1. Juli 2002 Rossana Rossanda im Gespräch mit dem Generalsekretär der CGIL, Sergio Cofferati

Der Tanz beginnt erst

16. Mai 2002. Am Tage nach der Ausrufung der FIAT-Krise – die Firmenleitung spricht von rund 3.000 überschüssigen Arbeitskräften, die FIOM (Metallgewerkschaft in der CGIL – d.Ü.) sieht insgesamt etwa 10.000 Arbeitsplätze bedroht – und angesichts der vom ISTAT gerade veröffentlichten Zahlen über den Rückgang der Industrieproduktion erklärt Cofferati, an drei harten Fakten festzuhalten.

Erstens hätte die italienische Krise auch in einer schwierigen Weltwirtschaftskonjunktur anders gesteuert werden können. Zweitens gäbe es auch innerhalb der von den europäischen Verträgen festgesteckten Wegmarkierungen Spielraum für eine andere Wirtschaftspolitik. Drittens mache sich die Regierung Illusionen, wenn sie glaube, durch Hinauszögern den aktuellen Konflikt zwischen Regierung, Unternehmerverband und Gewerkschaften gewinnen zu können. Und mit dem ihm eigenen kontrollierten Lächeln fügt er hinzu: Der Tanz beginnt erst. Die Gewerkschaften suchen noch vor der Sommerpause eine Lösung. Wenn notwendig, geht die Auseinandersetzung im Herbst jedoch weiter.


Beginnen wir mit den Daten des ISTAT über das Bruttoinlandsprodukt: + 0,2 % im ersten Quartal im Vergleich zum letzten Quartal 2001, was übers Jahr ein Wachstum ergibt, das selbst unter den pessimistischsten Prognosen internationaler Organisationen liegt. »Traurige Lüge« nennt Cofferati die Position von (Finanzminister – d.Ü.) Tremonti und der Turiner »Stampa«, welche den Rückgang der Produktion und die Krise bei FIAT negieren. »Dieses Verhalten macht die Krise nur noch schlimmer.« Ich merke an, dass Kommentatoren wie Antonio Marzano die Krise nicht leugnen, die Schuld daran aber der miesen Weltkonjunktur zuschreiben. »Auch das ist eine erbärmliche Lüge. Natürlich sind wir in die Weltwirtschaft einbezogen, und es ist müßig zu sagen, wir leiden unter den negativen Effekten dieser Verflechtung. Warum trifft uns die Krise der Weltwirtschaft stärker als andere Länder? Von welchen Verwerfungen unseres Produktionssystems hängt diese stärkere Beeinträchtigung ab? Für den Staatshaushalt ist ein Wachstum von 2,3% unterstellt, tatsächlich wird es nur die Hälfte sein. Also fehlt Geld an allen Ecken und Enden. Was wurden bei den Steuereinnahmen für Wunderdinge erwartet. Zum Beispiel die Einnahmen aus dem Rückfluss von Schwarzgeldern aus dem Ausland: Insgesamt haben sich 400 Steuersünder gemeldet, zur Realisierung des Haushaltsansatzes fehlen jedoch noch 4 Mrd. Euro. Moody’s positive Wertung der Staatsverschuldung ändert daran kein Deut.«

