27. September 2022 Alban Werner: Sahra Wagenknecht, die Krisen und die Zerfallserscheinungen der LINKEN

Die ideelle Gesamtwutbürgerin

Nicht zum ersten Mal steht Sahra Wagenknecht, frühere Fraktionsvorsitzende der LINKEN, im Zentrum eines nervenaufreibenden innerparteilichen Streits. Stein des Anstoßes wurde eine Rede Wagenknechts in der Haushaltsdebatte während der ersten Sitzungswoche des Bundestags nach seiner Sommerpause.[1]

Lost in transformation: Eine gelähmte DIE LINKE

Kritiker*innen warfen ihr Putin-freundliche Rhetorik und den Applaus aus der AfD-Fraktion für ihren Auftritt vor. Ulrich Schneider, Geschäftsführer des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes (DPWV), erklärte kurz darauf mit Verweis auf Wagenknechts Rede seinen Austritt aus der Partei. Der Austritt des früheren Hamburger LINKEN-Bundestagsabgeordneten und vormalige Mitarbeiter Wagenknechts, Fabio de Masi, folgte bald darauf, wenn auch aus entgegengesetzten Gründen. Sahra Wagenknecht steht nicht zufällig und nicht zum ersten Mal im Mittelpunkt eines Streits, dessen Heftigkeit infrage stellt, ob und in welcher Form DIE LINKE noch eine Zukunft hat.

Die existenzbedrohliche Lage der LINKEN hat zwei Wurzeln, sie ist ebenso fremd-, wie selbstverschuldet. Fremdverschuldet ist sie insofern, als dass sie das Glück verlassen hat. Als die Partei zunächst als Vereinigungsprodukt von PDS und WASG entstand, waren hinreichend viele Menschen in Deutschland enttäuscht genug von der Politik des Sozialabbaus, der militärischen Interventionen, der autoritären »Basta«-Politik innerhalb der Parteien und frustriert von der Rhetorik der Alternativlosigkeit in der Gesellschaft, um bei Wahlen eine linke Protestformation zu unterstützen. Heute jedoch ist die Abkehr vom neoliberalen Sozialabbau im politischen Mainstream deutlich genug, dass eine eigenständige Partei links von SPD und Bündnisgrünen weit weniger dringlich erscheint. Zudem hatte sich die geopolitische Konstellation bereits vor Beginn des Kriegs gegen die Ukraine deutlich verschoben, und wurden Energie und Aufmerksamkeit für politischen Protest durch klimapolitische Anliegen einerseits und durch eine verschwörungsideologische und populistische radikale Rechte andererseits aufgesaugt. Schließlich sind demokratiepolitisch höhere Ansprüche heute bis hinein in die CDU durchsetzbar, die mittels Urabstimmung über ihren neuen Parteivorsitzenden entschied.

Selbstverschuldet ist die Lage der LINKEN insofern, als all diese Entwicklungen nicht über Nacht eintraten, sondern sich durchaus über der Wahrnehmbarkeitsschwelle entwickelten und dabei auch wichtige Signalereignisse zu Wegmarken hatten. Man denke an die völkerrechtswidrige Annexion der Ukraine 2014. In deren Schatten entstand ein verschwörungsideologisch ansprechbarer Bewegungssektor mit eigener Teil­öffentlichkeit in Deutschland. Hinzu kam die Konsolidierung und zunehmende Radikalisierung der AfD im Gefolge der Flüchtlingskrise u.v.a.

DIE LINKE versäumte es, sich rechtzeitig auf dieses mitunter epochal veränderte politische Terrain einzustellen. Wie die vormaligen Volksparteien CDU/CSU und SPD stand sie nach der Bundestagswahl 2017 zunächst unter dem Eindruck, wenn vielleicht auch unter erhöhtem Einigungsaufwand, so doch unterm Strich so weitermachen zu können wie bisher.

Alban Werner, Köln, arbeitet mit in der Sozialistischen Studiengruppe (SOST).

[1] Die fragliche Rede kann online angehört werden unter www.youtube.com/watch?v=yJm4MTBfTOc.

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