23. November 2022 Ulrike Eifler/Susanne Ferschl/Jan Richter

DIE LINKE braucht einen Klassenkompass

Als sich 2007 aus WASG und PDS ein neues Parteiprojekt bildete, mit dem die offene Lücke links von der SPD ausgefüllt werden sollte, war das ein historischer Moment.

Der rot-grüne Neoliberalismus der Schröder-Regierung hatte dafür die Bedingungen und die Notwendigkeit geschaffen. Insbesondere unter Gewerkschafter*innen hatte der Angriff auf den Sozialstaat durch die Agenda 2010 für Unmut gesorgt. Viele organisierte Lohnabhängige waren nicht bereit, die Deregulierung des Arbeitsmarktes, die Entwertung von Arbeit und den entstehenden Niedriglohnsektor hinzunehmen. Sie gründeten mit der WASG eine Partei, die die Interna der abhängig Beschäftigten wieder ins Zentrum der politischen Debatte rückte und ebneten damit den Weg für ein neues gesamtdeutsches linkes Parteiprojekt. Heute, 15 Jahre später, gelten viele dieser Protagonisten von damals parteiintern als »Linkskonservative«. Selbst führende Mitglieder des Parteivorstandes werben aktuell dafür, sie aus der Partei zu drängen. Dass es so weit kommen konnte, ist auf tiefe gesellschaftliche Krisenprozesse, aber auch auf organisationspolitische Versäumnisse, Führungsschwäche sowie den Verzicht, die Welt der Arbeit zum Bezugspunkt linker Politik zu machen, zurückzuführen.


Gesellschaftliche Krisensituation

Die aktuelle multiple Krisensituation stellt linke Parteien in allen kapitalistischen Ländern vor neue Herausforderungen. Nicht nur die ökologische Zerstörung, auch die Gefahr eines tödlichen Atomkrieges markieren eine Zuspitzung, ohne dass die etablierte Politik eine Alternative verfolgt. Gleichzeitig verfestigen sich ökonomische Widersprüche und führen in den Industriegesellschaften zur Entkernung der sozialen Fundamente. Die damit im Zusammenhang stehende Krise der Demokratie ist unübersehbar. Sie führt auch vor dem Hintergrund der Schwäche der Linken zu einem für die Nachkriegszeit einmaligen Ruck nach rechts und ist ohne einen Blick auf die Welt der Arbeit nicht zu verstehen. Denn für demokratische Beteiligung braucht es Selbstachtung und, wenn der Stellenwert der Arbeit sinkt, sinkt auch das Vertrauen in demokratische Prozesse. Nicht zuletzt die aktuelle Autoritarismus-Studie der Otto-Brenner-Stiftung zeigt, dass das Gefühl politischer Ohnmacht auf die Erfahrungen am Arbeitsplatz zurückgeführt werden muss. Es ist daher wenig verwunderlich, dass in Regionen wie Ostdeutschland, wo Schutzrechte von Beschäftigten am meisten abgebaut und betriebliche Mitbestimmung am ärgsten mit Füßen getreten wurde, das Vertrauen in die Demokratie besonders niedrig ist.

Der desolate Zustand der Partei DIE LINKE ist deshalb nicht allein auf individuelles Führungsversagen zurückzuführen, sondern muss eingebettet werden in die aktuelle gesellschaftliche Krisensituation.

Ulrike Eifler und Jan Richter sind Sprecher*innen der Bundesarbeitsgemeinschaft Betrieb & Gewerkschaft (BAG), dem offiziellen Zusammenschluss für Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter in der Partei DIE LINKE. Susanne Ferschl ist Vize-Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE im Bundestag und Mitglied der BAG. Die drei sind offiziell berufene Mitglieder des Gewerkschaftsrates der Partei.

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