1. April 2010 Joachim Bischoff

''Erst die Strafe, dann der Fonds!''

Kategorie: Euro-Krise

Der europäische Dampfer drohte aus dem Ruder zu laufen. Bis zuletzt blockierten die Bundesrepublik und die Niederlande Pläne für die finanzielle Unterstützung in akute Verschuldungsnot geratener Mitgliedstaaten. Die Nettozahler der Europäischen Gemeinschaft könnten nicht dafür bestraft werden, dass andere "über ihre Verhältnisse" leben.

Und da es eben nicht nur um Griechenland, sondern möglicherweise auch um Notmaßnahmen für Portugal, Italien, Irland und Spanien geht, würde man "falsche Erwartungen" wecken, die neue "Unruhe auf den Märkten verursachen", so Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die Folge eines "bail out" könne nur sein, dass die Gemeinschaftswährung unter wachsenden Druck gerate – "volatil" werde.

"Erst die Strafe, dann der Fonds"

Doch eine Entscheidung für den Europäischen Rat musste her. Und sie musste beide Seiten umfassen: Sanktionen und Hilfen. Erstens sollen die Regeln des Stabilitätspakts verschärft werden, indem Verschuldungs-"Sünder" mit harten Auflagen bedacht und ihnen zugleich das Stimmrecht in Europa entzogen und damit also die politische Hoheit genommen wird. Zweitens sollen bilaterale Hilfen erlaubt sein und drittens ein Europäischer Währungsfonds gegründet werden, der im Gemeinschaftsinteresse finanziell beispringt. Und wenn das nicht reichen sollte, könne auch der IWF noch mit ins Boot geholt werden. Die Ansage von deutscher Seite ist klar: "Erst die Strafe, dann der Fonds", so Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble.

Und mit Strafe – so die Erwartung der Bundesregierung – lassen sich die Märkte beruhigen. Griechenland soll dafür das Exempel sein.

In der Tat hat die griechische Regierung unterstrichen, dass sie zunächst ohne Gemeinschaftsunterstützung auskommt. Ende März verfügt sie über sieben Milliarden Euro an flüssigen Mitteln. Doch bis Ende Mai wird eine Umschuldung von etwa 23 Mrd. Euro fällig, wofür auf den internationalen Finanzmärkten zusätzlich 16 Mrd. Euro beschafft werden müssen. Das muss nicht zwangsläufig zu einer unüberbrückbaren Hürde werden: Die letzte Anleihe Griechenlands in Höhe von 5 Mrd. Euro war immerhin dreifach überzeichnet. Aber das betrifft nur die Umschuldung der kumulierten Gesamtschulden, die Ende 2009 bei über 250 Mrd. Euro lagen. Hinzu kommen die Schulden, die zur Finanzierung des laufenden Haushaltsdefizits in Höhe von zuletzt 12,7% erforderlich sind. Insgesamt beträgt die griechische staatliche Gesamtverpflichtung 875% des BIP (siehe dazu die Tabelle weiter unten). Und Griechenland ist nur ein Fall. Gemeinsam mit Portugal, Spanien, Italien und Irland ist in diesem Jahr eine Umschuldung von rund 405 Mrd. Euro zu bewerkstelligen.

Frisches Kapital ist zu bekommen – fragt sich nur zu welchem Preis. Die neue griechische Staatsanleihe läuft über zehn Jahre und wurde mit einer Emissionsrendite von 6,4% an den Markt gebracht, was einem Aufschlag von 3,2% auf vergleichbare deutsche Bundesanleihen entspricht. Für eine im Januar ausgegebene Anleihe hatte Griechenland noch einen Aufschlag von 3,8% zahlen müssen (siehe Abbildung 1). Das zeigt: Griechenland kann davon ausgehen, dass die Gefahr eines Staatsbankrotts von den Akteuren auf den internationalen Finanzmärkten aktuell eher geringer eingeschätzt wird.

