24. Oktober 2019 Richard Detje/Otto König/Gerhard Wick: IG Metall Gewerkschaftstag 2019: Auf dem Weg in eine »neue Zeit«?
Ende der leisen Töne
Der Ton zwischen der IG Metall und dem Arbeitgeberverband Gesamtmetall, aber auch zwischen den Betriebsparteien – den Betriebsräten und Vorständen – wird rauer.
»Sozialpartnerschaft« wird zwar noch als Modell industrieller Beziehungen beschworen, doch »das goldene Jahrzehnt ist vorbei«. Notwendig sei eine »neue lohnpolitische Weichenstellung«, die die »fatale Kostenentwicklung der vergangenen Jahre stoppt«, so die Botschaft des Verbandes der bayerischen Metall- und Elektroindustrie (VBM). Im Vorfeld des 24. ordentlichen IG Metall-Gewerkschaftstages in Nürnberg (6. bis 12. Oktober 2019) fuhren die Arbeitgeber das schwerste Geschütz auf, das ein Tarifverband bieten kann: die Drohung mit der Abwicklung des Flächentarifvertrages.
Doch es sind nicht nur erfolgreiche Gewerkschaftskämpfe für Reallohnsteigerungen, der Einstieg in eine neue Politik der Arbeitszeitverkürzung und die Neuerprobung von Arbeitskampffähigkeit mithilfe von Tagesstreiks, die die Frontstellung der Arbeitgeber begründen. Es ist eine Zeitenwende, die sich gegenwärtig auf verschiedenen Ebenen vollzieht.
Mit erheblicher Wucht hat sich die ökonomische Krise nach einem Jahrzehnt zwar nicht überschäumenden, gleichwohl kontinuierlichen Wirtschaftswachstums zurückgemeldet. Verknüpft ist sie mit einer Veränderung globaler Wertschöpfungsketten mit den Großmärkten China und USA, wodurch das Krisenpotenzial massiv anwächst. Die Rettung der deutschen Exportindustrie in der Großen Krise 2009 durch gesteigerte Nachfrage der großen Schwellenländer wird sich nicht wiederholen. Umso dramatischer wird sich auswirken, was Klaus Dörre als »ökonomisch-ökologische Zangenkrise« bezeichnet: Es muss schon qualitatives, ressourcenschonendes, CO2-minderndes Wachstum sein, um in Zeiten globaler Klima- und Umweltkrisen nachhaltig Unternehmen und Beschäftigung sichern zu können. Und schließlich hat in den Betrieben ein neuer, auf digitaler Vernetzung und Künstlicher Intelligenz basierender Rationalisierungsschub begonnen, dessen Auswirkungen gegenwärtig noch kaum überschaubar sind, und auf den die Metall- und Elektrounternehmen völlig unzureichend vorbereitet sind.
Hieraus muss nicht, aber kann eine sich wechselseitig verstärkende Vierfachkrise erwachsen, wie es sie nur in anderen Zeiten grundlegender Umschwünge – wie in den 1970er Jahren – gegeben hat. Es sind Veränderungsprozesse zu erwarten, die das bestehende Produktions- und Wirtschaftsmodell umwälzen.
Otto König ist Mitherausgeber und Richard Detje Redakteur von Sozialismus.de, Gerhard Wick ist 1. Bevollmächtigter der IG Metall Geschäftsstelle Esslingen.