26. April 2024 Sophie C. Jänicke: Zur Debatte um die Vier-Tage-Woche in der IG Metall

Die Vier-Tage-Woche als Zukunftsmodell?

Sommer 2023. Kein Tag in Deutschland, in dem nicht ein Bericht über die Vier-Tage-Woche zu finden ist – die Medien sind voll davon. Dabei ist die mediale Debatte größer als die Realität. Wenn man auf die Gesamtwirtschaft blickt, sind es bisher nur wenige Unternehmen, die im Jahr 2023 in Deutschland mit der Vier-Tage-Woche experimentieren, vor allem im Tech- und Handwerksbereich.

Wie die Vier-Tage-Woche dabei aussieht, ob sie mit einer Arbeitszeitverkürzung oder mit Lohnausgleich verbunden ist, ist sehr unterschiedlich.

Die IG Metall hat in der Tarifbewegung 2023 für die deutsche Stahlindustrie den Vorstoß gemacht, die Vier-Tage-Woche auch in der Industrie umzusetzen. Sie hat die Tarifforderung nach einer Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit von 35 auf 32 Stunden in der Woche gestellt. Denn die Vier-Tage-Woche als Chiffre für eine verkürzte Arbeitszeit, die mehr Work-Life-Balance verspricht, ist ein gutes Modell für die Arbeit der Zukunft in einer digitalisierten, klimaneutralen Industrie.

Die deutsche Stahlindustrie ist geprägt von wirtschaftlichen Schwankungen und Personalabbau. Beschäftigungssicherung durch Arbeitszeitverkürzung spielt daher schon seit vielen Jahren eine Rolle in der Branche. Bereits heute arbeiten ca. 50% der 89.000 Beschäftigten im Stahl-Sektor auf Grundlage von Tarifverträgen zur Beschäftigungssicherung in einer 33- oder 32-Stunden-Woche – mit deutlichen Vorteilen für die Work-Life-Balance, aber bisher ohne Entgeltausgleich. Aktuell steckt die Branche mitten in einer großen Transformation. Die Herausforderungen sind gewaltig – ökologisch und technologisch: Die energieintensive Branche will nachhaltig werden – mit grünem, aus erneuerbaren Energien gewonnenen Wasserstoff. Die Auswirkungen auf die Beschäftigung sind absehbar: Während der Transformation werden zunächst mehr Beschäftigte als bisher benötigt. Denn die alten Systeme müssen weiterlaufen, solange die neuen aufgebaut werden und anlaufen müssen. Dafür braucht man mehr Beschäftigte. Wenn die Umstellung von Koks auf Wasserstoff erfolgt ist, werden die Jobs in Bereichen, die genuin mit dem fossil betriebenen Hochofen verbunden sind, wegfallen: Die Kokerei beispielsweise, in der aus Kohle der Koks für den Hochofen gewonnen wird, wird nicht mehr gebraucht. Langfristig wird weniger Arbeit benötigt. Die Möglichkeit, Arbeitszeiten zu verkürzen, kann also im Stahlbereich gleichzeitig mehreren Zielen dienen: Sie kann die Arbeit in der Branche attraktiver machen – auch für die klugen Köpfe, die in der Transformation dringend gebraucht werden. Und sie kann mittelfristig Jobs sichern, wenn der Bedarf an Arbeitskraft wieder geringer wird. Damit kann eine Arbeitszeitverkürzung auch das Signal senden, dass Stahlproduktion in Deutschland eine Zukunftsbranche ist und nicht ein aussterbender Dinosaurier aus dem fossilen Zeitalter.

Renaissance gewerkschaftlicher Arbeitszeitpolitik

Dass die IG Metall in der Stahlindustrie eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit fordert, ist Ausdruck einer arbeitszeitpolitischen Entwicklung, die die Organisation, ebenso wie andere Gewerkschaften, in den letzten Jahren vorangetrieben hat.

Sophie C. Jänicke ist Ressortleiterin für tarifpolitische Themen und Handlungsfelder im Funktionsbereich Tarifpolitik der IG Metall. Der Beitrag erschien parallel in dem von Margareta Steinrücke und Beate Zimpelmann im VSA: Verlag herausgegebenen Band »Weniger Arbeiten, mehr Leben! Die neue Aktualität von Arbeitszeitverkürzung«. Ihr Beitrag wurde vor dem Tarifabschluss in der Stahlindustrie fertiggestellt.

Die komplette Leseprobe als pdf-Datei!

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