27. Juni 2025 Johannes Specht: Zu den anstehende Neuordnungen und Arbeitskämpfen bei den Essenslieferdiensten in Deutschland

Endlich bessere Arbeitsbedingungen oder zurück in die Vergangenheit!?

Zwei aktuelle Entwicklungen werden die Arbeitsbeziehungen – und damit auch die Möglichkeiten für gewerkschaftliches Handeln und Arbeitskämpfe – bei den Essenslieferdiensten womöglich einschneidend verändern.

Die eine: die drohende Auslagerung des Botengeschäfts der Rider auf Fahrrädern, Rollern oder Autos auf Subunternehmer(ketten) beim Branchenführer der Essenslieferdienste, Lieferando. Der andere Einschnitt wird die bis Dezember 2026 anstehende Umsetzung der »EU-Plattformarbeitsrichtlinie«[1] in deutsches Gesetz sein. Diese Richtlinie gibt den Ländern einige wichtige Regulierungen auf, u.a. sollen Maßnahmen zur ungehinderten, digitalen Kommunikation der Beschäftigten untereinander und der Zugang von Betriebsräten und Gewerkschaften zu den Beschäftigten ermöglicht werden. Zudem sollen die EU-Staaten die Feststellung und Verbesserung des Arbeitnehmerstatus durchsetzen.

Umstieg auf das Subunternehmer-Modell bei Lieferando?

Lieferando, Teil des internationalen Konzerns Just Eat Take Away mit Sitz in Amsterdam, hatte bisher in Deutschland das Geschäftsmodell, die Rider alle selbst anzustellen: Alle 6.000-9.000 Rider – mit saisonüblichen Schwankungen und einer großen Zahl nur kurz oder bis Ende ihrer Probezeit beschäftigten Menschen – sind direkt bei Lieferando eingestellt. Hinzu kommen die über 1.000 Festangestellten in der Unternehmenszentrale in Berlin-Kreuzberg. Damit ist Lieferando das größte Unternehmen und auch die Ausnahme unter den konkurrierenden Unternehmen der Branche wie UberEats oder Wolt, die überwiegend auf Subunternehmer (und -ketten) setzen, die die Rider dann anstellen. Missbrauch der Arbeitsrechte der Beschäftigten in diesen Subunternehmerketten und Werkverträgen, eine Verschleierung der Zuständigkeiten, fehlende Lohnzahlungen und vieles mehr sind hier anzutreffen und bekannt.

Anfang Mai 2025 schlug eine Nachricht wie eine Bombe bei den betroffenen Beschäftigten und Betriebsräten ein: Lieferando Österreich wird nicht mehr mit seinen eigenen knapp 1.000 angestellten Ridern (auf Fahrrädern, Rollern oder Auto) Essen ausliefern lassen, wird alle Rider entlassen und sein Geschäftsmodell auf »freie Dienstverträge« mit den einzelnen Ridern umstellen – auf (Schein)-Selbständigkeit, mit allen damit für die Menschen verbundenen Risiken und eingeschränkten Rechten. Es gab Proteste gegen diese Maßnahme in Österreich, und einen Austausch und Solidarität der organisierten Belegschaften in Österreich und Deutschland.

Entlassungen, Umstieg auf Werkverträge und Subunternehmer?

Auf einer Gesamtbetriebsrätekonferenz in Bielefeld im Juni 2025 haben die Betriebsräte Auskunft verlangt vom anwesenden Management des Unternehmens auf diese Frage.

Johannes Specht arbeitet im Projekt »Tarifbewegungen und kreative Arbeitskampfformen in Niedriglohnbranchen« im Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung.

[1] Die EU-Richtlinie wurde im November 2024 verabschiedet und will explizit eine Regulierung der verschiedenen Teilbranchen der Plattformökonomie, zu der in der EU mehr als 28 Mio. Menschen zählen. Die Umsetzung der Richtlinie wird weit über die Essenslieferdienste hinaus auch bei den Fahrdiensten (Uber), Reinigungskräften, Handwerkerleistungen, so sie über eine digitale Plattform vermittelt werden, und den großen Bereich des click- oder cloud working, Auswirkungen haben – aber vermutlich sehr unterschiedliche. Ebenso unklar ist es, wie verschieden die jeweiligen nationalen Regelungen in den EU-Ländern aussehen werden.

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