24. Mai 2018 Joachim Bischoff

Erdoğan auf Konfrontation mit den Finanzmärkten

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat für den 24. Juni Neuwahlen angesetzt. Damit werden die ursprünglich für November 2019 vorgesehenen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen vorgezogen. Mehr als 40 Millionen Türkinnen und Türken im In- und Ausland sind aufgefordert, mit ihrer Stimme zugleich den Übergang des Landes in ein Präsidialregime zu bestätigen.

Gewinnt Erdoğan, wird eine Verfassungsreform umgesetzt, mit der er gleichzeitig Regierungschef werden würde. Das Amt des Ministerpräsidenten würde abgeschafft, zahlreiche Kompetenzen ins Präsidialamt übertragen.
Erdoğan hat im Wahlkampf im Falle eines Wahlsiegs angekündigt, Währungshüter der Notenbank stärker unter seine Fittiche zu nehmen. Ihre Unterordnung sei erforderlich, denn die Türkei müsse die Zinsen senken, weil sie »Mutter allen Übels« und Grund für Inflation seien. Eingebaut war diese Ankündigung in einen Rundumschlag gegen alles, was mit internationalen Finanzmärkten zu tun hat. »Devisenspekulanten, die Zinslobby und Feinde der Türkei unter dem Deckmantel von Ratingagenturen sind unsere Sache nicht«, sagte der Präsident vor Unternehmensvertretern. Anfang Mai hatte die US-Ratingagentur S&P mit Verweis auf die hohe Inflation die Bewertung der türkischen Kreditwürdigkeit auf das Ramschniveau BB- gesenkt.

Allerdings müsste Erdoğan zur Unterordnung der Notenbank nicht auf die Zeit nach einem Sieg bei den Wahlen warten. Denn das Parlament in Ankara hat den seit dem gescheiterten Putsch im Jahr 2016 geltenden Ausnahmezustand zum siebten Mal verlängert. Damit können Präsident und Regierung weitere drei Monate Gesetze am Parlament vorbei erlassen und die Bürgerrechte einschränken. Angesichts dieser Rahmenbedingungen signalisieren die vorgezogenen Neuwahlen eine überraschende Unruhe der herrschenden politischen Elite. Es lässt sich nicht übersehen, dass die Wirtschaft schwächelt. Die von Erdoğan geführte »Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung« (AKP) fällt in Umfragen zurück.[1] Die überraschend ausgerufenen Neuwahlen treffen zudem die politische Opposition unvorbereitet.

Politischer Umbau nach dem Putschversuch

Der Putschversuch vom 15. Juli 2016 hat die türkische Gesellschaft massiv verändert.

Joachim Bischoff ist Mitherausgeber von Sozialismus.

[1] In einer Umfrage nannte noch im Januar ein Drittel der Türken den Terror als größtes Problem des Landes. Dieser Wert ist inzwischen auf 18% gefallen. Die Hälfte der Bürger betrachtet jetzt die Wirtschaft als wichtiges Thema. Wie groß der Unmut über die Regierung ist, zeigte sich aktuell in den sozialen Medien: Millionen Menschen teilten auf Twitter das türkische Wort für »genug« (tamam), nachdem Erdoğan in einer Rede gesagt hatte, dass er sich aus der Politik zurückziehe, sollte das Volk »genug« von ihm haben. Siehe hierzu auch den folgenden Beitrag von Richard Detje und Otto König.

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