1. Oktober 2009 Christina Ujma

Ende der Eiszeit?

Ausnahmsweise ist momentan nicht die italienische Linke, sondern die italienische Rechte im Zerfallsprozess, während sich die Linken einmal mehr vor allem mit sich selbst beschäftigen. Gegenwärtig sind die Neuformierung der linken Linken und der innerparteiliche Wahlkampf um den PD-Vorsitz die wichtigsten Themen. Der ehemalige PD-Vorsitzende Walter Veltroni reist derweil durchs Land, stellt seinen neuen Roman Noi (Wir) vor und beklagt den Verlust gesellschaftlicher Solidarität sowie des Gemeinschaftsgefühls.

Es ist schön zu sehen, dass ein ehemaliger Spitzenpolitiker ein Leben außerhalb der Politik hat, denn Schreiben kann der ehemalige Chefredakteur der L’Unità, aber seiner Partei fehlt er gerade sehr. Auch wenn er der Meinung ist, dass die ideologischen Differenzen zwischen Links und Rechts heute unbedeutend geworden sind, wäre er als erfahrener Politiker wohl in der Lage, aus der Krise der Rechten etwas mehr politischen Profit zu schlagen, als es PD-Interimschef Franceschini schafft.

Schlammschlachten

In einem Punkt hat Veltroni dann doch recht: Obwohl es gegenwärtig politisch um wenig geht, wird das politische Klima immer noch durch eine Art kalten Bürgerkrieg beherrscht, der nach der Losung Jeder gegen Jeden funktioniert. Seitdem Ende August Gianfranco Fini, der ehemalige Vorsitzende der postfaschistischen Alleanza Nazionale, ausgerechnet auf dem PD/Unità-Fest in Genua die unmenschliche Linie der Regierung Berlusconi in der Ausländerpolitik und die Angriffe auf die Pressefreiheit kritisierte, ist das Chaos perfekt. Lega Nord-Chef Bossi, dessen Markenzeichen und Hauptprogrammpunkt das Schüren xenophober Ressentiments ist, wurde ausfällig, Berlusconi keilte zurück und Finis eigene Leute waren nur mit Mühe ruhig zu stellen. Sie wissen natürlich auch, dass ihr ehemaliger Parteichef gute Gründe für seinen Schwenk Richtung politische Mitte hat, denn demnächst stehen einige Spitzenämter zur Neubesetzung an. Das wichtigste ist natürlich das Amt des Premierministers. Die Skandale der letzten Monate haben Amtsinhaber Berlusconi sichtlich zermürbt und zu den bizarrsten Ausfällen gegen tatsächliche oder vermeintliche Gegner getrieben, so dass selbst in einflussreichen bürgerlichen Kreisen laut über das Ende der Ära Berlusconi und mögliche Nachfolger nachgedacht wird.

Die Rede von Neuwahlen, vom Herbst des Patriarchen gehört mittlerweile zum politischen Standardrepertoire, genau wie die Klage darüber, dass es an einer geeigneten Alternative fehle, denn Fini ist ehemaliger (Post)Faschist und wäre als Regierungschef deshalb eine heikle Besetzung, auch wenn er noch so seriös und sachlich agiert. Die öffentlichen Nachfolgedebatten haben Berlusconis Minister für die öffentliche Verwaltung Brunetta dazu veranlasst, vor einem gemeinsamen Staatsstreich von gesellschaftlichen Eliten und Linken zu warnen. Der verheerende Anschlag auf italienische Soldaten in Afghanistan hat der regierenden Rechtskoalition neue Streitpunkte geliefert; Lega Nord-Chef Bossi will nicht einsehen, dass italienische Soldaten von Ausländern umgebracht werden, und möchte die Truppen sofort zurückziehen, Berlusconi ist das Thema ziemlich gleichgültig, er hält einen baldigen Abzug aber für möglich. Nur der seriösere Teil der Rechten will eingegangene internationale Verpflichtungen dann doch lieber einhalten. Es hat den Anschein, als wäre die Rechte mit ihrer neuen Sammlungspartei PDL genau so unzufrieden wie die Linke mit der PD, für ein Zweiparteiensystem scheint die politische Landschaft Italiens dann doch zu komplex zu sein.

