wirtschaftsfreiheit gewährleisten soll. Die Ressentiments gegen die Weimarer Demokratie, die Ptak bei den "Urvätern" der Sozialen Marktwirtschaft aufdeckt, zeigen bisher keine offenkundige Parallele bei den Vertretern der "Neuen Sozialen Marktwirtschaft", aber die geschichtliche Erfahrung Deutschlands, dass kapitalistische Interessen dann gegen die Demokratie stehen, wenn es opportun für sie ist, sollte nicht aus dem Blickfeld gehalten werden.

Neoliberalismus und Nationalsozialismus

Ptak belegt anhand der Quellen, dass die "Soziale Marktwirtschaft" – die Bezeichnung findet sich erstmals in einer Arbeit von Alfred Müller-Armack aus dem Jahr 1946 – keineswegs eine ordnungstheoretische bzw. wirtschaftspolitische Neuschöpfung der Nachkriegszeit darstellt, sondern dass dieses neoliberale Projekt unter dem Eindruck der Großen Depression bereits während der 1930er Jahre konzipiert und später – während des Krieges – als Leitidee für die deutsche Wirtschaftsordnung nach Kriegsende ausgearbeitet wurde: "Betrachtet man das Wirken des frühen Ordoliberalismus zwischen den dreißiger und frühen vierziger Jahren in seiner Gesamtheit, so ist festzuhalten, dass die theoretischen Grundlagen der Sozialen Marktwirtschaft, aber auch bestimmte institutionelle Voraussetzungen bereits vor Ende des Krieges geschaffen waren... Entstanden aus dem Schock der Weltwirtschaftskrise und beeindruckt vom Vormarsch der keynesianischen Ideen, suchten die ›neuen‹ Liberalen nach Möglichkeiten, die Grundannahmen der klassischen und neoklassischen Theorie soweit zu modifizieren, dass einerseits die wesentlichen ökonomischen Prämissen unberührt bleiben und andererseits die Chancen für die politische Durchsetzung liberaler Wirtschaftsgrundsätze vergrößert werden konnten." (Ptak, 134)

Die konzeptionelle Ausarbeitung der Ursprungsversion der Sozialen Marktwirtschaft geschah keineswegs heimlich und subversiv gegen den Nationalsozialismus, sondern mit Wissen und partiell der wohlwollenden Billigung seitens nationalsozialistischer Führungsfiguren. In der neoliberalen Formel von "Freiheit und Bindung" wurde der "starke Staat" als Garant der (künftigen) Umsetzung neoliberaler Ordnungsvorstellungen gefordert und in feindlicher Skepsis gegenüber der parlamentarischen Demokratie (der Weimarer Republik) die Durchsetzung des ordoliberalen Programms einer "freien" Marktwirtschaft durch eben den starken Staat erhofft.

Wie immer die moralische Seite des individuellen Verhaltens von einzelnen Neoliberalen während der Nazi-Diktatur beurteilt werden mag, die dann nach Kriegsende in die Reihen der politischen und wissenschaftlichen Prominenz aufstiegen bzw. ihre bereits zuvor erreichte Stellung als einflussreiche Berater und Programmatiker bewahren konnten – so weiß, wie ihre Westen nach 1945 gewaschen wurden, waren keineswegs alle in der Nazizeit gewesen. Das neoliberale Personal durchgängig als unauffällige, leidende Gegner, gar erklärte Widerständler des Nationalsozialismus auszugeben, wie dies zeitweilig gelang, gehört zu jenem Legendengewebe, mit dem Opportunismus, Karrierismus, Kollaboration und bewusste Unterstützung nationalsozialistischer Wirtschaftspolitik verhüllt wurden: "Es bleibt festzuhalten, daß Erhard, Müller-Armack und Miksch, die nach 1945 in herausragenden Positionen für die politische Implementierung der Sozialen Marktwirtschaft in Westdeutschland sorgten, keine Widerstandskämpfer waren. Vielmehr kooperierten sie als Wissenschaftler bzw. Publizisten mit dem NS-System, in einigen Bereichen wurde daraus sogar eine aktive Unterstützung der Regierungspolitik. Weder ihr unbestreitbares Eintreten für marktwirtschaftliche Ordnungsgrundsätze in der Wirtschaftspolitik noch ihre Distanz zur völkisch-rassistischen NS-Ideologie können dies entkräften." (Ptak, 89)

