1. Oktober 2004 Toralf Pusch

Der neue Generationenvertrag: Wer bietet weniger?

Eine gute Tradition in der bundesdeutschen Geschichte besagte, dass große Reformen der gesetzlichen Rente im Konsens zwischen den beiden Volksparteien vereinbart werden. Dieser Grundsatz gilt seit der noch von Norbert Blüm verantworteten Rentenreform 1999 nicht mehr. Trotzdem scheinen CDU und SPD mittlerweile die Grundprämisse zu teilen, dass der demografische Wandel in der Gesellschaft einen neu verhandelten Generationenvertrag erzwingt.

Demnach sollen die RentnerInnen künftig deutlich mehr an Belastungen tragen, während die Erwerbstätigen entlastet werden. So kommt es, dass die Reformschritte der letzten Monate den heutigen und künftigen Rentnern einiges abverlangen. Im Gegenzug werden die Erwerbstätigen durch das Alterseinkünftegesetz schrittweise entlastet.

Zauberwort "Nachhaltigkeit"

Bereits im Herbst 2003 wurden verschiedene kurzfristig wirkende Maßnahmen beschlossen, die den Beitragssatz zur Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) im Jahr 2004 bei 19,5% halten sollten. Hierzu zählt z.B. die Übertragung des vollständigen Beitrags zur Pflegeversicherung auf die RentnerInnen, die seit dem 1. April 2004 zu einer Verringerung der Nettorente in Höhe von 0,85% führt. Erstmalig in der Geschichte der Bundesrepublik sinkt der nominale Zahlbetrag der Renten. Über eine Mio. Widersprüche bei den Rentenversicherungsträgern sind das vorläufige Ergebnis. Doch diese Einzelmaßnahmen waren nur Trippelschritte im Vergleich zu den in diesem Jahr eingeleiteten Reformen. Dabei kann vom ehemaligen Arbeits- und Sozialminister Walter Riester behauptet werden, dass er einen guten Teil zu den derzeitigen Debatten um die Rente beigetragen hat. Denn mit der Einführung der Riester-Rente im Jahr 2002 wurden gleichzeitig verschiedene, für die Zukunft nicht zu überschreitende Beitragssätze in der GRV festgelegt. Bis zum Jahr 2020 war dies ein Gesamtbeitragssatz von 20%. Bis 2030 soll dann die 22%-Marke nicht überschritten werden. Der über die Einhaltbarkeit dieser Zielwerte wachende Rentenbericht der Bundesregierung ließ aber schon im Jahr 2003 – also nur ein Jahr nach der Riesterschen Reform – eine Überschreitung vermuten. Die Bundesregierung nahm dies zum Anlass, die Rürup-Kommission einzusetzen, die daraufhin Vorschläge zur langfristigen Stabilisierung des Beitragssatzes ausarbeitete.

In der Rürup-Kommission wurden – wohl auch unter dem Eindruck einer starken Konjunkturkrise – sehr viel pessimistischere Rahmendaten zugrunde gelegt als noch im Vorfeld der Riester-Reform. So soll die Anzahl der Erwerbstätigen im Jahr 2030 um 2,4 Mio. niedriger ausfallen und die Lebenserwartung beim Renteneintritt wurde um über ein Jahr nach oben gesetzt. Grundsätzlich bot sich zur Verringerung der Beitragssätze eine Verbreiterung der Bemessungsbasis an, wie in der Diskussion um die Bürgerversicherung. Dieser schon von der Bundesregierung im letzten Jahr mit der Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze beschrittene und auch vom Bochumer Bundesparteitag der SPD bekräftigte Weg (Ausweitung der Rentenversicherung zu einer Erwerbstätigenversicherung, die auch Selbständige und Beamte umfasst) wurde jedoch von der Rürup-Kommission verworfen. Grund war die Tatsache, dass mit den höheren Beitragsflüssen langfristig auch Ansprüche an die gesetzliche Rentenversicherung entstehen. Nach Ansicht der Rürup-Kommission war dies keine nachhaltige Reformoption.

