26. Januar 2023 Redaktion Sozialismus.de: Aus Kriegsrhetorik wird Kriegswirtschaft
»Deutschland hat leider gerade versagt«
Die in der Überschrift zitierte These hat Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), die Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Verteidigung, in den Medien verkündet. Die Politikerin hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) aufgefordert, klare Ansagen zur militärischen Unterstützung der Ukraine zu machen.
»Wenn man Leopard 2 nicht liefern will, dann muss erklärt werden, warum. Dann muss der Ukraine erklärt werden, warum«, sagte die Militärexpertin der Freidemokraten.[1] Die Diskussion um den Kampfpanzer werfe kein gutes Licht auf Deutschland: »Wir sind immer hinter der Welle. Also wir warten immer, bis was passiert. Deutschland wartet, das Bundeskanzleramt wartet, bis der Druck steigt, und dann kommt man gewissermaßen in die Gänge.«
Dieser erneuten politischen Attacke widerspricht der SPD-Fraktionsvorsitzende im Deutschen Bundestag, Rolf Mützenich: »Frau Strack-Zimmermann und andere reden uns in eine militärische Auseinandersetzung hinein. Dieselben, die heute Alleingänge mit schweren Kampfpanzern fordern, werden morgen nach Flugzeugen oder Truppen schreien.« Eine Politik in Zeiten eines Krieges in Europa mache man nicht im Stil von »Empörungsritualen« oder mit »Schnappatmung«, sondern mit Klarheit und Vernunft. Sicherheitspolitik beschränke sich nicht auf Waffenlieferungen. Schauen wir uns den politischen Konflikt näher an.
Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine trifft sich eine internationale Kontaktgruppe zur Unterstützung des Abwehrkampfes der Ukraine regelmäßig, um die zivile und militärische Hilfe zu koordinieren. Den Vorsitz hat der US-Verteidigungsminister Lloyd Austin. Angeführt von den USA haben die westlichen Verbündeten auf dem US-Stützpunkt im rheinland-pfälzischen Ramstein über weitere Waffenlieferungen an die Ukraine beraten. Eine Entscheidung über die Lieferung von Leopard 2 wurde beim letzten Treffen am 20. Januar 2023 vertagt. Die Ampelregierung kommt wegen ihrer vermeintlich zögerlichen Haltung bei der Militärhilfe an Kiew immer stärker unter Druck.
Dabei kündigten Deutschland und mehrere andere Nationen weitere Hilfen an. Zur Unterstützung im Abwehrkampf gegen den russischen Angriff will Deutschland der Ukraine zusätzliche Waffen und Ausrüstung im Wert von einer Mrd. Euro liefern. Dazu zählen eine Einheit des Flugabwehrsystems Patriot, sieben weitere Gepard-Panzer zur Flugabwehr und ein weiteres Luftabwehrsystem des Typs Iris-T SLM mit weiteren Lenkflugkörpern. Einzelne Lieferungen, die der neue Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) in Ramstein nannte, waren allerdings schon zu früheren Zeitpunkten angekündigt worden. Gleichwohl ist die Berliner Republik massiv in der Unterstützung der Ukraine engagiert.
Die Ukraine drängt zusammen mit anderen westlichen Unterstützerstaaten auf die Lieferung von Kampfpanzern. Als Grund wird einerseits auf eine bevorstehende Offensive der russischen Streitkräfte verwiesen. Zu deren Abwehr benötige die ukrainische Armee schwere Waffen. Andererseits wird die Möglichkeit betont, den russischen Stellungen schwere Verluste zuzufügen, sodass durch die weitere Befreiung besetzter Gebiete die Chance zu Waffenstillstands- und Friedensverhandlungen erhöht werden.
Für die Kriegsziele hat die ukrainische Armee einen Bedarf von 300 Kampfpanzern und bis zu 700 Schützenpanzern angemeldet. In einem großen konventionellen Krieg wie in der Ukraine ist ein gemeinsamer Einsatz dieser Waffensysteme wirksam: Die Kampfpanzer schlagen die Bresche in die gegnerischen Linien, die Schützenpanzer bringen den Infanteriekräften (»Schützen«) die unverzichtbare Mobilität.
300 Kampfpanzer und 600 bis 700 Schützenpanzer – für Waleri Saluschni, den Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte, ist das die kritische Größe,[2] die seine Armee braucht, um den Feind besiegen zu können, sprich: um die russische Invasionsarmee hinter die Landesgrenze zurückzudrängen.
[1] Die FDP-Politikerin ist zugleich in den drei wichtigsten Lobbyorganisationen der Rüstungsindustrie engagiert – in der »Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik« (DWT), dem »Förderkreis Deutsches Heer« (FKH) sowie als Vize-Präsidentin der »Deutsch-Atlantischen Gesellschaft« (DAG). Marie-Agnes Strack-Zimmermann sitzt dort zusammen mit den Spitzenmanagern des parteispendenfreudigen Rüstungskonzerns Rheinmetall (mit der Konzernzentrale und Sponsoring in ihrem Düsseldorfer Wahlkreis) sowie mit den führenden Vertretern aller übrigen deutschen Rüstungskonzerne, nebst weiteren Politiker*innen und hochrangigen Militärs. Außerdem sitzt sie auch im Beirat der Bundesakademie für Sicherheitspolitik unter dem Sprecher MdB Kiesewetter (CDU), zusammen mit Angehörigen des Bundessicherheitsrates.
[2] So im Interview mit dem britischen «Economist» vom 15.12.2022.