Sparpolitik in der Krise

Ein Grund dafür, dass der Aufschlag auf die Zinsen gesunken ist, liegt in dem Sparprogramm der griechischen Regierung. Das schneidet in Sozialleistungen, Einkommen und Beschäftigung im öffentlichen Dienst. Vorgesehen sind das Einfrieren aller Renten, die Erhöhung der Mehrwertsteuer um bis zu 2% und für Staatsbedienstete die Kürzung ihres 14. Monatslohns um 30%. Dieser setzt sich aus dem Weihnachts-, dem Oster- und dem Feriengeld zusammen. Das Paket umfasst ferner höhere Abgaben auf Alkohol, Tabak, Strom, Treibstoffe sowie Luxusgüter wie teure Autos, Jachten und große Immobilien. Einkünfte von über 100.000 Euro pro Jahr werden mit 45% etwas höher versteuert. Die soziale Verteilung der Kürzungen stellt ein gravierendes Problem dar und ruft entsprechende Proteste hervor. Zudem beschneidet das Sparpaket die Nachfrage auf dem griechischen Binnenmarkt und behindert das, was dringend erforderlich wäre: das Anspringen einer sozial gerechten und nachhaltigen Reichtumsproduktion. Bekanntlich kann man aus Schulden nur herauswachsen und sich nicht heraussparen. Doch das sehen viele im Fall Griechenland durchaus anders. Nicht ganz zu Unrecht: In der Tat ist das Zusammenspiel von Aufrüstung und Korruption ein Problem. Beispielhaft ist das Abkommen zwischen dem griechischen Staat und dem inzwischen zu ThyssenKrupp gehörenden Schiffbauer HDW aus dem Jahr 2000. Gemäß jenem Abkommen im Wert von 2,85 Mrd. Euro hätte der deutsche Vertragspartner Griechenland bis zum März 2008 vier neue U-Boote liefern und drei ältere Modelle modernisieren sollen. Der griechische Vertragspartner verpflichtete sich, dem deutschen Konzern 80% der Gesamtsumme im Voraus zu zahlen, was damals als Skandal ersten Ranges angeprangert worden war. Wie der amtierende griechische Verteidigungsminister Venizelos erklärt, hat Griechenland bis September 2009 dem deutschen Vertragspartner insgesamt 2,03 Mrd. bezahlt, ohne bis heute auch nur ein einziges der bestellten Kriegsschiffe erhalten zu haben. Unter enormen Druck geraten, hoffte die sozialistische Regierung Griechenlands, die schwarz-gelbe Regierungskoalition in Deutschland mit neuen Rüstungsaufträgen für eine Unterstützung in der Umschuldungsfrage gewinnen zu können. Athen bestellte trotz der immensen Schulden zwei weitere U-Boote für einen Preis von je 500 Mio. Euro. Ein "Boom für Waffen made in Germany" wird in dem jüngsten Bericht des Stockholmer Friedensforschungsinstituts Sipri festgestellt. Seit 2005 hätten sich die deutschen Waffenausfuhren vor allem durch den Verkauf von U-Booten und Panzern mehr als verdoppelt. Wichtigster Abnehmer für die deutsche Rüstungsindustrie war die Türkei, an die 14% der Ausfuhren gingen. Nach Griechenland gelangten 13%. Überhaupt gehörte das vom Staatsbankrott bedrohte Griechenland in den vergangenen fünf Jahren weltweit zu den fünf wichtigsten Käufern von Rüstungsgütern. Eine Sanierung des griechischen Haushalts unterstellt mithin auch, dass Athen seine Verteidigungsausgaben von 4,3% des Bruttoinlandprodukts drastisch reduziert. Aber allein durch diese Reduktion würde das Chaos der öffentlichen Finanzen nicht aufgehoben.

Der Fall Griechenland verweist auf Grundprobleme:
1. Austeritätspolitik, für die es nicht ausreicht, nur "unnützen" Konsum zu streichen, wird zu einer Belastung des Reproduktionsprozesses.
2. Finanzielle Hilfen von Seiten anderer Staaten und der Europäischen Gemeinschaft können nach den jüngsten Beschlüssen der Regierungen auf dem Europäischen Markt nicht genutzt werden, um hohe Zinsaufschläge zu reduzieren – sie stehen nur als "ultima ratio" zur Verfügung.
3. Aber selbst bei deutlich geringeren Zinssätzen steht das Land vor der Herausforderung, seine Binnenökonomie umzubauen. Entsprechende gesamtwirtschaftliche Restrukturierungsprozesse erfordern erstens langfristige Kapitalanlagen und zweitens eine neue Qualität der Wirtschaftssteuerung. Beides bricht mit der Logik des Finanzmarktkapitalismus.
4. Schließlich bleibt die entscheidende Frage, ob Griechenland – wie andere EU-Länder auch – überhaupt irgendwann zur Tilgung von Schulden übergehen kann.