Rürup, der zur Begründung seiner Ideen gerne auf Adam Riese verweist, machte im Wesentlichen zwei Vorschläge. Beide laufen auf eine Verringerung des Leistungsniveaus der GRV hinaus. Die schrittweise Heraufsetzung der Altersgrenze für den Renteneintritt auf 67 Jahre wurde von der Bundesregierung verworfen. Zweitens schlug die Rürup-Kommission vor, das Verhältnis von Beitragszahlern und RentnerInnen in der Rentenformel zu berücksichtigen. So sollen die jährlichen Rentenanpassungen kräftig gedämpft werden. Der so konstruierte "Nachhaltigkeitsfaktor" wurde mittlerweile mit den Stimmen der Koalition im Bundestag beschlossen.

Ironie der Geschichte: Nachdem Bert Rürup schon den Blümschen Demografiefaktor mit aus der Taufe gehoben hatte, durfte er zwei Regierungsperioden später noch einmal und viel radikaler ran. Denn: "Nachhaltigkeit" – das klingt nicht nur besser, das dämpft auch viel stärker! Der Nachhaltigkeitsfaktor wird zu einer deutlichen Verringerung der Rentenanpassungen in den nächsten Jahren führen. (siehe Abb.)

Grafik Nettorentenniveau

Das Gesetzespaket sieht außerdem vor, dass schulische und universitäre Ausbildungszeiten ab 2009 völlig entfallen. Dies hat nach heutigem Rechnungsstand eine Verringerung der Rente um maximal 59 Euro pro Monat in den alten und 52 Euro in den neuen Bundesländern zur Folge.

Aussitzen rächt sich

Nachdem das Bundesverfassungsgericht (BVG) bereits 1980 und 1992 die ungleiche Behandlung von Renten und Beamtenpensionen bei der Einkommensbesteuerung beanstandet hatte, war die Geduld der Richter in den roten Roben im Jahr 2002 zu Ende. Der Bundesregierung wurde ein enger zeitlicher Rahmen für eine Neuregelung gesetzt. Ohne verfassungskonforme Neuregelung hätte die Besteuerung der Beamtenpensionen ab dem 1. Januar 2005 ausgesetzt werden müssen. Nach Angaben des Finanzministeriums hätte dies Einnahmeverluste des Staates in Höhe von 10 Mrd. Euro zur Folge gehabt – in Zeiten hoher Haushaltsdefizite sicher ein Horrorszenario.

Doch auch das von der Bundesregierung als Reaktion vorgelegte Alterseinkünftegesetz hat es in sich. So wirkt die ab dem kommenden Jahr vorgesehene schrittweise Steuerfreistellung der Arbeitnehmerbeiträge zur GRV faktisch als Steuersenkungsprogramm. Zwar werden im Gegenzug die Renten schrittweise in die Einkommensbesteuerung einbezogen, der Nettoeffekt für den Staatshaushalt ist aber negativ. Dies liegt an der zeitlichen Ausgestaltung und der niedrigeren Steuerprogression bei den im Vergleich zu den Arbeitnehmereinkommen geringeren Renten. RentnerInnen kommen z.B. stärker in den Genuss von Freibeträgen. Bis zum Jahr 2010 laufen dadurch voraussichtlich geringere Staatseinnahmen in Höhe von 19,3 Mrd. Euro auf (Angaben des Finanzministeriums). Hier wäre eine vorgelagerte Besteuerung der Renten sicher zuträglicher gewesen. Die damit verbundene Integration der Arbeitgeberbeiträge in die steuerpflichtige Bruttolohnsumme wäre nach den bereits erfolgten Senkungen des Einkommenssteuer-Tarifs tragbar gewesen und hätte ganz nebenbei sogar höhere Staatseinnahmen beschert. Es war wohl der ideologische Hintergrund der Generationengerechtigkeitsdebatte, der eine bessere Lösung verhinderte.

