1. September 2001 Tobias Pflüger
Der selbstinszenierte Krieg in Mazedonien
Die Bundeswehr wird nun also an einen dritten langfristigen Militäreinsatz auf dem Balkan teilnehmen. [1] Der »MFOR«-Einsatz in Mazedonien folgt auf die »SFOR«- (Bosnien) und »KFOR« (Kosovo)-Missionen. [2] Die MFOR-Mission soll eine Truppenstärke von 3.500 NATO-Soldaten umfassen, davon 500 von der Bundeswehr. Offizieller Auftrag der NATO-Truppen der Operation »Essential Harvest« (ein vielsagender Name) ist »Waffeneinsammeln« bei den UCK-Truppen innerhalb von 30 Tagen.
»Einsammeln, was man selbst geliefert hat« [3]
Woher kamen diese Waffen und die Waffen der mazedonischen Armee? »An Waffen und Munition herrscht kein Mangel in Mazedonien. Die Krisenregion quillt über von Waffen, Munition und militärischer Ausrüstung aller Art, die ganz offiziell als Hilfen aus NATO-Staaten und anderen Staaten in diese Region geflossen sind«. [4] »Auch NATO-Länder haben Mazedonien als Müllhalde für ihre alten Rüstungsgüter missbraucht«. [5]
Im Einzelnen: Waffen hat die US-Regierung offiziell an beide Seiten geliefert. Ca. 70% der Ausrüstung der UCKler soll aus den USA stammen. »Die USA und Großbritannien schickten Unmengen an leichter Ausrüstung«. [6] Frankreich lieferte Panzerabwehrraketen »Milan« mit Ausbildungssimulatoren, Flugabwehrradareinrichtungen und militärisches Kleingerät. Griechenland, mit dem es ja mal Konflikte gab, lieferte ganz offiziell zwei Bell-UH-1-Hubschrauber, Maschinengewehre und Jeeps. Aus der Türkei kamen Raketenwerfer, Kalaschnikows, 105mm-Munition und Uniformen. Aus Bulgarien kamen bereits vor zwei Jahren 94 T-55-Panzer, was darauf schließen lässt, dass die anderen hier genannten Waffen erst ab 2000 geliefert wurden. Aus der Ukraine kamen acht Hubschrauber mit Piloten, die sofort mit dem grobkörnigen Beschuss albanischer Dörfer begannen. Aus der ach so neutralen Schweiz wurden Transportfahrzeuge und sinnigerweise Gebirgsausrüstung an Mazedonien verkauft. Quantitativ und qualitativ besonders hervorgetan hat sich Deutschland: Vor drei Jahren 60 NVA-Schützenpanzer BTR 60, vor einem Jahr nochmal 115 leichte Schützenpanzer »Hermelin« vom Bundesgrenzschutz, 134 Iltis-Jeeps, kugelsichere Westen, Nachtgläser und Sanitätsmaterial.
Die UCK spricht von 2.000 bis 3.000 Waffen, die sie abgeben will, die mazedonische Regierung von ca. 8.000, die NATO bewegt sich dazwischen. Es ist nicht festgeschrieben worden, auch nicht in der Vereinbarung zwischen der NATO und der UCK, die auf den »Friedensvertrag folgte, wie viele und welche Waffen die UCK abgeben soll. Werden nur Kleinwaffen abgegeben oder mittleres und großes Gerät? Da die Waffen der UCK zu ca. 70% aus westlichen Staaten, insbesondere aus den USA stammen, soll eingesammelt werden, was zuvor an den NATO-Bündnispartner UCK geliefert wurde.
Friedenspolitik sieht anders aus: Bei einer wirklichen Friedenspolitik wären keine Waffen an die UCK und an Mazedonien geliefert worden. Krieg geht nur mit Waffen, deshalb haben die westlichen Staaten wesentliche Mitschuld an der jetzigen kriegerischen Situation.
Die Unsinnigkeit der Militäroperation
Sowohl innerhalb der NATO als auch bei der Bundesregierung ist klar, dass die Frist von 30 Tagen für die Bundeswehr- und NATO-Mission völlig unrealistisch ist. Eine Vereinbarung zwischen »Verteidigungsminister« Rudolf Scharping und Finanzminister Hans Eichel sieht deshalb auch vor, dass die Bundeswehr 120 Millionen DM direkt für den Mazedonien-Einsatz erhalten soll, dazu kommen dann noch 15 Millionen DM monatlich!