Unterhalb der Gürtellinie

Seitdem im Vorfeld der Europawahl Berlusconis Vorlieben für leichte Mädchen, die vom Alter her eher zu seinen Enkeln passen würden, öffentlich geworden sind, ist die Region unterhalb der Gürtellinie zum politischen Schlachtfeld geworden. Es ist seit dem Frühjahr kaum eine Woche vergangen, in der nicht neue Enthüllungen darüber veröffentlicht wurden, wann und wo Berlusconi und seine Mannen es wie mit wem getrieben haben. Der als liebestoller Via­gragreis bloßgestellte Berlusconi sinnt auf Rache und hat eine Schmutz- und Verleumdungskampagne gegen seine Gegner losgetreten, die Ihresgleichen sucht. Das Hauptmotiv dabei ist, seine Kritiker als Heuchler darzustellen, die öffentlich Wasser predigen und heimlich Wein trinken. Besonders hat er es dabei auf die Zeitungen L’Unità und La Repubblica abgesehen, die er zudem noch auf 2 bzw. 1 Mio. Euro Schadensersatz verklagt hat. Diese Zeitungen wissen sich allerdings zu wehren, die internationale Solidaritätskampagne für die Repubblica, die bei den Enthüllungen über Berlusconi die Hauptrolle gespielt hat, hat schnell an die 400.000 Unterstützer und Solidaritätserklärungen von in- und ausländischer Prominenz gefunden.

Das einzige wirkliche Opfer von Berlusconis Schmutzkampagne ist bislang eine Persönlichkeit gewesen, die ihm politisch eher nahe stand. Der Chefredakteur der katholischen Zeitung L’Avenire Dino Boffo war kein wirklicher Gegner des Premiers, auch wenn in seiner Zeitung die sexuellen Eskapaden Berlusconis und die unmenschliche Flüchtlingspolitik der Regierung gelegentlich kritisiert wurden. Boffo wurde beschuldigt, schwul zu sein und Frauen unsittlich belästigt zu haben, was sich zwar widerspricht, aber von der Berlusconipresse weidlich ausgeschlachtet wurde. Am Tag, nachdem der Chefredakteur des Berlusconi-Blatts Il Giornale die Rachestrategie im Linksblatt L’Altro erläutert hatte, trat Boffo zurück. Seitdem sind die Beziehungen zwischen dem Vatikan und der Regierung Berlusconi etwas unfreundlicher geworden. Der L’Altro antwortete auf Vorwürfe, durch das Interview bei der Demontage Boffos mitgewirkt zu haben, dass es keinen Grund gibt, sich mit dem katholischen Zeitungs- und Meinungsmacher zu solidarisieren, schließlich seien die katholischen Angriffe auf die Rechte von Frauen und Homosexuellen sowie der Versuch, den Prozess der Säkularisierung Italiens zurückzudrängen, Grund genug, ihn als Gegner zu betrachten.

Linke Kämpfe, Linke Verirrungen

Abgesehen von der Einsicht, dass das Sexualverhalten und das Frauenbild vieler italienischer Politiker kruder sind als die meisten feministischen Polemiken zum Thema, ist der Erkenntnisgewinn aus den Enthüllungen eher gering. Sie haben jedoch Berlusconis Machtblock ernsthaft beschädigt, aber auch die politische Kultur. In der WählerInnengunst hat Berlusconi allerdings nur leicht verloren, denn die rechten Wähler in Italien halten wesentlich sturer an ihrer Parteienpräferenz fest als die der Mitte oder gar der Linken, die von ihren Repräsentanten Wohlverhalten und Prinzipientreue verlangen. Zudem sind nicht nur Politiker der Rechten wegen skandalösen Sexualverhaltens in der Kritik, sondern auch linke Politiker sind für die Vergabe von staatlichen Aufträgen mit den Dienstleistungen silikonverstärkter Damen belohnt worden, was für die Berlusconi-Medien natürlich ein gefundenes Fressen ist und dementsprechend hochgespielt wurde. Besonders in Apulien, wo Nichi Vendola, der Hoffnungsträger der linken Linken, Präsident der Region, d.h. Ministerpräsident ist, hat es einen handfesten Skandal gegeben. Allerdings ist der Politiker, um den es dabei geht, von der PD und der Untersuchungsausschuss hat der Vendola-Administration kein Fehlverhalten nachweisen können. Im Gegenteil sei ihr Handeln nach dem Bekanntwerden der Vorwürfe korrekt und um Aufklärung bemüht gewesen. Trotzdem, der gute Ruf Vendolas ist erst einmal angeschlagen, auch wenn zur Verteidigung seiner Person und seiner Amtsführung prominente Persönlichkeiten aus dem gesamten linken Spektrum, u.a. der PD-Politiker Massimo D’Alema, auftraten. Die Korruption innerhalb der PD nimmt langsam Ausmaße an, die die politische Glaubwürdigkeit ernsthaft beeinträchtigen könnten.