Was hätte man anders machen können? Der Tenor der Ausführungen von Cofferati ist, dass die Instrumente einer regulativen Politik durchaus vorhanden sind, aber bewusst nicht eingesetzt wurden. »Allein die Art und Weise des Ressourcentransfers an die Unternehmen: In den ersten hundert Tagen hat die Regierung nach dem Gießkannenprinzip Gelder an die Unternehmen verteilt, aber nicht die Nachfrage stimuliert. Folge: kein Wachstum, stattdessen ein Einbruch des privaten Verbrauchs. Wachstum hängt nicht ab von den USA oder Europa, sondern von Investitionen. Die USA haben sich nach dem 11. September – klassisch, doch für ein durch und durch neoliberales Land einzigartig – für mehr antizyklisch wirkende öffentliche Ausgaben und Investitionen entschieden. Bei uns wird weiter gemacht wie immer, ohne Korrekturen der von uns kritisierten mittelfristigen Finanzplanung«.
Der Vorsitzende der FIOM, Rinaldini, fordert von der Regierung, angesichts der Krise bei FIAT zu intervenieren, um die Produktion sicherzustellen. Selbst »Liberazione« titelt Arbeit verteidigen (also auch FIAT). »Auf jeden Fall muss die Regierung intervenieren; das fordern wir auch von einer entschlossenen Opposition. Insbesondere, weil es um mehr als eine kleine Krise geht. Die Lage des Unternehmens muss schonungslos aufgedeckt werden. Es gibt ernsthafte Schwierigkeiten, deren Gründe analysiert werden müssen, sowohl hinsichtlich der finanziellen Ressourcen des Unternehmens als auch der Marktfähigkeit der Produkte. FIAT ist wichtig für das Land, weil das Unternehmen die industrielle Bedeutung des Autos hochhält, und die Tendenzen zur Reduktion des Gewichts der produktiven Arbeit bremst.«
Eine bereits sichtbare Tendenz, merke ich an. Cofferati hält den Kampf noch nicht für entschieden. »Die Bestrebungen sind nicht eindeutig. Dagegen steht die Kraft der Gewerkschaft, und die Interessen der Region sind auch von Gewicht.« Der Staat wird »auf der Basis eines präzisen Plans intervenieren müssen, damit das Unternehmen seine industrielle Bedeutung wahrnimmt. Es muss Schluss sein mit der alten kontraproduktiven Gewohnheit, dass FIAT seine Betriebsverluste durch Beschäftigungsabbau auszugleichen versucht. Das kann nur ins Desaster führen. Der Beschäftigungsabbau verdeckt nur die strukturelle Natur der Krise. Denn warum trifft die weltweite Krise der Automobilindustrie gerade FIAT in diesem Ausmaß? Von einigen einträglichen Sparten abgesehen entspricht die Produktpalette nicht mehr den Marktanforderungen. In dieser Situation die Produktionskosten zu senken, also massenhaft zu entlassen, muss zwangsläufig in einem Desaster enden. In einer strukturellen Krise sind Entlassungen das letzte, was hilft. Von der Gewerkschaft zu verlangen, dem zuzustimmen, ohne zu wissen wie es weitergeht, ist natürlich ein Unding. Das ist unzumutbar für diejenigen, die entlassen werden sollen, und paradoxerweise noch mehr für diejenigen, die weiter beschäftigt werden.«
Aber was sollte die Regierung tun? »Sie kann nicht die Rolle des Unternehmens übernehmen, aber sie kann sagen: Ich bin bereit zu helfen, wenn du ein glaubwürdiges industrielles Konzept vorlegst. Wenn FIAT seine »performance« qualitativ verbessert, könnte der Staat Ressourcen für die Weiterbildung zur Verfügung stellen. Beihilfen ohne Gegenleistung hingegen wären nutzlos. Was die Regierung in den ersten hundert Tagen tat, ging aber genau in diese Richtung. Wenn Italien weiterhin Marktanteile verliert, dann auch, weil Ressourcen mit der Gießkanne – zudem weniger, als ursprünglich versprochen – und ohne Gegenleistung verteilt worden sind. Ich wiederhole, der Staat soll intervenieren, aber nicht mit einer unnützen Beteiligung an der Unternehmensführung, sondern er soll seine Hilfen an Bedingungen knüpfen, beispielsweise an Qualitätsanforderungen. Er kann die Regeln des Wettbewerbs definieren. Die Regierung macht das nicht, und auch die Linke scheint sich davon verabschiedet zu haben.«

