27. Januar 2025 Joachim Rock: Eine kurze Bilanz sozialpolitischer Reformen der Bundesregierung 2021–2024

Ein Schritt vor und zwei zurück?

Der Beginn der Regierungszeit der Ampel kann formal auf die Wahl von Olaf Scholz zum Bundeskanzler am 8. Dezember 2021 datiert werden, ihr Ende auf den dessen Bitte um Entlassung des Bundesfinanzministers Christian Lindner am 6. November 2024. Gescheitert ist die Koalition jedoch schon vorher.

Mit seinem Urteil vom 15. November 2023 erklärte das Bundesverfassungsgericht das zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021, dass der Koalition 60 Milliarden Euro mehr Ausgabemöglichkeiten geboten hätte, für nichtig. Fortan konnte die Kohäsion der Koalition nicht mehr einfach erkauft werden. Die Fliehkräfte wurden stärker und mündeten schließlich in Fantasien Einzelner von einer »offenen Feldschlacht« zwischen den einstigen Partnern. Die Sozialpolitik war jedoch bereits in der Legislaturperiode Schauplatz von Schlachten und Scharmützeln.

Das Bürgergeld

Die Reform von »Hartz IV« und die Umbenennung des Arbeitslosengeldes II in das Bürgergeld, welches zum 1.1.2023 eingeführt wurde, unternahm eine längst überfällige Generalüberholung der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Während die Hartz-Gesetze auf möglichst schnelle Vermittlung in irgendeine Arbeit zielten und zu einem Ausbau des Niedriglohnsektors führten, sollte das Bürgergeld den veränderten Herausforderungen des Arbeitsmarktes Rechnung tragen und Aus- und Weiterbildungen hin zu qualifizierten Beschäftigungsverhältnissen fördern. Die Streichung des Vermittlungsvorrangs, die Ausweitung von geförderten Ausbildungszeiten auf drei Jahre, die Einführung eines Weiterbildungsgeldes in Höhe von 150 Euro/Monat sowie eines Bürgergeldbonus’ in Höhe von 75 Euro im Monat waren Elemente dieser neuen Strategie.

Hinzu kam, dass die sozialpolitische Krisenpolitik in der Pandemie administrative Lerneffekte erzwungen hatte. Weil die Verwaltung in der Krise mit detaillierten Anspruchsprüfungen überfordert gewesen wäre und es auch politisch nicht gewollt war, absehbar nur temporär unterstützungsbedürftige Selbstständige und Familien um Wohnung und Ersparnisse zu bringen, hatte die Bundesregierung unter Angela Merkel bereits im März 2020 mit dem Sozialschutzpaket Erleichterungen beschlossen, etwa die Einführung einer sechsmonatigen Karenzzeit, in der das Haushaltsvermögen in Höhe von 60.000 Euro für das erste Haushaltsmitglied und weiterer Freibeträge in dieser Zeit bei der Anspruchsberechnung unberücksichtigt bleiben soll. Mit der »Vereinfachter-Zugang-Verlängerungsverordnung (VZVV)« wurde darüber hinaus bestimmt, dass in einer analogen Karenzzeit Kosten der Unterkunft und Heizung grundsätzlich als angemessen gelten sollten. Diese Erleichterungen führten, auch weil die Berechtigten in der Regel ohnehin nicht über große Vermögen und teure Wohnungen verfügten, zu keinem signifikanten Anstieg der Ausgaben. Die Karenzzeiten wurden deshalb als effizient bestätigt und auf ein Jahr verlängert. Höhere Freibeträge für Ausbildungsvergütungen, eine höhere Bagatellgrenze für Rückforderungen und weitere Maßnahmen traten hinzu. Erleichterungen wurden auch im Bereich der Sanktionen umgesetzt. Hier hatte das Bundesverfassungsgericht 2019 Sanktionen von über 60% bei sog. Pflichtverletzungen für verfassungswidrig erklärt. Mit dem Bürgergeld wurden Sanktionen in einer »Vertrauenszeit« von sechs Monaten zu Beginn des Bezugs weitgehend ausgeschlossen und danach auf 30% des Regelsatzes begrenzt.

Wie kurzlebig sozialpolitische Gesetzgebung inzwischen ist, lässt sich sehr gut daran ablesen, dass von den zum Jahresbeginn 2023 beschlossenen Regelungen zum Jahresbeginn 2025 nahezu keine mehr in dieser Form fortbesteht. Der Bürgergeld-Bonus wurde zum 31. März 2024 abgeschafft.

Joachim Rock ist Hauptgeschäftsführer des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Der Beitrag gibt seine persönliche Meinung wieder.

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