Warten auf den Aufschwung

Nahezu alle kapitalistischen Hauptländer leiden unter einer immensen Staatsverschuldung. In allen öffentlichen Haushalten klaffen infolge der großen Wirtschaftskrise seit Mitte 2007 und den Rettungsaktionen für das Finanzsystem sowie der Talfahrt der Realökonomie gewaltige Löcher. Das ist zunächst einmal positiv zu bewerten. Anders als in der großen Wirtschaftskrise des 20. Jahrhunderts hat der Großteil der politischen Klasse in den kapitalistischen Metropolen dieses Mal nicht sogleich den Deflationspfad beschritten. Stattdessen haben Zentralbanken und Regierungen die Geldmenge ausgeweitet und den öffentlichen Kredit genutzt, als nach dem Zusammenbruch von Lehman-Brothers im Herbst 2008 die Finanzkrise die globale Wirtschaft in den Abgrund zu stürzen drohte. Mit drastischen Leitzinssenkungen und milliardenschweren Liquiditätsspritzen eilten die Währungshüter dem Finanzsystem zu Hilfe.

Noch im Frühjahr 2010 scheuen die Notenbanken und Regierungen davor zurück, die fragile Konjunktur mit Zinserhöhungen und Rückführung der öffentlichen Ausgaben abzuwürgen und mit einem zu raschen geldpolitischen Kurswechsel und rigoroser Sparpolitik einen Rückfall in die Finanzkrise zu riskieren. Aber spätestens ab 2011 sollen die Zügel der Zinspolitik und der öffentlichen Ausgaben gestrafft werden – in der Erwartung, dass die Konjunktur bis dahin wieder Fahrt aufgenommen hat. Den Finanzmärkten soll das Signal gegeben werden: Für neue Zinsphantasien ist die Zeit abgelaufen. Die Wirtschaft kommt in Schwung und die Verschuldung wird abgebaut.

Dieses Kalkül ist nicht nur ein Wolkenkuckucksheim. Die Finanzmärkte selbst stehen unter Druck. Die Liquidität und die Nachfrage von Finanzinvestoren nach Staatspapieren sind beträchtlich. Trotz enorm gewachsener öffentlicher Verschuldung gibt es ein historisch geringes Zinsniveau, weil reichlich Geldkapital existiert, das nach sicherer Anlage drängt. Die Investoren meiden nach wie vor ein Engagement in realwirtschaftlichen Strukturen wegen der unsicheren Konjunkturperspektiven. Bislang sind Staatsanleihen ein sicherer Hafen für überreichlich vorhandenes Geldkapital. Aber niemand kann sagen, wo die Grenze zwischen Staatsgarantien und Staatsversagen liegt.

Im Jahr 2010 wird in den kapitalistischen Hauptländern im Schnitt mit einem Primärdefizit (Staatseinnahmen minus Ausgaben, ohne Zinszahlungen) von 4,3% des Bruttoinlandproduktes (BIP) gerechnet. Um die Gesamtschuldenquote auf 60% zu drücken, müsste beim Primärsaldo bis 2020 ein Plus von 3,7% des BIP erreicht werden. Diesen Überschuss gälte es dann bis 2030 fortzuschreiben. Laut IWF haben immerhin gut 20 Länder in den vergangenen 40 Jahren einen ähnlich starken Wechsel von einem Primärdefizit zu einem überschuss bewerkstelligt. Einen positiven Primärsaldo dann aber während zehn Jahren durchzuhalten, ist eine bislang nicht bewältigte Hürde.

Allein der Finanzbedarf der Euro-Länder im Jahr 2010 wird auf rund eine Billion Euro geschätzt. Im Jahr zuvor lag dieser Finanzbedarf noch bei gut 900 Mrd. "2,4 Billionen Dollar wollen die Amerikaner im Jahr 2010 am Anleihemarkt einnehmen. Danach folgt lange niemand, bis mit umgerechnet rd. 1,3 Billionen Dollar die Japaner kommen. Nach einer nochmals großen Lücke folgen Italiener, Deutsche, Briten und Franzosen mit jeweils rd. 300 Mrd. Dollar." (Faz vom 25.3.2010, S. 19) Demgegenüber haben Unternehmensanleihen weltweit ein deutlich geringeres Volumen.

