26. April 2021 Mario Keßler: Das Parteiverfahren gegen das SED-Politbüro

Die Halbgötter sind sterblich

»Jetzt rächt sich, dass die großen Alten jedem Talent, das nach ihnen hätte kommen können, den Kopf absäbelten«, schrieb Stefan Heym ahnungsvoll in den Herbsttagen 1989.

Er zeigte damit die Sackgasse auf, in die eine angeblich unfehlbare Partei- und Staatsführung die Menschen in der DDR getrieben hatte. Ein Ausweg, der eine qualitativ neue Gesellschaft hätte hervorbringen können, die Demokratie und soziale Gerechtigkeit miteinander verbinden würde, war für die Mehrzahl der DDR-Bürger nicht sichtbar. Wer nach Ursachen dafür sucht, kommt um das von Gerd-Rüdiger Stephan und Detlef Nakath herausgegebene Buch »Ausschluss. Das Politbüro vor dem Parteigericht«[1] nicht herum.

Der Protokollband behandelt einen wichtigen Einschnitt am Ende der Geschichte der SED, die sich nach dem Umsturz im Land Mitte Dezember 1989 in SED-PDS umbenannte. Mit dem programmatischen Zusatz »Partei des Demokratischen Sozialismus« musste sich die einstige DDR-Staatspartei rechtlich und moralisch ihrem diktatorischen Erbe stellen, sollte ihr ein Neubeginn als linker Kraft in Deutschland gelingen, dessen Vereinigung sich zu diesem Zeitpunkt allmählich abzuzeichnen begann.

Am 21. März 1990 trat die Zentrale Schiedskommission der SED-PDS zusammen, um über das weitere politische Schicksal der ehemaligen Mitglieder des SED-Politbüros zu entscheiden. Vorausgegangen waren fast im Stundentakt Enthüllungen der noch vor Monaten braven DDR-Medien über Privilegien und Machtmissbrauch der als Arbeiterführer posierenden Kleinbürger, die als oberstes Entscheidungsgremium die DDR fast wie ein Rat der Götter beherrscht hatten. Doch die Götter hatten sich als sterblich erwiesen, das Vertuschen oder die rhetorischen Rückzugsgefechte der Politbüromitglieder hatte sie um den Rest an Glaubwürdigkeit gebracht, nicht nur unter den DDR-Bürgern allgemein, von denen immer mehr auf den Westen als Heilsbringer hofften, sondern auch unter der zusammenschmelzenden Parteimitgliedschaft, deren Hoffnungen auf einen Sozialismus, der dieses Namens würdig war, zum betrogenen Traum geriet.

Mario Keßler arbeitete bis zum Eintritt in den Rentenstand am 1. März 2021 am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam. Seitdem ist er dort als Senior Fellow tätig.

[1] Gerd-Rüdiger Stephan/Detlef Nakath (Hrsg.): Ausschluss. Das Politbüro vor dem Parteigericht. Die Verfahren 1989/1990 in Protokollen und Dokumenten, Dietz Berlin 2020, 551 S. Die Seitenzahlen im Text beziehen sich auf dieses Buch.

Die komplette Leseprobe als pdf-Datei!

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