26. April 2024 Alban Werner: Probleme und Aussichten einer Partei im Prozess der Erosion
Die Linke: Stirb und werde!
Bisherige Wortmeldungen bieten keine hinreichend plausiblen Antworten auf die Probleme der LINKEN. Sie dienen in erster Linie der Positionsverteidigung aus bereits bestehenden innerparteilichen Schützengräben heraus und sind definitiv kein intellektuelles Feuerwerk.
Michael Bries Beitrag enttäuscht durch die Aneinanderreihung stereotyper und leicht empirisch widerlegbarer Feindbilder, die wenig anders auch aus dem Umfeld Sahra Wagenknechts zu hören sind und ihrer Partei BSW als rechtfertigender Gründungsmythos dienen. Es muss das Geheimnis Bries bleiben, wie die Erzählung einer angeblichen Entfremdung der LINKEN von ihrer gewünschten Wählerinnen- und Wählerbasis, die im Falle Wagenknechts in eine dezidiert nicht linke Neugründung mündete, nun in seiner Vorstellung in die Revitalisierung des Sozialismus führen soll. Das angeführte Verständnis des heutigen Kapitalismus als »oligarchische Klassenherrschaft« ist zur Analyse und Kritik heutiger Verhältnisse ungeeignet und bietet sich bestenfalls für – wiederum empirisch fragwürdige – antikapitalistische Agitation an.
Kaum überzeugender ist die Replik des ehemaligen Parteivorsitzenden Bernd Riexinger, nach dessen Lektüre sich die Frage aufdrängt: Wenn unter ihm und Katja Kipping DIE LINKE eigentlich alles richtig gemacht hat, wie konnte sie dann zum Ende dieser Ära und bis heute so deutlich auf die abschüssige Rutschbahn gelangen? Dass die Wagenknecht-These eines identitätspolitisch motivierten Verrats an der Arbeiterklasse als Erklärung für den wahlpolitischen Niedergang der LINKEN nicht trägt, bedeutet offenkundig im Umkehrschluss nicht, die damalige Politik habe ausgereicht, um gegen die Erschütterungen der Zeit und das volatiler gewordene Wahlverhalten, nicht zuletzt gegen die Ausstrahlungskraft einer radikal rechten Wahloption, eine ausreichend große Stammwählerschaft zu sichern. Doch las und hörte man aus dem Umfeld der innerparteilichen Protagonisten, die damals und bis heute wesentlich die Geschicke bestimmen, im Wesentlichen eine Problemdeutung: »Wagenknecht war’s!« Beklagt wurde aus der Parteizentrale die »Vielstimmigkeit zu den aktuellen Fragen der Zeit«, und in den nahestehenden Medien war man sich einig, die Existenzkrise der Partei verdanke sich »ihrem jahrelangen Unvermögen, einen klaren Trennstrich zu der in trüben Gewässern fischenden Populistin und ihrem zerstörerisch wirkenden Anhang zu ziehen«. Selten dürfte eine These so unmissverständlich widerlegt worden sein wie diese durch die Stagnation der LINKEN bei drei Prozent in der Sonntagsfrage, während dem Bündnis Sahra Wagenknecht in denselben Umfragen zeitgleich ein Aufstieg über die 5%-Hürde gelang.
Die genannten Irrtümer und Fehleinschätzungen wären weniger ärgerlich, wären sie nicht zugleich Ausdruck einer Ratlosigkeit, die durch enervierend gleichförmige Beschwörung von Scheinlösungen kaum noch notdürftig verdeckt wird. In ihrer derzeitigen Situation besteht das Hauptproblem der LINKEN darin, dass durch die Abspaltung des BSW zwar ihre Kohärenz zunimmt, diese sich jedoch nicht auf die derzeit und absehbar dominanten gesellschaftlichen Problemkomplexe bezieht und daher politisch wertlos ist.
Alban Werner lebt in Köln und ist Mitglied der SOST AG.
[1] Michael Brie: Linksliberal oder dezidiert sozialistisch? Zur aktuellen Situation der Linken, in: Sozialismus.de, 51. Jg., Heft 492, Nr. 3, 2024, S. 10–13.
[2] Bernd Riexinger: Sozialistische Klassenpolitik ist inklusiv, verbindend und internationalistisch. Zur aktuellen Situation der Partei Die Linke, in: Sozialismus, 51. Jg., Heft 492, Nr. 4, 2024, S. 38–43.
[3] Jörg Schindler: Todesstrafe auf Bewährung. DIE LINKE muss die gesellschaftlichen Konflikte der Zeit lösen - gemeinsam, in: Links bewegt, 6.10.2021; www.links-bewegt.de/de/article/407.todesstrafe-auf-bew%C3%A4hrung.html.