Konstruktionsfehler der Euro-Zone

Griechenland wurde 2001 mit einem Schuldenstand von rund 100% des BIP in die Euro-Zone aufgenommen. Das Defizit lag nach den damals verfügbaren Daten zwar unter der 3%-Grenze, doch wurde dies in späteren Revisionen in Frage gestellt. Der eigentliche Sündenfall erfolgte aber früher: Italien und Belgien nahmen von Anfang an an der Währungsunion teil, obwohl sie noch etwas höhere Schuldenberge aufwiesen als Griechenland. Da man bei ihnen festgestellt hatte, dass der Schuldenstand "hinreichend rückläufig" sei und sich rasch genug dem Referenzwert nähere (was laut EU-Recht ausreicht), konnte man Griechenland eine ähnliche Behandlung kaum verwehren, obwohl es auch kritische Stimmen gab. So hielt die Europäische Zentralbank (EZB) 2000 in ihrem Bericht über die griechische Euro-Reife fest, es bestehe "Anlass zur Sorge, ob das Verhältnis des öffentlichen Schuldenstands zum BIP hinreichend rückläufig ist und sich rasch genug dem Referenzwert nähert".

Griechenland steht unter dem Druck der Regierungen der Euro-Zone, sein Defizit von 12,7% des Bruttoinlandprodukts noch in diesem Jahr um 4% zu senken. Mit für 2009 geschätzten Fehlbeträgen von 12,7% im Haushalt und 8,8% in der Leistungsbilanz leidet Griechenland aktuell unter einem gefährlichen Zwillingsdefizit, bei einer kumulierten Staatsschuld, die das jährliche BIP weit überschreitet. Eine derart brisante Ballung problematischer volkswirtschaftlicher Daten weist kein anderes Land im Euro-Raum auf. Auch die Finanzmärkte haben zur Entwicklung beigetragen: Als seien alle Länder der Euro-Zone ähnlich solide, schrumpften die in den 1990er Jahren noch sehr hohen Renditeunterschiede zwischen den Anleihen der einzelnen Staaten im ersten Jahrzehnt der Währungsunion auf ein Minimum. Erst die Finanzkrise hat das Risikobewusstsein wieder geschärft.

Keine Frage: Die Griechenland-Krise hat auch die Achillesfersen der Euro-Währungsunion schonungslos aufgedeckt. In der Währungsunion, die heute 16 Mitgliedstaaten umfasst, ist nur die Geld- und Währungspolitik zentralisiert. Für die Finanz- und Wirtschaftspolitik bleiben die Mitgliedstaaten verantwortlich. Die Teilnahme war deshalb stets an die Forderung geknüpft, dass jedes Mitglied eine solide Finanzpolitik praktiziert und sich um seine Wettbewerbsfähigkeit kümmert. Vor allem die erste Forderung ist im Stabilitätspakt auch quantifiziert: Der Staatshaushalt soll über den Konjunkturzyklus hinweg möglichst ausgeglichen werden, sodass das Defizit selbst im Abschwung 3% des Bruttoinlandprodukts (BIP) nicht überschreitet. Die Staatsverschuldung soll nicht über 60% des BIP liegen. Die beiden Referenzwerte gehören auch zu den Aufnahmekriterien in die Euro-Zone.

Gleichwohl: Das erste Jahrzehnt der Euro-Zone hat wenig Fortschritte in der Herausbildung einer gemeinsamen Ökonomie gebracht. Das Scheitern der Lissabon-Strategie, die im Jahr 2000 von der EU-Kommission und den Regierungen proklamiert wurde, hat ihren Hauptgrund in der Konzentration der Wirtschaftspolitik auf den Gesichtspunkt der Wettbewerbsfähigkeit. Faktisch wurde damit eine Vergrößerung der Kluft zwischen den Mitgliedsländern programmiert – statt die erhoffte Konvergenz in den ökonomischen Verhältnissen, Lebens- und Arbeitswelten zu verwirklichen. Die längere Phase der finanzgetriebenen Kapitalakkumulation erlaubte auch Ländern mit massiven Strukturproblemen wie Portugal, Irland, Italien, Griechenland und Spanien eine Teilnahme an der Kreditexpansion und einer massiven Entkoppelung der Immobilienmärkte von der Realökonomie. Nun leiden in erster Linie die kleinen Länder, die in der Regel stärker auf die internationalen Finanzmärkte angewiesen sind: So werden 88% der griechischen Schuldtitel im Ausland gehalten. Und die Zinsaufschläge sind immens, wenn die Gesamtverschuldung mehr als ein Jahresprodukt des gesellschaftlichen Reichtums ausmacht.