Wenn man Staatshilfen an gewisse Bedingungen knüpft, muss man eine Fortschrittsidee haben, kann nicht alles der unsichtbaren Hand des Marktes überlassen bleiben. »Die Regierung muss ein Fortschrittskonzept haben. Das haben wir ihr vor einem Jahr gesagt, ohne eine Antwort zu erhalten. Wir haben gesagt, dass einige Umstrukturierungen in den industriellen Fertigungsbereichen, aber auch bei den Dienstleistungen, unerlässlich sind zur Verbesserung der Qualität. Die sozialen Abfederungen sollten vor allem in Richtung Weiterbildung gehen. Entlassungen haben für die Betroffenen schwerwiegende Folgen, führen zu sozialen Spannungen, sind Vergeudung von Wissen und Berufserfahrung. Die Frühverrentungen sind ein Desaster, nicht nur für die öffentlichen Kassen. Fünfzigjährige aufs Altenteil zu schicken, bedeutet, sie auf einem anthropologischen Parkplatz abzustellen.


Dass ein Staat eine gewisse Entwicklungslinie verfolgt, widerspricht den heute in Europa herrschenden neoliberalen Ideen und Politikmodellen. Cofferati unterscheidet zwischen der Rückkehr zu dirigistischen Maßnahmen und dem Einsatz solcher Mittel, die Europa in größerem Umfang und sofort abrufbar zur Verfügung stellen kann, z.B. für Weiterbildung. Na gut, merke ich an, aber in keiner vorhergehenden Krise, die zu weitreichenden Umstrukturierungen führte, hat dies funktioniert. »Viele sind erst gar nicht ernsthaft erprobt worden. In der Zeit der spanischen Präsidentschaft hatte die Kommission für soziale Angelegenheiten Gewerkschaften und Arbeitgeberorganisationen aufgefordert, einen sozial abgefederten Umstrukturierungsplan vorzulegen, in dem zukunftweisend Fragen der Aus- und Weiterbildung sowie der Arbeitszeiten geregelt werden. Wir sollten dies nicht als konzertierte Aktion bezeichnen, da der Begriff verdächtig ist, sondern als ein System starker Beziehungen. Dies war der Vorschlag der Europäischen Union. Doch nach Burgos kam Barcelona, und dort unterstützte nur ein Teil der Länder den Lissabon-Vorschlag, also Orientierung auf das Wachstum der Wissensökonomie, während die anderen wieder Ermessensfreiheit, Unilateralismus und Flexibilität durch Ausweitung befristeter Arbeitsverhältnisse vorschlugen.«
Vielleicht, weil das Modell unzureichend war. Nehmen wir den Fall Frankreich: Die Wahlniederlagen der Linken widerspiegeln den manifesten Vertrauensverlust in die Möglichkeiten oder den Willen der Regierung Jospin, im Falle von Kapitalverlagerungen einzugreifen. Kurz vor seiner Wahl – während der großen Streikwelle im Herbst 1995 – nahm Jospin an einer Protestveranstaltung der Renault-Arbeiter von Vilvoorde teil und setzte sich dafür ein, derartige Unternehmerwillkür nicht mehr zu erlauben. Unmittelbar nach den Wahlen forderte er in Malmö, dass die europäische Linke eine Wirtschaftspolitik zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit voran bringt, stand damit aber total isoliert da. Schröder hielt ihm entgegen: Beschäftigung ist kein Gemeinschaftsthema. In den letzten beiden Jahren hat Jospin massive Entlassungen selbst in Unternehmen wie Michelin oder Danone, die schwarze Zahlen schreiben, hinnehmen müssen. Was sagst du diesen Massen, die plötzlich ohne Arbeit dastehen: Schlägst du Bildungsmaßnahmen vor, ohne ihnen eine glaubwürdige Perspektive aufzuzeigen? Sie haben Le Pen zugehört: Schuld hat Europa, dass Frankreich seine Industrie einschränken musste. So wie bei uns die Lega.
»Ich bin überzeugt, dass wir diese negative Spirale brechen müssen. Wir brauchen eine Wachstumsstrategie, darauf können wir nicht verzichten, und ein Wachstum, das auf einem ausgewogenen Verhältnis von materieller Güterproduktion, Dienstleistungen und anderen Aktivitäten basiert. Ein Land, das den tertiären Sektor entwickeln soll ohne eine industrielle Basis zu haben, ist schlichtweg undenkbar. Ein derartiges Modell wurde vor Zeiten von Christdemokraten und Sozialisten theoretisiert, funktioniert aber nicht. Auch die linke Opposition muss eine Idee von Wachstum entwickeln, aber Qualitätsmerkmale und Grenzen aufzeigen. Quantität allein genügt nicht, ein wildes Wachstum schafft Schäden bis hin zu einer Krise, zum Beispiel in der Umwelt und im Hinblick auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Daher bestehe ich auf einer selektiven Allokation der Anreize, abgestimmt auf Typ und Qualität des Wachstums.«
