23. Mai 2017 Andreas Rieger

Der Mindestlohn: ein Hebel für die europäische Lohnpolitik

Lohnpolitisch waren die Jahre nach der schweren Finanzkrise von 2008 auf europäischer Ebene ein Desaster, nachdem bereits die Jahre zuvor für die Lohnabhängigen vieler Länder kaum mehr Fortschritte gebracht hatten. Die Arbeitseinkommen drifteten auseinander. Niedriglohnsektoren schwollen an, während die Löhne der Top-Verdiener abhoben. Zwischen verschiedenen Regionen Europas verstärkten sich die Lohndifferenzen, nachdem zuvor Konvergenz dominiert hatte. Insgesamt verschlechterte sich die Lohnquote, der Anteil der Kapitaleinkommen nahm zu. Aktiv betrieben wurde diese Entwicklung durch die EU-Kommission, die mit ihrem »lohnpolitischen Interventionismus« bewusst Arbeitskosten senken wollte. Getriebene waren die Gewerkschaften, welche auf europäischer Ebene nur schwachen Widerstand zu leisten vermochten und sich zur Verteidigung auf die nationale Ebene zurückzogen – um dort in der Mehrzahl der Länder kleinere oder größere Niederlagen zu erleiden.

Die Analyse dieser Entwicklung liegt mit der sehr überzeugenden Publikation über »Lohnpolitik unter europäischer ›Economic Governance‹«[1] und den Beiträgen von Schulten, van Gyes und Müller auf dem Tisch und braucht hier nicht weiter ausgeführt zu werden.

Brennend ist vielmehr die Frage, welche strategischen Schlussfolgerungen daraus gezogen werden. Die Diskussionsbeiträge in den letzten Heften von Sozialismus setzen dazu unterschiedliche Akzente.

Andreas Rieger war von 2006 bis 2012 Co-Vorsitzender von Unia, der größten Gewerkschaft in der Schweiz. Seither ist er Vertreter des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds im EGB-Vorstand.

[1] Thorsten Müller/Thorsten Schulten/Guy van Gyes (Hrsg.): Lohnpolitik unter europäischer »Economic Governance«, Hamburg 2016.

Die komplette Leseprobe als pdf-Datei!

Zurück