Da im Nachgang der großen Krise fast keine Veränderungen und Regulationen auf den Finanzmärkten durchgesetzt wurden, sind die Akteure auf diesen Märkten jetzt auch darauf aus, an der Schuldenpolitik und der durch dies­e Parameter verursachten Volatilität der Währungsverhältnisse zu verdienen. Die Spekulationen gegen die europäische Gemeinschaftswährung haben die Aufsichtsbehörden in den USA und in Deutschland auf den Plan gerufen. Ob die Spekulation gegen das Euro-Währungssystem und gegen das britische Pfund einen Kurswechsel in Sachen überfällige Regulation auf den Finanzmärkten bringt, ist eher skeptisch einzuschätzen.

Der entscheidende Grund liegt in der Größe der Währungstransaktionen. Der Devisenhandel ist der größte Finanzmarkt der Welt. Unternehmen und Vermögensverwalter sichern sich täglich gegen Währungsschwankungen ab. Außerdem beeinflussen Regierungen und Zentralbanken durch gezielte Zu- oder Verkäufe die Kurse. Die Bedeutung von Spekulanten hat in den letzten Jahren sprunghaft zugenommen. Im Jahr 2001 betrug das tägliche Devisenhandelsvolumen im Schnitt 1.610 Mrd. US-Dollar. Im Jahr 2009 war es mit 3.724 Mrd. US-Dollar mehr als doppelt so groß.

Im Grundsatz müssten hier weit entschiedenere Maßnahmen als eine internationale Steuer auf Finanztransaktionen durchgesetzt werden. Da schon eine solche Finanztransaktionssteuer auf offenen Widerstand stößt, ist die Bereitschaft zu einer weitergehenden Regulierung marginal.

Wie die Schuldenbergen abbauen?

Die Situation der öffentlichen Haushalte hat sich in Folge der Finanz- und Wirtschaftskrise in allen kapitalistischen Hauptländern stark verschlechtert (siehe Abbildung 2 und zur Entwicklung in den USA Abbildung 3). Laut IWF betrugen die Staatsschulden gemessen an der Wirtschaftsleistung in den entwickelten kapitalistischen Ländern noch 2007 im Schnitt 73%. Nicht übersehen werden darf bei dieser Betrachtung allerdings, dass außerbilanzielle Posten, die aktuelle Verpflichtungen in die Zukunft verschieben, seit längerem zum normalen Geschäft von Regierungen gehören. Man denke dabei nur an die diversen, von vielen Ländern durchgeführten Private Finance Initiatives (PFI) oder Public Privat Partnerships (PPP) zur Finanzierung von Infrastrukturvorhaben oder an die Finanzierungsvehikel zur Übernahme von Forderungen an staatliche Pensionskassen oder Sozialversicherungen. Und dann gibt es noch die riesigen Pensionsverpflichtungen, für die nicht genügend Rückstellungen vorhanden sind. Schätzungen über die effektiven Belastungen der Staaten kommen deshalb zu ganz anderen Größenordnungen.

Die "Wirtschaftswoche" berichtet in ihrer Ausgabe vom 15.3.2010: "Die Ratingagentur Moody’s sagt den Staaten weltweit angesichts der anschwellenden Haushaltsdefizite 'tumultartige Zeiten' bei der Schuldenaufnahme voraus. Nicht nur viele EU-Staaten steuern auf Rekorddefizite zu, auch die USA sind rekordhoch verschuldet. Amerika steuert auf ein Defizit von mehr als 90% zu, übertrumpft, gemessen an der offiziellen Staatsverschuldung, die meisten EU-Länder (...). 200 Milliarden Dollar Minus fahren die USA pro Monat ein – Griechenland benötigt dagegen nur 50 Milliarden Euro binnen eines Jahres. Alle staatlichen Verpflichtungen zusammengerechnet ergeben für die USA ein Defizit von 522% der jährlichen Wirtschaftsleistung, die bei 14.400 Milliarden Dollar liegt." (Siehe auch die Tabelle)

Damit die Schuldenquote bis zum Jahr 2030 auf 60% zurückginge, der Grenze also, die im Wachstums- und Stabilitätspakt der Euro-Zone proklamiert wird, müsste ein deutliches Wirtschaftswachstum sichergestellt und zugleich eine ausgewogene Sparpolitik praktiziert werden. Bislang hat die Bevölkerung in einzelnen Ländern wie Irland und Griechenland die Politik der massiven Einschnitte in öffentliche und soziale Leistungen hingenommen. Griechenland zeigt aber auch, dass der Widerstand deutlich zunimmt.