Kann man Wachstum überhaupt steuern angesichts einer totalen Liberalisierung der Kapitalströme? Cofferati räumt vorsichtig ein: »Die Idee der Tobin-Steuer ist richtig. Finanzströme besteuern um zu verhindern, dass Entscheidungen im Widerspruch zu den nationalen Interessen fallen.« Dies ist aber nicht das Europa der Europäischen Zentralbank, wende ich ein. Er lässt nicht locker: »Sieh doch, die Auseinandersetzung dreht sich nicht mehr um Reglementierung vs. Liberalisierung. Der Markt ist wichtig, aber mit Regeln. Dies hat auch die Kommission für soziale Angelegenheiten gesagt.«
Augenscheinlich sind wir uns in diesem Punkt nicht einig. Die letzten Daten der Kommission besagen, dass die Arbeitslosenquote in 2000 um ein Prozent gesunken ist anstatt um 4 Punkte, wie sie in Stockholm für die Zeit bis 2010 vorgesehen sind. Die Zahl der Arbeitslosen in der EU stagniert bei 14,5 Millionen. Da muss man sich nicht wundern, wenn die Links- und Mitte-Links-Regierungen verlieren und die extreme Rechte zunimmt: Italien, Dänemark, Portugal, Holland senden alle das gleiche Signal. Warten wir ab, wie der 22. September in Deutschland ausgeht. Es ist ja wirklich nicht sicher, dass Schröder es schafft, Stoiber könnte gewinnen. Ich würde behaupten, dass die europäische Sozialpolitik nicht funktioniert hat. »Es gibt einen Bruch zwischen den Ausarbeitungen in den Zentralen der EU und den tatsächlichen Umsetzungen«, erklärt Cofferati. Aber nicht einmal von den Oppositionsbänken heraus erhebt die Linke die soziale Frage. »Sie spricht wenig darüber«.
Aus Cofferati herauszulocken, was er nicht sagen will, ist unmöglich. Er gibt zu, dass der Markt, nun ja, doch nicht der Garant ist. »Die Formulierung des allgemeinen Interesses ist Aufgabe der Politik.« Ist die Politik aber nicht durch die europäischen Verträge und die Konvergenzkriterien eingeschnürt? »Man kann viel machen, wenn Mittel zur Verfügung stehen. In Italien beispielsweise kann das gesamte Infrastruktursystem erneuert werden, denn ohne eine vernünftige Infrastruktur kann es keine florierende Industrie geben. Das Infrastrukturnetz kann nicht allein vom Staat getragen werden, aber der Staat muss die großen Linien und die Richtung vorgeben. Außerdem kann und sollte er bei Bildung und Forschung intervenieren. Es gibt Spielräume und beachtliche Mittel für eine nationalstaatliche Politik. Maastricht und die Konvergenzkriterien können sogar stimulierend wirken.« So aber scheint es gerade nicht gelaufen zu sein. »Dann liegt es in der Verantwortung der einzelnen Staaten. In Italien, in Frankreich und Holland nimmt ein Teil des Landes die Möglichkeiten Europas nicht wahr, sie werden nicht genutzt. Es gab eine gemeinsame Politik der Regierungen, den Euro einzuführen, dann wurde abgebremst und schließlich blockiert. Die Linke in ihrem jahrhundertealten Misstrauen gegen das Geld hat nicht wahrgenommen, dass der Euro ein Überzeugungssymbol gewesen ist, aber eines, dessen Wert sich schnell verflüchtigte. Es hätte alles unternommen werden müssen, zu einem europäischen Haus zu kommen, zu einer Verfassung, einer Charta von Rechten, einem europäischen Sozialmodell. All dies wurde jedoch mit zu viel Desinteresse betrachtet. So handelst du dir Niederlagen ein. Entweder gibt es ein Europa mit einer Vision von Wachstum und Regeln, oder es kommt nicht einmal mehr zur Rückkehr zu den alten Nationalstaaten, sondern zu einem sozialen Auseinanderbrechen. Und dem Aufstieg der Rechten.« Wenn Europa eine Chance gewesen ist, dann waren es die Mitte-Links-Regierungen, die sie verspielt haben. »Dies gilt auch für die Linke in der Opposition. In dieser Frage haben wir bekanntlich einen Konflikt. Barcelona war der Ort der Auseinandersetzung, das Ergebnis war Null.«