Vielleicht ist es vielen auch gar nicht so unrecht, dass die Medien sich gegenwärtig am liebsten mit Berlusconis Bettgeschichte befassen, lenkt dies doch von den sozialen Konflikten ab, die Italien gegenwärtig erschüttern. Hier gibt es Streiks und Proteste in diversen Regionen, vor allem geht es gegen die staatlichen Kürzungen im Gesundheitswesen, vor allem aber im Schul- und Hochschulsektor. Seit dem Bekanntwerden der Kürzungspläne, d.h. seit einem Jahr, befindet sich der Bildungsbereich im Dauerprotest, der jetzt, angesichts von 25.000 Lehrern und Hochschuldozenten, deren Zeitverträge nicht mehr verlängert wurden, eine neue Intensität erlangt. Besonders bemerkenswert ist dabei die Solidarität zwischen festangestellten und prekären Lehrkräften. Aber nicht nur unter den Staatsbediensteten gibt es Unruhen, am 9. Oktober streikt die FIOM, die Metallarbeitergewerkschaft. Zudem beteiligt sich die CGIL an Aktionen gegen Homosexuellenfeindlichkeit und gegen Angriffe auf die Pressefreiheit.

Sinistra e Liberta – die neue Linkspartei

Der gesellschaftliche und gewerkschaftliche Protest könnte politische Unterstützung gut gebrauchen, das wurde auch auf dem Gründungstreffen von Sinistra e Liberta deutlich, auf dem Gewerkschafter und Vertreter diverser Bewegungen so gut vertreten waren, dass die Organisatoren ins Staunen kamen und sich besonders über die vielen jungen Leute freuten, die die neue Formation enthusiastisch begrüßten und energisch Fortschritte bei der Konstituierung der Linkspartei verlangten. Die erste Nationalversammlung schließt den seit einigen Jahren unternommenen Versuch, die zahlreichen linken Gruppen und Grüppchen Italiens zu einer schlagkräftigen Linkspartei zu vereinen und den ca. 2 Millionen ehemaligen Linkswählern eine politische Heimat zu geben, vorläufig ab. Seit der Versammlung vom 20. September ist die Parteienkoalition aus den bündnisorientierten Abspaltungen von Rifondazione Communista und den Communisti Italiani, der Sinistra Democratica, den Grünen und dem linkssozialdemokratisch ausgerichteten Teil der kleinen sozialistischen Partei nun quasi eine Partei, die sich vorgenommen hat, eine linkssozialistische, arbeiterbewegte Tradition mit den Forderungen der neuen sozialen Bewegungen zu versöhnen. Sinistra e Libertas Treffen am 20. September war gut vorbereitet und gut organisiert. Zahlreiche linke Persönlichkeiten und Kulturschaffende traten in der Woche, die dem Parteitag voranging, öffentlichkeitswirksam der neuen Partei bei, darunter auch der ehemalige PCI- und PDS-Vorsitzende Acille Occhetto. Dessen Presseerklärung fasst den gemeinsamen Nenner von Sinistra e Liberta gekonnt zusammen: "Ich habe mich Sinistra e Liberta angeschlossen mit der Absicht, mich der faszinierenden Aufgabe zu widmen, eine neue Formation mit aufzubauen, die definitiv auf der Seite der Arbeitenden, der Prekären, der Ausgeschlossenen und der Unterdrückten steht. Einer Formation, die entschieden pazifistisch ist, für die es keine humanitären Kriegseinsätze gibt und die Massenvernichtungswaffen ächten will. Einer ökologischen Formation, die ein neues Fortschrittsmodell ins Zentrum ihres Parteiprogramms stellt, einer Formation, die die Befreiung der Frau zum Mittelpunkt ihrer Zielvorstellungen über die Gestaltung aller menschlichen Beziehungen macht ... Die Geschichte hat gezeigt, dass es ohne Freiheit auch keine Gleichheit gibt, deshalb muss diese neue Linkspartei eine libertäre und laizistische Partei sein." (http://www.ilvelino.it/articolo.php?Id=946801)

Bei den Diskussionen des zukünftigen Parteiprogramms wird der theoretisch wie rhetorisch versierte Occhetto Sinistra e Liberta sicherlich über viele Hürden hinweg helfen können. Im Dezember soll das Programm zusammen mit den Statuten verabschiedet werden. Bis dahin muss sich die Partei auch in den Regionen konstituiert haben, denn im Frühjahr 2010 sind Regional- d.h. Landtagswahlen, bei der Sinistra e Liberta die erste Bewährungsprobe als Partei bestehen will. Auch Nichi Vendola will dann in Apulien wieder kandidieren. Seine beeindruckende programmatische Rede zeigte, dass sein Selbstbewusstsein und seine Kampffreude zumindest teilweise zurückgekehrt sind. Er ist weiter die führende Persönlichkeit von Sinistra e Liberta, allerdings noch nicht ihr Vorsitzender, sondern zunächst nur Mitglied des 20-köpfigen Koordinierungsausschusses, dem die Vorsitzenden der anderen an der Gründung beteiligten Parteien und Aktivisten weiterer sozialer Bewegungen Claudio Fava, Grazia Francescato, Umberto Guidoni und Riccardo Nencini, sowie zahlreiche linke Persönlichkeiten aus den Parteien und den Bewegungen, darunter die Manifesto-Redakteurin Giuliana Sgrena, angehören.