Vom hydraulischen Keynesianismus zum Anti-Keynesianismus

Die Untersuchung Ptaks erfasst im Wesentlichen die drei Jahrzehnte zwischen 1930 und 1960, sodass abgesehen von sehr gelegentlichen Ausblicken auf die spätere Entwicklung vom Autor keine explizite Beurteilung der neoliberalistischen Orientierung im gegenwärtigen Deutschland gegeben wird. Damit entfällt bei ihm auch ein genauerer Vergleich zwischen dem "alten" und dem "neuen" Neoliberalismus sowie eine Analyse der Fortwirkung sowie historisch opportuner Modifizierungen der neoliberalen Ursprungsdoktrin. Vor dem Hintergrund der ordnungspolitischen Zielsetzungen der Ordoliberalen, nämlich Wettbewerbsordnung auf kapitalistischer Systemgrundlage, die der starke Staat zu garantieren habe, lässt sich feststellen, dass die tatsächliche Entwicklung der bundesdeutschen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung von 1949 keineswegs als getreuer Vollzug jenes neoliberalen Entwurfs charakterisiert werden kann. Vielmehr knüpfte die bundesdeutsche Sozialpolitik an die historische Linie der von Bismarck initiierten deutschen Sozialstaatlichkeit an und – erinnert sei an die Einführung der dynamischen Rente 1957 gegen den heftigen Widerstand von Ludwig Erhard und der Interessenvertreter von Banken und Industrie – setzte sie bis zu Beginn der Wachstumskrise Mitte der 1970er Jahr progressiv fort. Diese Mischung aus quasi "kathedersozialistischen" und christlich-sozialen Elementen verband sich mit dem beschäftigungswirksamen Staatsinterventionismus, wie er in der Verabschiedung des "Stabilitätsgesetztes" 1967 und der erfolgreichen Überwindung der damaligen Rezession durch das keynesianisch inspirierte Duo Schiller/Strauss sichtbar wurde. Diese offene Abkehr der praktizierten Politik vom neoliberalen Ursprungsprogramm hatte jedoch eine relativ kurze Lebensdauer.

Angewandt wurde das "Stabilitätsgesetz" später nicht mehr, und auch eine Novellierung im Sinn einer ökologisch-sozialen Marktwirtschaft wurde nicht in Angriff genommen. Vielmehr kam es mit dem Abbruch des wachstums- und beschäftigungspolitisch erfolgreichen "Zukunftsinvestitionsprogramms" (ZIP) am Ende der Regierung von Bundeskanzler Helmut Schmidt zu dem bekannten Wechsel, zu der ominösen "geistig-moralischen" Wende, seit der die Massenarbeitslosigkeit in Deutschland dem aufwärts gerichteten Trend folgt. Der Anti-Keynesianismus erlebte in Deutschland eine bis heute anhaltende Langzeitkarriere. Das bedeutet einen späten Sieg der neoliberalistischen Gegnerschaft zu Keynes. Doch wer zuletzt lacht, ist noch keineswegs ausgemacht.

Mit Ptaks fundierter Forschungsarbeit zu einem wesentlichen Entwicklungsstrang der politischen Ökonomie Deutschlands im Zeitraum von der Weltwirtschaftskrise bis zu Beginn der 1960er Jahre wurde eine feste Grundlage für anschließende Untersuchungen geschaffen. Unter anderem bedürfen die beiden vorstehend bereits umrissenen Fragestellungen vertiefter Untersuchung. Erstens gilt es, die spezifisch (deutschen?) Ursachen für den ideologisch weitreichenden Erfolg der Neoliberalen in der Bundesrepublik herauszufinden. Entsprechen etwa die von den Neoliberalen mit den Nationalsozialisten geteilten Aversionen – gegen Kommunismus, Bolschewismus, Kollektivismus, Sozialstaat und auch gegen die Weimarer Demokratie – einer in Deutschland historisch begründeten zeitweilig verdeckten ideologischen Grundeinstellung weiter Kreise, gar einer "deutschen" Mentalität? Zweitens könnte damit eine Erklärung gefunden werden, warum sich die bundesdeutsche Wirtschaftspolitik seit dem Regierungswechsel 1982 bis heute auf ein extrem verengtes Konzept der kapitalorientierten Angebotspolitik fixiert, der Massenarbeitslosigkeit vorwiegend mit symbolischer Politik und Rhetorik begegnet, aber unwillig bleibt, die erfolgreichen Beispiele für Beschäftigungssicherung und Erhalt der Sozialstaatlichkeit (vor allem in Skandinavien zu erkennen) zu übernehmen. Das erscheint umso erstaunlicher, da auf anderen Feldern eine fast kniefällige Nachahmungssucht gegenüber dem Ausland zu registrieren ist und das "Benchmarking" zum lahmen Ersatz fehlender Eigenständigkeit und Originalität deutscher Bundes- und Landesregierungen aufgewertet wurde.

Karl Georg Zinn ist emeritierter Professor der Volkswirtschaftslehre der Rheinisch-Westfälischen Hochschule Aachen.

[1] Ralf Ptak, Vom Ordoliberalismus zur Sozialen Marktwirtschaft. Stationen des Neoliberalismus in Deutschland, Opladen 2004.
[2] Dieter Haselbach, Autoritärer Liberalismus und Soziale Marktwirtschaft. Gesellschaft und Politik im Ordoliberalismus, Baden-Baden 1991.
[3] Vgl. Albrecht Müller, Machtwahn. Wie eine mittelmäßige Führungselite uns zugrunde richtet, München 2006, S. 308ff.
[4] Der Name "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" wurde von der Werbeagentur "Scholz & Friends" kreiert. Die INSM wird nach Angaben Müllers jährlich mit 8,8 Millionen Euro von Unternehmen finanziert. Müller, a.a.O., S. 309.

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