Wärst du Minister im ECOFIN (Rat der EU-Finanzminister – d.Ü.), was würdest du tun? Einen Moment lang ist er überrascht, doch dann legt er los: »Ich würde eine entwickelte Idee von Europa propagieren. Du musst auf dem Boden der Tatsachen bleiben. Nehmen wir die Einwanderung: Wie kann man nur gegen weiteren Zuzug sein, wenn wir Wirtschaftswachstum anstreben. Unsere demografische Kurve sinkt schneller als die durch die technologische Entwicklung bedingte Freisetzung von Arbeitskräften. Europas Bevölkerungszahl sinkt dramatisch, und mit den Geburtenraten sinken das Niveau der Allgemeinbildung, Kompetenzen und Professionalität. Dies kann nur durch weitere Immigration aufgefangen werden. Für diese müssen wir qualifizierte Arbeitsplätze anbieten oder sie für diese qualifizieren, jenseits der einfachen Arbeiten, die kein Einheimischer mehr machen will. Diese Einwanderung kannst du aber nicht haben, ohne gleiche Rechte zu garantieren. Das Gesetz Fini-Bossi ist eine Abartigkeit, nicht nur hinsichtlich der menschlichen Würde. Die ganze Geisteshaltung, schützen wir uns vor der Einwanderung, ist unwürdig und kurzsichtig.«

Wer denkt darüber genauso wie du? »Ich weiß es nicht. Die Gewerkschaften haben in dieser Frage heute mehr Sensibilität als die Parteien. Unsere Manifestation in Barcelona war mächtig.«


Machtvoll war auch die Demonstration am 23. März in Italien. Der Generalstreik war ein großer Erfolg. Großartig war die Beteiligung der sozialen Bewegungen, die sich an diesem Tag um die CGIL versammelt haben zur Verteidigung des Art. 18. Noch vor kurzem wäre das so nicht möglich gewesen. »Die Zeit, als die dümmlichen Thesen von Rifkin über das Ende der Arbeit überall zirkulierten, ist längst vorbei. Abgehakt ist auch die Leier: besser irgendein Job als gar keine Arbeit.« Ganz aber wohl noch nicht, werfe ich ein, sie taucht in der Version des welfare to work wieder auf. Er geht nicht darauf ein: »Die Leute, die Jugendlichen haben verstanden. Sie haben den Angriff der Regierung auf Art. 18 verstanden – nicht nur als Angriff auf die Lohnarbeit, sondern als Angriff auf die Rechte, auf jedes in der Demokratie errungene Recht. Das einigende Band der Bewegungen ist das Netz von Rechten.«
Wird von der CGIL nicht zuviel erwartet? Diese Frage gefällt Cofferati natürlich nicht, aber er gibt zu: »Die Gewerkschaft ist nicht für alles zuständig und hat ihre Eigenheiten. Die Regierung spielt auf Zeit in der Hoffnung, dass wir uns verschleißen. Ein großer Irrtum. Wir bleiben dran, notfalls geht es im Herbst weiter. Alle drei Gewerkschaftszentralen (neben CGIL: CISL und UIL – d.Ü.) sind engagiert, die Regierung wird sich wundern. Wir kämpfen um Arbeitsplätze und gegen Dekrete, die direkt damit verbunden sind: Schule, Steuern, Sozialversicherung. Ferner gibt es Themen wie die Justiz, die andere Instrumente, andere Felder der Auseinandersetzung erfordern. All dies wird von den sozialen Bewegungen thematisiert, muss aber letztendlich von der Politik abgedeckt werden.«
Auch ihr habt mehr Antworten vom Volk als vom politischen System erhalten. »Die Bewegungen sind das Volk. Sie haben keine politische Vertretung, und es ist gut, wenn sie sich nicht in Parteien umwandeln. Sie würden dabei ihre Identität verlieren. Es ist Aufgabe der Politik, nicht der Gewerkschaften, ihre Forderungen auch organisatorisch umzusetzen. Es bedarf einer Linken, die ihre Ziele mitträgt.« Mir scheint, dass die Opposition verstummt ist. Nicht einmal zum Thema Arbeit hört man ihre Stimme. Die Margherita z.B. vertritt eine andere Position. »Du sagst Margherita, aber gewisse katholische Bereiche verstehen die Arbeitskulturen besser als die Linke. Arbeit nicht als bloße Arbeitsverausgabung, als Job mit befristeten Horizont, sondern als Terrain von Recht und Würde.«