Vorausgesetzt, die UCK hält sich an das von ihr nicht unterschriebene, von den EU- und US-Vertretern diktierte »Friedensabkommen«, dann wird sie ihre Waffen freiwillig abgeben. Eine freiwillige Waffenabgabe bedürfte aber keiner 3.500 NATO-Soldaten, dies könnten auch andere Institutionen. Ex-Verteidigungsminister Volker Rühe empfahl dafür das Rote Kreuz. Die UCK im Kosovo und die UCK in Mazedonien sind personell eng verflochten, sie haben die gleichen militärischen Führer. Der gesamte Nachschub der UCK in Mazedonien wurde aus dem Kosovo organisiert. Aus dem Kosovo wurde Mazedonien von der UCK beschossen. Die UCK überschritt regelmäßig die Grenze zwischen Kosovo und Mazedonien. Warum soll ein »Waffeneinsammeln« bei der UCK nun im Bereich Mazedonien funktionieren, obwohl dies seit zwei Jahren, seit dem Ende des NATO-Krieges gegen Jugoslawien, im Bereich Kosovo nicht möglich war? Zuständig für die Grenzüberwachung zwischen dem Kosovo und Mazedonien sind die US-Armee und die Bundeswehr. Die mazedonische Regierung warf deshalb wiederholt auch der Bundeswehr und der deutschen Regierung vor, bei einer Kontrolle der UCK zu versagen.
Offensichtlich gehen alle davon aus, dass es sich um einen - in der Militärsprache - »robusten« Einsatz - also einen Kampfeinsatz - handelt, nur der Öffentlichkeit und dem Parlament wird das so nicht gesagt. Doch fast alles deutet darauf hin: Die UCK-Abspaltung albanische Nationalarmee (ANA) hat den »Friedensvertrag« abgelehnt, sie wird also weiterkämpfen. Auch die UCK selbst wird sich nur bedingt an den »Friedensvertrag« halten. Das mazedonische Parlament hat den Vertrag noch nicht ratifiziert; ob das überhaupt der Fall sein wird, ist offen. Die Amnestie für die UCK-Kämpfer ist noch nicht vollzogen und zudem bei der Bevölkerung in Mazedonien äußerst umstritten, schließlich haben die UCKler Menschen auf dem Gewissen. Nach der Unterzeichnung des Vertrages gingen die Kämpfe - wenn auch abgeflaut - weiter.
In der Tagespresse wurde über die Rolle der Bundeswehr-Einheiten innerhalb der Operation »Essential Harvest« spekuliert, in der Sonntagszeitung der FAZ [7] war zu lesen, dass der Bundeswehrverband eine Art »Feuerwehrverband« sei. Im Krisenfall sollen »die Verbände anderer Nationen unterstützt und notfalls verteidigt« werden. Das »Verteidigungsministerium« dementierte die Angabe. Ein Kampfauftrag bleibt die MFOR-Mission allemal.
Die frühe Ankündigung einer NATO-Truppe und die jetzt begonnene Stationierung in Mazedonien haben nicht zu einer Abnahme der Spannungen vor Ort geführt, im Gegenteil. Viele Menschen in Mazedonien empfinden schon die bisherige Einmischung von EU, USA und NATO als einseitig zu Gunsten der UCK. Nicht wenige Menschen wollen die NATO-Truppen gar nicht in Mazedonien haben. Die NATO-Mission »wesentliche Ernte« ist also in der offiziellen Version unsinnig.
Was steckt dahinter? Ein Konflikt zwischen EU und USA?
Interessant ist die sich abzeichnende Zusammensetzung der MFOR-Truppe. Die britische Armee stellt am meisten Soldaten und den Befehlshaber. Die 500 Bundeswehrsoldaten werden einem französischen Verband zugeordnet. Die USA wollen sich nur mit Unterstützungs- und Sanitätseinheiten am Rande beteiligen. Sie weisen den europäischen NATO-Partnern die MFOR-Aufgabe zu. Es soll ja auch gegen einen wichtigen früheren Verbündeten der US-Regierung, die UCK, vorgegangen werden. Am 28.6.2001 meldete das Hamburger Abendblatt, »US-Berater halfen Albaner-Rebellen«. [8] US-Truppen schleusten 400 albanische UCKler von der 113. UCK-Brigade aus Aracinovo heraus. [9] Sie hatten von dort Krieg gegen die mazedonische Armee geführt. Interessant war, dass sich unter den UCKlern 17 so genannte »Instrukteure« befanden, die aus den USA stammten, ehemalige Militärs waren und nun einer Privat-Firma angehören, die regelmäßig Militärs anderer Länder ausbildet. 70% der Ausrüstung der UCKler seien US-Fabrikate, »darunter auch modernste Nachtsichtgeräte der dritten Generation«. [10] »Ich will diesen Sachverhalt nicht bestätigen«, [11] so Pentagon-Sprecher Paul Philip. »Solche diplomatischen Aussagen gelten US-Journalisten als Bestätigung. Wäre es so, würde die mögliche NATO-Operation vollends zur Farce«, [12] kommentiert Franz-Josef Hutsch im Abendblatt.