Viva la Politica

Der Parteitag am 20. September wurde durch ein mehrtägiges Fest eingeleitet, das durch eine bunte Mischung von linker Kultur und Politik gekennzeichnet war. Wir sind die Prekären der Politik, sagte ein Anhänger der neuen Linken, in Anspielung auf deren außerparlamentarischen Status. Viel ganz und gar nicht prekäre linke Prominenz war auf dem Fest auch vertreten, u.a. Rosa Russo Jervolino, die PD-Bürgermeisterin von Neapel, und Pierluigi Bersani, linker und aussichtsreichster Kandidat für die Veltroni-Nachfolge, der keinen Hehl aus seiner Absicht macht, das alte Linksbündnis wiederzubeleben, und zu den Spitzenpolitikern von Sinistra e Liberta ein ausgesprochen freundschaftliches Verhältnis hat. Bereits einen Tag nach der Nationalversammlung bescheinigte auch Massimo D’Alema der neuen Formation die Bündnisreife. Es hätte nicht besser laufen können, sagte Nichi Vendola, und der Chef der SD, Claudio Fava, sprach von einer Renaissance linker Politik: Viva la Politica.

Selbst die europäische Politprominenz schien neugierig auf die neue Formation, Daniel Cohn-Bendit und ein Vertreter der Linkspartei waren anwesend. Das letzte Wort hatte der langjährige Rifondazione Communista Vorsitzende Fausto Bertinotti. In seiner Rede erklärte er, dass Sinistra e Liberta sich auch um die Erneuerung der europäischen Linken kümmern solle, die Pluralität, Offenheit und Massenwirksamkeit dringend nötig habe. Inwieweit die deutsche Linkspartei dabei Vorbild sein kann, bleibt offen. Auf der Nationalversammlung klangen viele Ausführungen zum Kampf um ArbeitnehmerInnenrechte, Kündigungsschutz und Prekarität nur allzu vertraut, andere Themen wie das Bekenntnis zur Ökologie, zu einer solidarischen Gesellschaft, einer anderen politischen Kultur, zu gleichen Rechten für Migranten und Frauen, Plädoyers gegen Ausländer-, Homosexuellen- und Frauenfeindlichkeit (zu denen sich kürzlich sogar Staatspräsident Napoletano geäußert hat) hört man in dieser Emphase von den Parteien der deutschen Linken eher seltener.

Die eurokommunistisch geprägte italienische Linke, die sich in Sinistra e Liberta sammelt, steht der traditionell mit Rifondazione Communista verbundenen deutschen Linkspartei ein wenig ambivalent gegenüber. Die altgediente Links­intellektuelle und Deutschlandkennerin Luciana Castellina sprach in ihrem Kommentar zum Linksparteitriumph in den Landtagswahlen vom 30. August von einer deutschen Lektion für die italienische Linke (Il Manifesto, 1.9.2009) und betonte, dass es Linkssektierer und Linkssozialisten in Deutschland schaffen, in einer Partei zusammenzubleiben, auch wenn sie sich gegenseitig nicht ausstehen können – und dass eine suboptimal funktionierende Regierungskoalition aus Sozialisten und Sozialdemokraten wie in Berlin nicht gleich zur Existenzkrise der Linken führe. Aber in ihrem Artikel wie auch in anderen Kommentaren schwingt Skepsis gegen­über der autoritären SED-Tradition und dem traditionalistischen Politikverständnis der linken Linken Deutschlands mit. Falls es Sinistra e Liberta tatsächlich in näherer Zukunft schafft, aus den fünf Gründungsparteien eine plurale und erfolgreiche Linkspartei zu formen, dann werden sie wohl wirklich Vorbildcharakter für die europäische Linke haben. Der Weg dahin wird holprig und sicher nicht frei von kleineren und größeren Unfällen sein, was nicht so schlimm ist, solange er sich nicht als Sackgasse erweist.

Christina Ujma arbeitet als Lehrbeauftragte am Otto-Suhr-Institut in Berlin. Sie schreibt in Sozialismus regelmäßig über Italien. Zuletzt erschien "Welche Zukunft für Italiens Linke? Il Manifesto wird 40 Jahre alt und diskutiert immer noch die Krise der Linken" (Sozialismus 9/2009).

Zurück