22. November 2024 Stephanie Odenwald/Petra Reichert

Die Brisanz der Frauenfrage

In den 500 Ausgaben der Zeitschrift ist die »Frauenfrage« und ihre internationale Dimension immer mal wieder Bestandteil der Analysen gewesen. Die Wahl Trumps in den USA und der Vormarsch der Rechten in Europa wird die Auseinandersetzungen um Gleichstellung verschärfen. Zu würdigen sind bereits errungene Erfolge als Ergebnisse eines über viele Jahrzehnte währenden Engagements.

»This is a man’s world«[1] war ein Song bei Trumps Wahlkampfauftritten. Die Botschaft beinhaltet eine Welt, in der Männern und Frauen eindeutig ihre Bestimmung zugewiesen wird. Laut Text produzieren Männer alles: Autos, Boote, Eisenbahnen, elektrisches Licht und Spielzeug für die Kinder. Dennoch wären sie ohne Frauen »verloren in der Wildnis« und voll »Bitterkeit«. So die nostalgische, realitätsferne Zweiteilung der Welt in eine männlich produzierende und eine weibliche der liebenden Fürsorge. Gewählt wurde Trump immerhin von 45% der wählenden Frauen und 55% der männlichen Wähler, Kamala Harris von 53% der Frauen und von 42% der Männer. Trump gewann mit seiner Ankündigung eines »Golden Age«, also eines ökonomischen Aufschwungs, d.h. Wohlstand, preiswerter Konsum, massenhafte Abschiebung, »America great again«. Dahinter steht die Unterwerfung von Menschen und Natur: Weg mit Profit bremsender ökologischer und sozialstaatlicher Regulierung! Weg mit im Wege stehenden demokratischen Rechten, wenn nötig mit Gewalt!

Ist das der Zeitgeist für das 21. Jahrhundert? Ausbremsen einer ökologischen und sozialen Transformation, die unter anderem Gleichstellung der Frauen beinhaltet? Zu hoffen ist, dass der Widerstand gegen eine solche Entwicklung stark genug sein wird. Seit Jahrzehnten meldet sich die internationale Frauenbewegung zu Wort: für die Gleichstellung der Frauen, gegen sexistische Gewalt und für eine gleichberechtigte Repräsentanz an Orten der politischen, wirtschaftlichen, sozialen, wissenschaftlichen und künstlerischen Entscheidungen.

Die Frauenfrage als Teil gesellschaftlicher Transformation

Die amerikanische Autorin Susan Sontag äußerte sich schon 1972[2] folgendermaßen: »So wie die industrielle Revolution die Menschen dazu brachte, die ›Natürlichkeit‹ der Sklavenhaltung zu überdenken, ermöglicht es die neue ökologische Ära, in die unser Planet in der Mitte dieses Jahrhunderts eingetreten ist, die bis dahin selbstverständliche ›Weiblichkeit‹ der Frauen zu überdenken. Die ›Weiblichkeit‹ der Frau und die ›Männlichkeit‹ des Mannes sind moralisch unzulängliche und historisch überholte Vorstellungen. Ich halte die Frauenbefreiung für eine historische Notwendigkeit, so wie es auch die Abschaffung der Sklaverei eine war – eine scheinbar hoffnungslose Sache, die irgendwann doch triumphiert.«[3]

Sehr hellsichtig ging Sontag von einem ökologischen Wendepunkt aus, gekennzeichnet u.a. durch »gestiegene Lebenserwartung plus Bevölkerungsexplosion plus Ausbeutung der natürlichen Ressourcen«. Die bisherige biologische Funktion der Frau, viele Kinder zu gebären, verändere sich und damit entfalle »die Grundlage für die repressive Definition der Frau als unterwürfiges, häusliches, vorrangig Kinder gebärendes Wesen«. Unerwähnt bleiben die Fortschritte in der Empfängnisverhütung, die Frauen heute eine freiere Sexualität und Lebensweise ermöglichen als den Frauen der älteren Generationen. Wie Sontag bemerkte, setzt sich die Emanzipation von bisherigen Konventionen nicht im Selbstlauf durch, sondern erfordert einen harten Kampf, der mit veränderten ökonomischen Zielen einher gehen müsse, weg von uneingeschränkter Ausbeutung der Umwelt und unbegrenztem Wachstum.

Zu Recht stellte Sontag fest, dass dieses umfassende Brechen mit Geschlechterrollen bisher in keiner Gesellschaft verwirklicht wurde, und dass auch in marxistischen Analysen das Ausmaß des Sexismus unterschätzt wurde. Überkommene Geschlechterrollen haben über das individuelle Leben hinaus Konsequenzen für gesellschaftliche Institutionen und Strukturen: für die Arbeitsteilung in Produktion und Reproduktion, für die Gesetzgebung, für das Erziehungs- und das Bildungssystem, für die vollständige Überwindung von gesellschaftlicher Ausgrenzung und Diskriminierung von Menschen.

Meilensteine der Geschlechtergerechtigkeit

Geschlechtergerechtigkeit ist ein umfassender Begriff für einen grundlegenden Wandel auf ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Ebenen, so dass man ihn nicht einfach mit einigen Indikatoren messen kann. So war es mehr als naiv von den Verfassern des Koalitionsvertrages der »Ampel«, »die vollständige Gleichstellung der Geschlechter in diesem Jahrzehnt zu erreichen«.

Aber es gibt Meilensteine der Geschlechtergerechtigkeit und inzwischen auch vielfache gesetzliche, staatliche, betriebliche, finanzielle und andere Maßnahmen, die  Frauen in ihrer Doppel- oder Dreifachrolle als Hausfrau, Mutter und berufstätige Frau unterstützen, und die sich auch in Zahlen vieler Forschungsprojekte niederschlagen.

Stephanie Odenwald und Petra Reichert arbeiten in der Sozialistischen Studiengruppe mit.

[1] Song von James Brown bei Trumps Wahlmeetings gemäß Berliner Zeitung 31.10.2024.
[2] Susan Sontag, Die dritte Welt der Frauen, in dies.: Über die Frauen, München 2024.
[3] Ebd., S. 54.

Die komplette Leseprobe als pdf-Datei!

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