23. April 2020 Klaus Busch

Die Corona-Pandemie führt die EU in eine Existenzkrise

»Dies ist eine existentielle Krise für die EU. Ich weiß, das ist ein großes Wort, aber so ist es. Diese Krise wird entscheiden, für wie nützlich die Menschen die EU halten. Wir dürfen deshalb nicht nur mit Zahlen argumentieren, wir müssen die Herzen der Menschen erreichen. Es schmerzt mich und ich könnte weinen, wenn ich sehe, dass in Italien eine EU-Fahne verbrannt wird. Wenn die Menschen das Gefühl haben, dass die EU ihnen nicht hilft, machen wir etwas falsch.« (Josep Borrell)[1]

Nach heftigen Auseinandersetzungen haben die EU-Finanzminister Anfang April das sogenannte Rettungspaket für die Bekämpfung der Folgen der Corona-Pandemie verabschiedet. Es umfasst insgesamt circa 500 Mrd. Euro und setzt sich aus drei Komponenten zusammen: 100 Mrd. Euro für die Finanzierung von Kurzarbeitergeld der Mitgliedstaaten, ein Kreditprogramm, das »Sure« genannt wird, ein Garantiefonds der Europäischen Investitionsbank (EIB) in Höhe von 200 Mrd. Euro zur Finanzierung von Krediten an kleine und mittlere Unternehmen, die in Schwierigkeiten geraten sind, sowie 200 Mrd. Euro an Kreditlinien aus dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), die von EU-Staaten in Höhe von 2% ihres BIP zur Bekämpfung der direkten und indirekten gesundheitspolitischen Folgen der Pandemie abgerufen werden können.

Im Kontext dieses »Rettungspakets« sind zwischen den nördlichen und den südlichen Mitgliedstaaten alte Gräben über die europäische Wirtschafts- und Finanzpolitik wieder aufgerissen worden. Länder wie Italien, Spanien und Frankreich forderten zur Finanzierung der Programme vehement den Einsatz von Eurobonds, Corona-Bonds genannt, um die Zinslast wirtschaftlich stark gebeutelter EU-Staaten zu verringern. Staaten des Nordens wie Deutschland, die Niederlande, Österreich und Finnland lehnten dies mit dem Argument ab, es könne in der EU keine gemeinschaftliche Finanzierung von Staatsschulden geben.

In der Erklärung zur Verabschiedung des »Rettungspakets« wurde die mögliche zusätzliche Einführung eines Wiederaufbaufonds angesprochen, der mit »innovativen Finanzinstrumenten« finanziert werden könne, und der der Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie dienen solle. Für ein solches Programm bedürfe es aber der »Orientierung« durch die Staats- und Regierungschefs. Dieser Beschluss wurde von vielen Staaten als Kompromiss zur Überbrückung des Streits über die Corona-Bonds verstanden.

Insbesondere Frankreich, Italien und Spanien gehen davon aus, dass bei diesem konjunkturpolitischen Förderprogramm Corona-Bonds zum Einsatz kommen, während die Niederlande dies bereits entschieden verneint haben, und erwartet wird, dass auch Deutschland die niederländische Position teilt.
Die Pandemie ist zu einer Zeit ausgebrochen, in der sich die EU aufgrund von Re-Nationalisierungstendenzen bereits in einer massiven Integrationskrise befunden hat, und in Italien, das zusammen mit Spanien am stärksten unter der Viruskrise zu leiden hat, wirtschaftlich und innenpolitisch eine extreme Instabilität vorherrscht und immer häufiger rechtspopulistische Parteien euro- und europafeindliche Positionen vertreten. Verschärfend kommt hinzu, dass in dieser Pandemiekrise erneut die strukturellen Defizite der Eurozone zum Vorschein kommen: Es gibt zwar eine gemeinsame Geld-, aber keine gemeinsame Fiskalpolitik, die eine gemeinsame Haushalts- und Schuldenpolitik einschließt.

Die Re-Nationalisierungstendenzen und die Strukturdefizite der Eurozone behindern die Bemühungen, in der EU gemeinschaftliche Lösungsansätze zur Bekämpfung der Pandemiekrise zu entwickeln.

Klaus Busch ist Professor (im Ruhestand) für Europäische Studien an der Universität Osnabrück und war bis 2019 europapolitischer Berater der Gewerkschaft ver.di. Letzte Buchveröffentlichung (gemeinsam mit Joachim Bischoff und Hajo Funke): Rechtspopulistische Zerstörung Europas?, VSA: Verlag Hamburg 2018. In Heft 3/2020 von Sozialismus.de erschien von ihm der Beitrag »Aufbruch zu neuen Ufern? Kann mit dem European Green Deal die Stagnationskrise der EU überwunden werden?«

[1] »Das ist eine existenzielle Krise für die EU«, Interview von ZEIT ONLINE mit Josep Borrell, Außenbeauftragter der EU, 15. April 2020.

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