Die US-Militärs haben also wohl bis zu diesem Vorfall die UCK-Unterstützung intensiv weiterbetrieben. Nun war die US-Regierung gefordert, schließlich waren die UCKler nun keine »Freiheitskämpfer« wie während des NATO-Krieges mehr, sondern auch in offiziellem Sprachgebrauch Terroristen. George W. Bush erließ eine »Executive Order on Depriving Balkan Extremists of Support«, mit der jegliche Kontakte mit den ehemaligen Militärfreunden untersagt wurden. [13] Wer aber »Extremisten die finanzielle und materielle Unterstützung« entziehen will, hat ihnen vorher welche gegeben und das offensichtlich reichlich.
»Mazedoniens Verteidigungsminister Vlado Buckovski (39) hat in einem Abendblatt-Interview auch die EU und die USA für den Bürgerkrieg in seinem Land verantwortlich gemacht«. [14] Wörtlich sagte er: »Wir sind die Leidtragenden des anhaltenden Konfliktes zwischen den USA und der EU um eine eigenständige Sicherheits- und Außenpolitik«. [15]
Entmachtung des Bundestages
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 12.7.1994, mit dem es Auslandseinsätze der Bundeswehr erstmals zuließ, u.a. festgelegt, dass der Bundestag in der Regel im Vorhinein mit einfacher Mehrheit zustimmen muss. Aus dem NATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien haben offensichtlich einige wenige Abgeordnete von SPD und Grünen einige Konsequenzen gezogen und dem geplanten Mazedonien-Einsatz nicht zugestimmt.
In der CDU machen sich derweil die alten außenpolitischen Vordenker Wolfgang Schäuble und Karl Lamers Gedanken, die Voraussetzung einer Zustimmung des Bundestages mit einfacher Mehrheit zu Einsätzen der Bundeswehr auszuhebeln. Schäuble und Lamers wollen allein der Regierung das Recht zubilligen, Truppen in den Krieg zu schicken. »Der Parlamentsvorbehalt beeinträchtigt die Handlungsfähigkeit unseres Landes ... Die operative Leitung militärischer Einsätze muss Sache der Regierung und der Bundeswehr sein«, so Karl Lamers gegenüber dem Spiegel. [16]
Das Parlament könne Entscheidungen dieser Tragweite nicht treffen. Schäuble und Lamers denken damit konsequent zu Ende, was Außenminister Joschka Fischer vor dem Bundesverfassungsgericht bei der Anhörung zur Klage der PDS gegen die neue NATO-Strategie formuliert hat: Die »außenpolitische Handlungsfähigkeit« sei durch den »Parlamentsvorbehalt« beeinträchtigt. »Fischer warnt vor Parlament« [17] titelte die taz. Rupert Scholz (CDU) sah an gleichem Ort den Bundestag mit den ständigen Zustimmungen zu Militäreinsätzen »nahe an die Grenze der Überforderung gebracht«. [18] Bei diesen Überlegungen ist die höchste Alarmstufe angesagt! Noch ist dieser Vorschlag zurückgewiesen worden, doch so manche Schäuble/Lamers-Idee (Kerneuropa etc.) ist Stück für Stück Realität geworden.
Die Bundeswehr wird unter dem Vorwand des Mazedonieneinsatzes mehr Geld bekommen. Dieses wird insbesondere für die beschleunigte Herausbildung kriegsführungsfähiger Einheiten (»Einsatzkräfte«) und neue Beschaffungen von Kriegsgerät genutzt werden.
Sehenden Auges laufen die Regierenden in einen neuen gefährlichen Kampfeinsatz, die Militarisierung der Außenpolitik wird munter vorangetrieben. Nur die Konstellationen haben sich geändert. Bundeswehrverband (und mit ihm viele Soldat/inn/en) und Friedensbewegung sind gegen den Harakiri-Militäreinsatz, schwarz-gelb lässt sich mit Staatsräson einbinden und »kaufen«, die rot-grüne Regierung kämpft für den nächsten Kriegseinsatz. Und die Bevölkerung? Sie lehnt nach einer vom Militärmagazin IAP veröffentlichten Umfrage von Forsa im Juli 2001 den Mazedonieneinsatz ab: 53% sind dagegen, 42% dafür, 5% haben keine Meinung dazu. Jetzt gilt es die Ablehnung des Bundeswehreinsatzes auch politisch deutlich zu artikulieren, notwendig sind Aktionen, Protest und Widerstand.
Tobias Pflüger ist Politikwissenschaftler, Vorstand der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Bei IMI gibt es weitere Informationen zur Militarisierung der Europäischen Union, zur Bundeswehrentwicklung, zur NATO und zukünftigen Kriegen.
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