2. September 2024 Joachim Bischoff/Gerd Siebecke: Keine Mehrheiten ohne AfD und BSW in Thüringen und Sachsen

Die Destruktion des Parteiensystems

Ostdeutschland hat in zwei Bundesländern gewählt und die Ergebnisse sind ein politischer Erdrutsch. In Thüringen und Sachsen verzeichnet die rechtspopulistische AfD Rekordwerte. Auch die im Januar gegründete Partei »Bündnis Sahra Wagenknecht« (BSW) zieht zweistellig in die Landtage ein, obgleich die gesellschaftliche Verankerung und das programmatische Profil zu Recht die Kritik einer »politischen Zaubertüte« provozieren.[1]

Besonders dramatisch ist das Ergebnis in Thüringen, wo die AfD mit ihrem Spitzenmann Björn Höcke stärkste Kraft wurde, während sich in Sachsen in einem Kopf-an-Kopf-Rennen die CDU knapp als stärkste Kraft behaupten kann. Zugleich schmieren die anderen politischen Parteien der gesellschaftlichen Mitte – SPD, Grüne, FDP – beispiellos ab. Die Linkspartei setzt ihre Pulverisierung fort. Die Bildung der Landesregierungen wird schwierig werden und das politische Fundament der Berliner Republik hat massive Risse bekommen.

Dieser Wahlausgang hat viel mit den Strukturen in Ostdeutschland zu tun. In Stefan Maus Publikation »Ungleich vereint«,[2] einer empirisch gesättigten Analyse über Ostdeutschland, findet sich folgende These: »Es gibt […] im Osten aus strukturellen und historischen Gründen nur ein recht schmales Band zwischen den Regierenden und den Regierten, das sich inzwischen soweit gelockert hat, dass wachsende Gruppen in eine staatsskeptische und sogar staatsablehnende Grundhaltung hineingeraten ist.« /112/ Mau, der selbst Vorschläge zur Stärkung der Zivilgesellschaft vorgelegt hat, erwartet zudem keine Besserung: »Wir sind in die Posttransformationsphase übergegangen, die uns klarer als bisher vor Augen führt: Der Osten wird sich dem Westen nicht weiter anverwandeln, zu stark wirken die Prägungen der DDR, die Weichenstellungen der Wiedervereinigung und die Lasten der Transformationsjahre.« Ungeklärt bleiben diese Wirkungen der doppelten Transformation: Die Umbrüche des Übergangs in eine kapitalistische Ökonomie waren kaum vernarbt, da wurde die Transformation zu einer nicht-fossilen Ökonomie eingeleitet.

Maus Prognose, die auch von den Meinungsforschungsinstituten nahegelegt wurde: »Bei anstehenden Landtagswahlen in Ostdeutschland wird die AfD der Macht voraussichtlich so nahe kommen wir noch nie.« Über den Bundesrat wäre sogar eine grundlegende Umgestaltung der politischen Ordnung der Berliner Republik angesagt. »Man hat es, um das Bild der Allmählichkeitsschäden von der Ebene der politischen Kultur auf die der Institutionen zu übertragen, mit einer Art langsamen Einsickern von Wasser in das Fundament eines Hauses zu tun, das ohne wirksame Gegenmaßnahmen die Struktur des ganzen Gebäudes gefährdet.« /123/

Die Ergebnisse der Landtagswahlen von Thüringen und Sachsen bestätigen diese Diagnose.

Joachim Bischoff ist Mitherausgeber, Gerd Siebecke Redakteur von Sozialismus.de

[1] Vgl. auch die Einschätzung von Redaktion Sozialismus.de, Alle Augen auf Wagenknecht, Sozialismus.deAktuell 26.8.2024.
[2] Stefan Mau, Ungleich vereint, Berlin 2024; die Zitate sind, soweit nicht anders angeben, aus diesem Text.

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