Aufweichung der Lebensstandard-Orientierung

Beide in diesem Jahr beschlossenen Reformen entfalten eine nachhaltige Wirkung auf das Rentenniveau. Dabei wirkt sich der Nachhaltigkeitsfaktor direkt dämpfend auf das Bruttorentenniveau aus. Hinzu kommt, dass die Renten zukünftig schrittweise in die Einkommensbesteuerung hineinwachsen. Dabei wird jeder Renteneintrittsjahrgang bis zum Jahr 2040 einen individuellen Steuerfreibetrag haben. Deswegen kann zur Veranschaulichung der Effekte nicht mehr das bisher verwendete Nettorentenniveau verwendet werden. Eine Aussage für alle Rentnerjahrgänge ist dann aber nicht mehr möglich. Vielleicht gab es deswegen im ursprünglichen Gesetzentwurf zum Nachhaltigkeitsgesetz kein Niveausicherungsziel. Die Bundesregierung reagierte allerdings auf Forderungen aus Verbänden und Fraktion und zog schließlich doch eine Niveausicherungsklausel in das Gesetz ein. Dafür musste eine neue Berechnungsgrundlage eingeführt werden. Die Veränderung besteht in der Berechnung eines Nettorentenniveaus vor Steuern. Dieses soll bis zum Jahr 2020 einen Wert von 46% und bis zum Jahr 2030 einen Wert von 43% nicht unterschreiten. D.h. ein Zeit seines Arbeitslebens von 45 Jahren Dauer durchschnittlich verdienender Arbeitnehmer hätte bei einem Renteneintritt im Jahr 2030 eine Bruttorente abzüglich Sozialabgaben, die 43% eines durchschnittlichen Arbeitnehmer-Bruttoeinkommens abzüglich Sozialabgaben beträgt.

Diese Größe ist allerdings schwer interpretierbar, da sie nicht die Effekte der anschließenden Einkommensbesteuerung berücksichtigt. Soll eine mit dem bisherigen Nettorentenniveau vergleichbare Größe präsentiert werden, muss die Aussage auf einen einzelnen Rentnerjahrgang bezogen werden. Unter Verwendung spezieller Annahmen (Inflationsanpassung der Rechengrößen der Einkommensbesteuerung) hat beispielsweise der Dachverband der Rentenversicherungsträger, VDR, eine solche Prognoserechnung erstellt. Demnach würde das Nettorentenniveau für einen 45 Jahre arbeitenden Durchschnittsverdiener (so genannter Standardrentner) im Jahr 2030 eine Höhe von ca. 52% haben. Angesichts dieser Größe kann wohl nur noch schwerlich von einer auskömmlichen Rente gesprochen werden. Die Bundesregierung verweist daher in ihrer Stellungnahme zu Recht auf die zunehmende Bedeutung der privaten Altersvorsorge.

Mit dieser Tendenz wird auch zunehmend das Äquivalenzprinzip in der GRV aufgeweicht. Dieses besagt, dass einer individuellen Beitragsleistung ein entsprechendes individuelles Leistungsniveau gegenübersteht. Allerdings wird bereits der Standardrentner mit seinen sehr hoch angesetzten Arbeitsjahren mehr und mehr in Richtung Armutsniveau gedrückt. Dieses kann ungefähr bei 40% eines durchschnittlichen Nettolohns angesetzt werden. Normale Arbeitnehmerbiografien dürften ohne private Vorsorge zunehmend in die "Bedarfsorientierte Grundsicherung" abrutschen, die sich in ihrer Höhe an der Sozialhilfe orientiert und gerade nicht an den im Arbeitsleben erbrachten Beiträgen.

Stabiler Generationenvertrag?

Rentenniveauabsenkung, Besteuerung der Renten und Entlastung von Wirtschaft und Beitragszahlern – sieht so der neue, stabile Generationenvertrag aus? Es gibt natürlich verschiedene mögliche Szenarien. Der Aufbau von privaten Kapitalstöcken erheblichen Umfangs mag gelingen in einem günstigen makroökonomischen Umfeld, in dem sich einerseits genügend profitable Anlagemöglichkeiten bieten und andererseits die Arbeitnehmer mit ihrer Einkommensposition am wirtschaftlichen Erfolg teilhaben. Beides ist nicht in Sicht. Die Bundesregierung hängt dem fatalen Irrglauben eines Sayschen Gesetzes auf dem Arbeitsmarkt nach, nachdem sich letztlich jedes Arbeitskraftangebot schon irgendwie seine Nachfrage schafft (siehe Hartz-Gesetze). Übertragen auf die Demografie-Debatte: Weniger Menschen im arbeitsfähigen Alter arbeiten auch weniger und ächzen dann unter der Last der Älteren. Wenn bereits heute darin die Ursache für steigende GRV-Beitragssätze gesehen wird, dann kann dem entgegengehalten werden, dass der Konjunkturzyklus nun wahrlich keine rot-grüne Entdeckung ist.