Auch in Deutschland haben die Staatsschulden einen neuen Rekordstand erreicht. Bund, Länder und Gemeinden standen Ende 2009 mit 1,69 Billionen Euro so tief in der Kreide wie noch nie. Der Anstieg im Vergleich zum Vorjahr betrug nach offiziellen Angaben des Statistischen Bundesamts 7,1% oder 112,7 Mrd. Euro. Deutschlands Schuldenstand übersteigt seit Jahren die im Maastricht-Vertrag festgelegte Obergrenze von 60%. 2009 lag er bei etwa 72,5% und wird Prognosen der Bundesregierung zufolge bis 2012 auf mehr als 81% steigen.

Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIS) warnt, dass sich die Verschuldung der Industriestaaten ohne Gegenmaßnahme bis 2040 mindestens verdreifacht. Bis zu 25% der Staatseinnahmen würden dann allein in Zinszahlungen fließen. Das höhere Ausfallrisiko für neue Kredite müsste dann bei der Emission neuer Anleihen bereits eingepreist werden, was die Schuldendynamik weiter beschleunigt.

Bei einem verschärften Sparkurs besteht die Gefahr, dass staatliche Einnahmeerhöhungen bei gleichzeitiger Ausgabensenkung die so dringend benötigte Erholung der Konjunktur abwürgen könnten. Auf der anderen Seite gilt auch: Staatsschulden erzeugen auch eine schleichende Umverteilung von unten nach oben. In Deutschland verfügen zehn Prozent der privaten Haushalte weit über die Hälfte der privaten Geldvermögen (insgesamt 4,6 Billionen Euro). Die Finanzmarktkrise hinterlässt auch Spuren im Geldvermögensbestand der privaten Haushalte und beeinflusst das Anlageverhalten nachhaltig. Ein gewichtiger Anteil dieses Geldvermögens wird direkt oder im Umweg über die Banken in sicher verzinsliche Staatsanleihen investiert. Da gleichzeitig die Steuerbelastung bei Vermögen und Vermögenserträgen begrenzt ist, sehen wir faktisch eine Begünstigung wohlhabender privater Haushalte durch die Ausweitung der Staatsschulden. Griechenland weist wie Deutschland eine relativ geringe Besteuerung von Gewinnen und Vermögen auf.

Zwei Schlussfolgerungen ergeben sich aus der hinter der hohen Verschuldung des griechischen Staates steckenden allgemeinen Schuldenfalle:

1. Griechenland wie die EU-Staaten und die kapitalistischen Metropolen stecken noch tief in der großen Wirtschaftskrise; durch zügige Rückführung der öffentlichen Kredite und eine rigorose Sparpolitik wird der Wirtschaftsaufschwung geschwächt oder abgewürgt; die öffentlichen Kredite müssten strukturpolitisch eingesetzt werden, d.h. es geht um Ausbau öffentlicher und sozialer Infrastruktur, die Stabilisierung der Masseneinkommen und weiterer Arbeitsmarktprogramme mit der vorrangigen Ausrichtung auf Arbeitszeitverkürzungen.

2. Die Rückführung der öffentlichen Kredite und die Sanierung der öffentlichen Finanzen kann nur gelingen, wenn aufbauend auf einer Vergesellschaftung und Steuerung der Banken- und Geldpolitik zielgerichtet eine höhere Besteuerung von Vermögenserträgnissen und Zinseinkünften umgesetzt wird. Auch an diesem Punkt ist auf eine Ausweitung sozialer Sicherheit zu verweisen, weil hinter einem Teil der Anlagen von Geldkapital auch Rücklagen für soziale Absicherung stecken.

Es gibt also durchaus eine Alternative, um aus der großen Krise, der Expansion des öffentlichen Kredits und der Schuldenfalle herauszukommen.

Joachim Bischoff ist Mitherausgeber von Sozialismus.

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