24. Mai 2018 Otto König/Richard Detje: Fahrrad-Kurier*innen gehen gegen die Auswüchse der Plattformökonomie auf die Barrikaden

Digitales Proletariat

Der digitale Kapitalismus boomt. Eine innovative Geschäftsidee und schnelles Wachstum – so lautet das Narrativ der Online-Plattformen Amazon, Airbnb und Uber sowie der Lieferdienste Foodora und Deliveroo.

Der Boom findet auf dem Rücken der »digitalen Tagelöhner« statt – beispielsweise jener Fahrradkuriere mit dem pinken Foodora-Rucksack bzw. der türkisen Thermobox von der Konkurrenz Deliveroo, die sich bei Wind und Wetter täglich bis zu 50 Kilometer für die »digitalen Bestellplattformen« in den bundesdeutschen Großstädten abstrampeln.

Unternehmen wie Foodora (Eigentümer Delivery Hero) und Deliveroo organisieren ihr Geschäftsmodell über Internetplattformen: Kunden ordern über das Internet Essen bei den mit den Lieferdiensten kooperierenden Restaurants, die Bestellungen werden per App direkt an die Fahrer*innen – die sogenannten Riders – weitergeleitet, die die Lieferungen binnen kurzem den Kund*innen aushändigen. Für die Restaurants wie die Plattformen eine gleichermaßen vorteilhafte Konstellation: Die Gastronomiebetriebe können ohne Investitionen in einen eigenen Lieferservice mehr Kunden erreichen, die Online-Dienste wiederum kassieren prozentual vom Umsatz sowie per Gebühr von den Belieferten. Seit Monaten liefern sich die beiden einstigen Start-ups, heute international agierende Konzerne, einen harten Verdrängungswettbewerb um ein lukratives Geschäft.

Flexibilität bis zum Anschlag

Die Unternehmen werben auf Clips um neue Fahrer*innen mit dem Slogan, dass sie gute Verdienstmöglichkeiten bei größtmöglicher Freiheit schaffen würden: »Sie können sich jederzeit einloggen, wenn sie gerade ein bisschen dazuverdienen möchten.« Das Autonomieversprechen hat mit der täglichen Realität der Fahrrad-Kurier*innen jedoch nicht allzu viel zu tun. Tatsächlich sind die Riders so etwas wie die Vorhut eines digitalen Proletariats, dessen vermeintliche Freiheiten drastische Verschlechterungen der Arbeitsverhältnisse mit sich bringen. Die Plattformökonomie ist ein Wirtschaftsmodell, bei dem ein Algorithmus im Hintergrund den Takt der Arbeit vorgibt, die App den Betrieb ersetzt und die Arbeitskräfte maximal flexibel angeheuert werden. »In Dienstleistungsfabriken wie Amazon kehren lückenlose Kontrolle und maschinelle Maschinensteuerung zurück in die Arbeitswelt. Was früher das Fließband war, sind heute Apps und Algorithmen«, schreiben die Soziologen Oliver Nachtwey und Philipp Staab in einer Studie über den neuen digitalen Kapitalismus.[1] Letzteres erfahren nicht nur die Beschäftigten in Amazons Warenlagern, deren Arbeitsleistung digital aufgezeichnet wird, sondern auch die Fahrradkurier*innen.

Otto König ist Mitherausgeber, Richard Detje ist Redakteur von Sozialismus.

[1] Oliver Nachtwey/Philipp Staab, Die Avantgarde des digitalen Kapitalismus, in: Mittelweg 36, 24 (2015) 6, S. 59-84. Vgl. dazu auch Daniel Hackbarth, Die Tagelöhner des digitalen Kapitalismus, in: WOZ. Die Wochenzeitung, 7.9.2017, https://www.woz.ch/-8036.

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