1. Oktober 2021 Andreas Flach/Roman Zitzelsberger: Beteiligungsorientierte Erschließungsarbeit ist die richtige Antwort auf die Herausforderungen der IG Metall
Die Organizing-Rendite
Seit Anfang der 1980er Jahre haben die deutschen Gewerkschaften etwa die Hälfte ihrer Mitgliedschaft verloren. Allein zwischen 2001 und 2017 schrumpften sie um fast 1,8 Millionen.
Zwischen 1960 und 1980 besaß noch rund jeder dritte abhängig Beschäftigte in Deutschland einen Mitgliedsausweis. 2017 ist dies nur noch bei jedem siebten der Fall (Dribbusch/Birke 2019: 12ff.). 2020 haben wir als IG Metall 48.000 Mitglieder verloren und sind damit um gut zwei Prozent kleiner geworden.
Diese Entwicklung trifft uns in einem Moment, in dem die Kernbranche unseres Organisationsbereichs, die Metall- und Elektroindustrie, vor allem die Automobilindustrie, eine grundlegende Transformationskrise durchmacht. Und diese hat gerade erst begonnen. Wollen wir verhindern, dass die Kosten dieser Krise einseitig auf die Beschäftigten abgewälzt werden, müssen wir als Gesamtorganisation unsere Arbeit grundsätzlich darauf ausrichten, unsere Konfliktfähigkeit zu stärken. Wir müssen mehr Mitglieder gewinnen und betriebliche Strukturen dort stärken, wo wir sie haben und dort aufbauen, wo es sie noch nicht gibt. Wir brauchen eine echte organisationspolitische Wende.
Anders als vor zehn, fünfzehn Jahren geht es heute nicht mehr darum, über das richtige Konzept für eine solche Wende zu streiten. Längst ist die Theorie von der Praxis überholt worden. 2015 haben wir in allen IG Metall-Bezirken Erschließungsprojekte gestartet. Wir müssen also nicht darüber diskutieren, was funktionieren könnte, sondern können Zwischenbilanz ziehen und sehen, was tatsächlich funktioniert.
Als vor rund anderthalb Jahrzehnten in unserer Organisation und anderen Gewerkschaften die ersten Initiativen in Richtung Organizing unternommen wurden, wurden sie sofort mit einem schwerwiegenden Argument kritisiert: Können wir es uns angesichts sinkender Einnahmen überhaupt leisten, Erschließungsprojekte zu finanzieren? Denn, daran ist kein Zweifel, Organizing ist teuer, es braucht finanzielle und personelle Ressourcen, man muss in der Lage sein, Erfahrungen zu sammeln und Misserfolge auszuhalten und zu verarbeiten. Kritiker:innen sahen in dem damals neuen Ansatz eine gigantische Geldverbrennungsmaschine.
Andreas Flach ist Leiter des »Gemeinsames Erschließungsprojekts (GEP)«, Roman Zitzelsberger ist Bezirksleiter der IG Metall Baden-Württemberg.