Vergessen scheint, dass zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit positive Impulse gefragt sind, um das Ruder wieder herumzureißen. Nur bei den Sozialleistungen zu kürzen – das ist es jedenfalls nicht. Dadurch werden keine positiven konjunkturellen Impulse gesetzt. In einem solchen Umfeld kann die Umleitung von umfangreichen Mitteln in den volkswirtschaftlichen Kapitalstock nicht fruchten. Denn auch auf den Kapitalmärkten gilt im Gegensatz zur Ansicht der Bundesregierung kein Saysches Gesetz. Stimmt das makroökonomische Umfeld nicht, dann bedeutet mehr Privatvorsorge Nachfrageentzug und führt zu noch größeren konjunkturellen Problemen. Das Ergebnis sind weitere Arbeitslose, Löcher in den Sozialkassen, Reformzwänge, Verunsicherungen der Bevölkerung etc. Wächst die Wirtschaft hingegen, dann wird im gleichen Zug der Kapitalstock ausgebaut. Aber dieses Wirtschaftswachstum gibt es nicht umsonst – erst recht nicht durch ein oder zwei zusätzliche Rentenreformen oder weitere angebotspolitische Feuerwerke. Außer einem Konjunkturprogramm für die Versicherungswirtschaft ist dann nichts gewesen!

Risiken und Nebenwirkungen

Angesichts der weiteren Entwicklung des Rentenniveaus erscheint es fraglich, wie es künftig um die gesellschaftliche Legitimation der GRV bestellt sein wird. Durch die Absenkung des Sicherungsniveaus wachsen langfristig Millionen von RentnerInnen in die "Bedarfsorientierte Grundsicherung" hinein. Schwerwiegender für die Richtung der Debatte erscheint jedoch die Verunsicherung, die durch die kurzzeitige Abfolge teils gravierender Eingriffe in das System der GRV geschaffen wird. Nach einer Emnid-Umfrage vom Mai 2003 zweifeln 81% der unter 30-Jährigen an der Sicherheit ihrer gesetzlichen Rente. Diese Verunsicherung könnte durch einen Streit vor dem Bundesverfassungsgericht noch verschärft werden, der sich beim Alterseinkünftegesetz bereits andeutet. Das Problem liegt im geringen zeitlichen Abstand zwischen vollständiger Freistellung der Arbeitnehmeranteile zur Rente im Jahr 2025 und der vollständigen Besteuerung der Altersbezüge für Renteneintritte ab dem Jahr 2040. Hier kann es zu Doppelbesteuerung kommen.

Auch das RV-Nachhaltigkeitsgesetz könnte unter Umständen schon in wenigen Jahren wieder aufgeschnürt werden. So werden die Niveausicherungsziele und die nicht zu überschreitenden Beitragssätze nach den aktuellen Prognosen für die Jahre 2020 und 2030 nur sehr knapp eingehalten. Die Rürup-Kommission rechnete für den Zeitraum 2002 bis 2030 mit einem jährlichen BIP-Wachstum von 1,7%. Kommt es zu einem stärkeren Konjunktureinbruch oder auch nur zu einer weiter schleppenden Konjunktur, dann wird die prognostizierte Arbeitsmarktentwicklung nach unten korrigiert werden müssen. Dies hat direkte Auswirkungen auf den prognostizierten Beitragssatz (steigt bei gegebenen oder leicht verminderten Rentenanwartschaften) und das Rentenniveau (sinkt durch die Berücksichtigung des Verhältnisses von Beitragszahlern und Rentnern). In einem solchen Fall würde also die Bundesregierung nach ihren eigenen Festlegungen wieder zum Handeln gezwungen.

Toralf Pusch ist Diplom-Wirtschaftsmathematiker und seit 1998 SPD-Mitglied in Rostock.

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