Zum Art. 18 startet gerade ein Referendum mit dem Ziel, das Limit von 15 Beschäftigten für jeden Unternehmenstyp abzuschaffen. Glaubst du, dass die Bewegung vom 23. März mitzieht? »Sie muss zusammenhalten. Ob das Referendum dies am besten zum Ausdruck bringt – ich weiß nicht. Ein Referendum ist immer defensiv angelegt, es kann Erfolg haben, wenn erkämpfte Rechte – wie seinerzeit das Scheidungsrecht und das Recht auf Abtreibung – rückgängig gemacht werden sollen. Ich habe Zweifel, dass es was bringt, wenn die Ausweitung von Rechten auf der Tagesordnung steht.«

Wird die CGIL das Referendum unterstützen? »Wir werden darüber diskutieren. Meine persönliche Meinung ist nicht positiv. Das Referendum präsentiert nicht die ganze Breite des Problems. Die Schwächsten bleiben ausgeklammert, gerade diejenigen, die außerhalb jeglicher Rechte stehen. Wir sind die einzigen in Europa. Die CGIL schlägt vor, die ganze Arbeitsverfassung zu verändern.« Wie und wann? »Wir haben einen Entwurf fertig, der auch die anderen Gewerkschaften mit einbezieht und der, wenn die Regierung ihren Entwurf zum Art. 18 zurückzieht, eine neue Verhandlungsrunde eröffnet, in der wir unseren Text präsentieren. Wenn das scheitert, steuert alles auf einen neuen Konflikt zu.« Die Unterstützer des Referendums haben die befristeten Arbeitsverhältnisse im Visier. » Die befristete Arbeit ist reguliert, die Kosten sind ziemlich hoch, deshalb wird davon nur wenig Gebrauch gemacht. Was wächst, sind die verschiedenen Formen der neuen Selbständigen, die in neun von zehn Fällen eigentlich Lohnabhängige sind. Von diesen Schwächsten müssen wir m.E. ausgehen. Das Referendum führt Regierung und Unternehmerlager wieder zu einer Front zusammen, spaltet eher die Oppositionsfront und wird die Ungerechtigkeiten nicht beheben. Wenn man für die Universalität der Rechte eintritt, sollte man in erster Linie dafür sorgen, dass sie zuvorderst die bislang Rechtlosen erhalten.

Hättest du gern eine Linke im Nacken? »Eine starke Gewerkschaft ohne eine starke Politik wird es auf absehbare Zeit nicht schaffen.«

Das Gespräch haben wir mit freundlicher Genehmigung der Juni-Nummer von la revista del manifesto entnommen. Übersetzung von Klaus-Dieter Lühn, Hamburg.

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